VII. Von der Technik der Urteilskraft als dem Grunde der Idee einer Technik der Natur

[32] Die Urteilskraft macht es, wie oben gezeigt worden, allererst möglich, ja notwendig, außer der mechanischen Naturnotwendigkeit sich an ihr auch eine Zweckmäßigkeit zu denken, ohne deren Voraussetzung die systematische Einheit in der durchgängigen Klassifikation besonderer Formen nach empirischen Gesetzen nicht möglich sein würde. Zunächst ist gezeigt worden, daß, da jenes Prinzip der Zweckmäßigkeit nur ein subjektives Prinzip der Einteilung und Spezifikation der Natur ist, es in Ansehung der Formen der Naturprodukte nichts bestimme. Auf welche Weise also würde diese Zweckmäßigkeit bloß in Begriffen bleiben und dem logischen Gebrauche der Urteilskraft in der Erfahrung zwar eine Maxime der Einheit der Natur ihren empirischen Gesetzen nach, zum Behuf des Vernunftgebrauchs über ihre Objekte, untergelegt, von dieser besondern Art der systematischen Einheit aber, nämlich der nach der Vorstellung eines Zwecks, keine Gegenstände in der Natur, als mit ihrer Form dieser korrespondierende Produkte, gegeben werden würden. – Die Kausalität nun der Natur, in Ansehung der Form ihrer Produkte als Zwecke, würde ich die Technik der Natur nennen. Sie wird der Mechanik derselben entgegengesetzt, welche in ihrer Kausalität durch die Verbindung des Mannigfaltigen ohne einen der Art ihrer Vereinigung zum Grunde liegenden Begriff besteht, ungefähr so wie wir gewisse Hebezeuge, die ihren zu einem Zwecke abgezielten Effekt, auch ohne eine ihr zum Grunde gelegte Idee haben können, z.B. einen Hebebaum, eine schiefe Fläche, zwar Maschinen, aber nicht Kunstwerke nennen werden; weil sie zwar zu Zwecken gebraucht werden können, aber nicht bloß in Beziehung auf sie möglich sind.

Die erste Frage ist nun hier: Wie läßt sich die Technik der Natur an ihren Produkten wahrnehmen? Der Begriff[32] der Zweckmäßigkeit ist gar kein konstitutiver Begriff der Erfahrung, keine Bestimmung einer Erscheinung, zu einem empirischen Begriffe vom Objekte gehörig; denn er ist keine Kategorie. In unserer Urteilskraft nehmen wir die Zweckmäßigkeit wahr, so fern sie über ein gegebenes Objekt bloß reflektiert, es sei über die empirische Anschauung desselben, um sie auf irgend einen Begriff (unbestimmt welchen) zu bringen, oder über den Erfahrungsbegriff selbst, um die Gesetze, die er enthält, auf gemeinschaftliche Prinzipien zu bringen. Also ist die Urteilskraft eigentlich technisch; die Natur wird nur als technisch vorgestellt, so fern sie zu jenem Verfahren derselben zusammenstimmt und es notwendig macht. Wir wer den so gleich die Art zeigen, wie der Begriff der reflektierenden Urteilskraft, der die innere Wahrnehmung einer Zweckmäßigkeit der Vorstellungen möglich macht, auch zur Vorstellung des Objekts, als unter ihm enthalten, angewandt werden könne.

Zu jedem empirischen Begriffe gehören nämlich drei Handlungen des selbsttätigen Erkenntnisvermögens: 1. die Auffassung (apprehensio) des Mannigfaltigen der Anschauung, 2. die Zusammenfassung, d.i. die synthetische Einheit des Bewußtseins dieses Mannigfaltigen in dem Begriffe eines Objekts (apperceptio comprehensiva), 3. die Darstellung (exhibitio) des diesem Begriff korrespondierenden Gegenstandes in der Anschauung. Zu der ersten Handlung wird Einbildungskraft, zur zweiten Verstand, zur dritten Urteilskraft erfordert, welche, wenn es um einen empirischen Begriff zu tun ist, bestimmende Urteilskraft sein würde.

Weil es aber in der bloßen Reflexion über eine Wahrnehmung nicht um einen bestimmten Begriff, sondern überhaupt nur um die Regel, über eine Wahrnehmung zum Behuf des Verstandes, als eines Vermögens der Begriffe, zu reflektieren, zu tun ist: so sieht man wohl, daß in einem bloß reflektierenden Urteile Einbildungskraft und Verstand in dem Verhältnisse, in welchem sie in der Urteilskraft überhaupt[33] gegen einander stehen müssen, mit dem Verhältnisse, in welchem sie bei einer gegebenen Wahrnehmung wirklich stehen, verglichen, betrachtet werden.

Wenn denn die Form eines gegebenen Objekts in der empirischen Anschauung so beschaffen ist, daß die Auffassung des Mannigfaltigen desselben in der Einbildungskraft mit der Darstellung eines Begriffs des Verstandes (unbestimmt welches Begriffs) übereinkommt, so stimmen in der bloßen Reflexion Verstand und Einbildungskraft wechselseitig zur Beförderung ihres Geschäfts zusammen, und der Gegenstand wird als zweckmäßig, bloß für die Urteilskraft, wahrgenommen, mithin die Zweckmäßigkeit selbst bloß als subjektiv betrachtet; wie denn auch dazu gar kein bestimmter Begriff vom Objekte erfordert noch dadurch erzeugt wird, und das Urteil selbst kein Erkenntnisurteil ist. – Ein solches Urteil heißt ein ästhetisches Reflexions-Urteil.

Dagegen, wenn bereits empirische Begriffe und eben solche Gesetze, gemäß dem Mechanism der Natur gegeben sind und die Urteilskraft vergleicht einen solchen Verstandesbegriff mit der Vernunft und ihrem Prinzip der Möglichkeit eines Systems, so ist, wenn diese Form an dem Gegenstande angetroffen wird, die Zweckmäßigkeit objektiv beurteilt und das Ding heißt ein Naturzweck, da vorher nur Dinge als unbestimmt-zweckmäßige Naturformen beurteilt wurden. Das Urteil über die objektive Zweckmäßigkeit der Natur heißt teleologisch. Es ist ein Erkenntnisurteil, aber doch nur der reflektierenden, nicht der bestimmenden Urteilskraft angehörig. Denn überhaupt ist die Technik der Natur, sie mag nun bloß formal oder real sein, nur ein Verhältnis der Dinge zu unserer Urteilskraft, in welcher allein die Idee einer Zweckmäßigkeit der Natur anzutreffen sein kann, und die, bloß in Beziehung auf jene, der Natur beigelegt wird.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 10, Frankfurt am Main 1977, S. 32-34.
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