Allgemeine Anmerkung

[816] Da der gründlichen Philosophen, wie sie sich selbst nennen, täglich mehr werden, die, indem sie so tief in alle Sachen einschauen, daß ihnen auch nichts verborgen bleibt, was sie nicht erklären und begreifen könnten, so sehe ich schon voraus, daß der Begriff der Realentgegensetzung, welcher im Anfange dieser Abhandlung von mir zum Grunde gelegt worden, ihnen sehr seicht, und der Begriff der negativen Größen, der darauf gebauet worden, nicht gründlich genug vorkommen werde. Ich, der ich aus der Schwäche meiner Einsicht kein Geheimnis mache, nach welcher ich gemeiniglich dasjenige am wenigsten begreife, was alle Menschen leicht zu verstehen glauben, schmeichle mir, durch mein Unvermögen ein Recht zu dem Beistande dieser großen Geister zu haben, daß ihre hohe Weisheit die Lücke ausfüllen möge, die meine mangelhafte Einsicht hat übriglassen müssen.[816]

Ich verstehe sehr wohl, wie eine Folge durch einen Grund nach der Regel der Identität gesetzt werde, darum weil sie durch die Zergliederung der Begriffe in ihm enthalten befunden wird. So ist die Notwendigkeit ein Grund der Unveränderlichkeit, die Zusammensetzung ein Grund der Teilbarkeit, die Unendlichkeit ein Grund der Allwissenheit etc. etc. und diese Verknüpfung des Grundes mit der Folge kann ich deutlich eingehen, weil die Folge wirklich einerlei ist mit einem Teilbegriffe des Grundes, und, indem sie schon in ihm befaßt wird, durch denselben nach der Regel der Einstimmung gesetzt wird. Wie aber etwas aus etwas andern, aber nicht nach der Regel der Identität, fließe, das ist etwas, welches ich mir gerne möchte deutlich machen lassen. Ich nenne die erstere Art eines Grundes den logischen Grund, weil seine Beziehung auf die Folge logisch, nämlich deutlich nach der Regel der Identität kann eingesehen werden, den Grund aber der zweiten Art nenne ich den Realgrund, weil diese Beziehung wohl zu meinen wahren Begriffen gehört, aber die Art derselben auf keinerlei Weise kann beurteilt werden.

Was nun diesen Realgrund und dessen Beziehung auf die Folge anlangt, so stellet sich meine Frage in dieser einfachen Gestalt dar: wie soll ich es verstehen, daß, weil etwas ist, etwas anders sei? Eine logische Folge wird eigentlich nur darum gesetzt, weil sie einerlei ist mit dem Grunde. Der Mensch kann fehlen; der Grund dieser Fehlbarkeit liegt in der Endlichkeit seiner Natur, denn, wenn ich den Begriff eines endlichen Geistes auflöse, so sehe ich, daß die Fehlbarkeit in demselben liege, das ist, einerlei sei mit demjenigen, was in dem Begriffe eines Geistes enthalten ist. Allein der Wille Gottes enthält den Realgrund vom Dasein der Welt. Der göttliche Wille ist etwas. Die existierende Welt ist etwas ganz anderes. Indessen durch das eine wird das andre gesetzt. Der Zustand, in welchem ich den Namen Stagirit höre, ist etwas, dadurch wird etwas anders, nämlich mein Gedanke von einem Philosoph gesetzt. Ein Körper A ist in Bewegung, ein anderer B in der geraden Linie derselben in Ruhe. Die Bewegung von A ist etwas, die von B ist etwas[817] anders, und doch wird durch die eine die andre gesetzt. Ihr möget nun den Begriff vom göttlichen Wollen zergliedern so viel euch beliebt, so werdet ihr niemals eine existierende Welt darin antreffen, als wenn sie darin enthalten und um der Identität willen dadurch gesetzt sei, und so in den übrigen Fällen. Ich lasse mich auch durch die Wörter Ursache und Wirkung, Kraft und Handlung nicht abspeisen. Denn, wenn ich etwas schon als eine Ursache wovon ansehe, oder ihr den Begriff einer Kraft beilege, so habe ich in ihr schon die Beziehung des Realgrundes zu der Folge gedacht, und denn ist es leicht, die Position der Folge nach der Regel der Identität einzusehen. Z. E. Durch den allmächtigen Willen Gottes kann man ganz deutlich das Dasein der Weltverstehen. Allein hier bedeutet die Macht dasjenige Etwas in Gott, wodurch andre Dinge gesetzt werden. Dieses Wort aber bezeichnet schon die Beziehung eines Realgrundes auf die Folge, die ich mir gerne möchte erklären lassen. Gelegentlich merke ich nur an, daß die Einteilung des Herrn Crusius in den Ideal- und Realgrund von der meinigen gänzlich unterschieden sei. Denn sein Idealgrund ist einerlei mit dem Erkenntnisgrunde, und da ist leicht einzusehen, daß, wenn ich etwas schon als einen Grund ansehe, ich daraus die Folge schließen kann. Daher nach seinen Sätzen der Abendwind ein Realgrund von Regenwolken ist, und zugleich ein Idealgrund, weil ich sie daraus erkennen und voraus vermuten kann. Nach unsern Begriffen aber ist der Realgrund niemals ein logischer Grund, und durch den Wind wird der Regen nicht zu folge der Regel der Identität gesetzt. Die von uns oben vorgetragene Unterscheidung der logischen und realen Entgegensetzung ist der jetzt gedachten vom logischen und Realgrunde parallel.

Die erstere sehe ich deutlich ein vermittelst des Satzes vom Widerspruche, und ich begreife, wie, wenn ich die Unendlichkeit Gottes setze, dadurch das Prädikat der Sterblichkeit aufgehoben wird, weil es nämlich jener widerspricht. Allein wie durch die Bewegung eines Körpers die Bewegung eines andern aufgehoben werde, da diese mit jener doch nicht im Widerspruche stehet, das ist eine andere Frage.[818] Wenn ich die Undurchdringlichkeit voraussetze, welche mit einer jeden Kraft, die in den Raum, den ein Körper einnimmt, einzudringen trachtet, in realer Entgegensetzung stehet, so kann ich die Aufhebung der Bewegungen schon verstehen; alsdenn habe ich aber eine Realentgegensetzung auf eine andere gebracht. Man versuche nun, ob man die Realentgegensetzung überhaupt erklären und deutlich könne zu erkennen geben, wie darum weil etwas ist etwas anders aufgehoben werde, und ob man etwas mehr sagen könne, als was ich davon sagte, nämlich, lediglich daß es nicht durch den Satz des Widerspruchs geschehe. Ich habe über die Natur unseres Erkenntnisses in Ansehung unserer Urteile von Gründen und Folgen nachgedacht, und ich werde das Resultat dieser Betrachtungen dereinst ausführlich darlegen. Aus demselben findet sich, daß die Beziehung eines Realgrundes auf etwas, das dadurch gesetzt oder aufgehoben wird, gar nicht durch ein Urteil sondern bloß durch einen Begriff könne ausgedrückt werden, den man wohl durch Auflösung zu einfacheren Begriffen von Realgründen bringen kann, so doch, daß zuletzt alle unsre Erkenntnisse von dieser Beziehung sich in einfachen und unauflöslichen Begriffen der Realgründe endiget, deren Verhältnis zur Folge gar nicht kann deutlich gemacht werden. Bis dahin werden diejenige, deren angemaßte Einsicht keine Schranken kennt, die Methoden ihrer Philosophie versuchen, bis wie weit sie in dergleichen Frage gelangen können.[819]


Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 2, Frankfurt am Main 1977.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen
Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren / Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen