Sechstes Kapitel (Fortsetzung des 60. Gegenstandes).

Verteilung der besonderen Anteile.

[257] Was die Söhne von einer Frau betrifft, so ist der besondere Anteil des Ältesten: bei den Brahmanen die Ziegen, bei den Kshattriya die Pferde, bei den Vaiçya die Rinder, bei den Çūdra die Schafe.1 Die einäugigen und die lahmen unter diesen Tieren sind der besondere Anteil des Mittleren, die verschiedenfarbigen der Anteil des Jüngsten. Sind keine vierfüßigen Tiere vorhanden, so soll von zehn Sachen, mit Ausnahme der Edelsteine, der Älteste einen Teil bekommen (also ein Zehntel von allem als obendrein gehenden besonderen Anteil); denn ihm ist die Verpflichtung auferbunden, die Ahnenopfer darzubringen. Das ist die Erbteilung der Schule des Uçanas.

Von des Vaters persönlichem Eigentum (Geräten und Mobiliar, parivāpa) ist der Wagen und der Schmuck Teil des Ältesten,A1 Bett und Sitz sowie der Messingbecher, den er gebraucht hat, Teil des Mittleren, die dunkle Feldfrucht und das Eisen, die Hausmöbel und der Rinderkarren Teil des Jüngsten. Bei den übrigen Sachen oder auch bei diesem (eben genannten) Eigentum die gleichmäßige Verteilung.2

[257] Kein Erbteil bekommen die Schwestern.3 Von dem persönlichen Eigentum (d.h. den zu persönlichem Gebrauche dienenden Sachen, parivāpa) ihrer Mutter bekommen sie den Messingbecher, den sie benutzt hat, und den Schmuck.

Fehlt es dem ältesten Sohn an tüchtigem menschlichen Wesen, dann bekommt er nur ein Drittel von dem besonderen Anteil des Ältesten, nur den vierten, wenn er von etwas Ungehörigem lebt oder sich von den religiösen Pflichten abgewandt hat. Alles aber verlieren soll er, wenn er nach seinen Gelüsten wandelt.4

Damit ist auch das Nötige gesagt über den mittleren und den jüngsten Sohn. Von diesen beiden soll der mit tüchtigem Menschenwesen ausgestattete die Hälfte vom Sonderteil des Ältesten empfangen.A2

Gleich verteilt wird alles übrige. Oder ein Voranteil, der aus zwei Teilen besteht, gebührt dem Erstgeborenen. Oder je ein wünschenswertes Stück vom Gute (kāmya dhanarūpa) mag immer der im Alter Vorangehende an sich nehmen. Daneben noch eine Anzahl Einzelheiten. Ebenso groß ist die Vielgestalt der zum Teil dem G. gleichen Bestimmungen und die Bevorzugung des Ältesten im M. Bei den andern Brüdern nennt er keine einzelnen Sachen (IX, 110ff.). Weniger umständlich lehrt Vas. XVII, 40ff.: Ein Doppelanteil dem Ältesten (wie M. IX, 117; G. XXVIII, 9) und je das zehnte Stück von Rindern und Pferden; dem Mittleren die Sachen von Eisen und die Hausgeräte; dem Jüngsten Ziegen, Schafe und das Haus. Nach dem Appendix aber: Dem Ältesten ein Anteil drüber drein, dem Jüngsten der beste; die übrigen und die unverheirateten Töchter teilen gleich (32, statt kanishṭhasya paraḥ muß man aber wohl kanishṭhasyāvaraḥ lesen). N. XIII, 13: Der Älteste kriegt einen Überanteil (aṃça adhika), der Jüngste einen geringeren (avara); die übrigen und die unvermählten Mädchen gleich. Vish. XVIII, 36f. bestimmt: Dem Ältesten einen ausgelesenen Anteil (uddhāra); alle anderen gleichkastigen Söhne teilen gleich. Ebenso Bṛ. XXV, 8. Dann aber fügt dieser hinzu, daß der Älteste oder der an Wissen oder Tüchtigkeit hervorragende zwei Teile bekommen solle. Y. II, 114 sagt, der Vater könne nach Belieben zuteilen oder dem Ältesten einen besten Anteil oder allen gleich. Dies alles stammt wohl aus N. XIII, 4, wo man wahrscheinlich samaṃ statt svayaṃ setzen muß.

Wenn Söhne von verschiedenen Frauen vorhanden sind, und sind zwei Frauen da, von denen die eine durch regelrechtes Ehesakrament geweiht, die andere nicht geweiht ist, und sind an der einen als Mädchen die Hochzeitszeremonien vollzogen worden (und an der anderen, nachdem sie schon einmal verheiratet oder entjungfert gewesen), oder handelt es sich um Zwillingssöhne einer Frau, so kommt das Erstgeburtsrecht durch die frühere Geburt.5

Bei den Sūta, Māgadha, Vrātya und Wagenmachern findet die Zuteilung des Erbes statt nach der Meisterschaft (in dem betr. Gewerbe). Die übrigen Söhne leben von diesem (der īçvara oder Meister ist). Die nicht Meister sind, teilen gleich (untereinander.)6

[258] Bei den allen vier Kasten angehörigen Söhnen (eines Brahmanen) soll der Sohn der Brahmanin vier Teile bekommen, der Sohn der Kshattriyafrau drei Teile, der Sohn der Vaiçyafrau zwei Teile, der Sohn der Çūdrafrau einen Teil. Damit ist auch die Verteilung unter die dreien Kasten angehörigen Söhne eines Kshattriya und die zweien Kasten angehörenden Söhne eines Vaiçya angedeutet.7

Der Sohn einer Frau aus der dem Gatten nächststehenden Kaste bekommt beim Brahmanen den gleichen Anteil (wie der Sohn von der Frau, die dem Gatten an Kaste gleich steht); beim Kshattriya und Vaiçya einen halb so großen Anteil, oder auch, wenn er von tüchtigem Menschenwesen ist, den gleichen Anteil (wie der Sohn der Frau, die seiner Mutter an Kaste unmittelbar vorangeht).

Sind zwei Frauen da, die eine von gleicher Kaste (mit dem Manne), die andere von ungleicher, aber nur ein Sohn, so soll er alles bekommen und soll die Verwandten erhalten.A3 Von Brahmanen aber soll der Bastard8 den dritten Teil (des Vermögens) bekommen, zwei Teile ein durch die Totenopfer Verwandter (sapiṇḍa) oder der nächste Familienangehörige (kulya), weil dieser die Totenopfer darbringen muß. Ist kein solcher vorhanden, dann des Toten Lehrer oder Schüler.

Oder auf seinem Felde (d.h. mit seiner Gattin) soll ein Beauftragter einen »Feldgeborenen« erzeugen, ein Verwandter der Mutter oder einer von des Vaters Sippe, der denselben Familiennamen führt; diesem (so entstandenen Sohn) soll man das betreffende Vermögen zuweisen.9

Fußnoten

1 Es mag wunderlich scheinen, daß die Ziegen die besonderen Tiere des Brahmanen sind, während die so viel wertvolleren Bosse dem Kshattriya eignen. Aber das Pferd wird mit dem Sonnengott, dem Adels- und Fürstenerzeuger, gleichgesetzt und der Ziegenbock mit dem Feuergott Agni, dem Urpriester. So z.B. MBh. XII, 162, 41; 78, 6. Freilich mögen da die Brahmanen wenigstens teilweise aus der Not eine Tugend gemacht haben. So gibt König Çala die von einem Asketen entlehnten wunderschnellen Pferde nicht zurück und erklärt, solche Zugtiere stünden dem König zu; für den Brahmanen sei ein zahmes Ochsengespann. MBh. III, 192, 38 ff. Das Rind ist so recht das Tier der Priesterkaste, was sich, abgesehen von der besonderen indischen Heiligkeit der Kuh, schon daraus erklärt, daß das Rind das altindogermanische Zugtier ist. Baudh. II, 2, 3, 9 erhält denn auch der älteste Sohn des Brahmanen ein Kind als Voranteil, der des Kriegers ein Roß, der des Vaiçya eine Ziege, der des Çūdra ein Schaf.


2 Statt des allerdings etwas befremdenden etaddravyasya liest B ekadravyasya, und Jolly bemerkt dazu: »Mit ekadravya sind wohl einzeln vorhandene und daher nicht teilbare, sondern gemeinsam zu benutzende Gegenstände gemeint, wie etwa das Wasser eines Brunnens oder die Arbeit eines einzelnen Sklaven. Vgl. Bṛihaspati 25, 80 ff.« (SBE 33, 382).A4 Aber verschiedene Gesetze über ein und denselben Punkt sind in Indien, dem Lande des starren und doch je nach Gegend, Kaste, Familie usw. sehr verschiedenen Herkommens, häufig, und ekadravyasya, so bestechlich es auch aussieht, mag Glättung sein.


3 Wohl bei der Verteilung der besonderen Anteile; denn nur von diesen handelt ja der Zusammenhang. Schwestern mögen noch so viel älter sein, sie haben hier keine Ansprüche. Vom Erbe selber sind die Mädchen ja nicht ausgeschlossen. Vgl. auch Weib im altind. Epos S. 7, Anm. 2. Mit Yājn. II, 124 (die Brüder müssen den unverheirateten Schwestern ein Viertel aus dem eigenen Anteil geben) stimmt wohl MBh. K XIII, 82, 22 überein Der Bruderlosen sprechen manche da die Hälfte zu.


4 Manu IX, 213 heißt es: »Der älteste Bruder, der aus Habgier schlimm gegen seine jüngeren Brüder handelt, soll seine Erstgeburt verlieren, keinen Anteil bekommen und vom König bestraft werden«. Vgl. Gaut. XXVIII, 40; Āpast. II, 6, 14, 15.A5


5 Auch nach der von Jolly aus Āpast. aufgeführten Stelle (ZDMG. 67, S. 59) lastet auf dem Sohn eines nicht mehr jungfräulich in die Ehe getretenen, eines nicht durch frommes Ehesakrament geheiligten und eines unebenbürtigen Weibes der Makel, und Manu IX, 125 erklärt, wo die Gattinnen einander gleichstünden, also auch in den Mängeln, da komme der Vorzug einzig von der Erstgeburt. Auch müßte doch im Einklang mit der ganzen Darstellung der Sohn der regelrecht oder als Jungfrau geheirateten Frau den Vorzug bekommen, bei Zwillingen aber der zuerst am Tageslicht erschienene. So wird der Text verdorben sein und der richtige diese Lehre darbieten.A6


6 Es dürfte sich hier um unbedeutendere Sachen handeln, die unter die in ihrem Beruf weniger tüchtigen oder ganz untüchtigen Brüder verteilt werden. Oder anīçvarās ist Possessivum: »Haben sie keinen Meister unter sich, d.h. sind sie alle untauglich, dann sollen sie alle gleich teilen«A7. Aus diesem Grund habe ich zweideutig übersetzt. Die Vrātya oder »Truppenleute« sind umherziehende Menschen von niedriger gesellschaftlicher Stellung, wohl Wandersänger. MBh. XIII, 48 werden die Mischkasten behandelt. Auch der sūta heißt da bāhya, ja in K ayājya, vrātya, was vielleicht darauf hinweist, daß sūta und vrātya miteinander verwandt sind, beides Sänger.


7 Der Kshattriya kann ja nur Frauen aus drei Kasten, der Vaiçya nur aus zweien, der Çūdra bloß aus einer heiraten. Vgl. Weib im altind. Epos S. 57.A8


8 Es ist ja möglich, daß pāraçava auch hier heißt: »der mit einer Çūdra erzeugte Sohn eines Brahmanen«. Aber das Wort hat wohl hier, wie öfters im MBh., nicht diese seine bekannte engere, sondern die umfassendere Bedeutung »Bastard«. Ebenso wohl 236, 3; denn nur »Bastard«, und zwar eines vornehmen oder fürstlichen Vaters gibt dort einen ordentlichen Sinn. Es ist ja hier auch die Rede davon, daß nur ein Sohn da ist. Das kann ganz gut nur ein außerehelicher sein. Der Sohn der Çūdrafrau eines Brahmanen sodann bekommt, soweit wir sehen können, nach Kauṭ. das ganze Vermögen, sowie er nur der einzige und in der Ehe erzeugt ist. Brahmane freilich ist höchstens noch eines Brahmanen Sohn von einer Vaiçyā. Siehe Weib im altind. Epos 50–51. Auch MBh. XIII, 48, 4, 7 f. erklärt, bloß die Söhne der Brahmanin und der Kshattriya hätten beim Brahmanen die Kaste des Vaters, die anderen die der Mutter und beim Kshattriya nur die Söhne der Kshattriyā und der Vaiçyā. Ebenso dann Kauṭ. im nächsten Kapitel. MBh. K XIV, 117, 10 und anderwärts lesen wir: »Wenn ein Brahmane mit einer Çūdrā einen Sohn erzeugt, so geht das brahman in seinem Leibe sofort zugrunde«. Nur die Heiligen der Vorzeit haben mit Çūdrafrauen, ja mit Tieren, Söhne erzeugt, die dem gotra des Vaters zugezählt wurden (MBh. XII, 296, 10–13). Aber Strenges und Mildes paaren sich ja in Altindien sehr häufig.


9 Wegen dieses »Felderzeugten« (kshetraja) siehe Weib im altind. Epos 128–130; 133 f.; Yājñ. II, 128 ff.; Nār. XII, 58 ff.; Caland, Die altind. Toten- und Bestattungsgebräuche 43 ff.A9 MBh. K XIII, 84, 6 heißt es, der kshetraja sei der auf dem Ehebett gezeugte Sohn eines Toten, Zeugungsunfähigen oder Entkasteten. Des Mannes »Feld«, das er bebaut, wird der Schoß der. Frau z.B. auch bei den Muhammedanern, den älteren italienischen Novellisten und in den Fastnachtsspielen des 15. Jahrhunderts (z.B. Stuttg. Lit. Ver. Bd. 28, S. 144) genannt.


A1 Diese Regel erinnert an Ā. II, 6, 14, 8, wo am Ende doch die von Bühler verworfene Lesart richtig ist und man dann übersetzen muß: »Des Vaters Wagen und die Sachen um einen her im Hause, die Geräte, die Sessel usw. (oder: Der Wagen des Vaters und was an Mobiliar im Hause ist, die Geräte, wie Schemel u. dgl. mehr) ebenfalls«; d.h. ist ebenfalls Teil des Ältesten. Wunderlich nimmt es sich aus, daß bei Bühler der Vater Möbel und Wagen als seinen Teil erhalten soll. Vgl. Bṛ. XXV, 85.


A2 Vgl. N. XII, 5; Bṛ. XXV, 9–11; auch B. II, 3, 12f.; Bṛ. XXV, 29; M. IX, 115. Zum Vorhergehenden in diesem Kapitel wären etwa folgende Stellen zu vergleichen: B. II, 2, 3ff.: gleiche Verteilung unter alle, oder der Älteste mag als Sonderanteil das beste Stück (wohl: Vieh, varaṃ rūpam) oder ein Zehntel von allem Vermögen bekommen. Die übrigen teilen dann gleich. Und zwar besteht der Voranteil des Ältesten beim Brahmanen in einem Rind, beim Kshattriya in einem Roß, beim Vaiçya in einer Ziege, beim Çūdra in einem Schaf. Ā. II, 6, 14, 1ff. lehrt nur die gleiche Verteilung, und sagt, die ungleiche Verteilung sei verboten, erwähnt aber, daß in manchen Ländern der älteste einen Voranteil bekomme: Gold, dunkles Vieh oder dunkles Getreide (!; akṛishṇaṃ zu lesen?), ja daß er nach »einigen« alles erbe. (So M. IX, 105; G. XXVIII, 3.) Vgl. N. XIII, 5. Ā. II, 6, 13, 13 ist folglich wohl ein ungehöriges Einschiebsel. Auch nach G. XXVIII, 3ff. mag also der Älteste alles empfange. Aber bei der Verteilung sei das religiöse Verdienst größer (vgl. M. IX, 111; N XIII, 37.) Der 20. Teil ist nach ihm Präzipuum des Ältesten, ein Paar männlicher und weiblicher Tiere, ein Wagen bespannt mit Tieren, die oben und unten Zähne haben, und ein Bulle. Die einäugigen, lahmen, hornlosen oder schwanzlosen sind Teil des Mittleren; Schafe, Getreide, Eisengerät, Haus, Karren mit Gespann und von Vierfüßlern je einer der des Jüngsten.


A3 Nach der Smṛiti ist der Sohn einer Frau auch der Sohn ihrer Mitfrauen, der Sohn eines leiblichen Bruders auch der der übrigen Brüder; dies natürlich da, wo kein anderer Sohn vorhanden ist. Vas. XVII, 10–11; M. IX, 182f.; Vish. XV, 41f.; Bṛ. XXV, 99–100. Vgl. auch Vish. XVIII, 28f.


A4 An der von Jolly angeführten Stelle (XXV, 79ff.) wendet sich Bṛ. gegen die von M. IX, 219, G. XXVIII, 46f. und Vish. XVIII, 44 vorgetragene Lehre, daß Kleidung, ein Vehikel (Wagen, Roß usw.) Schmuck, zubereitete Speise, ein Wasser (Brunnen), etwas was zum Gebrauch und zur Sicherung des Vermögens aller nötig ist (wie z.B. eine gemeinsame Weide, ein Bewässerungswerk, ein Zaun usw.), ein Durchgangsweg (pracāra) und Frauen, d.h. Sklavinnen, die eng mit dem Hause verbunden sind, unteilbar seien. Vgl. auch M. IX, 119. Yogakshema wird nach meinem Dafürhalten in den genannten Stellen im wesentlichen so gebraucht wie in M. VII, 127, wo Medhātithi und andere Kommentatoren auf der richtigen Fährte sind, wenn sie erklären, yogakshema bezeichne die Ausgaben, die nötig sind, die Kaufmannsgüter vor Räubern usw. sicher zu stellen. »Usw.« ist wichtig; es zielt gewiß vor allem auf Bestechung aller möglichen großen und kleinen Gewalthaber in Staat und Gewerbe. Also auch M. VIII, 230: »Am Tage liegt die Verantwortlichkeit (für das Vieh) auf dem Hüter, bei Nacht auf dem Eigentümer, wenn es in dessen Hause ist; bei Sicherung auf andere Art (also z.B. draußen im Wald in einer Hürde oder Umzäunung) aber soll der Hüter die Verantwortlichkeit tragen.«


A5 M. fährt fort: »Alle Brüder, die in ungesetzlichem oder übelm Tun leben, sollen kein Gut bekommen.« Vgl. B. II, 2, 38–41 = II, 2, 3, 38, die akarmin) Ā. II, 6, 14, 15; G. XXVIII, 40. Das Erstgeburtsrecht beruht nämlich auf zwei Dingen: entweder auf der Tüchtigkeit (guṇa) oder auf dem Alter. N. I, 31, vgl. XIII, 5. Schon B. II, 2, 13 sagt ja: »Denn der Tüchtige wird zum Beschützer und Erhalter der übrigen.« Selbständig und handlungsfähig ist: der Älteste, der Vorzüglichste oder der körperlich und geistig Normale in einer Familie. N. I, 42. Ja, M. II, 155 (= Vish. XXXII, 18) erklärt: »Bei Brahmanen kommt das Erstgeburtsrecht vom Wissen, bei den Kshattriya von der Tapferkeit, bei den Vaiçya von Getreide und Geld und nur bei den Çūdra von der Geburt.« Also bloß bei jenen Verächtlichen, denen weder Wissen, noch Heldentum, noch Reichtum eigen sein kann. Ein untüchtiger oder gar schlechter Sohn ist nur eine Ausscheidung des Körpers wie Urin und Kot und soll nicht erben, selbst wenn er von einer ebenbürtigen Gattin stammt. Bṛ. XXV, 42ff.; vgl. Weib im altindischen Epos 344. Nach M. IX, 115 soll der Älteste seinen je in dem besten unter zehn Tieren bestehenden Auslese-oder Sonderanteil nicht erhalten, wenn seine Brüder ebenso geschickt in ihrem Handwerk sind wie er. Natürlich gibt es andere Stellen, wie vor allem M. IX, 105–110, denen der älteste Sohn alles in allem bedeutet.


A6 Gaṇ. liest kanyākṛitakriyayor abhāve statt Sham.s kanyākṛitakriyābhāve. Das muß in kanyākṛitākriyayor geändert werden. Oder vielleicht ist kanyākṛitākṛitakriyayor noch besser. So erhalten wir genau was wir erwarten: »Bei Söhnen von verschiedenen Frauen kommt da, wo nicht zwei Frauen vorhanden sind, von denen die eine durch regelrechtes Ehesakrament geweiht worden ist und die andere nicht, oder nicht zwei, von denen die eine als Jungfrau, die andere als schon Beschlafene verheiratet worden ist, das Erstgeburtsrecht durch die frühere Geburt, und ebenso bei den Zwillingssöhnen einer einzigen Frau.« D. h. die Söhne der regelrecht oder der als Jungfrau Verheirateten haben gegenüber den Söhnen der anderen eo ipso das Erstgeburtsrecht. Kṛitā ist also hier eine Entjungferte, eine Bedeutung, die ich S. 357, 35ff. besprochen habe. Gaṇ. freilich faßt kṛitakriyā als »eine, an der die Tat (d.h. die Entjungferung) geschehen ist«, was denselben Sinn ergibt, aber den ganzen Ausdruck sehr ungenau macht und wohl auch Kauṭ.'s Sprachgebrauch widerspricht. Denn kṛitakriyā muß gleich darauf, in 164, 5, heißen: eine, an der die heilige Handlung, d.h. das Ehesakrament, vollzogen worden ist. Der Inhalt des Paragraphen ist also wesentlich derselbe wie der von M. IX, 125f. Versteht man M. IX, 125 nach unserer Kauṭilyastelle, dann schwindet der Widerspruch gegen die zwei vorangehenden Strophen.


A7 Hinter »gleich teilen« füge ein: Dies entspräche M. IX, 205; G. XXVIII, 30–31 und wird also wahrscheinlich richtig sein. Ich habe jedoch lieber Zweideutiges mit Zweideutigem wiedergegeben.


A8 Lies: Weib im altindischen Epos S. 51. Dort sind die Paralellen zu dem vorliegenden Abschnittchen des Kauṭ. zu finden. Es muß dort aber heißen: »B. redet ebenso wie M. nur von den Söhnen des Brahmanen, Bṛ. bespricht die des Vaiçya, nicht aber Vish.« Kauṭ. stimmt in dem, was er ausdrücklich sagt, mit den Rechtsschriften überein. Also wird er auch wie sie lehren wollen: Bei den Söhnen eines Kshattriya bekommt der Sohn der Kshattriyā drei Sechstel, der der Vaiçya zwei Sechstel, der der Çūdrā ein Sechstel; bei den Söhnen des Vaiçya der der Vaiçyā zwei Drittel, der der Çūdrā ein Drittel. Zum folgenden (259, 7–11) vgl. B. II, 2, 12f.: »Wenn unter zwei Söhnen, wovon der eine von einer dem Vater an Kaste gleichstehenden Frau, der andere von einer Frau der nächstniederen Kaste stammt, der Sohn der Frau von der nächstniederen Kaste mit Vorzügen gesegnet ist, dann soll er den Anteil des Ältesten bekommen. Denn der mit Vorzügen gesegnete wird zum Erhalter der übrigen.« Ähnlich Bṛ. XXV, 29.


A9 Schon in 35, 3–4 (Übers. 43, 4–7) hat Kauṭ. unter den Zeugungsstellvertretern neben dem Familienangehörigen und dem vorzüglichen Vasallen, der natürlich nur für Könige in Betracht kommt, auch den Verwandten (bandhu) der Mutter des Mannes genannt. Im Lichte dieser zwei Stellen läge es am nächsten, das yonimātra (wohl = yonisaṃbandha) bei G. XVIII, 4–8 als einen Blutsverwandten durch die Mutter zu verstehen. Das schon besprochene yonisaṃbandha hat eben offenbar und natürlicherweise beide Bedeutungen: Verwandter durch die Mutter und: Verwandter durch die Gattin. G. sagt nämlich, der »Feldgeborene« oder kshetraja, müsse stammen: devarāt piṇḍagotraṛishisambandhebhyo yonimātrād vā. Nādevarād ity eke. In XVIII, 23 fügt er hinzu, von anderem als von einem Schwager der Frau nur dann, wenn kein Schwager da ist; sonst hat die Frucht keinen Teil am Erbe. Dagegen kennt die älteste uns erhaltene Smṛiti, die des B., nur den Bruder des Mannes als Zeugungsgehilfen (II, 2, 62 = II, 2, 4, 9); ebenso N. XII, 80–84. M. IX, 59 sagt: devarād vā sapiṇḍād vā (vgl. 190); Y. I, 68: sapiṇḍo vā sagotro vā. Allein steht in der eigentlichen Smṛiti Vish. XV, 3, der neben dem sapiṇḍa nur den Brahmanen als Ehesuppleanten zuzieht. Das MBh. verwendet ihn bekanntlich sehr ausgiebig zu diesem Geschäfte. S. »Weib« unter »Zeugungsvikariat«. Y.'s sagotreṇetareṇa vā in II, 128 könnte freilich auch den Mann der priesterlichen Kaste und weiß Gott wen noch einschließen.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 257-259.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon