Sechstes Kapitel (144. Gegenstand).

Die mit Mißvergnügten (Verrätern) zusammenhängenden widrigen Ereignisse.

[546] Säuberung von Mißvergnügten und von Feinden, das ist die zwiefache Säuberung.1

Was die Säuberung von Mißvergnügten betrifft, so soll er gegen die Stadtbürger und die Landleute (alle) Mittel mit Ausnahme der Strafgewalt anwenden. Denn über die große Menge kann man die Strafgewalt nicht [546] verhängen. Oder verhängt man sie, dann wird sie nicht den beabsichtigten Vorteil bringen und anderen Nachteil hervorrufen. Gegen ihre Führer aber verfahre er, wie im Kapitel von der Strafverhängung zu lesen ist.

Was die Säuberung von Feinden (d.h. von feindlichen Ausländern, die gegen den König wühlen) anbelangt, so suche er durch Freundlichkeit usw. Erfolg (die Erledigung, die Wegräumung der Machenschaften) zu erreichen, und zwar (indem er sich dahin wendet) wo der Führer der Feinde ist oder der, den man bearbeiten kann.2

Vom Herrscher abhängig ist der Erfolg (die Erledigung) bei dem Führer, von den Ministern abhängig der Erfolg der Bemühungen, von beiden abhängig der Erfolg, der von dem Führer abhängig ist.3

Wenn Verräter (Mißvergnügte des eigenen Landes) und dem Verrate nicht Zugängliche gemischt sind, so ist das der gemischte Zustand (āmiçrā).

Beim gemischten Zustand kommt der Erfolg (die Bewältigung der Unzufriedenheit) von denen, die dem Verrat nicht zugänglich sind (d.h. sie müssen gegen die anderen in Tätigkeit gesetzt werden). Wenn nämlich keine Stütze da ist, dann gibt es keine darauf Gestützten.4

Wenn Freunde (d.h. Bundesgenossen des Fürsten) und Feinde sich zu einer Vereinigung zusammenschließen, so gibt das den feindgemischten Zustand.5 Beim feindgemischten Zustand kommt der Erfolg (die Aufhebung dieser Verbindung) durch die Freunde. Denn leicht läßt sich etwas durch einen Freund herbeiführen, nicht aber durch einen Feind (also muß in einem solchen Falle der Herrscher den Freund wieder zu sich herüberziehen).

Wenn (da aber) ein Freund die Genossenschaft (mit dem Herrscher) nicht wünscht, so soll er ihn beständig aufhetzen. Hat er ihn darauf durch die Vermittlung der Hinterhälter vom Feinde abspenstig gemacht, dann [547] wird (soll) er ihn sich zu eigen machen. Oder er gewinne einen, der am Ende des Freundeverbandes steht (antasthāyin) für sich. Hat er den am Ende stehenden gewonnen, dann werden die in der Mitte Stehenden entzweit. Oder er gewinne einen, der in der Mitte steht, für sich. Ist nur erst der in der Mitte Stehende gewonnen, dann werden die an den Enden Stehenden sich nicht fest zusammenschließen können. Und daß sie mit dem (Mächtigen) entzweit werden, auf den sie sich stützen, dazu wende er die Mittel an.

Einen Rechtschaffenen ziehe er auf freundliche Weise zu sich herüber durch das Lob seiner Geburt, seiner Familie, seiner Gelehrsamkeit und seines Wandels, durch die Darstellung der innigen Verbindung der (beiderseitigen) Vorfahren, oder durch eine in allen drei Zeiten wirksame Dienstleistung und durch Einstellung von Feindseligkeit.6

Einen, dessen Tatkraft erlahmt, der vom Kriege ermüdet, in der Anwendung seiner Mittel zu schanden geworden oder über Verluste und Ausgaben und die Abwesenheit von daheim bekümmert ist, oder einen, der den anderen durch Ehrlichkeit sich zu eigen zu machen strebt, oder einen, der sich vor dem anderen argwöhnisch fürchtet, oder einen Edelgesinnten, der das Höchste in der Freundschaft sieht, bringe er durch Freundlichkeit herum.

Einen Habgierigen oder einen Erschöpften bringe er durch Geschenke herum, nachdem er ihm Büßer oder hervorragende Männer7 als Bürgen gestellt hat. Das Werk des Schenkens ist da fünffach: Hingeben dessen, was man geben muß (einem schuldet), Nachgeben bei dem, was der andere selber genommen hat,8 Zurückgeben dessen, was man sich angeeignet hat, Schenken des eigenen Gutes, Überlassung der Beute an noch unbekanntem Gute des Feindes (also Anteil an der Beute bei einem Eroberungszug).

Einen, der sich vor Haß, Feindseligkeit oder Länderraub durch seinen Genossen fürchtet, mache er dadurch von ihm abspenstig, daß er irgendeins von diesen Dingen zu Hilfe nimmt. Oder den Furchtsamen durch die Angst vor einem Schlage gegen ihn selber: »Hat er das Bündnis (mit dem ›Eroberer‹) geschlossen, dann wird er sein Werk an dir tun (d.h. dich vernichten). [548] Seinen Freund hat er damit betraut oder einen, der gar nicht innerhalb des Bundes steht«.A1

Oder wenn für einen Fürsten (der zu der feindlichen Koalition gehört) aus seinem eigenen Lande oder aus einem fremden Lande Waren als Kaufmannsgüter9 dahinziehen, (soll er sie abfangen und) sollen Spione diese ihm hinbringen mit den Worten: »Der Fürst, gegen den ihr ins Feld ziehen wollt, hatte die Hand darauf gelegt (sendet sie dir aber großmütig selber zu)«. Hat sich dies öfters wiederholt, dann sende er ihm Botschaft durch einen Wohlbekannten (d.h. durch einen Agenten, der schon früher zu Vertrauenssachen an den Betreffenden abgeordnet worden ist): »Diese Ware oder dieses Kaufmannsgut habe ich dir geschickt. Schlag los gegen deine Verbündeten. Oder ziehe dich (von ihnen) zurück. Dann wirst du den Rest des Preises bekommen«. Darauf sollen die Spione unter den anderen (den Genossen des Beschenkten) die Kunde verbreiten: »Dies hat ihm der Feind gegeben (euer Verbündeter verrät euch also)«.10

Oder Ware, die als dem Feind eigentümlich bekannt ist, mag auf unbekannte Weise an den Eroberer gelangen (ihm in die Hände fallen).11 Diese sollen seine als Händler auftretenden Spione an die hervorragenden Leute (unter den Verbündeten) des Feindes verkaufen. Darauf sollen die Spitzel unter den anderen (den mit dem Feind verbündeten) die Kunde verbreiten: »Diese Ware hat ihm der Feind der von euch befehdete ›Eroberer‹ gegeben«.

Oder solche (unter des Feindes Leuten), die sich großer Vergehen schuldig gemacht haben, möge er zuerst mit Geld und Ehre an sich ziehen und dann [549] (als Meuchelmörder) mit Waffen, Gift und Feuer beim Widersacher anstellen.12 Sodann jage er (zum Schein) einen Minister davon. Dessen Söhne und Frauen greife er auf und mache bekannt: »(Sie sind) in der Nacht getötet worden«. Sodann soll der (zum Feinde geflüchtete) Minister den eben genannten Leuten des Feindes, jedem einzelnen, etwas vormachen (soll sie betrüglicherweise zu verräterischen, meuchlerischen Dingen antreiben, vgl. bes. 378, 17). Wenn sie tun, wie er ihnen sagt, dann soll er sie nicht verraten. Oder auch die, die nichts vermögen, soll er verraten.13 Ist er nun zur Stellung eines Vertrauten (beim »Feinde«) gelangt, dann soll er ihm vorreden, er müsse sich vor einem seiner wichtigsten Männer in Acht nehmen. Sodann soll ein Spion, der auf beiden Seiten in Sold steht,14 ihm (dem Feind) die Kunde bringen, von seinem Widersacher sei diesem wichtigen Mann ein Brief gesandt worden, daß er ihn (d.h. seinen Herrn) verderben solle.15

Oder er sende Botschaft an einen mit der Kraft der Energie Ausgestatteten: »Nimm du dem N. N. sein Reich. Angemessen ist für uns ein Bündnis«.16 Darauf sollen die Hinterhältler unter den anderen die Kunde davon verbreiten (und so Feindschaft entflammen).

Das gelagerte Heer, den Proviant oder den Hilfszuzug des einen (unter den gegen ihren Herrn Verbündeten) sollen sie (durch Leute ihres Herrn) [550] schädigen lassen. Indem sie die Feindseligkeit den anderen zuschieben, sollen sie ihn, aufhetzen mit den Worten: »Dich beabsichtigen sie zu verderben«.17

Oder wenn einem ein hervorragender Held oder ein Elefant oder ein Roß stirbt oder von Geheimdienern getötet oder geraubt wird, sollen die Hinterhältler (des Eroberers am Hofe des Betreffenden) sagen, er sei durch einen seiner Genossen so geschädigt worden. Darauf sende er Botschaft an den Beschuldigten: »Tu noch mehr dergleichen, dann wirst du den Preis (den ich für die Sache einsetze) vollends gewinnen«. Das sollen Spione, die auf beiden Seiten Sold bekommen, den anderen verraten.A2 Unter den (durch dieses Ränkespiel) Entzweiten wird er den einen oder den anderen auf seine Seite ziehen. Eben solche Mittel sollen beim Feldmarschall, beim Kronprinzen und bei den Heeresleitern (des Feindes) angewendet werden.18 Auch soll er das Zwietrachtsäen wie bei den Verbänden anwenden (vgl. Buch XI).

Das ist das Werk der Entzweiung.

Einen kühnen, einen tatkräftigen, einen nicht von Übeln (Unheil oder Lastern) heimgesuchten Fürsten19 oder einen Feind, der in einer Burg seinen Stand genommen hat, sollen Geheimdiener mit Waffen, Feuer, Gift usw. überwältigen. Oder wenn sich das leichter macht, irgendeiner von ihnen. Denn ein Bravo wird ihn mit Waffe, Feuer oder Gift abtun. Der verrichtet das Werk eines gesamten Heeraufgebots oder ein noch wichtigeres.20

Das ist die Gruppe von vier Mitteln, und immer das in der Aufzählung vorangehende ist das leichteste.21 Die Freundlichkeit ist einfach. Die Beschenkung [551] ist zwiefach, indem die Freundlichkeit ihr vorangeht. Die Entzweiung ist dreifach, indem Freundlichkeit und Beschenkung ihr vorangehen. Die Anwendung der Strafgewalt ist vierfach, indem Freundlichkeit, Beschenkung und Entzweiung ihr vorangehen. Damit ist dargelegt, wie es gegen Angreifende gemacht werden soll.

Gegen solche aber, die in ihrem eigenen Lände bleiben, gelten dieselben Mittel.22 Der Unterschied ist jedoch: Irgendeinem unter den in ihrem eigenen Lande Befindlichen sende er zusammen mit Kaufmannsgütern beständig seine bekannten Hauptgesandten. Diese sollen den Betreffenden zum Bündnis (mit ihrem Herrn) oder zur Schädigung anderer antreiben. Geht er nicht darauf ein, dann sollen sie von ihm aussprengen: »Wir haben ein Bündnis geschlossen«.23 Bei den anderen (d.h. den Genossen des so Umworbenen) sollen Spione, die von beiden Seiten Sold beziehen, ihn verleumden: »Dieser euer König ist falsch«.24 Oder wenn einer von einem anderen Gefahr, Haß oder Feindschaft befürchtet, so sollen sie ihn von diesem (Beargwöhnten) abspenstig machen: »Dieser verbindet sich mit deinem Feinde. Ehe er dich überlistet, verbinde du dich schnellstens (mit mir) und bemühe dich, ihn zu ducken!« Oder nachdem er durch An- oder Wegheiratung sich Verbindung geschaffen hat, veruneinige er die nicht mit ihm Verbundenen. Durch einen Vasallen, einen Waldstamm, einen Prätendenten aus seiner Familie oder einen »Eingekerkerten« (avaruddha) lasse er ihre Reiche übel zurichten.25 Oder Seine Karawanen und Hürden durch Waldstämme;26 oder auch eine ihm zu Hilfe herbeigeeilte Streitmacht. Und unter dem Schutze des gegenseitigen Stützverhältnisses sollen sie, wo sich Blößen der Klassen (Kasten) oder der Verbände zeigen, auf sie losschlagen; ebenso die Geheimdiener mit Feuer, Gift und Waffe.

[552] Und wie Gift, das man getrunken hat, soll er, wenn ein feindgemischter Zustand herrscht, in verschlagener Weise die Feinde töten mit Hilfe von listigen Mitteln, die er anwendet, von Vertrauen und von Lockköder.27

Fußnoten

1 Das Abstr. çuddhā heißt wohl: der reine freie Zustand, das Freisein. Gemeint ist aber deutlich auch das Reinmachen, die Säuberung.


2 Kārya, also = kṛitya »einer, den man zu sich herüberziehen kann«.


3 D. h. daß der Rädelsführer unter den gegen den König arbeitenden Ausländern oder Feinden zu ihm herumgebracht werde, das hängt von der Persönlichkeit des Herrschers ab; daß das politische Ränkespiel, ihn dann fest an dessen Sache zu binden, oder vielleicht doch: das bei dem Werk der Säuberung überhaupt nötige, glücklich zum Ziel führe, natürlicher Weise von den Ministern. Ist der betreffende Feind gewonnen, dann müssen natürlich wieder gehörig schlaue Mittel gegen die übrigen Verschwörer, besonders die jenem Leithammel folgenden, angewendet werden. Dazu braucht es den Konvertiten. Damit das Spiel gelinge, dessen Hauptträger nun dieser Übergetretene ist, müssen beide, König und Minister, ihr möglichstes tun. Die an sich recht ansprechende Übersetzung von Sham., zu der man 320, 9ff. vergleiche, geht schon deshalb nicht, weil pradhāna doch dieselben Leute bezeichnen wird wie im vorhergehen den Satz. Sodann gehört solch eine Allgemeinheit nicht in diesen Zusammenhang.A3


4 Wörtl.: »keinen Zustand (kein Vorhandensein) von sich Stützenden«, d.h. wo die Verschwörer keinen Halt (ālambana), keinen Boden für ihre Machenschaften finden, da können sie nichts zustande bringen.


5 Mir schiene parimiçrā »der durchmischte Zustand« eher am Platze zu sein. Aber der Text hat immer paramiçrā.A4


6 Die drei Zeiten sind hier am natürlichsten die des Wachstums, des Stillstands und der Abnahme. Ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gemeint, dann müßte der Sinn wohl dieser sein: In der Vergangenheit haben die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden, die ja Freunde waren, wie alle, von denen hier die Rede ist, wirklich bestanden, in der Gegenwart werden sie gepflegt, für die Zukunft zugesichert. Vgl. Kām. XVIII, 4–5.A5


7 Mit avasthāpana als Bürgen Stellen vgl. avasthā Bürgschaft, Bürge.


8 Gṛihītānuvartana: dem anderen seinen Raub überlassen oder ihn dabei begünstigen. Vgl. Kām. gṛihītasyānumodana (XVIII, 6) und Kauṭ. 344, 20. Im Folgenden wird die Sache erleichtert, wenn man apūrva parasveshu liest. Wegen apūrva unbekannt, neu, fremd vgl. Kauṭ. 147, 3; 144, 18; MBh. XIII, 37, 10; Kirāt. VI, 39; Kuṭṭan, 303; Kathās. XVIII, 364; XIX, 85; Hindu Tales 38 usw.


9 Paṇyāgāra, Warenhaus 308, 4; 330, 16 usw., Warenhausabgabe 143, 4 ist auch = Kaufmannsgut, Ware (prakr. aus paṇyākāra? Oder Metonymie?). So auch 308, 4; 330, 16f.; 387, 2.


10 Cārayati »to move« fasse ich als hinbringen, vgl. 367,14. Bahulībhūta zusammengehäuft, zusammengedrängt haben wir 363, 17; bahulībhūte also = bei gehäuftem (Vorkommen). Freilich besser bezeugt wäre: »wenn die Sache dann unter die Leute gekommen ist«. Vgl. 384, 1; 385, 1. Dann müßte man wohl cārayati = »in Umlauf bringen« fassen, auch läge es nahe, für yātavyālabdhāni zu lesen yātavyāl labdhāni, wie offenbar Sham. in seiner Übersetzung. Das ergäbe die Übertragung: »... als Kaufgüter dahinziehen, dann sollen Spione aussprengen: ›Er hat sie von dem, gegen den euer Kriegszug gerichtet ist (oder: sich richten soll, d.h. eben von dem »Eroberer«) erhalten‹«. Aber asya erklärt sich so minder gut, und was die Hauptsache ist, der zweite Teil der Hinterlist steht so allzusehr in der Luft.A6


11 D. h. die Leute oder die Verbündeten des »Feindes« haben nichts davon erfahren. Prakhyāta kehrt 377, 4 wieder in ähnlicher Verbindung und ist schon in der Anmerkung zu 41, 3 besprochen worden. Avijñāta heißt vielleicht »sonst unbekannt«. Möglicherweise sollte dafür anyāvijñāta oder noch besser anyatrāvijñāta gesetzt werden. Dann: Oder eine für den Feind notorische Ware (d.h. ein bekanntermaßen ihm und seinem Lande eigentümliches Erzeugnis), die anderwärts unbekannt ist, mag dem Eroberer zufallen. So übersetzt Sham.


12 Amitreṇa ist zwar erklärlich, aber doch etwas sonderbar. Natürlich wäre amitre. Ist dahinter etwas ausgefallen, wovon nur noch ṇa übrig ist? Sattriṇaḥ läge am nächsten. Aber diese wirtschaften nicht mit Gift, Waffe usw. Also müßte es schon tīkskṇān sein.


13 Weil sie keine Macht haben (açaktimant), können sie leicht und gefahrlos als Opfer, Gunst zu erschleichen, dargebracht werden, oder weil sie nicht viel fertig kriegen, nichts taugen zu dem heimtückischen Werke, ist nichts an ihnen verloren. Solche also soll der »verjagte« Minister, der sich bei dem fremden Fürsten als Vertrauter einnistet, während er doch der Oberleiter ist bei den ganzen Mordlistenfeldzug gegen seinen neuen Herrn, diesem offenbaren, um sich dessen Vertrauen zu gewinnen oder doch zu mehren. Grāhayati hier kaum: »läßt sie packen, macht sie bestrafen«. Vgl. 399, 1, wo ein ganz ähnlicher Fall viel deutlicher dargestellt wird.


14 Ein als Diener am Hofe des Feindes eingetretener heimlicher Agent des »Eroberers«.


15 Er hat diesen Brief vom Eroberer bekommen, sagt aber, er habe ihn aufgefangen. Lies çāsanaṃ mukh –. Natürlich schlachtet den Angeschuldigten sein Herr jetzt ab und beraubt sich dadurch seiner wertvollen Dienste. Dieser Kniff ist selbstverständlich nicht nur gegen einen anzuwenden.A7


16 Vielleicht, was im wesentlichen nur eine Ausdeutung und Verengerung wäre: »den Umständen angemessen oder von ihnen geboten« (vgl. Kuṭṭanīmatam. 357). Yathāsthita bedeutet 275, 16–17 wohl »wie ausgemacht«; im Einschub von B zu 323, 12 (ZDMG. 72, S. 210) »wie eingerichtet« oder »im Einklang mit dem Bestehenden«. Hier ginge diese letzte »Übertragung« ganz wohl, wahrscheinlich auch die erste. Denn es handelt sich bei diesem »Feinde«, und ebenso bei den vorhergehenden, wohl um einen früheren Freund, und der Versucher laßt ihm also melden: »Tu das, und alles soll wieder beim alten sein«. Also doch am Ende besser: »Wie es früher bestanden hat, soll unser Bündnis sein«.


17 Maitrīm bruvāṇāḥ verursacht Schwierigkeiten. Ist der Text vollständig, dann muß der ghātavya in Zeile 13 derselbe sein, wie der eka in Zeile 12. Nun könnte maitrīṃ bruvāṇa vielleicht bedeuten: »Freundschaft, aussagend, d.h. heuchelnd«. Aber einen ordentlichen Sinn gäbe es doch nicht. Es wird nach Maßgabe des gleich folgenden parasparopahataṃ brūyuḥ verstanden werden müssen. Vgl. z.B. auch 350, 16. Also lese ich itareshv amaitrīṃ bruvāṇāḥ: »erklärend, daß die Feindseligkeit unter den anderen (zu suchen) sei«. Amaitrī kenne ich allerdings nur aus MBh. XIV, 36, 14, wo es Lieblosigkeit, Feindseligkeit, Haß bedeutet.A8


18 Natürlich um sie abtrünnig zu machen. Dieser Satz wäre vorzüglich am Platz hinter grāhayet in Zeile 10, also hinter: »von seinem Feinde sei diesem wichtigen Mann ein Brief geschickt worden, daß er ihn verderben solle«. D. h. also: wie einen Minister, so mag der Eroberer auch seinen Feldmarschall, Kronprinzen usw. zum Schein verbannen usw.


19 Der vyasanin paßt nicht in die Reihe. Es sollen doch Feinde genannt werden, denen schwer beizukommen ist. Also lese ich avyasaninaṃ.


20 Denn was hilft es oft, wenn des Fürsten Heer das des Feindes besiegt! Ist aber der feindliche König oder dessen mächtigste Stütze ins Jenseits befördert, so hat das Heer häufig nichts mehr zu bedeuten.


21 »Leichtest« wie im Deutschen auch an Gewicht und Wert. Denn obwohl nach Kām. XVIII, 4–5 die Freundlichkeit (sāman) sogar fünffach ist, heißt es doch ebenda von ihr: »Freundlichkeit, die nicht von Geschenken begleitet ist, richtet an allen Orten soviel aus wie ein Strohhalm. Ohne Geschenke übt die Freundlichkeit sogar auf die eigene Gattin keine Macht« (XVIII, 64).


22 Svabhūmishṭha, das sonst eher bedeutet: »auf günstigem Gelände, in günstiger Lage befindlich« (wie z.B. 364, 11) wird hier wohl heißen: »im eigenen Lande bleibend«. Das Kap. handelt ja von des Fürsten Verhalten, wenn Feinde von außen und Verräter von innen zusammen in seinem Reiche gegen ihn arbeiten. Die »Angreifenden«, die also schon in seinem eigenen Lande Fuß gefaßt haben, sind besprochen worden. Mit tu kommen jetzt die anderen dran, die von ihren eigenen Ländern aus mit der Verrätern zusammen ihm an Thron und Leben wollen.


23 Sie sollen also frech und frei diese Lüge ausposaunen, um den Betreffenden bei seinen Genossen in ein böses Licht zu stellen. Lies sandhiḥ statt siddhiḥ.


24 Er ist ein Verräter an euch. Saṃkrāmayati wohl: umlaufen machen, unter die Leute bringen, kaum: zum Überläufer machen, als Überläufer darstellen.


25 Ich lese rājyāni ghātayet.


26 Ich lese sārthavrajān aṭavībhir vā.


27 Ich trenne also zu pītaṃ sagalavac. Aber Text und Übersetzung sind sehr zweifelhaft. Gala = gara ist nur eine Annahme, und Kauṭ. hat gara Gift 381, 6. Auch erregt pītaṃ galavat statt pītagalavat Bedenken, und selbst wenn man pītaṃ galavat als »Trank« (Getrunkenes), der mit Gift gemischt ist (oder: getrunkenes Vergiftetes) versteht, bleibt ein Anstoß, denn Kauṭ. hat meines Wissens sonst eine solche Metapher (als = wie) nirgends. Der Gedanke selber wäre ja vorzüglich, ob man nun den Vergewaltigten selber als das Gift faßt, das der Feind verschlungen hat, oder, was an sich kaum so kräftig wirkt und mehr Schwierigkeit bereitet, die Feinde als das Gift ansieht, das in den Organismus des »Eroberers« gekommen ist und unschädlich gemacht werden muß (ghātayet?). Ferner: çaṭham »in tückischer, verschlagener Weise« entspricht zwar völlig der Wahrheit und der Absicht des Autors, und in der Liebespoesie, wie bei Amaru, nennt die eifersüchtige Schöne sogar den Geliebten çaṭha »Spitzbub«. Aber »das ist ganz was anderes«, und ausdrücklich çaṭha auf den »Eroberer« anwenden würde wohl ein Nītischriftsteller nicht; ein Heimtücker ist natürlich nur der »andere«. Siehe z.B. 318, 7; 346, 5, 11, 20. Nun haben wir schon einen Fall berührt, wo r und g verwechselt werden, und die Vertauschung von p und v finden wir wer weiß wie oft. Also empföhle sich zu lesen: Vītaṃ (oder vītaḥ) saralavac cārīn yogair ācaritaiḥ çaṭhān. »Verhüllt und wie ein Aufrichtiger erscheinend, töte er die Feinde, die Falschen, mit Hilfe der angewendeten listigen Mittel« usw. Vīta wäre ein Synonym von saṃvṛita, und daß der Fürst ja saṃvṛita sein müsse, schärft ihm Kauṭ. öfters ein. S. bes. 303, 1–4. Aber dies vīta hat er sonst nirgends und ebensowenig sarala in seiner ersten Bedeutung »gerade, ehrlich«, wohl aber als Baumnamen. Siehe die Nachträge.A9


A1 Womit betraut? Ich denke an die Vernichtung des Bundesgenossen, Gaṇ. sagt: »als Sendling mit der Abschließung des Bündnisses betraut«. Das geht auch, nicht aber seine Erklärung von sandhau vā nābhyantaraḥ »du aber bist ausgeschlossen von dem Bündnis.« Da müßte man tvaṃ statt setzen.


A2 Oder: »Diese (die Botschaft, den königl. Brief) sollen Spione ... auffangen lassen«. So Gaṇ.


A3 Gaṇ. hat den besseren Text: Svāminy āyattā pradhānasiddhiḥ, mantrishv āyattāyattasiddhiḥ, ubhayāyattā pradhānāyattasiddhiḥ »Vom Fürsten abhängig ist die Bewältigung des Führers, von seinen Räten abhängig die Bewältigung der Abhängigen (d.h. der vom Führer Mißleiteten), von beiden zusammen abhängig die Bewältigung des Führers und der Abhängigen« (wo sie beide zusammen am Werk sind). Auch dies freilich eine wunderliche Weisheit.


A4 Auch Gaṇ. und Jolly haben paramiçrā. Dieses ist doch wohl völlig am Platz.


A5 Lies Kām. statt Rām. und vgl. zu der Stelle 74, 9–10 (Übers. 105, 10ff.); Nītiv. 118, 2–4; 85, 13–86, 2.


A6 Freilich ist asya leicht verständlich als der auch bei Kauṭ. mehrere Male erscheinende Gen. statt des Instr. beim Part. Pass., und auch Gaṇ. hat yātavyāl labdhāni. So wird doch wohl die Übers. in der Anm. richtig sein, trotzdem daß sich sonst die Sache natürlicher anließe und die ganze Teufelei besser zusammenhinge. Statt »Botschaft (oder: königlichen Brief) durch einen Wohlbekannten« im folgenden (Z. 8–9) wäre in Anbetracht des mehrmals schon besprochenen abhivyaktaçāsana und des abhijñāta dūta in 355, 7 vielleicht besser: »dann sende er ihm einen Brief nach der Weise des ›entdeckten‹«. D.h. er soll dafür Sorge tragen, daß seine Agenten den Brief »abfangen« und einem oder dem anderen der zur Koalition gehörenden Fürsten vorlegen. Dann sollen die Hinterhaltsmänner die Geschichte weiter verbreiten. Gaṇ. liest hier ebenfalls abhivyaktena. Seine Erläuterung paßt aber nur zu abhityakta.


A7 Nach Gaṇ. wäre die Sache so: »Er soll eine Anzahl Großwürdenträger (amātya), die sich schlimmer Verbrechen (gegen den Eroberer) schuldig gemacht haben, durch Bestechung und hohe Ehren sich gefügig machen. Dann soll er den einen von den amātya ›verjagen‹. Darauf soll der amātya diese (anderen, die natürlich jetzt auch ›verjagt‹ worden sind) dem Feind (als böswillig vom Eroberer Vertriebene) vorstellen (also bei ihm unterbringen). Wenn sie nun tun, wie ihnen gesagt worden ist (d.h. den neuen Herrn töten), dann soll der Eroberer sie nicht packen (töten) lassen. Wohl aber, wenn sie nicht dazu imstande sind« Weshalb da die Fickfackerei mit der Bestechung usw., wo der Fürst doch sagen könnte: »Bringt den Feind um, dann sollt ihr straffrei ausgehen«? Und dieser König scheint ja die gegen ihn verbrecherischen Würdenträger in Reinkulturen vorrätig zu haben. Auch sind solch hochstehende Leute, zum Teil ja Brahmanen, meistens gar nicht recht tauglich als Meuchelmörder. Ferner: prarūpayati mit dem Akkus. bedeutet anderwärts: »jemand betrügerisch etwas vormachen«, nicht aber »einem präsentieren«. Endlich hängt bei meiner Auffassung alles weit besser zusammen als bei der anderen. Der letzte Satz (Z. 10–13) könnte auch heißen: »Sodann soll ein Spion ... einen königlichen Brief vom Widersacher (des Betreffenden), der an den wichtigen Mann gesandt worden ist, daß er ihn verderbe, abfangen lassen«. So denn Gaṇ. Abgesehen von dem Sprung auf eine andere Bedeutung von grāhayati, ist da aber alles gleich. Bei beiden Auslegungen bleibt der Anstoß, daß wir, statt des von Kauṭ. sonst immer und gewöhnlich auch von anderen gebrauchten Gen. bei preshayati, den freilich ganz natürlichen Dat. haben.


A8 Auch Gaṇ. liest maitrīm; außerdem dann: ...bruvāṇāh. Taṃ sattriṇaḥ »tvam eteshām« usw. Da wird uns das übrigens Selbstverständliche ausdrücklich gesagt, daß die Hinterhaltsleute des Eroberers diese List üben.


A9 Gaṇ. liest vitaṃsagilavac cārīn yogair ācaritaiḥ çaṭhaḥ und sagt auf die Autorität des Mādhava hin, vitaṃsa sei ein Tuch, auf das Vogelfiguren gemalt seien, um den Vögeln Vertrauen zu erwecken, und das der Vogler anlege. Welch possierlicher Unsinn, herausgesogen aus der Angabe des Dhātup.: taṃs = schmücken! Schon diese Bedeutung der Wurzel selber erweckt Verdacht; denn avataṃsa und uttaṃsa ist wohl ursprünglich etwas Aufgerücktes, Aufgesetztes. Die idg. Wurzel tens, die wir auch im Mittelhochdeutschen dinsen und im heutigen gedunsen finden, hat, wie die verschiedenen idg. Sprachen zeigen, die Bedeutung gewaltsam ziehen, zerren, reißen, dann reizen, wie denn auch reißen sich zu »reizen« erweitert, wovon wir das mhd. reizel, Reizmittel, Lockspeise bekommen. Auch das altind. taṃs, verkürzte Form tas, bedeutet nach Ausweis der Kompos. und des Wortes tasara in heftige Bewegung (verschiedener Art) versetzen. Tens gilt als eine Erweiterung von ten ziehen, im Griech. auch heftig bewegen, erregen, und wie das verwandte reißen, reizen, so hat das ebenfalls hierher gehörige »spannen« auch den Sinn, von locken, anlocken, wie wir alle schon aus Luthers Auslegung des 10. Gebotes (abspannen) und aus abspenstig machen, sowie aus Gespenst, eig. Lockung, wissen. So wird klar, daß das altind. vitaṃsa oder vītaṃsa keineswegs die von den Lex. angegebene Bedeutung hat, sondern Lockmittel heißt. Ist damit nun aber der Köder (reizel) gemeint oder der Lockruf des Voglers? Aufschluß über diese Frage und über die richtige Textgestalt unserer Stelle hat mir MBh. XII, 103, 10–11 gegeben: »Wie der kluge Lockrufmann (d.h. der Vogler, vaitaṃsika), indem er Töne gleich denen der Vögel erzeugt, diese Vögel in seine Gewalt bringt, so soll der kluge Erdenfürst auch die Feinde in seine Gewalt bringen und sie töten«. Sham.'s Text steht dem Richtigen sehr nahe. Ich lese also: Vītaṃsagalavac cārīn yogair ācaritaiḥ çaṭhān »Und wie der Mann mit der Locktonkehle (d.h. wie der Vogler) töte er, wo ein feindgemischter Zustand herrscht, mittels der geübten: Listen die Feinde, die Heimtücker, mit Hilfe von Vertrauen und Köder.« Vielleicht könnte man, um die Strophe minder pleonastisch zu machen, sogar übersetzen: »die in den von ihnen geübten Listen heimtückischen«. Auf jeden Fall ist das immerhin mögliche çaṭham des Sham. weit besser als das çathaḥ des Gaṇ. Daß dies unmöglich ist, erhellt auch aus Rām. III, 33, 15f. Mit diesem çaṭham dann: »töte die Feinde mit hinterlistig gebrauchten Mittelchen«. Auch Gaṇ.'s gila = bhaksha, āmisha taugt nichts; es ist an sich unwahrscheinlich und macht wegen des folgenden āmisha die Strophe gedankenärmer. Daß mit vitaṃsa, wovon der Vogler seinen Namen hat, ein besonders tückischer Trug gemeint ist, erhellt z.B. aus MBh. IV, 50, 9, und daß eine Nachahmung zugrunde liegt, wohl aus dharmavaitaṃsika Tugendheuchler; dyūtavaitaṃsika »zum Spiel verlockend« stützt ebenfalls meine Annahme. Endlich spielt der Köder – und nur dieser käme allenfalls neben Lockton in Betracht – in den altind. Schilderungen des Voglers keine Rolle. Als seine Ausrüstung nennt MBh. XII, 147, 11: Stock (yashṭi), Leimkloben (çalākā, oder nach der Lesart yashṭiçalākā nur: Leimrute), Netz und Käfig. Daß aber die wilden Tiere vom Jäger mit Hilfe von Gesang, Lautenspiel usw. gefangen werden, hören wir öfters. Siehe z.B. Rām. II, 12, 77; Kām. I, 43 (= Çukran. I, 203f); Jāt. VI, 262, 11 [Die Zusammenstellung der oben gegebenen idg. Bedeutungsgruppe verdanke ich z.T. Herrn Dr. M. Szadrowski. Kluge und Feist geben in ihren Wörterbüchern noch weit mehr Material.]

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 546-553.
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