Fünftes Kapitel (143. Gegenstand).

Widrige Ereignisse durch Außenstehende und durch Nahestehende.

[542] Die Anwendung der sechs Verfahrensarten, d.h. von Frieden usw. an der ungehörigen Stelle ist unkluge Politik.1 Daraus entstehen widrige Ereignisse (Verschwörungen).2

Die Verschwörungen sind von viererlei Art: 1. Außenstehende sind die Urheber, und Nahestehende gehen auf die Aufwiegelung ein, 2. Nahestehende sind die Urheber, und Außenstehende gehen auf die Aufwiegelung ein, 3. Außenstehende sind die Urheber und Außenstehende gehen auf die Aufwiegelung ein, 4. Nahestehende sind die Urheber und Nahestehende gehen auf die Aufwiegelung ein.

Wo Außenstehende Nahstehende aufwiegeln oder Nahestehende Außenstehende, da hat nach beiden Richtungen die Erledigung des auf die Einflüsterungen Eingehenden die größten Vorzüge.3 Denn die auf die Einflüsterungen (Aufwiegelung) Eingehenden sind (von der Obrigkeit) leicht [543] zu täuschen, nicht aber die Aufwiegler. Und wenn jene (die, die auf die Einflüsterungen eingehen) zur Ruhe gebracht worden sind, so werden die Aufwiegler andere nicht aufzuwiegeln vermögen. Denn schwer aufzuwiegeln sind für die Außenstehenden die Nahestehenden oder jene für diese, und es gibt da (leicht) die Vereitlung großer Mühe für die Feinde und nützliche Folgen für die Herrscher selber.A1

Wenn Nahestehende auf Einflüsterungen (Außenstehender) erwidern, dann wende er (der Fürst) Freundlichkeit und Geschenke an. Die Verleihung von Beförderungen und Ehren ist Freundlichkeit. Gunsterweisung (Hilfeleistung) und Gnadenerlasse (Steuerbefreiungen) oder Anstellung zu Geschäften und Ämtern ist Geschenk (oder Bestechung).

Wenn Außenstehende auf Einflüsterungen (Nahestehender) eingehen, so wende er Entzweiung und Gewaltmittel an. Hinterhältler, die sich als Freunde der Außenstehenden aufspielen, sollen ihnen als (über jene Nahestehenden) ausspionierte Kunde etwa folgendes mitteilen: »Dieser König (hat selber die ganze Verschwörung in Gang gesetzt und) will euch mit Hilfe dieser Männer, die sich nur als Verräter an ihrem König stellen, hintergehen. Macht doch die Augen auf«. Oder bei den Verrätern sollen heimlich Angestellte, die sich als Mißvergnügte, oder Verräter aufspielen, die (nahestehenden oder einheimischen) Verräter von den Außenstehenden abspenstisch machen oder die Außenstehenden von den Verrätern. Oder Bravi, die sich unter die Verräterischen eingeschlichen haben, sollen diese mit Waffen oder Gift töten. Oder sie sollen die Außenstehenden (als angebliche Abgesandte der mit diesen verschworenen Verräter) herbeirufen (zu etwas einladen) und sie dann töten.

Wo Außenstehende Außenstehende oder Nahestehende Nahestehende aufwiegeln, da hat in ausschließlich einer Richtung die Erledigung des Aufwieglers den Vorzug. Denn wird die Ursache der Ansteckung (d.h. des Mißvergnügens und Verrates) beseitigt, dann gibts keine mehr, die angesteckt werden. Werden aber die Angesteckten beseitigt, dann steckt die Ursache der Ansteckung andere an.4

Darum soll er, wenn Außenstehende Außenstehende aufwiegeln, Entzweiung und Gewaltmittel anwenden. Oder Hinterhältler, die sich als Freunde aufspielen, sollen sagen: »Dieser König will selber euch sich zu eigen machen. [544] Bekriegt seid ihr von diesem König.5 Macht doch die Augen auf!« Oder es sollen sich darauf Bravi unter die Botentruppen (die an den auf die Einflüsterungen Erwidernden geschickt worden sind) einschleichen und mit Waffen, Gift usw. gegen sie vorgehen, wo immer sie Blößen darbieten. Dann sollen die Hinterhältler den auf die Einflüsterungen Erwidernden beschuldigen (er habe die Betreffenden umbringen lassen. So wird dann Zweitracht entstehen).

Wenn Nahestehende Nahestehende aufwiegeln, soll er das Mittel anwenden, das sich für sie schickt.6 Sich zufrieden stellend, wenn er auch unzufrieden ist, und sich unzufriedend stellend, wenn er zufrieden ist,7 möge er Freundlichkeit anwenden. Ehrung unter dem schmeichlerischen Vorgeben, es geschehe wegen der Lauterkeit und Tüchtigkeit (des Betreffenden), oder mit Rücksicht auf einen Unglücks- oder einen Glücksfall bei ihm, das heißt (hier) Geschenk. Oder einer, der sich als Freund aufspielt, spreche zu ihnen: »Um euer Herz kennen zu lernen, wird euch der König auf eine listige Probe stellen. Dies (was ihr gegen ihn unternommen habt) müßt ihr ihm offenbaren (dann wird er auf das ehrliche Bekenntnis hin euch seine Gnade schenken)«. Oder er entzweie sie miteinander: »Der und der verklatscht [545] euch soundso beim König«.8 So ist die Entzweiung zu üben. Und auch (drittens), die Anwendung der Strafgewalt, wie im Kapitel von der Strafübung geschrieben.9

Von diesen vier widrigen Ereignissen (d.h. Verschwörungen) erledige er zuerst die der Nahestehenden (untereinander). »Weil sie eine Schlangengefahr bildet, so ist die Empörung von Nahestehenden die schlimmere«. So ist schon früher gesagt worden.

Immer die (in der Aufzählung) voranstehende (von diesen Verschwörungen) möge man als die leichtere (unbedeutendere) erkennen, das Beseitigen der Verschwörungen aber als leicht bei den entgegengesetzten, wenn es von Starken ausgeht.10

Fußnoten

1 Oder: Afterpolitik (apanaya, Gs. naya.)


2 Widrige Ereignisse oder Unfälle (āpadas) sind hier Verschwörungen. Der Ausdruck ist einer der zahlreichen Euphemismen des Arthaçāstra und er verursacht, wie andere dieser Art, einem beständiges Schwanken, ob man diplomatisch verschleiert oder mit greifbarer Deutlichkeit übersetzen soll. Gewöhnlich muß man sich zu täppischer Vergröberung entschließen. Die »Außenstehenden« und die »Nahestehenden« (oder »Nächststehenden«) scheinen hier wenigstens nicht allein die enge Bedeutung zu haben wie im dritten Kapitel. Immerhin aber dürfte es in Anbetracht des letzten Satzes vor der Schlußstrophe nicht geraten sein, einfach »Fremde« und »Einheimische« zu setzen (»foreigners« und »local men« bei Sham.), obgleich dies im wesentlichen der Sinn sein wird. Bezeichnet doch z.B. auch 356, 3 bāhya die Ausländer im Gegensatz zu den eigenen Untertanen.


3 Wie diese erledigt oder zur Ruhe gebracht (siddhi ist das Nomen zu sādhayati) d.h. in dem einen Fall für den Herrscher gewonnen (sādhayati), in dem anderen aus dem Weg geräumt (sādhāyati) werden sollen, davon reden dann die folgenden Absätze (von Zeile 13 an). Der Fürst soll hier also nur denen, die sich auf Aufwiegelung einlassen, nicht den Aufwieglern selber seine Aufmerksamkeit zuwenden. Wie der Sinn und 351, 1 zeigen, ist ubhayayogam zu lesen: in beidseitiger Anwendung, in beiden Richtungen, in beidseitiger Einwirkung. D. h. soviel ich sehe: werden die »Gegenflüsterer« zur Ruhe gebracht, dann hat das einen segensreichen Einfluß auf diese beiden Arten von Verschwörern: die »Beflüsterten« und die »Beflüsterbaren« einerseits, denn diese sind ja »zur Ruhe gebracht«, sei es nun mit linden, sei es mit scharfen Mitteln, und die »Beflüsterer« andererseits müssen ihre Tätigkeit aus Mangel an Erfolg einstellen. Weniger wahrscheinlich: »nach beiden Richtungen« d.h. ob nun bāhya oder ābhyantara »in Frage kommen« oder gar: »unter Anwendung auf beide«, d.h. obwohl man versuchen soll, beide Teile zu erledigen, hat doch die Erledigung der »Gegenflüsterer« den Vorzug. Entsprechend dann das folgende ekāntayogam. Dies also wohl am ehesten: »in ausschließlich einer Richtung«, d.h. nur nach der Seite der zu Verführenden oder der »auf die Einflüsterung Erwidernden« hin. Nur diese kommen da ja noch in Betracht; der Ansteckungsstoff ist weg!A2


4 O Weisheit, wiederum redest du wie Kauṭilya! Aber ach, wir dürfen wohl nicht annehmen, daß der Sinn dieser sei: »Wird die Ursache der Ansteckung (wörtlich: das Übel, der Fehler, die Ansteckung), also der Mißstand, der die Anzettelungen hervorruft, beseitigt, dann allein gibts Ruhe«. Mit dem dosha oder dem Übel, der Ansteckung, werden trotz 344, 15 nur die Aufwiegler gemeint sein, die für die dūshya »die des Schlechtmachens Fähigen«, die Verderbbaren, d.h. die Mißvergnügten oder Verräter verantwortlich sind. Also die alte Geschichte von den Rädeslführern.


5 D. h. eigentlich ist er euer Feind. Oder unmittelbar: »geschädigt seid ihr«. So steht vigṛihīta wohl 356, 10; 357, 9.


6 D. h. wie die betr. es verdienen und wie es in ihrem besonderen Fall dem König am dienlichsten ist (yathārha). Diese Mittel, die berühmten vier der altindischen Politik, werden im folgenden genannt. Es sind sāman süße Worte oder Freundlichkeit (auch sāntva geheißen), Beschenkung oder Bestechung (dāna), Zwietrachtsäen (bheda) und Strafgewalt (daṇḍa). Kām. XVIII, 3ff. führt sieben auf, neben den gewöhnlichen noch: māyā, indrajāla und upekshā und zählt dann die fünf Unterarten des sāman, die fünf des dāna, die drei des bheda und die drei des daṇḍa auf. Die erste Unterart des daṇḍa, d.h. der vadha, zerfällt wieder in zwei Teile, in die offene und die geheime Tötung. Von dieser zweiten (aprakāçavadha, aprakāçadaṇḍa, upāṃçudaṇḍa) gibt er an, daß sie besonders gegen Lieblinge des Fürsten angewendet werden solle, weil sich sonst die Welt entsetze, und gegen Mächtige. Diese Worte und so vieles, was wir bei Kauṭ. selber gehört haben, werfen Licht auf unsere Stelle: Bei Mächtigen soll er vorsichtig zu Werke gehen, Günstlinge unter der Hand beseitigen lassen, Brahmanen, wie z.B. auch Kām. XVIII, 13 einschärft, nie an Leib und Leben strafen u. dgl. mehr. Vgl. z.B. 69, 8–9. Sieben upāya hat z.B. auch MBh. K. II, 5, 21. Die drei letzten sind da: mantra, aushadha, indrajāla. Eine andere Art von vier upāya finden wir MBh. VIII, 10, 12–13 (arthasādhaka sind: rāga Leidenschaft, yoga Anspannung, Eifer? dākshya Tüchtigkeit, naya Lebensklugheit).


7 Im Skt. einfach: »oder das Gegenteil«. Wörtl. vgl.: »in zufrieden scheinender unzufriedener Art« (tushṭaliṅgam atushṭam). Dies ist klar genug. Das »Gegenteil« wäre jedenfalls: wenn denen, die sich gegen ihn versündigt haben, etwas Schlimmes zustößt, sei es durch das Schicksal, sei es besonders durch Feinde, dann soll er tun, als ärgere und bekümmere ihn das, während es ihn im Herzen doch königlich freut (tushṭa), ja er soll wohl da noch die Wege zum Unheil der Betreffenden ungesehen ebnen. Das wäre also etwa die upekshā des Kām. (XVIII, 3, 14, 57–59). Vom sāman hat Kām. XVIII, 15ff ein begeistertes Preislied.


8 Evam könnte vielleicht auch wie 346, 1 bedeuten »in dieser Absicht«. Ich lese upajalpati »verklatscht«.


9 Buch 5, Kap. 1.


10 Ich weiß nicht, ob diese Strophe, von der ich eine Anzahl anderer Übersetzungen angefertigt habe, so nun richtig ist. Die Schwierigkeit steckt hauptsächlich in utthitaṃ balavadbhyo vā. Statt dessen wollte ich zuerst mit Umstellung des lesen: ulthitāṃ vābalavadbhyo »oder wenn sie von Schwachen ausgeht«. In der ersten Zeile wäre pūrvāṃ purvāṃ besser. Doch geht es auch mit: »Immer das Vorangehende«. Āpadām konnte zur Not mit der ersten Zeile konstruiert werden, wird aber mit der zweiten, d.h. mit çuddhiṃ zusammengehen. Fehlt also dem Fürsten nicht die Kraft, dann kann er am leichtesten eine Verschwörung nur unter Nah- oder Nächststehenden oder Einheimischen unterdrücken, obwohl sie die meiste Gefahr birgt. Der Herd des Feuers ist ja klein und in der Nähe. Schon schwieriger ist es, wo Außenstehende zusammen mit Außenstehenden am Hexenkessel gerührt haben, und am schwierigsten, wenn die Fäden von draußen her gesponnen und in den inneren Kreisen um den Fürsten oder im eigenen Lande angeknüpft sind. Nach der Var. in Sham.'s 2. Textausgabe (gurvīṃ statt çuddhiṃ) hieße es: »Immer die (in der Aufzählung) voranstehende von diesen Verschwörungen möge man als die unbedeutendere erkennen, eine von Mächtigen ausgehende aber als schlimm, beim Gegenteil (d.h. wenn sie von Machtlosen ausgeht) als unbedeutend«. Auch damit ist die Bahn nicht ordentlich frei gemacht, abgesehen davon, daß der Inhalt so recht nichtig wird.


A1 Gaṇ. liest ātmano 'nya iti. Er interpungiert aber falsch, und seine Erklärung hinkt gar sehr. Man lese da: ...pareshām anarthānubandhaç cātmano 'nya iti »dann erwächst den Feinden die Vereitlung großer Mühe und ihm (dem Aufwiegler selbst) andere schädliche Folge«.


A2 Gaṇ. hat ubhayayoge und ekāntayoge; Sham. gibt für das erste in der 2. Ausg. die var. lectio ubhayayoge, die Jolly in den Text setzt, während er ekāntayogam beibehält. Der Sinn: »bei Anwendung gegen die eine Seite (bzw. ›beide Seiten‹) ist die Bewältigung vorzüglicher« unterscheidet sich also nicht wesentlich. Für -yogam ließe sich yathāyogam welche Behandlung, welche Bearbeitung, welche Weise auch immer (304, 12) ins Feld führen.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 542-546.
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