Achtzehntes Kapitel (124.–126. Kapitel).

Verfahren gegen den Mittelfürsten, den Unbeteiligten und den Staatenkreis.

[485] Dem Mittelfürsten gegenüber sind die eigene Person (des »Eroberers«), der dritte und der fünfte Reichsfaktor die Grundarten (die eigentlichen oder freundlichen Faktoren), und der zweite, der vierte und der sechste Faktor die Abarten (die feindlichen Faktoren).1

Wenn der Mittelfürst diesen beiden (Faktorengruppen) Gunst zuwendet, dann soll der Eroberer gegen den Mittelfürsten freundlich sein. Wenn er nicht ihnen beiden Gunst zuwendet, soll er gegen die Grundfaktoren freundlich sein.2

[485] Wenn der Mittelfürst des Eroberer Freund, der das Wesen eines Freundes hat, in seine Gewalt zu bekommen sucht, so soll er (der Eroberer), indem er die Freunde des Freundes und die eigenen auf die Beine bringt und vom Mittelfürsten dessen Freunde abtrünnig macht, den Freund fetten. Oder er soll seinen (des Eroberers) Staatenkreis aufstacheln: »Allzumächtig geworden ist dieser Mittelfürst. Uns allen zum Verderben hat er sich erhoben. Laßt uns zusammenstehen und seinen Kriegszug zunichte machen«.3 Wenn der Fürstenkreis das unterstützt, möge er dadurch, daß er den Mittelfürsten zu Boden drückt, sich selber stärken. Wenn der Kreis es nicht unterstützt, so möge er den Freund mit Schatz und Streitmacht unterstützen und unter den Königen, die den Mittelfürsten hassen, oder die entweder, wenn sie einander unterstützen, alle4 feststehen, oder die, wenn einer Erfolg hat, alle5 Erfolg haben, oder die aus Angst vor einander sich nicht zur Tätigkeit erheben – unter diesen möge er den hervorragendsten oder einen Nachbarn (von ihm selber) durch schöne Worte und Geschenke für sich gewinnen. Ist er so doppelt geworden, einen zweiten; ist er dreifach geworden (hat er zwei schon angeworben), dann einen dritten. Solchergestalt zur Macht emporgekommen, soll er den Mittelfürsten zu Boden drücken. Sollte aber dabei (wenn der Eroberer erst all diese Unterhandlungen führt) der richtige Ort und die richtige Zeit verabsäumt werden, dann verbinde er sich mit (irgend) einem dem Mittelfürsten Entgegengesetzten und leiste dem Freunde so Beistand.6 Oder er bringe unter den verräterischen Elementen (im Reiche des Mittelfürsten) einen Vertrag zu gemeinsamer Unternehmung zustande.

Oder wenn der Mittelfürst einen Freund von ihm, der geschwächt werden soll, in seine Gewalt zu bekommen sucht, dann soll er diesem das Rückgrat steifen: »Ich werde dich retten« (aber nichts für ihn tun), bis er geschwächt ist. Ist er dann geschwächt, so soll er ihn retten. Oder es mag der Mittelfürst einen Freund von ihm, der zu vernichten ist, überwältigen wollen. Ihn rette er, sowie er geschwächt ist, aus Furcht, der Mittelfürst möge zu mächtig werden. Oder er lasse ihn vernichten,7 verleihe ihm dann hilfreich Land und kriege ihn so in die Hand, aus Furcht, er möge sonst zu einem anderen [486] abfallen (wenn er gar nichts für ihn tut).8 Wenn die Freunde des zu Schwächenden oder des zu Vernichtenden dem Mittelfürsten Beistand leisten, dann soll um einen »männervermittelten« (oder »männerverbürgten«, purushāntara) Vertrag Frieden gemacht werden.9 Oder sollten die Freunde dieser zwei imstande sein, den Eroberer zu Boden zu drücken, dann soll der Eroberer ein Bündnis (mit dem Mittelfürsten) eingehen.10 Sollte der Mittelfürst den Widersacher des Eroberers zu überwältigen suchen, dann soll der Eroberer (mit dem Mittelfürsten) ein Bündnis schließen. So wird sein eigener Vorteil zuwege gebracht und eine Gefälligkeit gegen den Mittelfürsten.

Wenn der Mittelfürst seinen eigenen Freund, der das Wesen eines Freundes hat, zu überwältigen suchen sollte, dann soll er durch einen »Männerbürgefrieden« Frieden machen, oder rücksichtsvoll ihn abhalten: »Vernichte doch nicht deinen Freund!« Oder er mag ruhig zusehen in dem Gedanken: »Sein Staatenkreis soll zornig gegen ihn werden, weil er die eigenen Leute mordet«.

Oder es mag der Mittelfürst seinen eigenen Widerhold zu überwältigen suchen; dann soll er ihn (wohl den Feind des Mittelfürsten) unbemerkt (vom Mittelfürsten) mit Schatz und Streitmacht unterstützen.

Oder der Mittelfürst mag den Unbeteiligten zu überwältigen suchen und sprechen: »Wendet Euch ab von dem Unbeteiligten!« Da möge sich [487] der Eroberer demjenigen von den zweiten: dem Mittelfürsten und dem Unbeteiligten, der dem Staatenkreise lieb ist, zuwenden.

Zugleich mit dem Verhalten gegen den Mittelfürsten ist auch das gegen den Unbeteiligten auseinandergesetzt.

Wenn der Unbeteiligte den Mittelfürsten in seine Gewalt zu bekommen trachtet, so soll der Eroberer sich dahin neigen, wo er seinen Feind übervorteilen, seinem Freunde Nutzen bringen oder den Unbeteiligten veranlassen kann,A1 ihm mit Truppen Dienste zu leisten.

Nachdem er so sich selber gefördert hat, soll er den Faktor Feind schwächen. Und dem Faktor Freund soll er Hilfe bringen, auch wenn dieser sein Feind werden kann.11

Feind12 sind oder können ihm werden: der sein Selbst nicht in der Gewalt hat (dem keine tüchtige und selbstbeherrschte Persönlichkeit eigen ist), der beständig anderen Leid Zufügende, der Hasser (çatru), der mit dem Hasser Verbündete oder der einem in den Rücken Fallende, der Anzugreifende, wenn er im Unglück ist, und der, der auf den Führenden im Unglück selber losgeht.

Freund sind oder können, werden: der wegen einer gemeinsamen Sache Ausgezogene, der wegen einer besonderen Sache Ausgezogene, der, der mit ihm zusammenarbeitend zu Felde zieht, der, der als Verbündeter ausrückt,13 [488] der wegen der eigenen Sache (wohl: des Eroberers) zu ihm Getretene, der zu gemeinsamem Werke mit einem Verbundene,14 der, der entweder Sachen aus dem Schatz oder Truppen von einem kauft oder ihm verkauft, und der Doppelspieler.15

Nachbarfürsten, die Diener sind oder werden können, sind: der Grenznachbar, der einen Buffer für einen Mächtigen bildet oder der zwischen hineingeklemmte Anwohner, oder der Feind im Rücken eines Mächtigen, der sich von selber ihm unterworfen hat oder durch seinen Machtglanz sich ihm unterworfen hat, (also) der der Waffengewalt Unterworfene.16

Das von diesen Gesagte gilt auch von den Fürsten, die durch ein dazwischenliegendes Land getrennt sind (die ja als Freunde des betr. Fürsten gelten).

Den Freund unter den Genannten, der durch Feindseligkeiten mit dem Hasser (des Führenden) dazu kommt, ein und dieselben Interessen mit ihm zu haben, soll er nach bestem Vermögen unterstützen. Dann wird er dem Feind widerstehen.17

Wird ein Freund, nachdem er seinen Feind in seine Gewalt gebracht hat und dadurch an Macht gewachsen ist, widerspenstig, dann soll er ihn in Feindseligkeit mit den beiden Reichsfaktoren: dem Nachbarn und dem durch ein dazwischenliegenses Land getrennten Fürsten verwickeln.

[489] Oder er soll ihm durch einen Prätendenten aus seiner Familie oder durch einen von ihm gefangen Gesetzten sein Land rauben machen. Oder er soll so gegen ihn verfahren, daß er der (erwarteten oder ihm nötigen) Unterstützung zuliebe gehorsam bleibt.

Den Freund, der ihm nicht (mehr) nützte oder der zum Widersacher überginge, wenn er allzusehr geschwächt würde, den soll der Kenner der Politik in einen solchen Zustand setzen, daß er weder stark noch schwach ist.

Den wackligen Freund, der nur seinem Vorteil zuliebe mit ihm eine Verbindung eingeht, dem räume er die Ursache weg, um deretwillen jener ihn verlassen könnte, auf daß er nicht wackle.

Oder wenn ein Freund es fortwährend mit dem Feinde hält, dann veruneinige er den Tückischen mit dem Feinde. Den Veruneinigten vernichte er und unmittelbar darauf den Feind.

Und den Freund, der etwa gleichgültig abseits steht, den verfeinde er mit den Nachbarn. Ist er darauf durch den Krieg weidlich mitgenommen, dann nehme er ihn wieder zu Gnaden an und lasse ihm Dienst angedeihen.18

Den Freund, der bald zum Feind, bald zum Eroberer hinläuft, weil er schwach ist, den unterstütze er mit Streitkräften, damit er sich nicht von ihm abwende.

Oder er führe ihn von dort weg und lasse ihn sich in einem anderen Lande ansiedeln, nachdem er da (wo der Freund herrschte) schon zuvor einen anderen (Freund) sich hat ansiedeln lassen, damit dieser ihn mit Truppen unterstütze.

Den Freund, der ihm Schaden zufügt, oder der ihm, obwohl er es vermöchte, im Unglück keine Hilfe erweist, den soll er nur vernichten, sobald dieser voll Vertrauen an seine Seite getreten ist.19

Wie ein Feind, der sich, frei von Unglück durch die Freunde, unniederzwingbar erhebt, nur durch den Freund, dessen Unglück man selber wieder gut gemacht hat, gefügig gemacht werden kann, so wird der Freund, dessen Neigung umschlägt, wenn er sich losgerungen hat von Unglück durch den Widersacher, nur durch den Feind, dadurch, daß Unglück vom Gegner her über ihn hereinbricht, gefügig gemacht.20

[490] Zunahme und Abnahme und Stillstand sowie Schwächung und Vernichtung – alle diese Mittel und Wege wende an, wer die politische Wissenschaft kennt.

Wer so das sechsfache gegenseitig ineinander hinüberspielende und hinüberleitende politische Verfahren im Auge behält, der bindet die Fürsten mit den Fesseln der Klugheit und spielt mit ihnen nach Wohlgefallen.

Fußnoten

1 Wegen des Genitivs vgl. bes. 157, 17. Vikṛiti Abart, vom Natürlichen oder Normalen sich entfernende Gestalt, also hier offenbar »Unfaktor«, »Abfaktor«, feindlicher Faktor. Der dritte Faktor ist der Freund, der fünfte der Freund des Freundes. Diese zusammen mit des Herrschers oder »Führenden« eigener Person (ich lese ātmā statt ātma) bilden die natürliche, normale, freundliche Grundform oder Grundlage (prakṛiti) des Staates. Der zweite Faktor oder der Nebenbuhler (Feind ari), der vierte oder der Freund des Nebenbuhlers, sowie der sechste d.h. der Freund des Freundes vom Nebenbuhler, sind die vom Normalen oder Freundlichen abweichenden, aber nicht minder wichtigen Größen, mit denen die Politik zu rechnen hat. Hier kommt es also darauf an, welche Einstellung der Mittelfürst zu ihnen allen beliebt, und danach richtet sich des Eroberers Verhältnis und Verhalten zu ihm.


2 Das scheint zu bedeuten: Wenn der Mittelfürst beiden Parteien Freundlichkeit erweist, dann ist er neutral (madhyama), also wie er sein soll, und dann bleibt der »Führende« auf gutem Fuß mit ihm. Wenn er aber nur der feindlichen Partei günstig ist oder nur der des Führenden, dann soll dieser »die Interessen des eigenen Reiches wahrnehmen«, d.h. im ersten Falle Krieg anfangen oder auch nicht, je nach der Zweckmäßigkeit, im zweiten, wenn die hintenangesetzte dem Eroberer feindliche Partei Rache am Mittelfürsten üben will, sich auf dessen Seite oder die der Angreifer stellen oder neutral bleiben, alles, wie es seinem eigenen Besten dient.


3 Yātrāṃ vihanti, das öfters vorkommt, mag auch einfach bedeuten: »ihm das Handwerk legen«, sei es nun, daß man es allgemein faßt: sein Treiben abstellen, oder im besonderen: seine Regierung, seine Politik vereiteln (yātrā = Regierung MBh. XII, 115, 11; 111, 8; 118, 11; 130, 8; 142, 4, 7).


4 Statt madhyametaramitrasya lese ich madhyametareṇa mitrasya, werde aber kaum damit das Richtige getroffen haben. Statt karasandhim lese ich im Hinblick auf Kap. 12 karmasandhim).


5 Wörtl. »als viele, in ihrer Vielheit«.


6 Statt madhyametaramitrasya lese ich madhyametareṇa mitrasya, werde aber kaum damit das Richtige getroffen haben. Statt karasandhim lese ich im Hinblick auf Kap. 12 karmasandhim).A2


7 Wörtl.: »oder er kriege ihn, wenn er vernichtet ist, in die Hand.« »Vernichten« (ucchid, ucchedana usw.) ist gleichbedeutend mit: um sein Reich bringen, der Herrschaft berauben (= sthānapracyavana, wie Çaṅk. zu Kām. VIII, 60 sagt; = sarvaprakṛitināçana, wie Kām. selber an dieser Stelle erklärt).


8 Auch der »Freund« ist ja nur Mittel zum Zweck und im Grunde ein Feind. Der »Führende« darf ihn nicht mächtig, also gefährlich werden lassen.


9 D. h. er soll Frieden zwischen ihnen stiften. Bei diesem Frieden muß der Unterlegene den Kronprinzen und den Feldherrn zusammen mit einem vorgeschriebenen Teil seiner Truppen oder mit allen zusammen dem Sieger übergeben. Siehe 268, 10f. Solch einem schimpflichen Vergleich setzt der Eroberer seine Freunde seelenruhig aus, denn sie sollen ja geschwächt oder gar vernichtet werden. Immerhin heißt sandhīyate, das ich hier als passiv gefaßt habe, sonst bei Kauṭ. medial: »einen Vergleich eingehen, sich vergleichen«. Auch sollte der Eroberer ebenfalls in diesem Satze Subjekt sein, da ja von seinem Verhalten durchweg die Rede ist. Etwas merkwürdig wäre es nun doch, wenn er einfach als machtvollkommener Mittler für die Freunde handelte. Heißt also purushāntareṇa hier: »er verbinde sich mit einem anderen Mann«? Das wäre vielfacher Auslegung fähig, ist aber auch sachlichen Bedenken unterworfen. In Zeile 20 wird das Aktiv mit purushāntareṇa gebraucht. Dies kann dann wohl im Sinne von: »Frieden stiften« genommen werden, obgleich das ebenfalls vom gewöhnlichen Sprachgebrauch abweicht. Es wird kaum heißen: »soll er durch einen Dritten einen Vergleich zuwege bringen«. Vergessen wir nicht, daß nach 259, 1–2 der Mittelfürst ja so stark ist, daß er den Eroberer, wenn dieser nicht mit seinem Nebenbuhler gemeinsame Sache macht, zu Boden drücken kann. Da gilt es vorsichtig mit ihm umgehen. Dies sollte nun zwar vor avagrahasamarthān stehen. Aber des Nachdrucks wegen kann es ja auch an die Spitze des Satzes treten. Der Sinn ist also, wenn ich nicht irre: Sollte der Freund, den der Führende geschwächt, oder der, den er um sein Reich gebracht sehen will, durch ihre Freunde dem Führenden selber gefährlich sein, dann soll er gemeinsame Sache mit dem Mittelfürsten machen und die zwei ihm ans Messer liefern. Auch in diesem Fall erreicht er so die eigenen Zwecke und tut dabei noch dem anderen einen Liebesdienst, den dieser lohnen wird.


10 Ich lese vijigīshos.


11 Amitrabhāvin und mitrabhāvin können kaum durchweg mit einem Wort übersetzt werden. Mitrabhāvin heißt: das Sein oder Wesen eines Freundes habend, zum Freund geschickt, also ein wirklicher Freund, aber auch: das zum Freunde Werden habend, also die Möglichkeit, ein Freund zu werden, in sich tragend, a potential friend. Mitraṃ mitrabhāvi ist also ein Freund, der das Wesen eines Freundes hat, ein treuer Freund (315, 18), mitram amitrabhāvi aber ein Freund, der ein potentieller Feind ist. So in unserem saty amitrabhāve. Amitrabhāvin an und für sich ist einer, der schon ein Widersacher oder Feind ist oder einer werden kann, jemand, der beim Begriffe Feind in Betracht kommt. Bhṛityabhāvin sodann ist nach mitrabhāvin zu verstehen. Daß aber der Fürst auch einem solchen Freunde helfen solle, klingt gar nicht staatsklug. Also wohl besser: »sogar wenn er (der Eroberer) im Grunde dessen Widerhold sein sollte«. Vgl. 322, 12f. Oder es mag, wie so oft im Arthacāstratext, das a privativum falsch und saty api mitrabhāve richtig sein: »wenn dieser auch wirklich sein Freund ist«. Der Eroberer soll also seine Unterstützung nicht an einen Unwürdigen wegwerfen und sich selber gar einen Feind groß pflegen. Dann wäre aber statt api eher eva zu erwarten. Nun könnte amitrabhāve »was die zum Feinde nötige Wesenheit, die Potenzialität zum Feinde betrifft, so ...« an und für sich zum darauffolgenden Satz gehören. Aber saty api wäre dann doch allzu ungeschickt.A3


12 Ari, Feind oder Nebenbuhler, ist hier wohl im besonderen der Gegner im Krieg, der Fürst, dem der andere im Kampf entgegentreten muß. All die Aufgezählten also kommen für diesen Begriff in Betracht.


13 Nach Kap. 6 des vorliegenden, d.h. des siebenten Buchs ist saṃhitaprayāṇika besonders der Feind oder Nebenbuhler (ari) des Eroberers, wenn dieser mit jenem zu gemeinsamer Unternehmung auszieht, sambhūyaprayāṇika nach dem Schluß des 4. Kapitels = sāmavāyika oder Alliierter. Ob besonders saṃhitaprayāṇika hier diese engere Bedeutung habe, ist zweifelhaft. Vielleicht läßt sich der Unterschied einigermaßen so veranschaulichen: In dem letzten Kriege war z.B. England ein »allied power« von Frankreich, Amerika aber nur ein »associated power«. Kām. XI, 6 stimmt mit Kauṭ. Ob aber auch XI, 7?


14 Sāmutthāyika ein zur Kooperation Verbundener; vgl. 48, 11, wo Kooperativverbände des gewöhnlichen Lebens in Betracht kommen; 324, 9, wo es Hilfsgenosse bedeutet. Also: der zu gegenseitiger Hilfeleistung Verbundene.A4


15 Eine Bestätigung meiner Auffassung, daß der Doppelspieler in seinem Verhältnis zu einem bestimmten Fürsten beide: Krieg und Frieden zu gleicher Zeit im Sack trägt, eins oder das andere daraus hervorschüttelt, je nachdem die Gelegenheit es als vorteilhaft erscheinen läßt.


16 Statt des zweiten »oder« wäre »und« auch hier genauer. Soll das nicht vollkommen willkürlich hineingesät sein, so muß man wohl nur zwei »Diener« annehmen und die hier gegebene Übersetzung wählen. Die Schwierigkeit liegt in den vā. Vgl. die Nachträge. Auch am Anfang von Zeile 10 ist nicht recht natürlich. Soll man also übersetzen: »der mit dem Hasser Verbundene oder der Angreifer im Rücken«?A5


17 Oder »der bei Befehdung durch den Hasser«. Lies tadā paraṃ. Oder yayā paraṃ: »den unterstütze er mit einer Macht, mit deren Hilfe er dem Feinde widerstehen kann«. Da müßte man also wohl an die drei »Kräfte« denken. D. h. er helfe ihm mit klugem Rate, mit Geld oder Truppen, oder mit energischer Betätigung der persönlichen Tüchtigkeit, je nachdem es am förderlichsten oder nötigsten ist (vgl. 259, 15ff.).


18 Oder wohl eher: »Ist er dann durch Krieg abgequält, dann wird er ihn schon dazu bringen, ihm Dienste zu leisten«.


19 Oder am Ende doch besser: »wenn sich dieser ihm vertrauensvoll auf den Schoß gesetzt hat«. Dazu veranlaßt ihn natürlich der Eroberer selbst. Vgl. 276, 11 und meine Bemerkung dazu.


20 Wenn der Çloka der Zeilen 17–18 (Amitravyasano usw.) sich in den Zusammenhang und den ganzen Gegenstand, der hier abgehandelt wird, vernünftig einfügen und wenn einen ordentlichen Sinn haben soll, dann kann man dies kaum anders als = iva oder yathā auffassen (vgl. Kām. XVIII, 64). Aber auch so wird die Bahn nicht ganz geebnet. Denn a + mitravyasana »ohne Freundesunglück« ist zwar an sich ganz gut möglich, hier aber unwahrscheinlich. Die Besserung in amitravyasane »beim Unglück seines Widersachers sich unbezwingbar erhebt« hilft auch nicht recht. Ebenso erregt die ja an und für sich angängliche Auslegung von siddhi Bedenken. Die Schwierigkeiten werden gehoben und ein strenger Parallelismus ergibt sich, wenn man amitravyasanād vārir liest und so übersetzt: »Wie der Feind, der sich aus einem vom Widersacher kommenden Unglück unniederzwingbar erhebt, nur durch den Freund (des Angegriffenen) ... überwältigt werden kann, so wird der Freund, der sich aus einem vom Widersacher kommenden Unglück kraftvoll erhoben hat und nun erkaltet ist durch seine Bewältigung des vom Hasser hereingebrochenen Unglücks, nur durch einen Feind zurecht gebracht«. Zwar kann bei der Übersetzung im Text amitravyasano dem Parallelismus zuliebe auch so verstanden werden: »der das Unglück seiner Freunde abgestellt hat« (= chāditamitravyasana). Aber dann entsteht die Mißlichkeit, daß hier mitra als Gen. zu nehmen ist, während in den anderen Komposita überall das erste Glied den Sinn eines Instr. oder Abl. hat. Die letzte Verszeile wird wohl doch so heißen: »nur durch den Feind, dadurch, daß das vom Widersacher über ihn hereingebrochene Unveil (durch den Eroberer) bebeseitigt wird«. Im Unglück ist der Übermütige empfänglich geworden und zeigt sich jetzt dankbar für die Rettung aus böser Not. Nachträglich erst sehe ich in Sham.'s 2. Textausg. die Lesart mitravyasanato vārir. Dies läßt sich übersetzen: »Wie der Feind, der sich infolge des Unglücks, das über den Freund (des Eroberers) gekommen ist, unbezwingbar erhebt, nur durch den Freund, nachdem (der Eroberer) sein Unheil weggeräumt hat« usw. Das ist glatter und wahrt ebenfalls die strenge Gedankeneinheit. Gestört wird diese, wenn man mit »oder« (»aber«) übersetzt und die zwei Sätze selbständig nebeneinanderstellt. Übrigens scheint mir diese Einheit, natürlich abgesehen von dem das ganze Buch abschließenden letzten oder vielleicht den zwei Çloka, in all den Versen so starr zu sein, daß ich in der ersten Strophe schier avagṛihṇīyād statt anugṛihṇīyād lesen möchte: »Wenn unter diesen ein Freund bei Feindseligkeiten durch den Hasser (d.h. wenn den Eroberer ein Feind bekriegt) mit diesem (Hasser) gemeinschaftliche Sache macht, dann drücke er ihn mit aller Macht zu Boden« usw.


A1 Gaṇ. hat madhyamam udāsīnaṃ vā »oder den Mittelfürsten oder den Abseitsstehenden veranlassen kann« usw.


A2 Gaṇ. liest sandhāya madhyamena mitrasya »dann schließe er einen Vertrag mit dem Mittelfürsten und leiste so dem Freunde Beistand« (d.h. Rettung). Das ist weit besser, vielleicht vollkommen richtig, wenn auch nicht ganz ohne Anstoß.


A3 Trotzdem faßt Gaṇ. die Sache so. Aber seine Erklärung ist sprachlich und Sachlich ausgeschlossen.


A4 Nach Gaṇ. ist 1. ekārthaprayāta der mit dem Eroberer in ein und derselben Sache, aber in verschiedener Richtung zu Felde Gezogene; 2. pṛithagarthābhiprayāta der z.B. nach Landgewinn Ausgezogene, während der Eroberer selber Geldgewinn erbeuten will; 3. sambhūyayātrika der mit dem Eroberer zusammengehend (samavetya) Ausgezogene; 4. saṃhitaprayānika der als Verbündeter unter der genauen Abmachung: »Geh du dahin; ich will dorthin gehen« Ausgezogene (wörtlich verstanden wäre dies zu eng; siehe Kauṭ. VII, 6, auch 9ff.); 5. svārthābhiprayāta der zur Ausführung eines Unternehmens des Eroberers Ausgezogene; 6. sāmutthāyika der, der sich in gemeinsamer Arbeit zur Ausführung eines Werkes, wie Ödlandbesiedlung u. dgl. mehr, mit ihm zusammengestellt hat.


A5 Jolly und Gaṇ. lesen antardhiḥ prativeço. Danach möchte ich jetzt übersetzen: »Der Grenznachbar, der einen Buffer für einen Mächtigen bildet, oder (= d.h.) der Zwischenhineingeklemmte und der Anwohner eines Mächtigen und sein Fersenpacker und der, welcher der Gewalt sich unterworfen hat, sei es nun, daß er sich freiwillig unterworfen hat, sei es, daß er durch den Machtglanz sich unterworfen hat.« Der Erklärung und Auffassung des Gaṇ. muß ich widersprechen. Er beachtet die nicht, wie es sich gehört. Sodann können nicht pratighāta und antardhi zwei verschiedene Fürsten bezeichnen, sondern nur einen; denn in 301, 10–11 sagt uns Kauṭ. selber, daß der (an sich schwache) antardhi unter gewissen Verhältnissen zum Buffer werde, und ich sehe jetzt, daß in Nītiv. 115, 3–5 die Sache genau so verstanden wird, wie ich sie verstehe (arivijigīshvor maṇḍalāntarvihitavṛittir ... parvatāṭavyapāçrayaç cāntardhiḥ). – Pratāpapraṇata erscheint auch in MBh. XII, 15, 18.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 485-491.
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