Zwölftes Kapitel (116. Gegenstand).

Abkommen in Betreff von Unternehmungen.

[459] »Du und ich wollen eine Burg bauen lassen«, das z.B. ist ein Abkommen in betreff einer Unternehmung. Wer da von den zweien eine von der Natur bereitete, uneinnehmbare Burg, eine, deren Herstellung wenig Unkosten verursacht, erbauen läßt, erlistet sich den Vorteil. Und dabei ist unter den dreien: Hochflachlandburg (sthaladurga), Flußburg und Bergburg immer die nachfolgende die beste.

Von Bewässerungsanlagen ist die mit schon daseiendem Wasser besser als die mit herbeizuführendem Wasser. Und von zweien mit schon vorhandenem Wasser ist die mit ausgedehntem Anpflanzungsgebiet die bessere.1

Wo es sich um zwei bestimmte Nutzwälder handelt, erlistet sich der den Vorteil, der einen Nutzwald fällt, welcher Waldwildnisse mit mächtigem, wertvollem Material enthält, an der Grenze seines Gebiets liegt und von Flüssen gesäugt ist. Denn ein von Flüssen gesäugter wirft leichten Lebensunterhalt und Gewinn ab und bildet Rückhalt und Zuflucht im Unglück.

Wo es sich um zwei Wälder mit Elefantenwild handelt, da erlistet sich der den Vorteil, der den mit vielen kampfmutigen Tieren, einem schwachen Fürsten benachbarten,2 mit unerschöpflicher Feuchtigkeit versehenen3 und an seiner Gebietsgrenze gelegenen Elefantenwald anlegt.

[459] Und dabei (ist dies zu merken): »Von den zweien: Wald mit vielen stumpfen und Wald mit wenigen kampfmutigen Elefanten ist der mit wenigen kampfmutigen besser. Denn auf den kampfmutigen beruht die Schlacht.4

Wenige kampfmutige schlagen die vielen feigen in die Flucht, und sind diese in die Flucht gejagt, dann treten sie ihr eigenes Heer nieder«. So die Lehrer.

Nein, also Kauṭilya. Viele stumpfe (oder feige) sind besser. Dadurch, daß man ihre ganze Menge in den Dienst stellt,5 verrichten sie vielerlei Arbeit, sind sie ein Rückhalt für die ihrigen in der Schlacht und für die Feinde schwer zu überwinden und schreckenerregend. Denn den vielen stumpfen und feigen kann man durch Trainierung Kampfmut beibringen, nicht aber den wenigen kampfmutigen die Vielzählichkeit.

Was aber zwei bestimmte Bergwerke anlangt, so erlistet sich der den Vorteil, der ein Bergwerk graben läßt, das viel Wertvolles liefert, leicht gangbare Straßen hat, und dessen Bearbeitung (Ausbeutung) wenig Unkosten verursacht. Auch dabei fragt es sich: »Ist besser wenig hochwertiges Erträgnis oder reichliches geringwertiges?«

»Wenig Hochwertiges ist besser. Denn Mineral wie Diamant, Edelstein, Perlen, Korallen, Gold und Silber stellt durch seinen Überwert auch reichliches Erträgnis, das in Geringwertigem besteht, in den Schatten«.6 So die Lehrer.

Nein, also Kauṭilya. Nach einiger Zeit gibt es wenig Kundschaft für das Hochwertige, reichliche aber infolge ihrer Stetigkeit für das Geringwertige.7

Damit ist auch das nötige über den Handel gesagt (d.h. vor allem: Besser ist ausgebreiteter Handel mit Waren von geringerem Werte und reichlichem Absatz als Handel mit lauter kostbaren Sachen, denn diese haben nur beschränkten Absatz).

Dabei noch dies: »Von den beiden: Handel zu Wasser und Handel zu Lande, ist der Handel zu Wasser besser; denn er ist mit weniger Auslagen und Anstrengung und mit reichlichem Gewinn an den Waren verbunden«. So die Lehrer.

[460] Nein, also Kauṭilya. Die Straße für den Handel zu Wasser unterliegt Hemmungen, ist nicht zu allen Zeiten fahrbar, ist die Quelle gewaltiger und fortgesetzter Gefahren und doch ohne Abhilfe dafür. Gegenteilig verhält es sich mit dem Handel zu Lande.

Beim Handel zu Wasser aber ist von den beiden: Küstenschiffahrt und Fahrt auf die hohe See die Küstenschiffahrt besser, wegen der vielen Handelshäfen, oder die Fahrt auf Flüssen, wegen ihrer Stetigkeit und wegen der Möglichkeit, Gefahren und Nöten zu widerstehen.8

Was aber den Landweg betrifft (ist dies zu merken): »Der Himālayaweg ist besser als der Dekhanweg; denn die Elefanten-, Pferde-, Duft-, Elfenbein-, Fell-, Silber- und Goldwaren sind die wertvolleren«. Also die Lehrer.

Nein, also Kauṭilya. Sehen wir ab von Wolldecken, Fellen und Pferdewaren, so sind die Muscheln, Diamanten, Edelsteine und Perlen und die Goldwaren reichlicher vorhanden auf dem Dekhanweg.

Auch beim Dekhanweg (beim Handelsverkehr nach dem Süden) gilt: die Handelsstraße ist die beste, die an vielen Bergwerken liegt, wertvolle Waren, eine bekannte Route oder geringe Anstrengungen bietet. Oder auch die mit reichlichem Absatzgebiet und geringwertigen Waren.9

Damit ist auch das Nötige gesagt über den Handelsverkehr mit dem Osten und mit dem Westen.

Dabei ist von den zweien: Wagen- und Saumtierbeförderung die Beförderung zu Wagen besser, wegen der größeren Weite der Unternehmung. Oder auch die Beförderung zu Esel oder Kamel, wo sie in Ort und Zeit begründet ist.10

Mit der Besprechung dieser beiden ist auch vom Warentransport auf Menschenrücken das Nötige gesagt.

Glückliche Entfaltung der Unternehmungen der anderen (der Feinde) bedeutet Abnahme für den führenden Fürsten; Zunahme für ihn liegt [461] im Gegenteil (d.h. im Mißgeschick des anderen). Ist der Fortgang der Unternehmungen (bei beiden) gleich, dann soll das der nach Oberherrschaft Strebende als Stillstand für ihn selber erkennen.

Ein Zustand, wo geringe Eingänge und übermäßige Ausgaben bei seinen Unternehmungen da sind, bedeutet Abnahme für ihn selber. Zunahme ist da beim Gegenteil. Gleichheit der Einkünfte und Auslagen bei seinen Unternehmungen erkenne er als Stillstand. Deshalb wird er dann zum Vorrang kommen, wenn er sich beim Bau von Festungen und allen anderen Werken Unternehmungen verschafft, die mit wenigen Ausgaben zu bewerkstelligen sind und hohen Gewinn abwerfen. Damit sind die Übereinkünfte betreffs Unternehmungen dargelegt.

Fußnoten

1 Vgl. dhānyavāpa 294, 1–2. Oder: »die mit reichlichem Aufdämmungsgebiet« (d.h. Gebiet, das durch die Bewässerungsanlage nutzbar gemacht wird), also: »mit ausgedehntem Bewässerungsgebiet?« Ferner liegt wohl: »mit reichlicher Aufdämmungsgelegenheit«, d.h. bei denen die Dammarbeiten leichter und besser gemacht werden können.


2 Wohl weniger wahrscheinlich: »schwachen Elefanten benachbarten«.A1


3 Ich lese -kledi statt -kleçi. Von der Notwendigkeit reichlichen Wassers für die Elefantenwälder haben wir schon gehört. Wenn aber ein Elefantenwald »unendliche Mühsale bereitet«, dann wird er kaum sehr vorteilhaft sein.


4 Oder: »Das Kämpfen ist (nur) in den mutigen, d.h. nur sie kämpfen«.


5 Kaum: »daß man ihre Schulter (d.h. ihre Kraft, vgl. Hindu Tales 133 note) in den Dienst stellt«. Denn hier kommt es ja auf die Wichtigkeit der großen Anzahl an. Die Schulter ist des Elefanten wichtiger, heiliger Teil (312, 2–3).A2


6 Wörtl.: »verschlingt«, also: »steckt in den Sack«.A3


7 Einerseits ist da wohl bald nichts mehr anzubieten da, weil dies Bergwerk eher erschöpft sein wird als das andere. Andererseits haben natürlich die wenigen, die so kostbare Sachen zu kaufen vermögen, nach einiger Zeit ihren Bedarf gedeckt, und neue Kunden sind nicht so leicht zu beschaffen. »Stätigkeit« kann auf die fortwährende Hervorbringung der Bergwerkserzeugnisse gehen, wird aber besonders das fortwährende Vorhandensein der Kundschaft bedeuten. Licht auf die Stelle werfen 294, 8; 298, 4, 5, 15. Es gilt hier, was gleich darauf vom Handel gesagt wird.


8 Die Fahrt auf indischen Flüssen ist durchaus nicht immer stätig oder ununterbrochen, da viele Flüsse nicht das ganze Jahr hindurch Wasser genug haben. Man möchte also übersetzen: »die Küstenschiffahrt beser, wenn die Handelshäfen zahlreich sind, oder die Flußschiffahrt, wenn sie ununterbrochen fortgeht (d.h. die auf immerfort schiffbaren Flüssen ist die bessere) und wenn sie usw.« Aber dann wird der Vergleich mit der Fahrt auf die hohe See zerstört. Kauṭ. denkt also wohl an die Befahrung der immerfort befahrbaren Flüsse oder daran, daß bei der Meerschiffahrt, selbst an den Küsten entlang, die Schiffe öfters lange Zeit in einem Hafen still liegen müssen. Vgl. 126, 11–13.


9 So nach dem Text. Aber besser wäre wohl dakshiṇāpatho und Punkt hinter -paṇyaḥ: »Auch ist der Dekhan reich an Bergwerken und kostbaren Waren. Der Handel, dessen Route wohl bekannt ist oder dessen Mühsal gering, ist der beste. Oder der mit reichlichem Absatz (vishaya) und geringwertigen Waren«.


10 Wohl vor allem: wo so Zeit und Weg gespart werden, wo der lange Weg und die lange Zeit dafür sprechen und wo er den Orts- und Zeitverhältnissen (z.B. der Jahreszeit) überhaupt angepaßt ist. Wörtl.: »zeit-und ortfördernd,« oder »zeit- und ortgefördert«.


A1 Gaṇ. wie ich im Text (= pracurasasyavāpyayoyapradeçopeta).


A2 Nach Gaṇ.: »dadurch, daß man sie in die Heerhaufen stellt« (skandhaviniyogād). Das paßt weniger gut.


A3 Dieses grasate hat, wie so manches andere, Kālidās Nāg nicht verstanden (Théories dipl. 90).

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 459-462.
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