Achtes Kapitel (83. Gegenstand).

Wortverhör und Folterverhör.

[342] In der Gegenwart des Bestohlenen soll der Richter die Zeugen (des Verdächtigten),1 handle es sich nun um Auswärtige oder um Hausgenossen, nach des Angeklagten Heimat, Kaste, Familie, Namen, Beschäftigung, Vermögen, Genossen und Wohnung ausforschen. Und die Ergebnisse soll er mit den ableugnenden Angaben (apadeça) des Angeklagten zusammenhalten. Darauf soll er ihn und sie nach seinem Tun und Treiben am vorhergehenden Tag und seinem Verbleib in der Nacht ausforschen bis herab zu seiner Verhaftung. Wenn die Entlastungszeugen mit seinen Angaben übereinstimmen,2 ist er gereinigt. Sonst ist er der Folter verfallen.3

Nach drei Tagen ist der Verdächtigte unantastbar, wenn man ihn nicht vorher gefragt hat;A1 außer es kommen die Mittel (ihn zu überweisen) zutage.4

Wer von einem, der kein Dieb ist, sagt, er sei ein Dieb, den trifft dieselbe Strafe wie einen Dieb; ebenso wer einen Dieb verbirgt. Ein als Dieb Angeklagter (coreṇābhiçasta), der zu seiner Verteidigung zeigt, daß Feindschaft oder Haß (der Beschuldigung) zugrunde liege, soll gereinigt sein. Wer einen Gereinigten in Gewahrsam behält, zahlt die erste Sāhasastrafe.

In verdachtbeweisender Art5 soll der Richter aufzeigen: das Mittel (womit das Verbrechen begangen worden ist), Ratgeber, Genossen, corpus delicti [342] oder Mittelperson (Kommissionsbesorger). Und mit dem Ort6 der Tat, sowie mit der Entgegennahme der bei ihr in Betracht kommenden Sachen und der Verteilung der Beuteanteile soll er alles konfrontieren. Wo diese Beweisglieder sich nicht zusammenfügen und einer wehklagt, da halte er ihn für einen Nichtdieb. Denn man erlebt, daß durch Zufall auch ein Nichtdieb als Dieb ins Gerichtsverfahren gerät (vor Gericht kommt); man hat erlebt, daß einer bei einem Zusammentreffen (der Umstände) wegen der Ähnlichkeit von Anzug, Waffen oder Waren als Dieb gefaßt wurde, oder weil sich Diebsware in seiner Nähe befand, wie nämlich Māṇḍavya, der aus Angst vor der Folterqual sprach: »Ich bin der Dieb«, obwohl er nicht der Dieb war.7 Deshalb soll er nur den, gegen den ein vollkommener Beweis vorliegt, bestrafen.

Einen Schwachsinnigen,8 ein Kind, einen Greis, einen Kranken, einen Trunkenen, einen Irrsinnigen, einen von Hunger, Durst oder Reise Erschöpften, einen, der übermäßig gegessen hat, einen, bei dem die Sache durch ihn selberA2 klar ist (einen der selber gestanden hat), oder einen Schwachen soll er nicht der Folter unterwerfen. Durch Leute von gleichem Charakter, Huren, Trankverteiler (prāpāpika), solche, die ihm Unterhaltung, Gelegenheit und Speise gewähren,9 möge er (dergleichen Leute) ausspionieren lassen. So soll er ihn übertölpeln. Oder wie es im Kapitel vom Depositum dargelegt worden ist.

Einen, gegen den ein zuverlässiger Verdacht vorliegt, soll er der Folter unterwerfen.10 Nicht aber ein schwangeres Weib oder eine Wöchnerin, die [343] vor weniger als einem Monat geboren hat. Für Frauen ist aber nur die halbe Folter oder das Wortverhör. Für einen Brahmanen die Umstellung mit Spitzeln, ebenso für den vedagelehrten Mann und Asketen.11 Bei Überschreitung dieser Regel gilt die höchste Sāhasastrafe für den Täter und den Veranlasser der Tat; ebenso auf Grund von Tötung durch, die Folter.

Die gewöhnliche Folter umfaßt die Vierzahl: 1. die sechs Stöcke, 2. die sieben Peitschungen, 3. die zwei Aufhängungen und 4. die Wasserröhre. Weiter gibt es für ganz schlimme Sünder die achzehnfache Folter: 1. die neun schlanken Rohre, 2. den Zwölfer, 3.–4. die zwei auf den Schenkel, 5.–6. die zwei Schlingen, 7. die zwanzig mit der Naktamālarute,12 8–11. die zweiunddreißig auf die zwei Handflächen und auf die zwei Sohlen, 12.–13. die zwei Skorpionsbänder, 14.–15. die zwei schwankenden Aufhängungen des Nadelhändigen, 16. das Abbrennen eines Fingergliedes, nachdem der Sünder sauren Reisschleim getrunken hat, 17. einen Tag lang in der Sonnenglut stehen, nachdem er Öl getrunken hat,13 18. in kalter Nacht auf den Spitzen des (rauhen Grases) balbaja liegen.14 Die Mittel derselben, die Ausdehnung, das Draufhauen, das Dranhalten (Fortfahren pradhāraṇa) und das Innehalten [344] (avadhāraṇa) soll man je nach der Zähigkeit und der Verschlagenheit (des Verbrechers) regeln.15

Und jede einzelne Folter soll er so anwenden lassen, daß ein Zwischenraum von einem Tag dazwischen liegt.

Wer schon früher Verbrechen begangen hat, wer einen Teil seines Geständnisses wegstiehlt (wieder leugnet), wer den Gegenstand versteckt hat,16 wer auf die Anhaltungspunkte der Tat hin oder wer mit dem corpus delicti ergriffen worden ist, wer des Königs Schatz beraubt oder wer durch die Folter getötet werden soll, den mag er auf des Königs Wort den gesamten, nur einzelnen oder wiederholten Folterungen unterwerfen.

Bei allen Vergehen ist der Brahmane von der Folterung ausgenommen. Auf seine Stirne soll das Brandmal des schwer Beschuldigten gemacht werden, damit er von allem Verkehr ausgeschlossen werde: bei Diebstahl ein Hund, bei Menschenmord ein kopfloser Leichnam, bei Befleckung der Lehrersgattin eine vulva, bei Likörtrinken ein Wirtshausabzeichen.

Einen Brahmanen, der Böses getan hat, soll der König, nachdem er öffentlich bekannt gemacht und mit dem Brandmal verwundet worden ist, aus dem Reiche jagen oder ihn in den Bergwerken arbeiten lassen.A3

Fußnoten

1 Weder sākshiṇam noch sakshiṇām ist richtig, sondern sākshiṇa, wie schon das folgende tān erweist (»diese, d.h. die Zeugen konfrontiere er mit den Angaben«).


2 So wohl nach 214, 1. An und für sich freilich könnte es einfach heißen: »Wenn es mit der Entlastung stimmt« (seine Richtigkeit hat, sie beweiskräftig ist). In diesem Fall wird es sich besonders um einen Nachweis des Alibi handeln.


3 Das muß karmaprāpta dem Zusammenhange nach heißen. Der Angeklagte leugnet ja; denn apadeça und apadiçati gebraucht Kauṭ. außer in der bekannten Bedeutung in dem Sinne: Angabe (Angaben machen) zu der eigenen Verteidigung, Entlastung, Entschuldigung, wenn einer angeklagt oder angepackt wird. Apadishṭa steht 213, 2 in dem Sinne: aufgewiesen, gekennzeichnet, verraten (durch seine eigenen Taten).


4 Da upakaraṇa besonders das Mittel etwas auszuführen ist, so wird hier vor allem das Werkzeug bei dem Verbrechen gemeint sein. Statt »wenn man« usw. läge sprachlich näher: weil dann das Befragen zunichte (ungültig) wird.


5 Çaṅkānishpanna ist wohl wörtlich: »bewiesen in bezug auf den Verdacht«; denn nishpatti und nishpanna heißt ja »Beweis« und »bewiesen« (z.B. 67, 16, 17, 18, 19; 172, 12). Kaum: »soll einen dem Verdacht Verfallenen (als schuldig) erweisen durch (Aufzeigung von) Mittel, Ratgeber« usw. Dann müßte -karān Ablativ sein. Aber in diesem Fall hätte Kauṭ den Plur. gebraucht, anderer Schwierigkeiten zu geschweigen. Oder sollte çaṅkānishpanna = çaṅkā + anishpanna sein: aus dem Verdacht nicht hinausgekommen, nicht von ihm gereinigt und nishpādayet »soll ihn aufzeigen machen«? Auch so will es nicht gehen.


6 Oder: »mit der Art der Tat« (vgl. 76, 5–6). Oder: »mit den Andeutungen, die in der Tat selber liegen« (vgl. 111, 20).A4


7 Wer schweigt, gesteht, ist ein Grundsatz auch des altindischen Rechts (Jolly, Recht und Sitte S. 140). Māṇḍavya schwieg zu der Anschuldigung des Diebstahls, also bejahte er sie. Daß dies aus Furcht vor der Folter geschehen sei, stimmt nicht mit MBh. I, 107, 9. Vgl. auch Jāt. Nr. 444. Aber wenn unser Autor diesen Grund angibt, beweist das noch nicht, daß er die Erzählung in der Form des Epos nicht gekannt habe. Die Bibel stellt die Sache so dar, als habe Judas seinen Herrn und Meister aus Geldgier verraten. Haben unsere Dichter wie Klopstock, Hebbel, Ludorff usw., die ihm ganz andere Beweggründe zuschreiben, eine andere als die biblische Erzählung vor sich gehabt? Dem Verfasser des Arthaçāstra paßte die Erzählung vorzüglich, ebensosehr aber die kleine Änderung.A5


8 Oder nach B mandāparādham: »einen, der eines geringen Verbrechens verdächtigt ist«. Dieses wird wohl richtig sein; denn mandāvadhāna »schwachsinnig« erweckt großen Argwohn.


9 »Gelegenheit« (avakāça) haben wir kennen lernen als die Schaffung von Gelegenheit, den Liebesdrang zu befriedigen, avakāçadāna als Kuppelei. Ebenso steht avakāça vom Gelegenheitschaffen, ein Mädchen zu entehren 230, 13. Möglich, ja noch wahrscheinlicher aber ist hier: Gelegenheit zu wohnen, Raum, Unterschlupf. Vgl. 227, 7, wo Yājñ. II, 276 Kauṭilyas vāsa mit avakāça wiedergibt.


10 Āptadoshaṃ karma kārayet, wohl: »dessen Schuld zuverlässig (d.h. durch sichere Anhaltspunkte glaubwürdig) ist«. Oder im Gs. zu mandāparādha: »auf dem eine angemessene (d.h. zur Folter berechtigende) Beschuldigung lastet«.


11 Wahrscheinlich eher: »ebenso für einen vedagelehrten (oder: einen frommen) Asketen«. Das wäre grammatisch am glattesten. Auch ist ja Kauṭ. der miserrima plebs der ketzerischen Bettelmönche gar nicht grün, und sie will er vielleicht trotz ihrer Heiligkeit nicht der Folter entheben. Freilich befreit er sie allem Anschein nach auch von Prügelstrafen, die doch bei ihnen an Stelle der Geldbußen hätten treten können (191, 7ff.). Oder vielleicht am ehesten: Für einen Brahmanen die Umstellung mit Spionen, falls er vedagelehrt und reich an Askese ist. »Er« und »Kaut.« ist übrigens cum grano salis zu verstehen. Gesetzgeber ist er ebensowenig wie etwa Schöpfer der politischen Wissenschaft. Er fußt fort und fort auf Vorgängern und auf überliefertem Brauch, vertritt aber auch viele abweichende Anschauungen. Da immer zu wissen, ob Altes oder Neues vorliege, ist unmöglich.


12 Naktamāla ist der Baum Pongamia glabra. Ob die naktamālalatā die »Naktamālaranken«, einzelne schlanke Gerten von diesem Baum oder eine aus solchen zusammengeflochtene Peitsche sind, weiß ich nicht. Doch das vorhergehende vetralatā weist auf die erste Annahme.


13 Oder: »nachdem er mit Öl durchtränkt worden ist« und vorher: »nachdem er mit saurem Reisschleim durchtränkt (d.h. tüchtig eingerieben worden ist)«. Vgl. pāyita durchtränkt 117, 13; 415, 4; asampīta undurchtränkt, unverfälscht 89, 8.


14 So kämen die 18 Arten heraus. Aber warum sind dann vorher die zwei »Hinaufhängungen« (uparinibandhau) als eins gezählt worden? Da müßte man vielleicht übersetzen: »1. die sieben Peitschungen mit den sechs Stöcken, 2.–3. die zwei Hinaufhängungen, 4. die Wasserröhre«. Aber natürlich sieht diese an sich ja mögliche Auffassung von shaḍdaṇḍa in diesem Zusammenhang nicht aus. Die Eigenart der Folterungen kann man aus den Namen nur sehr ungenügend erkennen. Bei Nr. 1–4 von den achtzehn werden wohl Hiebe auf die betreffenden Körperteile oder mit den betr. Werkzeugen in Frage kommen, ebenso bei 7–13. Bei 14–15 gibt wahrscheinlich der Name zu verstehen, daß der Gepeinigte beide Hände spitz zusammenlegen und dann an diesen aufgehängt wird oder auch bei der zweiten an den Beinen, mit dem Kopf nach unten. Die »zwei Skorpionsbänder« geben Raum zu allerhand unsicheren Vermutungen. Sham. hat: »two beats on the knuckles, the hands being joined so as to appear like a scorpion«. Recht, schmerzhafte Stachelbänder, in die jemand geschnürt wird, schiene mir eine bessere Vermutung zu sein. Die »Wasserröhre« ist jedenfalls dem »Schwedentrunk« ähnlich.A6


15 Das fehlerhafte kharapaṭṭād āhamayet ändere ich in kharapāṭavād āyamayet. Kharapāṭava hätte dieselbe Bildungsart wie gurulāghava (z.B. 226, 6) und hieße also: »die Härte und die Schlauheit«. Dem Texte näher stünde freilich kharapaṭṭād āgamayet: »möge man (er) aus (von) dem kharapaṭṭa erfahren (erkunden)«. Diese Lesart finde ich jetzt auch in Sham.'s 2. Textausgabe. Das wäre dann ein Werk über oder doch zum Teil über Folterungen. Paṭṭa erscheint als Name verschiedener Männer in der Rājat. »Der harte Paṭṭa« wäre ein guter Name für den Autor, ebenso »die harte Tafel« für das Buch selber, das die »hochnotpeinliche Halsgerichtsordnung« enthält.A7


16 Und ihn nicht offenbaren will. Oder gehört adṛishṭadravyaṃ zu ekadeçam? Dann: »einen Teil, dessen Gegenstand nicht vor Augen liegt«, also einen Teil des Beweismaterials, für den nichts Greifbares vorliegt, der nicht auf sinnlich wahrnehmbaren Dingen ruht.


A1 Besser: »... unantastbar, weil da das Fragen nicht mehr statthaft ist« (wörtl. »zunichte wird«). So auch Gaṇ., der hinzufügt, der Angeklagte habe da vergessen, was er zu der betr, Zeit getrieben habe. Das trifft für Unschuldige gewiß meistens zu, und die altind. Gesetzgeber wollen in jeder Weise verhüten, daß ein Schuldloser der »Gerechtigkeit« zum Opfer falle.


A2 Statt des etwas befremdenden, wenn auch nicht unerklärlichen ātmakāçitaṃ »einen, bei dem die Sache durch ihn selber klar gestellt ist« hat Gaṇ. das wohl bessere āmakāçitam »der seine Mahlzeit noch nicht verdaut hat«. Kauṭ.'s Regeln an dieser Stelle erinnern an ähnliche Bestimmungen über das Gottesurteil, die wir in der Smṛrti finden.


A3 Wegen der Brandmarkung des Brahmanen, aber Verschonung mit sonstigen Strafen an Leib und Leben vgl. B. I, 10, 18 (hier der Dieb mit dem Bild eines Schakals gezeichnet); Vish. V. 2–8; N. XIV, 9f. (Kahlrasieren des Kopfes, Zeichen des schlimmen Sünders (abhiçasta) auf der Stirn, Eselsritt, Verbannung); N. Pariç. 41ff. In 44 muß der letzte pāda so gelesen werden: çikhividdhena kūṭayet »bei Diebstahl aber einen Hundefuß (d.h. ein solches Instrument aus Eisen) hergerichtet habend, soll man es mit Feuer durchglühen und ihn brandmarken ... Und es darf niemand mehr mit ihm reden noch mit ihm irgendwie verkehren.« G. XII, 46ff. befiehlt den Ausschluß von allen religiösen Verrichtungen, öffentliche Verkündigung des Vergehens, Brandmarkung und Verbannung, wenn ein Brahmane gestohlen habe. Fürsorglich aber führt der Überbrahmanler fort: »Fehlte es ihm aber an Lebensunterhalt (was in der Smṛiti bekanntlich des Königs Schuld ist), dann soll er (nur) der Kasteiungssühne unterworfen werden«. M. IX, 235ff. sagt, bei den vier großen Sünden sollten »sogar alle vier« an Leib und Gut gestraft und in der genannten Weise gebrandmarkt werden, wenn sie die Kasteiungssühne nicht leisteten. Unterzögen sie sich aber dieser, dann dürfe der König die eben genannten Kasten (nach anderer Lesart: alle Kasten) nicht an der Stirne zeichnen. »Sogar alle vier« wird in Anbetracht dieses »eben genannten«, des api und der Regel, daß nie des Brahmanen geheiligter Leib angetastet werden dürfe, wohl heißen müssen: »sogar alle vier Kasten.« Solch ein Gezeichneter ist dann von allem Verkehr mit Menschen und von allen bürgerlichen, gesellschaftlichen und religiösen Rechten ausgestoßen, wie das besonders eindringlich dargestellt wird von M. IX, 238f.; vgl. VIII, 185f.; N. XIV, 11. Merkwürdig mutet es an, daß G. nur von Brandmarkung usw. bei Diebstahl des Brahmanen redet. Aber er folgt, wie sonst häufig, dem Y., der ebenfalls nur diesen Fall vorbringt (II, 270). Vgl. Übers. 346, 45ff. Die dort geschilderte Bestrafung des ehebrecherischen Brahmanen häuft eine ganze Unmenge Schande auf den Verbrecher und hat ihre Entsprechung sowohl in N. XIV, 9f. als in jener Kauṭ.stelle. Das Zeichen des Schakals haben wir eben bei B. gefunden. N. selber sagt nur, der abhiçastāṅka solle aufgedrückt werden, und hat nicht die regelrechte Vierheit des Kainszeichens, wohl aber das N. Pariç. Dies ist ein weiterer Beweis, daß das Pariç. nicht von N. herrührt. Vgl. mein »Wesen der altind. Rechtsschriften« usw. Dem Anscheine nach hat sich auch Kauṭ. mit diesem abhiçastāṅka (220, 3) begnügt und sind die Zeilen 5–8 des Textes (also: »bei Diebstahl ein Hund« usw.) ein späteres Einschiebsel.


A4 Statt pradeça liest Gaṇ. praveça. »mit dem Eindringen« (d.h. mit der Art des Eindringens in den Ort der Tat).


A5 Auch Jāt, Nr. 444 (Bd. IV, 28ff.) erzählt die Geschichte von Māṇḍavya. Hier aber stellt der zornige König nicht einmal ein Verhör an, sondern befiehlt ohne weiteres, den Büßer zu pfählen. Vgl. N. Einl. I, 42, wo dasselbe mit dem gleichen warnenden Beispiel gelehrt wird, wie von Kauṭ. Wie ungemein sorgfältig und vorsichtig man bei einer Gerichtssache verfahren muß und sich nicht vom Schein betrügen lassen darf, führt bes. N, Einl. I, 68–74 aus.


A6 Nach Gaṇ. verhält sichs mit den Folterungen so: der »Schwedentrunk« aus der Röhre besteht in der Einschüttung von Salzwasser. Statt »die zwei Hinaufhängungen« (uparinibandhau) sollte es heißen: »die zwei Hinaufgebundenen«, d.h. die zwei Hände werden hinter dem Rücken mit dem Kopf zusammengeschnürt. Man wird also lesen müssen dvāv uparinibaddhau. Im folgenden hat er: navavetralatādvādaçakaṃ, dvāv ūruveshṭau und: ullambane ca dve, sūcī hastasya (die Nadel für die Hand), yavāgūpītasya, ekaparvadahanam aṅgulyāḥ. Nach ihm also: »Weiter gibt es für ganz schlimme Sünder 1. die zwölf mit der 9 hasta langen Rute, 2.–3. die zwei Zusammenschnürungen der Schenkel (zusammengeschnürt mit dem drangebogenen Kopf), 4. die zwanzig Streiche mit der naktamālā-Rute, 5. die dreißig Streiche mit der flachen Hand, 6.–7. die zwei Skorpionsbindungen (bei der ersten werden linke Hand und linker Fuß auf dem Rücken zusammengebunden, bei der zweiten rechte Hand und rechter Fuß), 8.–9. die zwei Aufhängungen (entweder an den zusammengebundenen Händen oder an den zusammengebundenen Füßen), 10. die Nadel in die Hand (unter den Nagel hineingebohrt), 11. Hinstellen, nachdem der Sünder Reisschleim hat trinken müssen (während des Stehens muß der Harn verhalten werden), 12. Abbrennen eines Fingergliedes, 13. einen Tag lang in die Sonnenglut stellen, nachdem er Öl getrunken hat, 14. in kalter Nacht auf den Spitzen des balbaja-Grases liegen. Das macht also (zusammen mit den vier zuerst genannten) die achtzehnfache Folter.« So ist es entschieden besser, ganz gut aber noch immer nicht. Yavāgūpītasya macht ernste Schwierigkeit. Soll man in yavāgū pītasya trennen: »Einschütten von Reisschleim, nachdem er schon (genug) getrunken hat?« Das Komma gehört wohl hinter snehapītasya: »12. Abbrennen eines Fingergliedes, nachdem der Mensch mit Öl durchtränkt worden ist, 13. einen Tag lang in die Sonnenglut stellen.«


A7 Pradhāraṇa (»Dranhalten«) ist nach Gaṇ. das Hinstellen des Verbrechers, avadhāraṇa die Abmessung nach seinen Körperkräften, kharapaṭṭa der Name eines Schriftstellers und seines Buchs über die Diebswissenschaft. Da hätten wir also ein Werk nicht nur über Strafgerichtspflege, sondern über die Verbrecher und ihre Kunst und Behandlung überhaupt.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 342-345.
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