Dreiunddreißigstes Kapitel (49. bis 51. Gegenstand).

Der Wagenaufseher, der Fußsoldatenaufseher und der Feldmarschall.

[223] Was auf den Pferdeaufseher, das ist auch auf den Wagenaufseher anwendbar.

Er soll die Arbeiten, die sich auf die Wagen beziehen, verrichten lassen.

Der Wagen (ratha) ist für zehn Mann, mit Gelegenheit für zwölf. Von da ab je um die Gelegenheit für einen vermindert, herab bis zu Gelegenheit für sechs, ergibt sieben Wagenarten.1

[223] Er soll Götterwagen, Staatswagen,2 Streitwagen, Reisewagen, Wagen, die feindlichen Bargen anzugreifen, und Wagen zum Einüben machen lassen.

Er soll sich verstehen auf die Ausrüstung (der Wagen) mit Bogen, Angriffswaffen, Schutzwaffen und allem Zubehör, ebenso darauf, wie Wagenlenker, Wagenkämpfer und Wagenpferde zu ihren einzelnen Betätigungen richtig verwendet werden.3 Bis in die einzelnen Verrichtungen hinein soll er Nahrung und Lohn kennen und bei den fest Angestellten und den nicht fest Angestellten (den Arbeitern) die Aufrechterhaltung angemessenen Schutzes (gegen böse Einflüsse) und das Geschäft des Beschenkens und Beehrens.

Damit ist auch das Nötige über den Fußsoldatenaufseher gesagt. Er soll die Vorzüglichkeit (die Stärke) und die Minderwertigkeit der ererbten, der um Sold angeworbenen, der aus Verbänden bestehenden, der von Bundesgenossen kommenden, der dem Feinde abgenommenen und der Waldstammtruppen kennen.4 Er soll vertraut sein mit der körperlichen Kraftbetätigung (vyāyāma) beim Kampf in Niederungen und auf höher gelegenem, trockenem Gelände, im offenen Streite und im hinterlistigen, unten in Gräben und droben aus der Luft,5 am Tage und in der Nacht; ebenso mit der richtigen Verwendung (der einzelnen Truppen, Kämpfer, Tiere, Waffen usw.) zu den einzelnen Aufgaben und mit der falschen Verwendung.6

Ebendies soll der Feldmarschall (senāpati), der in der Wissenschaft von allen Kämpfen und Waffen geschult und in der Fortbewegung zu Elefant, Roß und Wagen vollkommen7 sein muß, kennen: die Pflege und die Leitung des (ganzen) vierteiligen Heeres.

[224] Er soll das richtige Auge haben für das günstige Gelände, die Zeit des Kampfes,8 das gegenüberstehende Heer, die Brechung des Ungebrochenen,9 die Wiederherstellung des Gebrochenen, die Brechung des Zusammengeschlossenen, die Vernichtung des Gebrochenen, die Zerstörung der Feindesburgen und die richtige Zeit für einen Feldzug.

Die Zeichen für das in Schlachtordnung aufgestellte Heer, wenn es stillstehen, vorwärtsgehen, einbauen soll, lasse er durch musikalische Instrumente, Standarten und Fahnen geben, freudig bedacht auf das stramme Verhalten seiner Soldaten.10

Fußnoten

1 Sham.'s und Gaṇ.'s wohl auf Bhaṭṭ. zurückgehende Anschauung dieser Stelle ist unmöglich. Sogar wenn man, was hier doch wunderlich wäre, den »Schattenmann« von 12 aṅgula Länge zum Maß nehmen will, kommt ein Wagenungetüm von 71/2 Fuß Höhe und 9 Fuß Weite heraus. Greifen wir dagegen zum Flächenmaß, dann erhalten wir ein Kinderwägelchen. Sodann: Wenn das Maß gemeint wäre, müßte doch paurusha, nicht purusha gebraucht sein. Aber auch Steins Wagen mit 12 Abteilungen ergibt ein Unding. Siehe Meg. und Kauṭ. 275 f. Antara hat hier seine bei Kauṭ. ganz gewöhnliche Bedeutung, wie purusha seinen alltäglichen Sinn. Es heißt: Innenraum, Fassungsraum und damit Möglichkeit, Gelegenheit. Der als Norm geltende, d.h. der größte regelrechte Wagen ist also für Mann berechnet, kann aber im Notfall auch 12 halten. Der nächste an Größe deren 11, und so herab bis Nr. 7, der für vier Mann gebaut ist, aber wenn es sein muß, auch sechsen Fassungsraum oder Fahrgelegenheit bietet. Dieser letzte stimmt nicht schlecht zu der Angabe des Megasthenes, daß ein Wagenlenker und zwei Kämpfer im Kriegswagen gestanden hätten. Im Kampfe hat der einzelne Mann mehr Raum nötig als sonst. Sodann müssen ja auch Waffen untergebracht werden, öfters wohl auch ein Diener. Größer sind auch die Kriegswagen des Epos nicht.A1


2 Pushyaratha (Pāli phussaratha) bedeutet, wie ich schon Hindu Tales S. 131, Anm. 3 angegeben habe, »Staatswagen« (nicht »Vergnügungswagen«, wie die Wörterbücher sagen). Bhaṭṭ. zu unserer Kauṭilyastelle bestätigt meine Anschauung, denn er sagt, es sei ein Wagen, der bei Krönungen usw. bestiegen werde. Wie prächtig solch ein Staatswagen ist und das Gespann davor, schildert Uvāsagadasāo § 206.


3 Āyoga hier und anderwärts bei Kauṭ.: die richtige Verwendung oder Anstellung, und damit in gewissen Verbindungen auch fitness und unfitness (Sham.) (Brauchbarkeit und Unbrauchbarkeit).


4 Dies sind die sechs verschiedenen Gattungen von Soldaten oder Truppen. Mit Ausschluß der vom Feinde stammenden werden sie z.B. auch MBh. XV, 7, 7 f. genannt. Çreṇībala bedeutet die aus Kriegerverbänden bestehenden Truppen.


5 »Von Stadtmauern usw. herab.« Gaṇ.A2


6 Also damit: die Brauchbarkeit oder die Unbrauchbarkeit zu diesem oder zu jenem.


7 Gaṇ. hat saṃghushṭa, das nur berühmt bedeuten könnte, wie er sagt, sonst aber meines Wissens in die ser Bedeutung nicht belegt ist. Aber auch saṃpushṭa ist in außergewöhnlicher Weise gebraucht.


8 Eingeschlossen ist da: er soll sehen, welch eine Art Kampf zu einer bestimmten Zeit der vorteilhafteste ist. Aber wann wird der Sohn des brüllenden Mars namentlich die altindische Weisheit lernen, daß mantrayuddha, der Kampf mit politischer Weisheit, unendlich wertvoller ist als der mit Schwert, Explosionsstoff, Giftgas usw.! Freilich darf man ihn nicht allzustreng tadeln, da sein staatsmännischer Zwillingsbruder nicht einmal Wissen, viel weniger aber wirkliche Weisheit zu besitzen pflegt.


9 Hier weniger wahrscheinlich: »die Veruneinigung der noch Vereinigten«, obschon ja die eigenen Truppen nicht innerlich zusammenhangen dürfen. Aber saṃhata mag sehr wohl auf die eigenen Truppen zielen; saṃhata »zusammengeschlossen, vereinigt, fest zusammenhaltend« kommt mehrfach bei Kauṭ. aber auch im MBh. vor (z.B. V, 125, 25; VI, 160, 75; XII. 270, 10 f.). Also vielleicht doch: »die Veruneinigung der Zusammengeschlossenen.«


10 Nicht so gut: »die durch musikalische Instrumente, Standarten und Fahnen vermittelten Zeichen für die Heerhaufen bestimme er, freudig bedacht auf die Ausbildung und Manneszucht seiner Soldaten, beim Haltmachen, beim Marschieren und beim Angriff«. Vyūha ist eben nicht das Heer auf dem Marsch, noch im Lager, sondern in Schlachtordnung.A3


A1 Dieser spielt da natürlich eine sehr große Rolle. Über seine verschiedenen Teile und seinen Bau gibt besonders MBh. VII, 202, 71ff.; VIII, 16, 13–15; 19, 10–12; 34, 16ff. Auskunft. Eingehend hat Hopkins, Ruling Caste auch über die Kriegswagen geredet, ist mir aber nicht zur Hand. Könige haben krīḍāratha Wagen zu Lustfahrten und sāṃgrāmika ratha oder Streitwagen. MBh. XIII, 53, 27–33. Auch vor die Reisewagen werden vier Pferde gespannt. MBh. III, 71, 19. Mit Elefanten bespannte Wagen finden wir ebenfalls im MBh. So in II, 52, 29; K. 78, 26f.; K XIV, 100, 91f.; 103, 73. Vom rathapa oder Wagenaufseher und den Erfordernissen für ihn redet auch Çukran. II, 264ff.


A2 Richtig aber wohl nur: »in offenem Felde« (ākāça).


A3 Eingehend mit dem senāpati oder Feldmarschall beschäftigt sich Kām. XIX, 27ff; Nītiv. 48, 5ff. Zu seinen Tugenden oder Erfordernissen gehört unter anderem: »die verschiedenen Schriftarten und Sprachen kennend, ein Benehmen (ākāra) und einen Leib besitzend, die für die Schlacht und den Umgang mit den Menschen taugen, vom Herrscher ausgezeichnet mit Gütern und fürstlichen Würdezeichen, wie er sie selber besitzt, allen Mühsalen und Anstrengungen gewachsen, von anderen sich nicht einschüchtern lassend.« Zu seinen Fehlern zählt z.B. Eigenmächtigkeit und die Unfähigkeit, den Tricks der Feinde zu begegnen (tantrapratikāra). Siehe auch Çukran. II, 180–190; zur Schlußstrophe des Kapitels Çukran. II, 402 f.; IV, 7, 532f.; 535–550; 735.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 223-225.
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