Fünfundreißigstes Kapitel (54. und 55. Gegenstand).

Amtsführung des Obereinnehmers.

Als dörfliche Hausväter, Händler und Büßer verkappte Spione.

[226] Der Obereinnehmer soll das Bauernland (janapada) in vier Teile teilen und soll die Gesamtzahl der Dörfer je nach der Einteilung in beste, mittlere und geringste, sowie alles, was von Steuern befreit ist, die Leistungen für das Heer, die in Getreide, Vieh, Geld, Wald-oder Rohmaterial und Fronarbeit bestehenden Steuern und die Steuerersetzungen (pratikara) festlegen: »Dies so viel«.1

[226] Von ihm angewiesen, soll ein Revieraufseher (gopa) für die Einheiten von fünf Dörfern oder zehn Dörfern Sorge tragen.

Gemäß den Grenzscheiden soll der Obereinnehmer die Gesamtheit der Dörfer, durch ein Verzeichnis des Gepflügten und Ungepflügten, des hoch gelegenen, trockenen Landes, der Rieselfelder, der Lusthaine, der Gemüsegärten, der Blumen- und Fruchtgärten,2 der Wälder, der Baustellen, der Heiligtümer (caitya), der Göttertempel, der Bewässerungsanstalten, der Leichenstätten, der Speisehallen, der Wasserschuppen,3 der Wallfahrtsorte, der Weideländereien und der Wege die Gesamtheit der Felder, unter Anschluß an dieses (Verzeichnis) der Dorfgrenzen und Felder den Umfang der Privatgrenzen,4 Waldwildnisse und Straßen, Schenkungen, Verkäufe, Vergünstigungen und Steuerbefreiungen festlegen lassen; ebenso die Häuser nach einem Verzeichnis, das die Steuerzahler und Nichtsteuerzahler angibt. Und bei diesen (Häusern allen Folgendes): Soviel Leute je nach den vier Kasten, so viele Bauern, Hirten, Händler, Grobhandwerker, Arbeiter und Sklaven und soviel zweifüßige und vierfüßige Tiere sind vorhanden, und dies ist da der Betrag dessen, was an Gold, Fronarbeit, Zoll und Strafgeld herauskommt. Und er soll eingehende Kunde haben über alle Einzelheiten, was Kinder und Erwachsene, Beschäftigung, Wandel, Lebensunterhalt und Ausgaben betrifft, handle es sich nun um weibliche oder männliche Personen.5

[227] Danach soll je ein Kreisvorsteher (sthānika) ein Viertel des Landes6 verwalten.

Und an den Amtsstellen der Revieraufseher und der Kreisverwalter sollen die Polizei- oder Strafrichter die Erfüllung der Pflichten (von Seiten der Untertanen) und die Erfassung der Abgaben durchsetzen.7

Und vom Obereinnehmer angewiesen, sollen die als bäuerliche Hausväter verkappten Spione in den Dörfern, wo sie auf die Lauer gestellt sind, die Gesamtheit der Felder, Häuser und Familien kennen, nach Umfang und Gesamtertrag die Felder, nach Geldverhältnissen8 und Steuerfreiheiten die Häuser und nach Kaste und Beschäftigung die Familien. Und sie sollen die Kopfzahl9 der Lebewesen (der Menschen und der Tiere) bei ihnen (den Familien) kennen, sowie ihre Einnahmen und Ausgaben. Auch sollen sie den Grund der Abreise und des Aufenthaltes der Verreisten und der Angekommenen, sowie auch der nichtsnutzigen Frauen und Männer und den Betrieb der Spionage kennen.10

Ebenso sollen die als Händler verkappten Spione sich Kunde verschaffen von Umfang und Wert der einheimischen Königswaren, mögen sie nun von Bergwerken, Wasseranlagen, Wäldern, Fabriken oder Feldern kommen; ebenso bei den Geschäften mit den aus fremden Ländern stammenden Waren, mögen sie nun zu Lande oder zu Wasser gekommen sein, wertvoll oder minderwertig sein. Sie sollen sich Kunde verschaffen von dem Umfang des Zolles, des Weggeldes, der Geleitsgebühr, der Durchlassungs- oder Wachtpostengebühr, des [228] Fährgeldes, des Königsanteiles, des Nahrungsaufwandes (für Mensch und Tier in den Kaufmannsgüterzügen) und des Warenlagerhauszinses.

Ebenso sollen vom Obereinnehmer angewiesene Spione in Büßertracht Lauterkeit und Unlauterkeit der Bauern, Hirten und Händler und der Aufseher erkunden.

Als alterfahrene Räuber Verkappte und deren Schüler11 sollen bei Heiligtümern (caitya), Kreuzwegen, verlassenen Orten, Bäumen, Brunnen, Flüssen, Tränken (nipāna) und heiligen Badeplätzen, in Tempelbezirken,12 Einsiedeleien, Wildnissen, Bergen, Wäldern und Dickichten die Veranlassung des Ankommens, Verweilens und Gehens von Dieben (Räubern) und verwegenen Gesellen des Feindes in Erfahrung bringen.13

Der Obereinnehmer soll so in rühriger Tätigkeit das Land betreuen, und betreuen sollen es diese Bureaus (der Spionage) und die anderen Bureaus, je nach ihrem Wirkungsgebiet.14

Fußnoten

1 D.h.: Dies und dies Dorf liefert soundso viel von dem und dem. Alle Einzelheiten in betreff der verschiedenen Dörfer und all der verschiedenen aufgezählten Rubriken müssen genau bezeichnet und verzeichnet werden. Nibhandhayet »festlegen« bedeutet hier also nur die schriftliche Festlegung, das Einschreiben, wie gewöhnlich bei Kauṭ. Denn Steuerbefreiungen z.B. gewährt nur der König, nach der Theorie immer in eigener Person. Auch davon, daß der »Finanzminister«, wie Stein den samāhartar nennt, die Steuern festgesetzt oder auferlegt habe, kann nicht die Rede sein. Die Abgaben regelten sich nach starrer Vorschrift, in weitem Umfang mechanisch, und ihre Einsammlung unterstand, wie wir gesehen haben, einer ganzen Reihe von Oberaufsehern. Eine Art Gesamtleitung aber hatte da der »Obereinnehmer« wohl wirklich. Zu beachten ist auch, daß er hier, wie gewöhnlich anderwärts, ausdrücklich nur mit der Landbevölkerung zu tun hat. Für die Stadt hat der »Stadthauptmann« dieselben Pflichten wie der Obereinnehmer für die Bauernschaft (143, 17). Āyudhīya »die Leistungen für das Heer« bedeutet nach der gewöhnlichen Annahme (von Sham., Gaṇ., Stein, Hillebrandt usw.) »das was das betr. Dorf an Soldaten zu stellen hat«. Eine »allgemeine Wehrpflicht« bestand selbstverständlich nicht. Ob gewisse Dörfer ihre Steuern in Gestalt von Kriegsleuten zu entrichten hatten, läßt sich wohl nicht entscheiden, ist aber recht wahrscheinlich. Irgendeine solche Zuspitzung liegt aber nicht in dem Ausdruck, und die Landespflichten für das Militär sind ja unendlich viel weiter. Vgl. 332, 2. Statt -karapratikaram hat Gaṇ. nur -pratikaram und sagt, pratikara sei = »festgesetzte Steuer«. Der Ausdruck aber hieße da mindestens: individuelle, auf den Einzelnen entfallende Steuer. Aber auch das schiene mir bedenklich. Prati- »Ersatz-« hat Kauṭ. öfters (soeben haben wir ja die pratigaṇikā oder Ersatzkurtisane auftreten sehen). Die Lesart Sham.'s ist wohl besser, nur wird sein »dairy produce in lieu of taxes« wegen dieses karapratikara vgl. 128, 16–18 – kaum angehen.


2 Pushpaphala- ist wohl vor -vāṭa ausgefallen; denn Kauṭ. hat zwar pushpaphalavāṭa (wie z.B. eben 141, 7), nicht aber shaṇḍavāṭa. Oder vāṭa könnte Zäune (Sham. fences) bedeuten, was freilich hier weniger wahrscheinlich sein dürfte. Gaṇ. faßt es auch hier als Zuckerrohrpflanzung.


3 Beides Wohltätigkeitsanstalten, wo besonders Fremde Speise und Wasser unentgeltlich erhalten.


4 Bei tena ist saṃkhyānena zu ergänzen. Vgl. aber die Nachträge.A1 Wie 168, 13 ff.; 169, 2 ff. deutlich zeigen, ist sīman im besonderen die Dorfgrenze, maryādā die Grenze des Privateigentums.


5 Es soll also genau eingetragen werden, wieviel Kinder und wieviel Erwachsene in jedem Haus sind und was die einzelnen treiben. Weniger wahrscheinlich: »Er soll eingehende Kunde haben über Beschäftigung ... von jung und alt« usw. – Daß daṇḍa im vorhergehenden Satz die aus dem Dorfe zu stellenden Soldaten bezeichne, wie Stein 215 und Gaṇ. angeben, glaube ich nicht. Das Wort selber kann kaum diesen Sinn haben, und eine so allgemeine Pflicht der Dörfer, Soldaten zu stellen und zwar als regelrechte Abgabe, hat allem Anschein nach nicht bestanden. Eine solche durchgehende Beisteuer an Kriegern kann ich mir nur für Kriegersiedelungen denken. Schon die bekannten Truppengattungen beweisen wohl meine Ansicht.


6 Janapada jedenfalls auch hier das Bauernland.


7 Wohl weniger wahrscheinlich: »sollen die Ausübung ihrer Pflicht (d.h. die Bestrafung der Übeltäter) und die Niederzwingung der Mächtigen besorgen«. Freilich entspricht diese Auffassung von pragraha besser dem Sprachgebrauch Kauṭilyas, bei dem es öfters Anpacken, zu Boden Drücken, im Zaum Halten, Strafen, Töten bedeutet (z.B. 275, 13; vgl. pragraha ṇa im Z um Halten usw. 309, 13: MBh. XII, 56, 5.


8 Bhoga »Genuß« ist alles, was Genuß ermöglicht oder selber genossen wird, also Einnahme und Ausgabe, Besitz und Verbrauch, Lohn und Nutznießung. Von unseren Verhältnissen aus betrachtet, entspricht wohl am besten der von mir gewählte, freilich nicht ebenso umfassende Ausdruck.


9 Jaṅghāgra »Gesamtheit der Beine«, alles was auf Beinen herumgeht. Ebenso S. 144, 1.


10 Dies doch die wahrscheinlichste Wiedergabe des Textes, wobei freilich die den Sinn nicht ändernde Möglichkeit besteht, einen Punkt hinter sirīpurushāṇām zu setzen. Wie Bhaṭṭ. wird man dabei cārapracāra als die Tätigkeit oder das Umherschweifen der Spione fremder Herrscher verstehen müssen, die natürlich erforscht und hintertrieben werden muß. Die Straffheit des Zusammenhanges und die Glätte der Sprache gewönnen aber wohl, wenn man cāraṃ pracāraṃ ca läse: »und das Umherziehen und die Tätigkeit der unnützen Frauen und Männer« (pracāra Umherschweifen z.B. 146, 8). Das unseßhafte Volk der Tänzer, Gaukler, Schauspieler usw. ist unserem Staatsmann ja ein Dorn im Auge: sie nützen dem König nicht, sie halten die Leute von der Arbeit ab und vor allem: sie können vom Feind besoldete Spione sein.


11 Es ist wohl ca vor caitya- ausgefallen. Antevāsin bedeutet nämlich, wie z.B. öfters in den Rechtsschriften, nicht nur geistliche Schüler, wie Stein zu glauben scheint, sondern Schüler überhaupt, besonders Lehrling. So der eines Händlers 31, 3; eines Beamten 69, 18. Übrigens kann ein Räuberschüler geradeso gut ein »geistlicher Schüler« sein, wie der des Veda, denn Lehrbücher für Diebe und Räuber hat es bekanntlich in Altindien gegeben und auch regelrechte Lehrer ihrer Kunst und Wissenschaft, und sie haben natürlich sich und ihre Welt- und Lebenslehre so gut für die wichtigste von allen gehalten wie z.B. Kauṭilya und Genossen ihre höllische Staatsweisheit. Karl Gjellerups Pilger Kāmanīta stellt die Sache richtig dar (im 9. und 10. Kap.), und, wohl selten wird solch eine treue und erstaunlich großartige Einfühlung gefunden werden, wie namentlich die im 476. Sutra der Diebesgeheimlehre, das uns der Dichter mit verblüffender Meisterschaft im 10. Kapitel auftischt.

Sprachlich wäre freilich die natürliche Auffassung des Textes, wie er auch bei Gaṇ. vorliegt: »Als alte Räuber auftretende Schüler sollen« usw. Aber die große Mehrzahl der Vedaschüler und der Lehrlinge sind jung und können kaum als alte Räuber (oder: Diebe) auftreten.


12 Oder: »Furten (Überfahrten tīrtha), Tempelbezirken«. Oder: »Bezirken von heiligen Badeplätzen«.


13 Das ca macht hier Schwierigkeiten. Vermutlich ist stenānām amitra- zu lesen. Freilich steht bei Kauṭ. wie sonst in der Sūtralit. ca öfters sehr spät im Satz.


14 Svayonayaḥ wörtlich: »die (alle) ihre eigene Ursprungsstätte haben«, d.h. ihre Wirkungsstätte; denn der Ursprung des vivītādhyaksha ist natürlich das Weideland, des çulkādhyaksha der Zoll usw. Dem Wirkungsgebiet verdankt jeder sein Dasein. Das zweite Mal wäre da saṃsthā also etwa = karaṇa. Etwas mißlich bleibt das freilich, und das zweite saṃsthās könnte auch Akkus, sein: »und die Spionagebureaus (acc., sollen) andere aus diesen selber hervorgegangene (Spionagebureaus) überwachen).« Aber hätte es solche Oberbureaus der Spionage gegeben, dann spräche aller Wahrscheinlichkeit nach Kauṭ. nicht nur so ganz nebenbei von ihnen.


A1 Diese meine Auffassung des befremdenden tena sīmnāṃ kshetrāṇāṃ ca finde ich bei Gaṇ. wieder, wenn ich ihn recht verstehe. Aber sie erregt starken Verdacht. Wollte man diese zwei Gen. zum folgenden ziehen, so gäbe es vollends Unsinn. Mir scheint, sīmnāṃ kshetrāṇāṃ ca ist ursprünglich nur Randglosse von einem, der den Text ebenso mißverstand, wie Gaṇ. und ich unter dem Zwang der Beifügung. Denn die Ergänzung von saṃkhyānena ist grammatisch unnatürlich. Ungezwungenerweise kann sich tena nur auf kshetrāgram beziehen. Wirft man sīmnāṃ kshetrāṇāṃ ca hinaus, so erhält man den vernünftigen Sinn: »Im Anschluß an diese Gesamtheit der Felder (d.h. das Verzeichnis davon) den Umfang der Privatgrenzen« usw. »Unter Absteckung der Grenzen soll der Obereinnehmer« usw. verstieße gegen die Sachlage; denn im regelrechten Lauf der Dinge werden ja bei Kauṭ., so gut wie in der Smṛiti, Dorf- und Privatgrenzen von den Untertanen selber, nicht von des Königs Beamten festgesetzt.

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 226-229.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Therese. Chronik eines Frauenlebens

Therese. Chronik eines Frauenlebens

Therese gibt sich nach dem frühen Verfall ihrer Familie beliebigen Liebschaften hin, bekommt ungewollt einen Sohn, den sie in Pflege gibt. Als der später als junger Mann Geld von ihr fordert, kommt es zur Trgödie in diesem Beziehungsroman aus der versunkenen Welt des Fin de siècle.

226 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon