Sechsunddreißigstes Kapitel (56. Gegenstand).

Vorschrift für den Stadthauptmann.

[229] Wie der Obereinsammler (für das Bauernland) soll der Stadthauptmann für die Stadt Sorge tragen; je ein Distriktaufseher (gopa) für Gruppen von [229] 10 Familien, 20 Familien oder 40 Familien.1 Bei diesen Gruppen soll er nach Kaste, Vatersippe (gotra), Namen und Beschäftigung die Seelenzahl an Frauen und Männern, sowie Einnahmen und Ausgaben kennen.

Ebenso soll für je ein Stadtviertel ein Kreisaufseher (sthānika) Sorge tragen.2

Die Leiter der frommen Herbergen3 sollen Ketzer und Reisende nur nach vorhergehender Anmeldung (bei den Behörden) aufnehmen, selbstgefestigte Männer4 aber Büßer und vedagelehrte Brahmanen. Grob-und Kunsthandwerker sollen an den Stätten ihrer Tätigkeit ihre eigenen Leute (d.h. ihre Berufsgenossen) beherbergen und die Händler einander an den Stätten ihrer Tätigkeit.

Einen, der Waren an unrechtem Ort oder zu unrechter Zeit verkauft, und alles, worauf der Besitzer kein Eigentumsrecht hat, sollen die Händler anmelden. Die Händler mit Rauschtrank, die Verkäufer von gekochtem Fleisch, die Reismushändler und die Frauen, die von ihrer Schönheit leben, sollen (nur) beherbergen, über wen sie Kunde haben.5

[230] Einen, der zuviel Ausgaben macht, und einen, der sich in überkühne Unternehmungen stürzt, sollen sie anmelden; ebenso der Arzt einen, der ihn zur Behandlung einer verborgenen Wunde veranlaßt, oder einen, der ungesunde Dinge anwenden will. Ebenso der Hausherr.6 Gibt er es an beim Distriktaufseher (gopa) oder beim Kreisaufseher (sthānika), dann soll er frei ausgehen, sonst aber die gleiche Schuld haben.

Und Abgereiste und Angekommene soll er (der Hausherr) anmelden. Sonst muß er für den nächtlicherweile entstandenen Schaden (Diebstahl usw.) aufkommen. Für Nächte, die dabei friedlich verlaufen, soll er 3 paṇa zahlen.

Die auf den Straßen und Nebenwegen umherstreichenden Spione sollen drinnen und draußen vor der Stadt, in Göttertempeln, an heiligen Stätten, in Wäldern und an Leichenorten Verwundete, mit schlimmen Geräten Ausgerüstete, übermäßig Aufgeregte (udbhāṇḍikṛita),7 Angsterfüllte, Überschläfrige, vom Wandern Erschöpfte und Unbekannte aufgreifen.

Ebenso sollen sie im Innern von verlassenen Wohnungen, in Freudenhäusern, Trinkstuben,8 Läden von Reismusverkäufern und Händlern mit gekochtem Fleisch, in Spielhallen und in den Wohnungen von Ketzern Haussuche durchführen; ebenso (in der ganzen Stadt) die Anstalten gegen Feuersgefahr.9

Im Sommer beträgt in den zwei mittleren Vierteln des Tages die Strafe für Feueranzünden 1/8 paṇa. Oder die Leute mögen draußen (vor dem Haus) die Sachen aufs Feuer setzen. 1/4 paṇa (ist die Strafe) während der zwei Mittagsstunden;10 ebenso wenn jemand nicht Krüge, Kufen, Leiter, Beil, Getreideschwinge, Haken, Krallenseil und Schlauch bereitstellt.11 Mit Strohgeflecht [231] Gedecktes oder Umhülltes soll er nicht zulassen.12 Die Leute, die durch das Feuer ihren Lebensunterhalt haben (die Schmiede, Bäcker usw.), soll er alle an einem Ort wohnen machen. Die Hausherren sollen sich in der Nacht vor den Türen ihrer eigenen Häuser aufhalten und nicht auf den Straßen herumlaufen. Wassergefäße (kuṭa) zu Tausenden sollen aufgestellt sein an Kreuzwegen, vor den Türen und bei den königlichen Gebäuden. Ein Hausbesitzer, der nicht zu einem Brande helfend herbeieilt, zahlt 12 paṇa Strafe; 6 paṇa ein Mieter.13 Bei Bränden durch Fahrlässigkeit beträgt die Strafe 54 paṇa. Der Brandstifter ist mit Feuer hinzurichten.

Wer Schmutz auf die Straße wirft (oder: an den Straßen ablagert), zahlt 1/8 paṇa Strafe; wer durch Schlamm oder Wasser da Hemmungen verursacht,14 1/4 paṇa. Bei einer Hauptstraße das Doppelte.

Wer an einem heiligen Ort (wie z.B. einer Wallfahrtsstätte), in eine Wasseransammlung, in einen Göttertempel oder in einem Gebäude des Königs seinen Kot entleert, zahlt eine von einem paṇa aufsteigende Geldstrafe. Für die Harnentleerungen je die halbe Strafe. Geschieht es aber infolge von Medizin, Krankheit oder Furcht, dann sollen sie nicht bestraft werden.15

[232] Wer tote Katzen, Hunde, Ichneumons oder Schlangen innerhalb der Stadt hinwirft, zahlt 3 paṇa Strafe. Für die Leichen von Eseln, Kamelen, Mauleseln, Pferden und Rindern (paçuA1) 6 paṇa. Für die Leichen von Menschen 15 paṇa.

Wenn man einen Toten auf einer verkehrten Straße oder durch ein anderes Tor als das Leichentor hinausbringt, gilt die niedrigste Sāhasastrafe. Die Torwächter zahlen 200 paṇa. Wer einen Toten an einem anderen Ort als dem Leichenort liegen läßt16 oder verbrennt, zahlt 12 paṇa.

Zweimal 6 nālikā, von der Mitternacht nach beiden Seiten hin gerechnet, grenzt das Sperrsignalinstrument ab. Wer bei dem Schall des Sperrsignalinstruments (oder nach ihm) in der Nähe des Königshauses gesehen wird, den trifft die Unzeitsstrafe von 11/4 paṇa zur Zeit der ersten und der letzten Sperre, eine doppelt so hohe zur Zeit der mittleren Sperren, eine viermal so hohe den, der draußen (vor der Stadt) ertappt wird.17 Handelt es sich um einen verdächtigen Ort, ein verdächtiges Anzeichen, einen Unbekannten oder ein Vergehen,18 dann soll der Stadthauptmann den Betreffenden verhören. Wer sich da einem Gebäude des Königs naht oder die Verteidigungswerke der Stadt besteigt, zahlt die mittlere Sāhasastrafe. Kommt dabei eine Gebärerin [233] (Wöchnerin) oder ein Arzt oder ein Toter oder die Herbeiholung eines Lichtes oder das Signal des Stadthauptmanns oder ein Schauspiel oder ein Feuer in Frage oder hat jemand einen abgestempelten Erlaubnisschein, dann sind die Betreffenden nicht anzupacken.19

In den Freinächten sollen solche, die sich durch die Kleidung unkenntlich machen oder die Kleidung vertauschen (verkehrte Kleidung tragen), sowie (da umhergehende) Asketen und Asketinnen und Leute, die Stöcke und Waffen tragen, wenn ein Schade (Vergehen) durch sie geschieht, bestraft werden.20

Wenn die Stadtwächter einen anhalten, den sie nicht anhalten sollten, oder einen nicht anhalten, den sie anhalten sollten, trifft sie das Doppelte der Unzeitsbuße als Strafe. Wenn sie ein (in der Nacht aufgegriffenes) Weib beschlafen, das eine »gekaufte Frau« ist, die erste Sāhasastrafe, eine die keine [234] »gekaufte Frau« ist, die mittlere, eine als ständige Beischläferin mit Beschlag belegte, die höchste, eine Frau von guter Familie .21

Wenn der Stadthauptmann nächtlichen Schaden oder Unfug, handle es sich nun um bewußtseinsbegabte oder bewußtseinsbare Verursacher oder Erleider, nicht anmeldet, so trifft ihn eine dem Schaden entsprechende Strafe; ebenso im Fall der Fahrlässigkeit.

Beständig liegt ihm ob die Besichtigung der Wasserversorgung, der Straßen, der Abzugskanäle, der heimlichen Wege (die aus der Stadt und in sie hineinführen), des Walls und der Mauern, ebenso die Verwahrung alles dessen, was verloren, vergessen oder verlaufen ist.22

Aus dem Gefängnis soll er die Kinder und die Greise, die Kranken und die Hilflosen (anātha) an den Tagen des Geburtsgestirns des Königs und denen [235] des Vollmonds entlassen. Leute von reinem Charakter oder solche, die sich zu gutem Betragen verpflichten, sollen sich von ihrem Vergehen loskaufen dürfen.

Jeden Tag oder aller 5 Tage23 soll er Gefangene frei machen, sei es auf geleistete Arbeit oder auf körperliche Züchtigung oder auf Geld oder auf Vergünstigung (Gnade) hin.24

Wenn ein neues Land erobert worden ist, oder der Kronprinz die Weihe empfängt, oder (dem König) ein Sohn geboren worden ist, findet die Loslassung von Gefangenen statt.A2

Fußnoten

1 Der nāgarika oder Stadthauptmann ist der Oberaufseher über die einzige Stadt, die bei Kauṭilya im eigentlichen Sinne so heißt – über die Residenz- oder Hauptstadt. Andere größere Orte, einerlei welchen Namen sie tragen, gehören zum Bauernland. Diese Stadt ist auch die »Burg« im eminenten Sinne des Wortes.


2 Da Kreisaufseher (sthānika) und Revieraufseher (gopa), die wir doch beide als Bauernlandsbeamte gefunden haben, hier Stadtbehörden sind, so zeigt sich, daß diese Wörter keine festumrissene Bedeutung haben, wie etwa samāhartar usw. Freilich liegt die Verwendung ganz gleicher Amtsnamen hier äußerst nahe, da ja die befestigte Stadt gerade so wie das Bauernland in vier Kreise oder Teile geteilt ist, von denen jeder durch einen Kreisvorsteher überwacht wird, und hier ebenso wie auf dem Land niedrigere Beamte, die gopa (»Hirten«) d.h. die Reviervorsteher oder »Amtmänner«, wie Hillebrandt übersetzt, eine bestimmte Anzahl von Familien unter sich haben.


3 Wegen āvasatha in diesem Sinn siehe auch MBh. XII, 69, 12, 52; 140, 41.A3


4 Svapratyaya »auf sich selber zurückgehend«, »einer der den Grund worauf er steht, d.h. seine äußere Existenz, sein Handeln, sein Selbstvertrauen und das Vertrauen der anderen in sich selber hat«, »auf sich selber fußend«, bedeutet unabhängig im Vollsinn des Wortes. So MBh. V, 33, 89; vgl. 38, 26; bei Kauṭ. öfters z.B. 186, 17; dann wie das englische independent im amerikanischen Volksmund selbstherrlich, eigenmächtig, z.B. Kaut. 331, 13. An unserer Stelle handelt es sich allem Anschein nach nicht nur um äußere Unabhängigkeit, sondern auch um die innere und die Achtung der anderen. Es sind »ehrenfeste Bürger«. Vgl. auch das bei Kauṭ. oft vorkommende pratyaya am Ende von Compos.: »unabhängig von, entschieden werdend durch«, z.B. 166, 2 ff.; 176, 20; 184, 3; Manu VIII, 262; Vas. XVI, 13 ff. usw.


5 D.h. wohl: »wen sie schon kennen oder wen sie ausspioniert haben«. So die einzige grammatisch natürliche Auffassung. Die Lustdirnen sollten also jedem anderen von vornherein ihre Gastfreundschaft versagen? Unmöglich! Haben sie doch nach Kauṭ. sogar die heilige Pflicht, als Staatsspioninnen die Aushorchung der Fremden zu besorgen. So mag jene überstrenge Vorschrift dazu da sein, daß wenigstens nicht allzuviel Gesindel sich bei den Genannten, die überall in der altindischen Literatur als Beherberger von Verbrechern gelten, einnistet, daß die Polizei sie immer unter der Fuchtel hat, und daß die von allerhand Gelichter und gar von Feindesvolk so gern Besuchten ihren Zuspruch gehörig ausforschen, natürlich zum Besten des Staates. Dann war das Gesetz ja erfüllt – die Kunden waren parijñāta!


6 Natürlich der, in dessen Haus jemand von der ersten oder der zweiten Art auftaucht. Im ersten Fall ist es vermutlich einer, der sich bei einem Verbrechen seine Wunde geholt hat, im zweiten einer, der jemand anderes schädigen und sich beim Arzt das Gift usw. dazu holen will. Wörtlich vielleicht: »Der Arzt, welcher einen, der ... angibt, ebenso der Hausherr, soll frei ausgehen«. Aber auch an das Folgende schließt sich dieser Satz besser an, wenn man ihn konstruiert, wie oben geschehen ist. Im Deutschen geht es anders nicht.


7 Auch hier von Gaṇ. erklärt mit: »eine allzugroße Last tragend«. Sachlich ginge es ja schon; aber sprachlich kaum.


8 Der Text, der auch bei Gaṇ. ebenso lautet, hieße: »Innen drin in leeren Wohnungen, Werkstätten, Trinkstuben« usw. Aber schon abhyantare macht da stutzig, und die Stellen mit ähnlichen Aufzählungen zeigen, daß çūnyaniveçānāṃ veçaçauṇḍikaud. zu lesen ist. Vgl. Weib im altind. Epos 205.A4


9 Die Spione können am ehesten darauf sehen, daß die Feuervorschriften beobachtet werden. Natürlich ist kuryuḥ aus dem Vorhergehenden zu ergänzen.


10 Wörtlich: »für die fünf ghaṭi (oder ghaṭikā)«. Eine ghaṭī ist = 24 Minuten. Von 11–1 ist natürlich die Feuersgefahr besonders groß. Die alten Inder haben übrigens nur zwei Mahlzeiten oder Hauptmahlzeiten. Öfter zu essen wird in den Dharmaschriften streng verboten.A5


11 Nach Bhaṭṭ. müssen diese Sachen an der Haustür aufgestellt sein. Die Getreideschwinge dient dazu, beim Feuerlöschen den Rauch abzuwehren, sagt der Scholiast. Die kacagrahaṇī (»Krallenseil«), wörtlich »die Haarpackerin« ist wohl etwa dasselbe wie im Epos kacagraha oder kacagrahavikshepa (z.B. MBh. V, 155, 5; VII, 36, 25), die »Haarpackungsschleuder«; nach Nīl. ein Stab, dessen oberes Ende einer Sperlingskralle ähnlich und mit Klebstoff bestrichen ist, wohl aber eher ein Seil mit Haken am Ende. Damit wird der Feind in der Schlacht an seinem langen aufgebundenen Haar gepackt und herangerissen. Bei einem Brande wirft man es wohl in die Höhe, hakt Brennendes damit an und zerrt es herab.


12 Tṛiṇakaṭacchanna waren ja nicht nur die Häuser, sondern auch der Zucker und wohl anderes, die Häuser mit Strohschauben oder -Matten gedeckt, der Zucker in Strohmatten verpackt; und Zucker hat der Inder immer in großer Menge verzehrt. Also all solch feuergefährliches Zeug rasch wegräumen!


13 Wegen gṛihasvāmin Hausbesitzer vgl. 167, 1–2.A6 Avakraya erscheint 170, 7 und heißt da wohl Mietszins, avakrayaṇa 167, 10 im Sinne von Vermietung, Mietsvertrag; unser avakrayiṇo (wie man lesen muß) auch 167, 10; avakrītaka 179, 7 etwas Gemietetes.


14 Oder: »wenn er das (ablaufende) Schmutzwasser hemmt?«


15 Die Geldstrafe beträgt also für das Kacken bei heiligen Stätten 1 paṇa, bei Teichen, Tanks usw. 2, bei Göttertempeln 3, bei Königseigentum 4 paṇa. Oder ist der Ausgangspunkt rājamārge, d.h. von da um je einen paṇa aufsteigend? Dann bekämen wir: Hauptstraße 1/2 paṇa, heilige Stätte 11/2 paṇa, Wasserort 21/2 paṇa usw. Manu IX, 282 beträgt die Strafe bei der Hauptstraße 2 kārshāpaṇaA7. Welch idyllische Zustände finden wir dagegen z.B. im Frankreich der großen Ludwige, wo selbst die auf der Straße Vorübergehenden einfach ins Louvre liefen und sich dort solcher Bürden entledigten, oder im heutigen Italien, wo das »große Geschäft« nicht selten mitten auf den Plätzen der Städte verrichtet wird, ganz zu schweigen von den Straßen aller kleineren Orte. Im Hofe des Königspalastes freilich ereignete sich dergleichen auch in Altindien: Der König von Benares sah durchs Fenster. Ein fettes, schlecht angezogenes Weib ging da über den Hof. Die Notdurft kam sie an, sie bedeckte sich hübsch mit ihrem Obergewand und erhob sich anstandsvoll dann wieder. Dem König gefiel das: »Sie hat die Scham gewahrt; die muß gesund und reinlich sein und einen gesunden, reinlichen Sohn heranziehen.« Er machte sie also zu seiner Gemahlin. Wie aber Goethe einst weise zu Eckermann sprach: »Ich habe immer gefunden, daß es gut sei, wenn man etwas wisse«, so legte Bodhisatta, damals Minister dieses Fürsten, den Finger an die Nase: »Was zu lernen ist, das soll man lernen. Es hat immer jemand Gefallen daran. Das Landmädchen hat den König durch schönes Sch – n gewonnen.« (Jātaka Nr. 108).


16 Nyāsa, dasselbe Wort wie eben vom Wegwerfen oder Ablagern des Schmutzes oder Kehrichts. Nicht anders wurden ja in Altindien öfters die Leichen auf der Totenstätte liegen gelassen. Vom Kinde unter zwei Jahren heißt es z.B. bei Manu V. 68 f., man solle es draußen in der Wildnis wie ein Stück Holz hinwerfen. Das Feuersakrament und die Wasserspende seien nicht für dieses. Kleine Kinder und Heilige begrub man gewöhnlich, auch dies wohl hauptsächlich, weil diese nicht so leicht als böser Spuk wiederkommen und darum minder gründlich aus dem Wege geschafft werden müssen; denn die Kinder sind schwach und die Heiligen gut – nach ihrem Tode.A8


17 Möglich ist die Übertragung: »Zweimal sechs nālikā bezeichnet das Sperrinstrument« oder: »Zweimal sechs nālikā umfaßt die Sperrsignalzeit«. Yāmatūrya bedeutet also das auf die Absperrung (yama) bezügliche Instrument, dann die durch sein Ertönen abgegrenzte Zeit.A9 Die »Unzeit« (akshaṇa) d.h. die Zeit, wo die Bürger hübsch in ihren vier Pfählen bleiben mußten, bestand aus den sechs nālikā vor und den sechs nach Mitternacht, begann also zwei Stunden und 24 Minuten vor Mitternacht und endete zwei Stunden und 24 Minuten nach Mitternacht. Aller Wahrscheinlichkeit nach erscholl das Signal, wohl je nach der nālikā verschieden, beim Anfang jeder nālikā und vermutlich am Ende der ganzen Sperrzeit. Die »erste Sperrzeit« (prathamayāmika) sind jedenfalls die ersten 24 Minuten, die letzte die letzten 24 Minuten der ganzen Tabuperiode. Es ist sehr begreiflich, daß in diesen zwei Grenzzeiten die mildeste Strafe gilt. Die mittleren Sperrzeiten wären dann alles Dazwischenliegende, also etwa die Zeit von 10 Uhr bis 2 Uhr. Bemerkenswert ist der Name der Strafe: tāḍana, das sonst die Durchprügelung bezeichnet und von Kauṭ. nur hier gebraucht wird. Vermutlich war diese Art Ahndung das Ursprünglichere. – Statt vi- ist, wie öfters im Arthaçāstra, dvi- zu lesen.


18 Ein Vergehen, das der Betreffende eben begeht? Oder eins, das er von früher her auf dem Kerbholz hat, also »Vorbestrafung«? Beides ist möglich. Ein »Vorbestrafter« heißt übrigens pūrvakṛitāpadāna (213, 2). Nach dem Text, den auch Gaṇ. darbietet, nur daß er nach deçe noch liṅge hat wie B, wäre zu übersetzen: »ein verdächtiges Anzeichen, ein früheres Vergehen« (oder: »einen mit früherem Vergehen«). Man vermißt da aber den für unseren von feindlichen Spionen überkribbelten Staatskörper so wichtigen Unbekannten. Ich möchte also 'pūrvāpadāne (»noch besser: 'pūrve 'padāne) lesen. Pūrvāpadāna heißt 180, 8 das bisherige Tun, Verhalten, Leben, 211, 13 früheres Vergehen.«


19 Statt pradīpāyana haben Gan. und Jolly das wohl richtigere pradīpayāna. Beides heißt: »das Gehen nach einem Licht«. Oder soll man dies mit preta verbinden: »Die Herbeiholung eines Lichtes zu einem Toten«? Aber unsere Sitte, ein Licht bei einer Leiche zu brennen, das natürlich ursprünglich die unheimlichen Mächte am und um den Toten verscheuchen sollte und darum in dem Urland des Aberglaubens, in Indien, eine selbsverständliche Sache zu sein schiene, kenne ich nicht aus der indischen Literatur – wahrscheinlich ein tückischer Streich meines Gedächtnisses. Übrigens hat man es in Indien so eilig, den Toten aus dem Haus zu schaffen, daß die »Totenwache« wenig in Frage kommen kann.A10

Wer also Arzt oder Hebamme holen muß und diese rettenden Engel selber verfallen nicht der Strafe, auch nicht, wer zu einer nächtlichen show geht; ein vom König konzessioniertes hohes Schauspiel, wie Bhaṭṭ. meint, braucht die Darbietung dabei wohl nicht zu sein. Schwierigkeit bereitet nūgarakatūrya, das Bhaṭṭ. wohl richtig als einen Begriff ansieht. Heißt das nun, daß straffrei ist, wer ausgehen muß, das Sperrsignal ertönen zu lassen? Denn um dieses wird es sich doch hier handeln, nicht um andere mit einem musikalischen Instrument gegebene Zeichen des Stadthauptmannes. Dazu ist aber jedenfalls ein besonderer Angestellter da, der an Ort und Stelle bleibt oder auch unserem tutenden Nachtwächter gleich durch die Straßen geht. Wozu dann eine besondere Vorschrift für ihn, da er doch selbstverständlich ausgenommen sein muß? Oder handelt es sich um Leute, die noch schnell nach Hause laufen, wenn das Signal ertönt? Dies wohl eher. Ganz verkehrt scheint mir, was nach Sorabjis Bericht Bhaṭṭ. und was Sham. zu sagen hat.A11


20 Oder: »je nach dem Unheil« (Unrecht usw., das durch sie geschehen mag)? Freinächte sind Nächte, in denen die Leute frei herumschwärmen dürfen (cārarātri), solche, wo Götterfeste gefeiert werden, und wohl auch andere besondere Vergnügensnächte. Vertauschte oder verkehrte Kleidung ginge wohl vor allem darauf, daß Männer Frauengewand trugen und Frauen Männeranzug, was auch in Altindien zu geschlechtlicher Anreizung und zur Verfolgung erotischer Abenteuer nicht selten geschehen zu sein scheint. Siehe Weib im altind. Epos 182, 280; Çiçup. V, 39; Bhāratīyanāṭ. XIII, 189–191; XVIII, 123; R. Burton, Sind Revisited II, 208. Aber auch anderer Mummenschanz wird hier in Betracht kommen.A12 Meine Auffassung von doshataḥ entspricht dem Sprachgebrauch Kauṭilyas und dem rātridosha von 144, 14; 146, 14. Nach den Indern freilich wäre zu übersetzen: »... die Stöcke und Waffen tragen, je nach ihrem Vergehen bestraft werden.« Da würde also solche Verkleidung, das Waffentragen usw. in den Freinächten rundweg verboten. Schon weil ja Spione und Verräter sich solche Maskierungen zunutze machen können, wäre diese Strenge begreiflich. Ebenso ließe es sich ja denken, daß die Religiösen dem tollen Treiben solcher Nächte ganz fernbleiben müssen, weniger wegen ihrer Heiligkeit und des Anstoßes, als deshalb, weil die Büßerverkappung so viel von staatsgefährlichen Leuten gewählt wird. Aber ohne die Asketen wäre es doch kaum gegangen, und die Übersetzung: »In den Freinächten sollen Bettelmönche (und Bettelnonnen), die ihre Tracht verstecken oder vertauschen, und Menschen mit Stöcken« usw. ist wohl möglich, aber unwahrscheinlich. Also zeigen schon sachliche Erwägungen, daß die indische Auffassung der Stelle verkehrt sein wird. Auch stünde da eher yathādoshaṃ statt doshato zu erwarten.


21 Kṛitāparādhām ist nicht so unmöglich, wie Jolly denkt. »Wenn sie eine Frau, die ein Verbrechen begangen hat, beschlafen« – ein solcher Einspruch gegen den willkürlichen Gebrauch derartiger Frauen, den sich auch die altindische Polizei zuschulden kommen ließ, wäre bei Kauṭ. nicht verwunderlich. Aber schon wegen der Abstufung der Frauen und der Strafen wird die auch von Gaṇ. gegebene Lesart kṛitāvarodhām richtig sein. Nur ist wohl keineswegs mit Jolly (ZDMG 71, 231) »Haremsfrauen« dafür zu setzen, möglicherweise aber »verheiratete Frauen«, wie Gaṇ. meint, am besten vielleicht doch »Kebsweib, Mätresse« (auf längere oder kürzere Zeit). Vgl. 383, 11; Daçak. 164, 4 von unten. Man darf nicht vergessen, daß in Altindien das Weib des Nachts zum Liebesbesuche geht, nicht der Mann. Wieviel davon Dichterkonvention und wieviel Tatsache ist, läßt sich nicht bestimmen. Der Boden der Wirklichkeit aber fehlt wohl keinesfalls. Dāsī habe ich mit »Gekaufte« übersetzt, weil das Wort sowohl eine Sklavin wie eine Lustdirne bezeichnet, was natürlich auch daher kommt, daß die Sklavin auch in Altindien zwar nicht vor dem Gesetzgeber, wohl aber vor dem Lebemanne und dem wirklichen Leben vogelfrei war. So wird dāsī hier eine regelrechte Prostituierte bezeichnen, adāsī, die »nicht Gekaufte«, ein weibliches Wesen, das zwischen der gewöhnlichen Gassenschwalbe und der Mätresse (kṛitāvarodhā) steht. Adhimehati 234, 13 und unser adhimehayati »draufpissen« mag brandmarkend für »beschlafen« gesagt sein, ist aber wohl durch prakritische Einwirkung aus adhimethati usw. entstanden. Vgl. mithuna, maithuna, mithas. Der Sache nach ist »vergewaltigen«, wie Bhaṭṭ. es auslegt, jedenfalls richtig. Im Worte selber liegt dieser Sinn nicht.A13


22 Dies alles fällt ja dem König zu, ob ohne weiteres oder nur, wenn sich kein Eigentümer dafür aufstöbern läßt, weiß ich nicht gewiß (vgl. 61, 11; 94, 6; 190, 4 und die Nachträge). An ein immerhin mögliches »Fundbureau« vermag ich nicht recht zu glauben. Freilich der gewöhnliche Sinn von rakshaṇa »Bewahren, Hüten« gäbe Grund anzunehmen, daß die Sachen dem Eigentümer wieder zugestellt werden sollenA14. Aber mindestens wird es gar zu oft gewesen sein wie mit dem Alien Property Custodian in Amerika während und nach dem letzten Krieg: mit salbungsvoller Miene erklärte er: »Ich nehme alles Eigentum von Ausländern (d.h. Angehörigen des feindlichen Volkes) in schützende Vaterhut, damit niemand es antastet, und meine heilige Pflicht ist es, alles bei Heller und Pfennig, ja mit Zins und Zinseszins nach dem Krieg wieder zurückzugeben.« Er hat Würdigere damit beglückt: seine eigenen Genossen. Ich lese mit B bhrama »Wirbel«, Abortspülung, Wasserrinne statt bhūmi, obwohl auch Gaṇ. dieses hat. Er erklärt es mit sthalāni. Die Vertauschung von ra und ū kommt öfters in Arthaçāstra vor.


23 So nach der Auslegung des Bhaṭṭ., die nicht recht überzeugt. Möglich wäre: »Oder an einem (bestimmten) Tage je in einem Zeitraum von fünf Tagen.« »Freimachen« ist wohl nicht ganz genau. Viçodhayet etwa »er soll sie abschieben«, clean them out. Vgl. z.B. navenānavam çodhayet 56, 14; 95, 6. Er soll sich also selber so Freiheit, Luft schaffen. Immerhin aber mag auch die sittliche und bürgerliche Rechtfertigung und Wiederherstellung in Betracht kommen. Liquidieren wäre wohl nicht übel für unser viçodhayati; denn es bedeutet ja auch bereinigen, abrechnen, bezahlen.


24 Oder: »auf eine in Geld geleistete Vergünstigung hin« (hiraṇyānugraheṇa). Also gut deutsch: Bestechung.


A1 Die paçu zerfallen in zahme und wilde (grāmya und āraṇya). Die wilden sind die viehähnlichen Tiere, wie wilder Büffel, Antilope usw. In Vishṇu V, 48–52 steht das zahme paçu dem Pferd, Kamel und Rind gegenüber und in MBh. III, 208, 8f. dem Rind, ist also Kleinvieh. Vor allem scheint damit die Ziege gemeint zu sein. Dagegen wird paçu in N. XI, 41 kaum etwas anderes bezeichnen als Rind. Kauṭ. nun versteht unter paçu hier wohl Kleinvieh mit Einschluß der Rinder, auf keinen Fall aber bloß diese, wie ich übersetzt habe. Im übrigen verweise ich auf das PW., bemerke aber, daß in M. X, 48 und 89 āraṇya paçu durchaus nicht alle wilden Tiere in sich begreift, sondern nur die wilden Nutztiere.


A2 Die hier genannte Sitte wird wer weiß wie oft in der altindischen Literatur erwähnt. So befiehlt z.B. im Kalpasūtra (I, 100) der König Siddhārtha bei der Geburt seines Sohnes, des Mahāvīra: Cāragasohanaṃ kareha »Leert die Gefängnisse«, also genau Kauṭ.'s viçodhayet. Daher erklärt Nītiv. 108, 15: »Das ist ein Fest, woran Gefangene freigegeben und Elende erhoben werden.« Auch die Steuern und Abgaben werden erlassen, Sklavinnen freigegeben, Vergehen nicht bestraft u. dgl. mehr. Vgl. Devendras Ṭīkā zum Uttarajjh. MS C. fol. 270a, In Raghuv. XVII, 19–20 werden sogar die Kühe nicht gemolken (!), die Zugtiere nicht eingespannt, die Vögel aus dem Käfig losgelassen, zum Tode Veruiteilte begnadigt. Vallabha zitiert nun zu Raghuv. III, 20 unsere Kauṭilyastrophe so: Yu varājābhisheke ca pararāshṭrāvamardane (oder: paracakrāvamardane) \ putrajanmani vā moksho baddhasya hi vidhīyate. Baddhasya alles Gebundenen. Da bandha und baddha im Kauṭ. mehrere Male verwechselt werden, so fühlt man sich versucht, Vallabhas baddhasya einzusetzen. Aber wir haben halt auch hier ein Zitat aus dem Gedächtnis, und in Mudrār. S. 200, 5 steht bandhamoksha. Ferner findet sich die MS.-Lesart bandhanasya auch bei Vall., im Zitat zu Raghuv. XVII, 19.


A3 Āvasatha in diesem Sinne auch z.B. in Chānd.-Up. IV, 1, 1; Ā. II, 9, 25, 3, 4, 8, 9. Von der Pflicht des Fürsten, in seiner Stadt Fremdenherbergen einzurichten, und von ihrer Beschaffenheit redet auch Çukran. I, 513ff. Besondere Einzelheiten kommen in I, 538ff. hinzu: »Und je zwischen zwei Dörfern (oder: zwei Stadtbezirken, grāma) soll er eine Herberge für Reisende (pānthaçālā) einrichten lassen, die beständig gut gereinigt und von den Oberhäuptern der Dörfer wohl beaufsichtigt werden müssen. Jeden Reisenden, der dahin kommt, soll der Herbergsaufseher immer ausfragen: ›Woher kommst du? Weshalb? Wo gehst du hin? Sprich die Wahrheit. Von Gefährten begleitet oder ohne Gefährten? Bewaffnet? Mit Fuhrwerk oder Reittier versehen? Was ist deine Kaste? Deine Familie? Dein Name? Wo hast du dich lange aufgehalten?‹ Das alles soll er niederschreiben, am Abend dem Gast die Waffen wegnehmen und ihn anweisen: ›Geh jetzt schlafen, indem du dich wohl in acht nimmst.‹ Und nachdem er alle Anwesenden gezählt hat, soll er die Türe schließen. Und er soll die Gäste von Nachtwächtern bewachen lassen und bei Tagesanbruch wecken. Da soll er ihnen ihre Waffen geben, soll die Tür aufschließen und sie entlassen. Immer soll die Bevölkerung der zwei Dörfer (bezw. Stadtbezirke) ihnen einen Begleiter bis an ihre Grenze stellen.«


A4 Freilich in der dort angeführten Stelle, d.h. in M. IX, 264ff., findet sich neben veça auch kārukāveçanāni ca, und ābhyantara heißt bei Kauṭ. »auf die (befestigte) Stadt, die Hauptstadt bezüglich«. Siehe Übersetzung 173, Anmerkung 6 und den Zusatz dazu im Nachtrag. Also wird man den Text der Ausgaben beibehalten und übersetzen müssen: »Drinnen in der Stadt, in leeren Wohnungen, Werkstätten, Trinkstuben, Läden« usw.


A5 Und zwar wird am Vormittag und abends gegessen. Auch nachts in der Dunkelheit ist es untersagt, denn die magische Gefahr, die überhaupt in der Finsternis lauert, droht besonders so zauberschwangeren Dingen wie dem Essen. Auch in der Dämmerung muß man sich vor ihm hüten (M. IV, 55; Vish. LXVIII, 12). Wo es also nach brahmanischer Rechtgläubigkeit zugeht, kann in die eigentliche Mittagszeit gar keine Mahlzeit fallen, sondern nur spät in den Vormittag. Ausdrücklich sagt auch Vish. LXVIII, 11: na madhyāhne »nicht am Mittag«, ebenso ausdrücklich aber M. VII, 216: »am (oder: um den) Mittag (madhyāhne)«, und zwar als Vorschrift für den König. Mit ihm stimmt wohl Y. I, 326. »Gegen Mittag, um den Mittag« wird also das beste sein. Daß der König im zweiten Achtel der Nacht zum zweitenmal essen solle, gebietet ihm ja Kauṭ. selber (Übers. 47, 13f).


A6 Da das altindische Leben auf die gegenseitige Hilfeleistung und Mitarbeit aller Mitglieder eines örtlichen, gewerblichen oder sonstigen Verbandes und auf die Wirkens- und Opferwilligkeit der einzelnen weit mehr angewiesen war als auf die öffentliche und staatliche Wahrung und Förderung der Einzel- und der Gesamtinteressen, also ein stark kooperatives, ja zum Teil kommunistisches Gepräge trägt, so sind Kauṭ.'s Vorschriften über den Beistand bei Bränden sehr natürlich. In M. IX, 274 heißt es: »Wer bei einem Dorfüberfall, bei einem Dammbruch (iḍābhaṅga ›Erdbruch‹, vgl. iḍātala = bhūtala MBh. III, 236, 10), beim Anblick einer Bestehlung oder Beraubung, nicht nach Kräften zu Hilfe kommt, der soll mit Sack und Pack verbannt werden.« Vgl. Kauṭ. Übers. 311, 20ff. und 312, Anm. 1. Wer in Wald oder Einsiedelei, Dorf oder Stadt eine Feuersbrunst verursacht oder Feuer liegen läßt (agnim utsṛijet), ist gleich dem Brahmanenmörder. MBh. XIII, 24, 12. Vom Kampf gegen die Feuersgefahr gibt bes. MBh. XII, 69, 47–50 ein anschauliches Bild. Wie aus Dichtungen und Erzählungen, sehen wir auch aus der Smṛiti, daß die Häuser fast alle aus sehr entzündlichem Baustoff hergestellt waren. Gras oder Stroh (tṛiṇa), Holz und Erde sind die Bestandteile. So z.B. in Y. III, 146. N. VI, 20f. gebietet sehr bezeichnenderweise: »Wer auf dem Hof eines anderen baut, nachdem er Pachtzins gegeben hat, und da wohnt, der darf beim Wegzug Stroh, Holz, Backsteine und anderes daran mitnehmen. Hat aber jemand ohne Pachtzins auf jemandes Grund und Boden ohne dessen Einwilligung gewohnt und zieht nun weg, dann darf er niemals Stroh und Holz mitnehmen.« Daß die Häuser eines Dorfes hauptsächlich aus Stroh bestehen, ist dem MBh. selbstverständlich (V, 48, 22). Die indischen Dichter verstehen also auch Brände zu schildern. Großartig ist da besonders MBh. I, 223–28 und Kirāt. XVI, 50ff.


A7 In der Mitte der Zeile füge hinter »kārshāpaṇa« ein: für den Sünder, der eine Hauptstraße irgendwie verunreinigt, es treibe ihn denn böse Not; auch muß er für rasche Wegschaffung sorgen. N. XI, 15–16 bestimmt, wer mit Abfallhaufen, Erdaufschüttungen (sthala), Gruben, Wirbelkloaken, Abwasserabzügen u. dgl. mehr Kreuzwege, Götterheiligtümer, Straßen oder Wege beeinträchtige, müsse die höchste Sāhasabuße leisten. Wer auch nur in der Nähe von Weg, Brunnen oder Gewässer eine Versauung anrichtet, zahlt 100 paṇa und muß das Ärgernis wegschaffen, schreibt Vish. V, 106f. vor. Dagegen beträgt bei M. IX, 282 die Strafe für nicht notgedrungene Verunreinigung einer Hauptstraße nur zwei kārshāpaṇa und bei Bṛ. XIX, 27–28 die Buße gar nur einen māshaka, wenn jemand einen Durchgangsweg versperrt, eine Grube oder Bäume darauf hinsetzt oder sich da seines Kots entledigt.


A8 Was die Leichentore betrifft, so schreibt M. V, 92 vor: »Der tote Çūdra soll zum südlichen Stadttor hinausgebracht werden, der Brahmane zum östlichen, der Kshattriya zum nördlichen, der Vaiçya zum westlichen.« Nach buddhistischen Erzählungen hätte es sogar besondere Leichenfelder für die Männer, besondere für die Frauen gegeben. Chavannes, Cinq cents contes II, S. 400; III, 175 Anm. Ebenda Bd. I, S. 53–57 hören wir, daß der Leichenverbrenner sein Amt nicht umsonst habe ausüben dürfen. Auch bei Nacht sollten Tote nicht verbrannt werden (Hertels Übersetzung von Hemavijayas Kathār. II, S. 10), was sich nur auf das Anzünden des Holzstoßes beziehen kann; denn Leichenbrände schwelten und flammten bei Nacht oft weiter. Der Leichenbestatter darf in Chavannes I, 53ff. Tote nicht unentgeltlich verbrennen, und Mark Twain, Following the Equator Vol. II, Ch. XVI, weiß Schauermären davon zu berichten, wie teuer das Bestattungsfeuer sei.


A9 Dagegen bezieht sich yāmatūrya in Raghuv. VI, 56 offenbar auf die Nachtwache (yāma). Dieses Instrument schlägt bei jeder Wache der Nacht und wohl auch des Tages, und sein Ton ist tief dröhnend wie das Getöse des Meeres. Übrigens könnte ja auch in Kauṭ.'s yāmatūrya der erste Bestandteil yāma Wache sein und eine Umwertung des Wortes vorliegen.


A10 Von Karṇa in der Nacht nach seinem Tode freilich lesen wir: »Sie sahen den Helden (auf dem Schlachtfeld) liegen, bestrahlt von goldenen Lampen zu Tausenden, die vollgegossen waren mit duftigem Sesamöl« (MBh. VIII, 96, 38).


A11 Übrigens mag das nāgarakatūrya doch, wie die Inder erklären, ein Instrument, vielleicht eine Trommel sein, die Bürger in dringlicher Sache bei Nacht zusammenzurufen, besonders also wohl ein Notalarm wegen Feuer, Räubern usw.


A12 Daß auch beim Geschlechtsumgang die Männer in Altindien manchmal Frauenkleidung anlegten und die Weiber Männergewand, sehen wir aus MBh. XII, 228, 68; Çiçup. V, 39. Im deutschen Mittelalter wurde dergleichen auch zwischen Eheleuten geübt. Siehe Berthold von Regensburg, ed. Pfeiffer und Strobl I, S. 325. In Verbindung mit dem Kult der Fruchtbarkeitsgeister ist diese Verkleidung ja häufig sowohl in germanischen wie sklavischen Ländern. Mannhardt, Baumkultus pass. (z.B. 201, 203, 314, 317, 410ff., 414, 544, 557); E. H. Meyer, Mythol. d. Germanen (1903) S. 20. Eine vorzügliche Schilderung des Nachtlebens auf menschenwimmelnder Hauptstraße bietet Leumann, Die Nonne, Str. 539ff.; siehe z.B. auch Vāsavadattā ed. Jib. Vidyasagara S. 86–90.


A13 Auch Y. II, 293 hat abhimehati beschlafen, jedenfalls aus Kauṭ., und in Bṛ.-Nīti II, 20 finden wir mahilāmehana Weiberbeschlafung.


A14 Hinter »sollen« füge ein: Und nach M. VIII, 34 und Bṛ. XIV, 11 waren besondere königliche Beamte für verlorene oder herrenlose Habe da. Schon in B. I, 10, 16 lesen wir: »Gut, dessen Eigentümer nicht vor handen ist, soll der König ein Jahr lang in seine Hut nehmen, dann (wenn kein Eigentümer auftaucht) es sich selber zueignen.« Ähnlich Y. II, 33, 173. Laut G. X, 36ff, gehört nach der Gnaden- und Ausrufungsfrist von einem Jahr ein Viertel von verlorenen und herrenlosen Sachen dem Finder, der Rest dem Fürsten. Eine Warte- und Bewahrzeit von sogar drei Jahren setzt M. VIII, 30–33 an, billigt dem König aber ein Sechstel, ein Zehntel oder ein Zwölftel des Verlorenen und Wiederzugestellten zu, wobei wohl der Çūdra das Sechstel, der Vaiçya das Zehntel, der Kshattriya das Zwölftel abgeben muß und der Brahmane natürlich gar nichts. Diese Steuer ist gewiß Verwalterlohn, ebenso wie bei Bṛ. XIV, 11–14: Stirbt der Gesellschafter irgendeines Unternehmens in der Fremde, so soll der dortige Fürst sein Eigentum den königlichen Beamten anvertrauen. Kommt dann jemand und weist sein Eigentümerrecht nach, dann erhält der König den sechsten Teil von Sachen eines Çūdra, den neunten von denen eines Vaiçya, den zwölften von denen eines Kshattriya, den zwanzigsten von denen eines Brahmanen. Stellt sich kein Berechtigter ein, dann fällt nach drei Jahren alles an den König. Aber Brahmanenhabe muß er Brahmanen schenken. Vgl. abrāhmaṇasya in B. I, 10, 16. Gemäß N. III, 16–18 muß er die Hinterlassenschaft eines in seinem Lande reisenden Kaufmanns, d.h. besonders seine Waren, oder in bestimmten Fällen den Erlös daraus, zehn Jahre lang für Verwandte oder sonstige Erben des Verstorbenen aufheben. Dann erst darf er sich das herrenlose Gut zueignen. Keine Frist nennt der zusammendrängende Y. (II, 264).

Quelle:
Das altindische Buch vom Welt- und Staatsleben. Das Arthaçāstra des Kauṭilya. Leipzig 1926, S. 229-236.
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