2. Wie man die Regierung eines Landes kennenlernt

[136] Meister Kung sprach: »Wenn man in ein Land kommt, kann man merken, welche Lehren der Fürst befolgt. Ist er mild, sanft, einfach und freigebig, so befolgt er die Lehren des Buches der Lieder. Ist er von durchdringendem Verstand und weitblickend, so befolgt er die Lehren des Buches der Urkunden. Ist er großzügig, weitherzig, einfach und[136] echt, so befolgt er die Lehren des Buches der Musik. Ist er rein und still, fein und tiefsinnig, so befolgt er die Lehren des Buches der Wandlungen. Ist er ernst, sparsam, würdig und ehrfurchtsvoll, so befolgt er die Lehren des Buches der Sitte. Sind Worte und Taten im Einklang, so befolgt er die Lehren des Buches von Frühling und Herbst.

Mißverstandener Gebrauch der Lieder führt zur Torheit, mißverstandener Gebrauch der Urkunden zu Hinterlist, mißverstandener Gebrauch der Musik zu Verschwendung, mißverstandener Gebrauch der Wandlungen zu Gewaltsamkeit, mißverstandener Gebrauch der Sitte zu Formenkram, mißverstandener Gebrauch von Frühling und Herbst zu Verwirrung.

Wer milde und sanft, einfach und freigebig ist, ohne töricht zu sein, der ist tief eingedrungen in den Sinn der Lieder. Wer durchdringenden Verstand besitzt und Weitblick ohne Hinterlist, der ist tief eingedrungen in den Sinn der Urkunden. Wer großzügig, weitherzig, einfach und echt ist, ohne verschwenderisch zu sein, der ist tief eingedrungen in den Sinn der Musik. Wer rein und still, fein und tief ist, ohne gewalttätig zu sein, der ist tief eingedrungen in den Sinn der Wandlungen. Wer ernst, sparsam, würdig und ehrfürchtig ist, ohne umständlichen Formenkram, der ist tief eingedrungen in den Sinn der Sitte. Wer Übereinstimmung erzielt in Worten und Taten und Verwirrung vermeidet, der ist tief eingedrungen in den Sinn von Frühling und Herbst.

Der Himmel hat die vier Jahreszeiten, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, er hat Wind und Regen, Reif und Tau. Das alles sind seine Lehren. Die Erde hegt göttliche Kräfte, sie sendet Donner und Blitz aus und nimmt sie wieder in sich ein; aller Dinge Formen sind in fließender Entwicklung. Das alles sind ihre Lehren. Wer klar und licht ist in seinem Innern, wessen Geist und Kraft den Göttern nahesteht, der wird, wenn ein Ereignis sich naht, die Anzeichen davon zum voraus erkennen. So vereinigen sich die Lehren[137] von Himmel und Erde mit denen der Heiligen zu einer Dreifaltigkeit.

Im Buch der Lieder heißt es darüber:


Vom aufgetürmten Hochgebirge

Der First sich bis zum Himmel spannt.

Stieg einst ein hehrer Geist herab,

Der Fu und Schen das Leben gab.

Die beiden Männer Schen und Fu

Sind starke Pfeiler nun von Dschou.

Sie schützen ringsum alle Länder

Und sind des Weltreichs Segenspender5.


Daß diese beiden Männer erstanden, war die Nachwirkung der Geistesmacht der Könige Wen und Wu. Und wiederum heißt es:


Deine Herrschertugend zeige,

Daß sich alles Land ihr neige6.


Das war die Nachwirkung der Geistermacht des Großen Königs.

Die Könige der drei Dynastien machten erst ihren Namen berühmt, wie es im Liede heißt:


Der Himmelssohn so hoch erleuchtet

Mög seinen Namen ewig machen7.


So war die Geistesmacht der Fürsten der drei Dynastien.«

5

Schï Ging 259,1; Strauß S. 446.

6

Schï Ging 262, 6; Strauß S. 456.

7

Schï Ging ebd.

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 136-138.
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