1. Kapitel
Der mittlere Wintermonat / Dschung Dung

[130] Im mittleren Wintermonat steht die Sonne im Sternbild Dou1. Zur Zeit der Abenddämmerung kulminiert das Sternbild Dung Bi. Zur Zeit der Morgendämmerung kulminiert das Sternbild Dschen. Seine Tage sind Jen und Gui. Sein göttlicher Herrscher ist Dschuan Hü. Sein Schutzgeist ist Hüan Ming. Seine Tiere sind die Schaltiere. Seine Note ist Yü. Seine Tonart ist Huang Dschung. Seine Zahl ist sechs. Sein Geschmack ist salzig. Sein Geruch ist faulig. Man opfert dem Weggeist. Unter den Opfergaben stehen die Nieren obenan.

Das Eis wird immer dicker. Die Erde beginnt zu bersten. Der Morgenvogel singt nicht mehr. Die Tiger beginnen sich zu gatten.

Der Himmelssohn weilt in der Hüan-Tang-Halle im mittleren Raum2. Er fährt im dunkeln Wagen, an dem eisengraue Pferde angespannt sind. Es werden schwarze Flaggen aufgesteckt. Man kleidet sich in schwarze Kleider und trägt dunkeln Nephrit. Man ißt Hirse und Schweinefleisch. Die Geräte sind groß und tief.

Die Beamten erhalten den Befehl: Erdarbeiten sollen nicht getan werden; die Vorräte, die zugedeckt und verschlossen sind, sollen nicht aufgedeckt werden; große Menschenmassen sollen nicht versammelt werden, um dem Gesetz, nach dem im Winter alles fest und verschlossen ist, zu gehorchen. Wollte man Vergrabenes und Verschlossenes aufdecken und große Menschenmassen versammeln, so würde sich die Kraft der Erde zerstreuen3. Das hieße das Haus des Himmels und der Erde gewaltsam öffnen. Die Winterschläfer würden dann sterben, die Menschen würden von schweren Seuchen heimgesucht werden und es würde große Trauer folgen.

Der Monat heißt der Monat der Ruhe.

In diesem Monat erhält der oberste der Eunuchen den Befehl, aufs neue die Ordnung des Palastes bekannt zu geben, zu wachen[130] über die Tore und Durchgänge, sein Augenmerk zu richten auf die Zimmer und Gemächer, daß alles fest verschlossen ist, zu prüfen die Angelegenheiten der Frauen, daß sich keine dem Luxus hingibt. Auch die höchststehenden und dem Kaiser nächststehenden unterstehen diesen Verboten.

Darauf erhält der Großmundschenk den Befehl, daß Korn und Reis bereit sei, Hefe und Malz zeitig, daß alles reinlich gekocht und angesetzt, daß das benützte Wasser rein von Geruch, die Tongefäße gut gebrannt seien und das Feuer die richtige Hitze habe. Diese sechs Dinge muß der Mundschenk überwachen, daß keine Fehler vorkommen.

Der Himmelssohn erteilt darauf den Beamten den Befehl, Gebete und Opfer darzubringen für die Geister der vier Meere, der großen Ströme, der berühmten Quellen, der tiefen Seen, Sümpfe und Brunnen.

Wenn in diesem Monat ein Bauer etwas noch nicht abgeerntet und in die Scheune gesammelt hat, wenn man Rinder, Pferde und andere Haustiere frei umherlaufen läßt, so wird derjenige, der sich in Besitz solcher Dinge setzt, nicht bestraft.

In den Wäldern, Sümpfen und Seen erhalten diejenigen, welche Kräuter sammeln können und Vögel und Tiere jagen können, vom Forstmeister die Anleitung dazu, Wilddieberei und Forstfrevel werden unnachsichtlich bestraft.

In diesem Monat ist der kürzeste Tag. Die Kraft des Dunkeln und Lichten streiten miteinander, und alle Lebewesen beginnen sich zu regen. Der Gebildete ist mäßig und fastet. Er weilt im Innern des Hauses, er hält sich ruhig, entfernt Töne und Farben, beherrscht Lüste und Begierden und festigt seine Natur. Er wünscht, daß alle Dinge in Ruhe bleiben, bis die Kraft des Lichten und des Dunkeln wieder in fester Ordnung ist.

Die Absinthpflanze beginnt zu wachsen, der Besenstrauch reckt sich aus der Erde hervor, der Regenwurm ist aufgerollt, die Hirsche werfen ihre Geweihe ab, die Wasserquellen regen sich.

Ist der kürzeste Tag herbeigekommen, so fällt man Bäume und schneidet Bambus zu Pfeilen. In diesem Monat kann man Amtsstellen,[131] die nichts zu tun haben, abbauen und die unbrauchbaren Geräte entfernen. Man verputzt die Palasttore, Höfe, Türen und Eingänge. Man repariert die Gefängnisse, um auf diese Weise dem Geist des Schließens und Bergens von Himmel und Erde zu entsprechen.

Wenn im mittleren Wintermonat die für den Sommer gültigen Ordnungen befolgt würden, so würde Dürre im Lande herrschen. Dicke Nebel würden alles verfinstern und der Donner würde sich hören lassen. Wenn die für den Herbst gültigen Ordnungen befolgt würden, so würden Graupen fallen, die Gurken und Melonen würden nicht reif werden und große Kriege würden den Staat verwüsten. Wenn die für den Frühling gültigen Ordnungen befolgt würden, so würden Heuschreckenplagen entstehen, die Wasserquellen würden versiegen und die Menschen würden unter Krankheit und Aussatz zu leiden haben.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 130-132.
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