4. Kapitel
Nicht selbermachen / Wu Gung

[273] Wenn eines Menschen Gesinnung nur wirklich gut ist, so mag er Herrscher sein, auch wenn er nichts weiß. So spricht Meister Li11: »Hunde sind nötig um Hasen zu jagen. Wenn aber die Hasen selber zu Hunden werden, so gibt es keine Hasen mehr12.« Mit einem Fürsten, der sein eigener Minister zu sein pflegt, verhält es sich ähnlich. Denn wenn einen Fürsten seine Beamten beeinträchtigen, so kommt es immer vor, daß andere sie daran verhindern. Wenn aber ein Fürst sich selbst beeinträchtigt, so wagt ihn niemand daran zu verhindern. Darum ist der Gipfel der Beeinträchtigung für einen Fürsten, wenn er seinen eigenen Beamten spielt. Einen Kehrbesen, den man täglich gebraucht, bewahrt man nicht in einem Kasten auf. Darum: Gebrauch nützt ab, Unruhe macht trübe, Geschäftigkeit macht müde. Abnützung, Trübe, Müdigkeit, diese drei Dinge sind nichts für einen Fürsten.

Da Yau erfand den sechzigjährigen Jahreszyklus. Kiän Ju erfand die Ziffern. Yung Tschong erfand die Zeitrechnung. Hi Ho erfand die Berechnung des Tages, Schang I die Berechnung des Monats, Hou I die Berechnung des Jahrs. Hu Tsau erfand die Kleider, I I erfand den Bogen, Dschu Yung erfand die Märkte (Warenaustausch), I Di erfand den Wein. Gau Yüan erfand den Hausbau, Yü Sü erfand das Schiff, Bo I erfand die Brunnen, Tschï Ki erfand den Mörser, Tschong Ya erfand die Bändigung der Pferde, Han Ai erfand das Wagenfahren, Wang Bing erfand die Zähmung des Rindes, Schï Huang erfand das Zeichnen, Wu Pong erfand die Heilkunst, Wu Hiän erfand das Orakel13.

Mit Hilfe dieser zwanzig Beamten ordneten die Heiligen die Welt. Die heiligen Könige verstanden nicht die Arbeiten dieser zwanzig Beamten, aber sie veranlaßten, daß diese zwanzig Beamten[273] ihre ganze Geschicklichkeit erschöpften und ihre Fähigkeiten ausnützten, weil die heiligen Könige über ihnen standen. Was die heiligen Könige nicht selbst konnten, dafür hatten sie ihre Leute, die es konnten. Was sie nicht selbst wußten, dafür hatten sie ihre Leute, die es wußten. Sie pflegten ihren Geist, bildeten ihren Charakter und so bekamen sie schöpferische Kräfte. Wozu brauchten sie durchaus ihren Leib zu bemühen und ihre Augen und Ohren abzunützen? Darum war die Tugend der heiligen Könige so strahlend wie die Sonne, wenn sie eben aufgegangen ist und alle sechs Weltgegenden erleuchtet, und doch blieben sie ungebeugt und unerschöpft Sie leuchteten wie der Sonne Schein, die alle Wesen verwandelt, und es gab nichts Unmögliches für sie. Ihr Geist war in Berührung mit dem einen großen Leben, durch nichts wurden sie gebeugt, und ihre Gedanken wurden durch nichts beschränkt. Ihre Seele pflegte Verkehr mit Göttern und Geistern, so fein und geheimnisvoll, daß niemand ihre Gestalt zu sehen vermochte. So saßen sie mit dem Gesicht nach Süden auf ihrem Herrscherthron, und alle Verkehrtheiten besserten sich von selbst, und die ganze Welt kehrte zur Natur zurück. Die Menschen freuten sich alle ihres Lebens und pflegten und nährten ihre göttliche Natur und nichts blieb unvollendet.

Darum wer es versteht zu herrschen, der beherrscht die Verhältnisse seiner Natur, und alle Beamten sind in Ordnung, alle Untertanen sind anhänglich, alle Bezeichnungen sind im klaren.

Guan Dsï14 berichtete dem Herzog Huan: »Felder urbar zu machen, Städte groß zu machen, Land zu kultivieren und mit Korn zu bepflanzen, so daß der Boden voll ausgenützt wird, das verstehe ich nicht so gut wie Ning Su. Ich bitte ihn zum Ackerbauminister zu bestellen. In den Formen des Verkehrs, als da sind: auf- und abgehen, höfliche Reden, vorgehen und sich zurückziehen: im Verständnis dieser Dinge bin ich nicht so bewandert wie Schï Pong. Ich bitte ihn zum Zeremonienmeister zu machen. Früh bei Hofe zu sein und spät ihn wieder zu verlassen, des Fürsten Launen zu widerstehen, unter allen Umständen zuverlässig zu mahnen und zu raten, den Tod nicht zu scheuen, Ansehen und[274] Reichtum nicht wichtig zu nehmen: in diesen Dingen bin ich nicht so stark wie Dung Go Ya15. Ich bitte ihn zum Großzensor zu bestellen. Auf großen Ebenen und weiten Flächen es fertig zu bringen, daß die Streitwagen nicht ihre Geleise kreuzen, die Krieger nicht ihre Fersen wenden, die Krieger eines großen Heeres so anzufeuern, daß sie todesmutig in die Schlacht ziehen: darin bin ich nicht so geschickt wie der Prinz Tschong Fu16. Ich bitte, ihn zum Feldmarschall zu ernennen. Prozesse zu entscheiden und das Richtige zu treffen, niemals einen unschuldig zu töten und keinen unverdientermaßen vor Gericht zu stellen: das kann ich nicht so gut wie Hüan Dschang17. Ich bitte, ihn zum Oberrichter zu bestellen. Wenn Eure Hoheit den Staat ordnen und das Militär stark machen wollen, so sind diese fünf Männer genug. Wenn Eure Hoheit außerdem die Hegemonie oder Weltherrschaft erstreben, so bin ich außerdem noch da.«

Der Herzog Huan sprach: »Gut!« Und er setzte die fünf Männer alle in die ihnen entsprechenden Stellen ein und befahl ihnen, daß sie bei Guan Dschung ihre Instruktionen einholen sollten. Daß der Herzog es erreichte, daß er in zehn Jahren neunmal die Lehensfürsten zusammenberufen konnte und die ganze Welt in der Hand hatte, das verdankte er den Fähigkeiten des Guan Dschung und der fünf Männer. Guan Dschung war nur ein Beamter und übernahm dennoch nicht Dinge, die er nicht vollständig beherrschte, sondern bediente sich der sämtlichen Fähigkeiten der fünf Männer. Wieviel mehr muß es erst ein Fürst so machen. Ein Fürst, der weiß, was er können und nicht können muß, den kann man als Herrscher des Volkes gebrauchen. Dann werden geheime, törichte und gefährliche Reden als das anerkannt, was sie sind. Die Beamten und Angestellten erschöpfen im Dienste ihre Kraft und bieten ihr gesamtes Wissen auf. Zur Zeit als die fünf Herren und drei Königsgeschlechter über das Volk herrschten, da taten die Untergebenen auch nichts weiter, als daß sie ihre Kräfte erschöpften und ihr Wissen aufboten. Ein Fürst, der es versteht, sich nichts einzubilden auf seine Fähigkeiten, Mut, Kraft, Wahrheitsliebe und Treue, der kommt diesen Tugenden nahe. Jeder Herrscher, der in stiller Ruhe lebt,[275] auf die umgestaltende Kraft seines Charakters vertraut und sich darauf beschränkt, nur das wichtigste anzuhören, dessen Leben und Geist wird immer mehr zunehmen, Auge und Ohr werden immer schärfer, die Beamten nehmen alle ihre Ämter wichtig, und keiner wagt es, leichtsinnig oder träge zu sein. Jeder tut seine Arbeit, um seinem Titel Ehre zu machen. Wenn so Namen und Wirklichkeit einander entsprechen, so kann man das als Kenntnis der Wahrheit bezeichnen.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 273-276.
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