8. Kapitel
Vorbereitung der Mittel / Gü Be

[314] Wenn Schützen wie Hou I und Pong Mong einen berühmten Bogen von Fang Yüo hätten, aber keine Sehne, so könnten sie nichts treffen. Beim Treffen kommt es nicht nur auf die Sehne an, aber die Sehne ist das Mittel des Bogens. Wenn man ein großes Werk vollbringen will, bedarf man auch eines solchen Mittels. Wenn man das rechte Mittel nicht findet, so mag man tüchtiger sein als Tang und Wu und wird trotz aller Mühe kein Werk zustande bringen. König Tang war beschränkt auf We Bo, König Wu war in dürftiger Lage in Bi Ying. I Yin lebte als Koch26 in der Küche, Tai Gung hatte sich verborgen als Fischer: Nicht weil ihre Tüchtigkeit zu gering war, nicht weil ihre Weisheit zu unbedeutend war, sondern weil sie nicht die Mittel hatten. Darum wer ein großes Werk vollbringen will, der bedarf bei aller Tüchtigkeit der Mittel, um es zustande zu bringen.

Bi Dsï Dsiän sollte den Kreis Tan Fu verwalten. Da er fürchtete,[314] der Fürst von Lu werde auf Verleumder hören, so daß er seine Pläne nicht ausführen könne, bat er bei seinem Abschied um zwei Beamte aus der nächsten Umgebung des Fürsten von Lu. Er ging mit ihnen zusammen nach Tan Fu. Da kamen alle Beamte des Kreises vor ihn. Bi Dsï Dsiän ließ aber die beiden Hofbeamten Schriftstücke ausfertigen. Die beiden waren kaum im Begriff zu schreiben, da stieß Bi Dsï Dsiän von der Seite her an ihren Ellbogen. So schrieben die Beamten ihre Schriftstücke nicht schön. Da wurde Bi Dsï Dsiän noch dazu böse auf sie. Die beiden Beamten waren darüber sehr erbittert und nahmen ihren Abschied und kehrten zurück. Bi Dsï Dsiän sprach: »Ihr habt Eure Arbeiten sehr schlecht geschrieben, macht daß Ihr wieder fortkommt.« Die beiden Beamten kehrten zurück und berichteten dem Fürsten von Lu: »Für Bi Dsï Dsiän kann man keine schriftlichen Arbeiten besorgen.« Der Fürst fragte: »Warum nicht?« Die Beamten sagten: »Bi Dsï Dsiän hieß uns schreiben, dabei stieß er uns dauernd an den Arm und als dann das Geschriebene schlecht wurde, da wurde er noch dazuhin sehr böse, so daß alle seine Beamten ihn verlachten; darum nahmen wir unsern Abschied und gingen weg.«

Der Fürst von Lu seufzte tief und sprach: »Bi Dsï Dsiän hat mir auf diese Weise meine Untüchtigkeit vorgehalten. Ich hinderte den Bi Dsï Dsiän häufig daran, seine Pläne auszuführen. Wenn Ihr beiden nicht gewesen wäret, so hätte ich mich beinahe verfehlt.« Darauf sandte er eine nahestehende Person nach Tan Fu und ließ dem Bi Dsï Dsiän sagen: »Von nun an betrachte ich Tan Fu nicht mehr als meinen Besitz, sondern als Euren Besitz. Wenn etwas im Interesse von Tan Fu liegt, so führt es unter allen Umständen durch. Alle fünf Jahre stattet mir über die wichtigsten Vorfälle Bericht.« Bi Dsï Dsiän erklärte ehrerbietig sein Einverständnis und konnte von da an seine Pläne in Tan Fu durchführen.

Nach drei Jahren kam Wu Ma Ki in kurzem härenem Gewand und zerrissenem Pelz nach Tan Fu, um die Verhältnisse dort zu beobachten. Da sah er einen, der bei Nacht Fische fing. Er fing einen Fisch und ließ ihn wieder schwimmen. Wu Ma Ki fragte ihn: »Man fischt doch, um Fische zu bekommen. Weshalb lässest du[315] denn den Fisch, den du gefangen hast, wieder schwimmen?« Jener erwiderte: »Der Herr Bi wünscht nicht, daß man kleine Fische fängt. Der Fisch, den ich schwimmen ließ, war noch zu klein.« Wu Ma Ki kehrte zurück und sagte zu Meister Kung: »Die Tugend von Bi Dsï Dsiän ist sehr groß. Er hat es fertig gebracht, daß die Leute im Dunkeln sich benehmen, als stünde die strengste Strafe ihnen drohend vor Augen. Darf ich fragen, wodurch es Bi Dsï Dsiän so weit gebracht hat?« Meister Kung sprach: »Ich habe ihm gesagt, was im eigenen Ich wahr ist, das wirkt auf die Ferne. Bi Dsï Dsiän führt sicher dieses System in Tan Fu durch. Daß Bi Dsï Dsiän es fertig gebracht hat, dieses System durchzuführen, kommt davon her, daß der Fürst von Lu so lange mit ihm zugewartet hat, bis er es fertig gebracht hat. Daß der Fürst von Lu ihm so lange Zeit ließ, bis er es fertig gebracht hatte, kommt davon her, daß Bi Dsï Dsiän erst seine Vorbereitungen getroffen hatte. Aber wenn man auch seine Vorkehrungen trifft, so ist man des Gelingens doch keineswegs unter allen Umständen sicher. Es liegt an der Tüchtigkeit des Fürsten von Lu. Ein drei Monate altes Kind weiß, wenn Prachtwagen und Kronen vor ihm sind, nicht, daß das etwas Begehrenswertes ist, oder wenn Beile und Äxte ihm von hinten drohen, daß das etwas Gefährliches ist. Aber die Liebe seiner Mutter versteht es; denn sie ist wirklich echt. Darum, wenn die Wahrheit wirklich wahr ist, so ist sie in Übereinstimmung mit den Verhältnissen aller Wesen. Wenn der Verstand wirklich verständig ist, so durchdringt er den Himmel. Selbst das Wesen des Holzes und Steines läßt sich bewegen, wieviel mehr Wesen von Fleisch und Blut! Darum ist von allen Mitteln, Ordnung zu schaffen, keines so wirksam wie die Wahrheit. Die Trauer eines Menschen läßt sich besser aus seinen Tränen erschließen als aus seinen Worten. Der Zorn eines Menschen läßt sich besser aus seinen Kämpfen erschließen als aus seinen Worten. Wer über Ordnung redet und nicht wahr ist, der vermag die Menschenherzen nicht geistig zu bewegen.«

Fußnoten

1 Derselbe wie König Hui von Liang bei Mong Dsï I A 1.


2 Hier soviel wie Dschau.


3 Textänderung vgl. Dschu Dsï Ping I.


4 Tschong war der Sohn des Begründers der Dschou-Dynastie, des Königs Wu. Er kam unmündig auf den Thron und Wus Bruder, der Herzog von Dschou, führte die Regentschaft. Tang Schu Yü war der Bruder des Königs Tschong.


5 Vgl. Schuo Yüan 1.


6 Dieselbe Geschichte wird in Sin Sü Dsa Schï von Schï King Gu erzählt und in Gi Dschuan von Schun Yü Kun gegenüber von König We von Tsi.


7 Schï Ging, We Fang. In etwas anderem Sinn.


8 Der Vater Pis hatte sich aus seiner Heimat Dsin nach Tschu geflüchtet, Pi war von Tschu nach Wu gegangen, wo er Großkanzler wurde. (Vgl. Husai in 2. Sam. 15.)


9 Vgl. Liä Dsï II, 11.


10 Vgl. Han Schï Wai Dschuan 4 b. Schuo Yüan Dschï Wu 15.


11 In Han Schï Wai Dschuan und Schuo Yüan ist die Rede davon, daß der Rat sich auf den Aufstand der Brüder Dans, Tsai und Guan, bezogen habe. Hier ist es als eine Unterredung vor dem Sturze Dschou Sins gedacht.


12 Vgl. Dschuang Dsï XXI, 2, Schluß, wo jedoch unten statt Dsï Gung Dsï Lu genannt ist.


13 Vgl. Liä Dsï VIII, 11. Huai Nan Dsï 12.


14 Es war König Ging. Da König Ging und Herzog Siang nicht zur selben Zeit lebten, so liegt ein Anachronismus vor. Es muß sich wohl um den Herzog Ging von Dsin handeln.


15 In Wirklichkeit waren Dong Si und Dsï Tschan nicht Zeitgenossen. Der letztere wurde 20 Jahre nach dem Tode Dsï Tschans von Dschong Sï Dschuan hingerichtet. Ding Gung 9. Jahr. Vgl. Liä Dsï, wo sie auch als Zeitgenossen auftreten.


16 Die eine Erklärung ist, daß dadurch das Volk belehrt werden sollte, daß allzu große Geschicklichkeit vom Übel sei. Die andere Erklärung besagt, daß der Dreifuß von Dschou so kunstvoll war, daß Tschui (der chinesische Dädalus zur Zeit Schuns), wenn er ihn gesehen hätte, sich vor Scham den Finger abgebissen hätte. Vgl. Huai Nan Dsï 8 und 12.


17 Dschau Hui Wang.


18 Kung Tsung Dsï, 2 Ohren äußerlich und eines, das innerlich das Hören vermittelt.


19 Dieser Abschnitt ist gänzlich unverständlich.


20 Hui Dsï erhielt den Titel Dschung Fu, den einst Guan Dschung geführt hatte.


21 Sï Ma Hi, Kanzler von Dschau, der zeitweise an dem Hofe von Dschung Schan weilte.


22 Lu Yüo war aus Tsin, Dschou Po aus Dschau.


23 Mong Ang ist wohl Schreibfehler für Mong Man oder Mong Mang.


24 Ki Gia ist wahrscheinlich Schreibfehler für Sü Gia.


25 König Dschau Siang.


26 Vgl. Gia Yü 37, 3; Sin Sü 2; Huai Nan Dsï 12.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 314-316.
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