1. Kapitel
Abhandlung über den Frühlingsanfang / Kai Tschun Lun

[373] Wenn der Frühling wiederkehrt, so läßt sich der Donner hören, und die Winterschläfer regen sich. Wenn der Frühregen fällt, so wachsen Kräuter und Bäume. Wenn Essen, Trinken und Wohnung geeignet sind, so sind die neun Körperöffnungen, die hundert Gelenke und tausend Adern alle frei und gesund. Wenn ein König sein Wesen reich macht und alles Gute um sich sammelt, so kommen Phönixe und Heilige alle zu ihm. Der Graf Ho von Gung1 bildete seinen Wandel, er liebte die Weisen und Guten, und alle innerhalb der vier Meere kamen herbei unter seinen Schutz. Zur Zeit des Königs Li von Dschou stand der Thron des Weltherrschers leer und doch kam die ganze Welt noch herbei und erkannte die Dynastie an.

Von hier aus zeigt sich, daß die Dinge gewisse Beziehungen zueinander haben. Darum heißt es: Wenn man zu handeln versteht, wird man etwas zustande bringen. Mit einem guten Redner verhält es sich ebenso. Wenn all seine Worte der Vernunft entsprechen, so werden Gewinn und Verlust, Nutzen und Schaden bestimmt; das ist nicht die Ansicht eines Einzelmenschen.

Der König Hui von Liang We war gestorben, und es war bereits ein Tag für die Beerdigung festgesetzt. Da schneite es sehr, so daß der Schnee den Rindern bis an die Augen ging. Die Beamten erhoben Vorstellungen dem Thronfolger gegenüber und sprachen: »Wenn man bei solch tiefem Schnee die Bestattung vornimmt, so werden die Leute überanstrengt und außerdem werden die öffentlichen Kassen für die Ausgaben kaum ausreichen. Wir bitten, einen späteren Termin zu bestimmen.«

Der Thronfolger sprach: »Wenn ein Sohn, um der Mühsal des Volkes oder der Ausgaben aus den öffentlichen Kassen willen die[373] Bestattung seines verstorbenen Vaters nicht ausführen wollte, so würde er seine Pflicht verletzen. Redet also nicht mehr davon.« Darauf wagte von den Beamten keiner einen Einwand geltend zu machen. Man wandte sich darauf an den Staatsminister2. Der Staatsminister sprach: »Ich weiß noch nicht, wie ich zu ihm reden soll. Vielleicht versteht es Hui Schï.« Darauf legte er die Sache dem Hui Schï vor. Hui Schï sagte zu. Er spannte an, trat vor den Thronfolger und sprach: »Die Bestattung ist schon festgesetzt?« Der Thronfolger bejahte. Hui Schï sprach: »Einst wurde der König Gi Li3 am Ende des Berges Wo bestattet. Da spülte das Luan-Wasser sein Grab auf, so daß man die Vorderinschrift des Sarges sehen konnte. König Wen sprach: »Ach mein verewigter Vater will sicher einmal wieder die Beamten und Untertanen sehen. Darum hat der Himmel durch das Luan-Wasser ihm den Anblick verschafft.« Darauf ließ er ihn ausgraben und im Schlosse aufbahren. Und alle Untertanen sahen ihn. Nach drei Tagen erst ließ er ihn wieder bestatten. So tat König Wen seine Pflicht. Nun ist die Zeit für die Bestattung Eures Vaters schon festgesetzt, und da kommt ein Schnee, der den Rindern bis an die Augen geht, so daß man sie schwer ausführen kann. Ihr aber, um den Tag nicht zu versäumen, scheut Euch nicht, die Bestattung zu überhasten? Ich bitte, daß Ihr einen andern Tag festsetzt. Euer Vater will sicher noch ein wenig warten; um die Geister des Bodens zu beruhigen und dem Volke Ruhe zu gönnen, darum ließ er einen so tiefen Schnee fallen. Wenn Ihr aus diesem Anlaß die Frist verlängert, so ahmt Ihr die Pflichttreue des Königs Wen nach. Wenn Ihr es nicht tut, so scheint es, als schämtet Ihr Euch, dem König Wen nachzuahmen.«

Der Thronfolger sprach: »Sehr gut. Ich will ehrfurchtsvoll einen andern Tag für die Bestattung festsetzen.«

Hui Schï hat keine leeren Worte gemacht und hat es außerdem bewirkt, daß der Thronfolger von We die Bestattung seines Vaters nicht übereilte, indem er aus diesem Anlaß die Pflichttreue des Königs Wen besprach. Die Pflichttreue des Königs Wen der Welt vor Augen zu führen, ist wahrlich kein kleines Verdienst.

Das Haus Han befestigte seine neue Hauptstadt und hatte fünfzehn[374] Tage festgesetzt als Termin für die Vollendung. Duan Kiau war der Aufsichtsbeamte. Eine Abteilung brauchte zwei Tage zu lang. Duan Kiau ließ den Beamten festnehmen und einsperren. Der Sohn des Gefangenen ging hin und sagte es dem Grenzbeamten Dsï Gau und sprach: »Nur Ihr seid imstande, meinen Vater vom Tode zu retten. Ich möchte Euch die Sache anvertrauen.« Der Grenzbeamte Dsï Gau sagte zu und besuchte den Duan Kiau. Er stützte sich und stieg mit ihm auf die Stadtmauer. Der Grenzbeamte Dsï Gau blickte sich rechts und links um, dann sprach er: »Das ist eine schöne Stadtmauer, wahrlich ein großes Werk. Dafür wirst Du sicher reich belohnt werden. Seit uralten Zeiten ist es noch nicht vorgekommen, daß ein solch großes Werk vollendet wurde, ohne daß man jemand zu bestrafen hatte.«

Darauf ging der Grenzbeamte Dsï Gau wieder weg. Duan Kiau sandte in derselben Nacht jemand hin, der dem gefangenen Beamten die Fesseln löste und ihn frei ließ.

Darum heißt es: Der Grenzbeamte Dsï Gau hat für ihn ein gutes Wort eingelegt, und zwar hat er es getan, ohne zu verraten, was er im Sinn hatte. Duan Kiau hat auf ihn gehört und dementsprechend gehandelt, und zwar hat er auch gehandelt, ohne zu verraten, was er tat. So geheimnisvoll wirkte der Rat auf die Tat. Von dem Grenzbeamten Dsï Gau kann man sagen, daß er gut zu reden verstand.

Der Bruder des Schu Hiang, Yang Schä Hu, war mit Luan Ying befreundet. Luan Ying zog sich den Unwillen des Fürsten von Dsin zu. Und der Herr von Dsin tötete auch den Yang Schä Hu mit ihm zusammen, und auch Schu Hiang wurde zur Sklaverei und Fesselung verurteilt.

Ki Hi sprach: »Es heißt, wenn ein Gemeiner in der Macht ist, so ist es unheilvoll, ihm nicht entgegenzutreten. Wenn ein Edler in Not ist, so ist es unheilvoll, ihn nicht zu retten.« So ging er hin, besuchte den Fan Süan Dsï, redete ihm zu, gab ihm einen Rat. Er sprach: »Es heißt, wer sich auf die Regierung eines Staates versteht, der geht in seinen Belohnungen nicht zu weit und ist in seinen Strafen nicht lässig. Wenn man mit den Belohnungen zu freigebig ist, so ist zu fürchten, daß auch Schlechte etwas abbekommen.[375] Wenn man in den Strafen zu lässig ist, so ist zu fürchten, daß auch Edle davon betroffen werden. Wenn man unglücklicherweise einen Fehler machen muß, so ist es immer noch besser, daß Belohnungen Unwürdigen zuteil werden, als daß ein Edler in Strafen verwickelt wird. So hat Yau die Strafen gehandhabt: er ließ den Gun durch Schun hinrichten und stellte dennoch dessen Sohn Yü an. So handhabte die Dschou-Dynastie ihre Strafen: Guan Schu und Tsai Schu wurden hingerichtet, während ihr Bruder Dschou Gung als Kanzler angestellt wurde: Das heißt nicht lässig sein im Strafen.«

Darauf ließ Fan Süan Dsï durch einen Gefängniswärter den Schu Hiang befreien.

Wenn man andere retten will, so kann man, trotzdem man sich Gefahren aussetzt und selbst Beschämung und Belästigung nicht vermeidet, doch oft nichts ausrichten. Ki Hi redete von den Tugenden der alten weisen Könige und Schu Hiang wurde deshalb frei; da zeigt sich, wie unentbehrlich Kenntnisse sind. Und es geht gar oft so.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 373-376.
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