4. Kapitel
Handlungen wider die Vernunft / Go Li

[409] Die Fürsten, die ihr Reich verlieren, verlieren es alle auf dieselbe Weise. Obwohl die Zeiten verschieden sind, obwohl ihre Handlungen sich unterscheiden, der Grund, aus dem sie ihr Reich verlieren, ist derselbe: daß ihre Vergnügungen nicht dem Rechten entsprechen. Wenn die Vergnügungen nicht dem Rechten entsprechen, vermag man sein Reich nicht zu behalten.

Dschou Sin hatte Berge von Hefe, Seen von Wein, Haine von Fleisch und die glühende Kupferstange, durch die die Menschen getötet wurden; er hatte einen geschnitzten Pfosten, an dem er die Lehnsfürsten wie an einem Ziehbrunnen ins Wasser ließ: Das war nicht recht. Er tötete die Tochter des Fürsten von Gui und nahm ihr Armband, er ließ die Schienbeine der beiden Männer, die durchs Wasser gingen, aufhacken, um ihr Mark zu sehen2. Er tötete den Grafen von Ne und sandte sein zerhacktes Fleisch an den König Wen: Das war nicht recht.

Der König Wen nahm es scheinbar an, aber er klagte es den Lehnsfürsten. Dschou Sin machte ein Haus aus Edelsteinen und baute den hundert Morgen großen Palast, er ließ schwangere Frauen aufschlitzen, um ihre Leibesfrucht zu sehen, er tötete den Bi Gan, um sein Herz zu sehen: Das war nicht recht.

Kung Dsï hörte es und sprach: »Wenn Dschou Sin auch nur eine Öffnung in seinem Herzen gehabt hätte, so wäre Bi Gan nicht gestorben.«

Das waren die Gründe, warum Hia und Schang untergingen. Der Herzog Ling von Dsin war ohne Zucht. Er schoß von oben nach den Leuten, um zu sehen, wie sie den Kugeln auswichen. Er befahl seinem Koch, Bärentatzen zu kochen. Da sie nicht gar waren, tötete er ihn. Dann hieß er durch seine Sklavinnen seinen zerhackten Leichnam im Hof herumtragen, um Schrecken zu verbreiten: Das war nicht recht. Dschau Dun eilte herbei und erhob Einsprache, aber wurde nicht gehört. Der Herzog ward zornig auf ihn und wollte ihn durch Dsu Ni töten lassen. Dsu Ni sah ihn und brachte es nicht über sich ihn zu töten und sprach: »Ich habe es nicht vergessen,[410] die Führer des Volkes zu ehren. Die Führer des Volkes zu töten ist nicht loyal, des Fürsten Befehl zu mißachten ist nicht treu, besser als einen dieser Fehler zu begehen ist es, zu sterben.« Damit rannte er mit dem Kopf gegen einen Sophorabaum im Hof und tötete sich.

König Min von Tsi hatte sein Land verloren und weilte in We. Da sprach er zu Gung Yü Dan: »Welche Art von Fürst bin ich?« Yü Dan sprach: »Ihr seid ein weiser Herrscher. Ich habe gehört, daß es im Altertum Leute gab, die auf die Weltherrschaft verzichteten, ohne sich irgendwelchen Unwillen merken zu lassen. Bisher habe ich es nur vom Hörensagen gewußt, nun sehe ich es an Euch tatsächlich vor mir. Ihr hattet den Titel des Kaisers des Ostens, Ihr hattet die Herrschaft über die Welt. Nun habt Ihr Euer Land verloren und weilt in We und dennoch seid Ihr wohl von Aussehn, und Eure Mienen strahlen. Das zeigt, daß Ihr das Reich nicht wichtig nehmt.«

Der König sprach: »Sehr gut! Du kennst mich! Seit ich mein Land verloren habe und in We bin, mußte ich meinen Gürtel dreimal weitermachen.«

Der König Kang von Sung erbaute einen hohen Turm. Er ließ Blut in einem Ledersack daran aufhängen. Er schoß danach in Helm und Panzer von unten, bis das Blut auf die Erde herunterfloß. (Das nannte er Gott schießen.) Seine Umgebung beglückwünschte ihn und sprach: »Des Königs Tüchtigkeit ist größer als die der Könige Tang und Wu. Tang und Wu haben nur Menschen besiegt, der König hat Gott besiegt, darüber hinaus gibt es nichts Größeres mehr.« Der König von Sung war darüber hoch erfreut. Er trank Wein in seinem Gemach, und man rief: »Heil zehntausend Jahre dem König!« Im Saal stimmten alle mit ein. Da im Saale alle einstimmten, stimmten auch im Hofe alle ein. Und als die Leute vor dem Tore im äußeren Hof es hörten, wagten sie nicht, nicht mit einzustimmen: Das war nicht recht.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 409-411.
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