Soziologisches[23] 1

Von Dozent Dr. jur. Harald Gutherz, Tsingtau


Wer Laotses Worte zum ersten Mal vernommen hat, dem klingt wohl noch lange ein sonderbarer Imperativ in den Ohren nach, mit dem er nichts Rechtes anzufangen weiß, und der ihm doch bald tief im Ernst, bald tiefer noch im Spott begründet worden war. »Handle nicht!« Was soll man damit machen? Soll das der Obersatz zu einer Ethik sein, die für das Wollen schöne Ziele stellen soll? Es wäre doch wahrlich eine unerhörte Verschwendung, wenn man sein Leben darauf verwenden wollte, zu wollen, daß man nicht handelt. Das Leben selbst wird aber von Laotse gar nicht verneint. Im Gegenteil: Das All wird in Himmel. Erde und Menschen aufgeteilt, in diesem All soll Ordnung herrschen, alles soll zum Rechten kommen, das Handeln wird sogar gerade deshalb verworfen, weil es zugrunde richtet (29). Und sogar die Leute, die sonst wohl Verbrecher genannt werden, diese sonderbaren Leute, die Wunderliches tun, auch die soll man nicht zum Tode befördern (74), denn was ist schließlich auch zwischen gut und böse für ein Unterschied (20), da man ja die Pflicht selbst ruhig wegwerfen kann (19). Das ist wahrlich nicht die Sprache eines Lebensverächters, der den Tod etwa als höchstes Ziel ansieht. Entwirft doch Laotse im 80. Abschnitt des Taoteking noch dazu ein Lebensbild, das auch den allerärgsten Gourmand anlocken könnte, und das echt chinesischer Lebensfreude einen reizend überzeugten Ausdruck gibt!

Nein, man ist durchaus auf falscher Fährte, wenn man Laotse als Lebensverneiner auffaßt. Er steht weder auf dem Standpunkt derer, die das höchste Glück im Tode sehen und etwa den Tod deshalb erstreben, noch aber auf dem Standpunkt derer, die mit dem Glück nichts zu tun haben wollen. Wir können ihm nur nahekommen, wenn wir ihn seinem ungeheuer bezeichnenden Namen entsprechend als den guten Alten, besser vielleicht noch als den klugen Alten auffassen, der viel gesehen und wohl noch mehr gedacht hat, bei dem man sich in allen menschlichen Angelegenheiten Trost und Rat suchen kann, und der dem Jünger etwa auch erklären mag, aus welchem Grund dem Weiblichen in dieser Welt der Sieg beschieden ist (61). Freilich ist der Alte manchmal verschrullt – das kommt vom vielen Denken – aber nimmt man ihn schon, wie er ist, so gehört er noch durchaus in jene wohl unerreicht schöne Zeit chinesischen Altertums, in der man ohne die Qualen[24] hochgezüchteter Zivilisation in milden, feinen Sitten sich seines Lebens freute und auch in weitem Umkreis alle anderen sich ihres Lebens freuen ließ. Es lag nichts Heldenhaftes in diesem Leben, dafür aber die Größe, die dem Gleichgewichte zwischen Bedürfnissen und Gütern entspringt, und jene sonnige Ruhe, in der Musik, Dichtung und Malerei dem frohen Herzen frohen Ausdruck geben. Gewiß war die Zeit, in der Laotse lebte, von solchem Höhepunkt schon abgerückt, und während einerseits das gerühmte Gleichgewicht und mit ihm die Ruhe ins Wanken gekommen war, wirkte die ihrer rechten Heimat beraubte Kunst anstachelnd auf das unbefriedigte Begehren. Gewiß mag der kluge Alte da manchmal gegen die Lust gewettert haben, die über sich selbst hinaus zur Unlust führt. Das gibt uns aber noch kein Recht, in ihm etwa den bösen Asketen und Sittenprediger zu sehen, der dem herzlichen chinesischen Lachen den Rücken kehrt. Da ist Konfuzius viel eher noch der Strenge. Er engt die freien Lebensäußerungen seiner Landsleute mit allen möglichen Geboten ein, von denen Laotse gar nichts weiß, er trägt auch zur Vielwisserei bei, die von Laotse grundsätzlich abgelehnt wird, und die dann im späteren China sich so sehr verbreitete, daß sie förmlich jede rechte Wissenschaft erstickte. Kung, den man übrigens sicher nicht für alles verantwortlich machen darf, was in China später Schädliches aus der Pflege undurchdachter Kenntnisse und undurchdachter Sittenregeln entstanden ist, Kung ist sicher lebensfremder als Laotse, und ihn wollen wir eher als den sittenstrengen Gelehrten vom Fach ansehen als Laotse, dem wir ruhig trotz aller Mystik, die aus ihm besonders in Späteren hervorwuchs, als gutem, klugen Alten nahen wollen.

Es schien mir durchaus notwendig, vorerst in obiger leichter Form die Grundlage zu einer Stimmung zu geben; denn wir können keinem chinesischen Werke gerecht werden, wenn wir es nur mit den scharfen Werkzeugen unseres westländischen wissenschaftlichen Betriebes bearbeiten. Sind doch selbst die heute an den chinesischen Schulen gelehrten Fächer chinesischen Geisteslebens von den bei uns gelehrten so sehr verschieden, daß es für den chinesischen Unterrichtsbetrieb keine »internationale« Wissenschaft oder Wissenschaft kurzweg gibt, sondern nur chinesische und westländische Wissenschaften! In China ist niemals eine Logik ausgebildet worden, und es ist daher ganz klar, daß in jeglichem chinesischen Geistesprodukt die künstlerischen Motive niemals so sehr zugunsten der logischen Motive ausgeschaltet wurden wie bei uns. Widerspruchslosigkeit ist von solchen Produkten nie in dem Maße zu erwarten wie von solchen »westländischer« Provenienz, und der nachfolgende Versuch, Laotses Gedanken über die menschliche Gesellschaft einleitungsweise begrifflich zu skizzieren, muß daher als ein mit weiten Fehlergrenzen behafteter angesehen werden. Die Lektüre des Originals möge dann berichtigend wirken.[25]

Um nun an unseren Ausgangspunkt zurückzukehren, an das »Handle nicht!«, in dem wir wohl den Schlüssel zu Laotses Gedanken sehen können, sei gleich gesagt, daß dieser als Imperativ gewähnte Ausspruch gar keinen Imperativ darstellt. Das »Handle nicht!« bildet bei Laotse vielmehr regelmäßig den Vordersatz eines hypothetischen Gefüges der Art wie »Wenn man nicht handelt«, und es folgt dann ein mit »so« einzuleitender Satz nach. In diesem Nachsatze wird aber nicht etwa eine Rechtsfolge ausgesprochen oder ein »lobenswert« ausgedrückt, sondern es wird einfach in der Art der Nachsätze von Naturgesetzen die notwendige Folge des hypothetisch vorgesetzten Grundes formuliert. Es handelt sich um verallgemeinerte Erfahrungen auf dem Gebiete gesellschaftlichen Lebens. Das gibt uns Einblick in den Grundcharakter von Laotses Gedanken. Es sind in allererster Linie soziologische Gedanken, das heißt einfach Aufstellungen des notwendigen Zusammenhanges von Ursache und Wirkung im Gebiete der menschlichen Gesellschaft. Ich will durchaus nicht behaupten, daß Laotse sich selbst darüber klar war, insbesondere im Gegensatze zu Kung, wesentlich Soziologe und nicht Ethiker bzw. Politiker zu sein; ich will auch nicht behaupten, daß Laotse den Standpunkt des nicht wertenden Soziologen rein innegehalten habe. Trotzdem scheint mir an Laotse das Streben nach soziologischer Erkenntnis gerade deshalb von allerhöchster Bedeutung, weil sein Milieu zu solchem Streben so wenig taugte, daß auch bis zum heutigen Tage im Chinesischen der Begriff des Naturgesetzes ein Fremdkörper ist. (Dies ist übrigens ein überwältigendes Bild des Primates der Werte!) Was nun die fragliche Voraussetzung des Nichthandelns anbelangt, so mag ihr eigentlicher, mit den Worten durchaus nicht völlig übereinstimmender Sinn aus den Folgen selbst erschlossen werden, die Laotse an sie knüpft. Eine Durchdenkung von Abschnitt 17 mag zu den von Laotse aufgestellten Folgen hinführen. Da heißt es: »Die Werke wurden vollbracht, die Arbeit ward getan. Und die Leute im Volk dachten alle: Wir sind selbständig.« Das ist die Wirkung. Ursache aber ist, daß ein »ganz Großer« herrscht, und als ganz Großer kennen wir den Menschenkönig, den Menschenherrscher, den Berufenen, der den SINN bewahrt und daher nicht handelt, denn der SINN ist ewig ohne Handeln (37). In der schönen Schilderung von Abschnitt 80 haben wir auch nichts anderes zu sehen als eine Beschreibung der Wirkung eines dem SINNE gehorchenden Herrschers als Ursache, und das in die Erläuterungen zu Abschnitt 17 aufgenommene Volkslied aus dem ältesten China zeigt etwa den Ausgangspunkt von Laotses Gedanken über den Berufenen, der wirkt ohne zu handeln. Dementsprechend ist es das Glück, das als Wirkung der Befolgung des SINNES in die menschliche Gesellschaft eindringt, ein Glück, das sich selbst genug ist, und nicht über sich selbst hinaus zum Unfrieden führt, das vielmehr die wahre dauernde Heimat des Menschen darstellt. Wollten wir Laotse[26] als Ethiker auffassen, so wäre er hiernach ein besonnener Hedoniker, und es wäre daher seine Lehre ohne besonderes Interesse, denn derlei hat es zu allen Zeiten genug gegeben, und von der Sorte gibt es auch heute noch mehr als zu viel. Ganz anders steht es, wenn wir in ihm den Soziologen aufdecken. Was den Gegenstand seiner Lehre anbelangt, so ist darin der Gegenstand der Soziologie wiederholt und äußerst bedeutungsvoll aufzufinden. Vielleicht der größere Teil seiner Worte beschäftigt sich nämlich mit der Wirkung eines aus der Gesellschaft herausgehobenen Menschen auf die übrigen Gesellschaftsglieder. Von einem Nichtwirken ist da nirgends die Rede. Es steht vielmehr das Nichthandeln an manchen Stellen in ausgesprochenem Gegensatz zum Nichtwirken, und die Größe des Nichthandelns liegt ja gerade in der Wirkung auf die Gesellschaft. Letzterer Punkt ist auch sehr wichtig, um die Originalität Laotses festzustellen. Das Nichthandeln ist da nicht etwa aus religiösen oder aus individualethischen Rücksichten als Prinzip aufgestellt, es steht vielmehr durchaus in soziologischem Zusammenhange, und darin beruht das völlig Eigenartige der Schöpfung Laotses, das in gar keinem älteren philosophischen System überhaupt wiederzufinden ist. Wollen wir uns aber darüber klar werden, inwiefern das Nichthandeln in der menschlichen Gesellschaft Wirkungen hervorbringen soll, so müssen wir auch gleich zu der tiefsten soziologischen Erkenntnis vordringen, die Laotse eigen ist, und die auch für die moderne Soziologie von grundlegender Bedeutung ist. Man könnte von einem horror vacui der menschlichen Gesellschaft sprechen, wenn man dabei daran denken wollte, daß innerhalb der menschlichen Gesellschaft – neuerlich bildlich ausgedrückt – jeder Platz durch die Expansion des einzelnen so ganz ausgefüllt wird, daß an demselben Platze ein anderer einzelner nur mehr sich selbst einschränkend bestehen kann. Die Begriffspaare: fordern – schulden, nehmen – geben, angreifen – erleiden, befehlen – gehorchen, herrschen – dienen mögen klarmachen, inwiefern in der menschlichen Gesellschaft jeder verfügbare Platz von zwei Menschen immer nur in der Art besetzt werden kann, daß einer aktiv, der andere passiv, daß einer positiv, der andere negativ auftritt, wobei aber an einen konträren und nicht an einen kontradiktorischen Gegensatz gedacht werden darf. Der Grundglaube der sogenannten soziologischen Rechtsschule (Gumplowicz), daß die Gesellschaft in Herrscher und Beherrschte zerfalle, hat die Wahrheit des von Laotse zuerst und wohl bis zum heutigen Tage am entschiedensten vertretenen Satzes zur Voraussetzung, daß jedes gesellschaftliche Verhältnis zwei sich konträr verhaltende Menschen verlange. Nach Erkenntnis dieses einfachen Grundsatzes wird wohl plötzlich der Sinn des mystisch anklingenden Nichthandelns völlig klar. Es ist dabei nicht etwa daran zu denken, daß die Menschheit tatenlos verhungern solle, sondern daran, daß bei genügendem Vorhandensein konträren Verhaltens die Gesellschaft[27] sich in Ruhe, in der Stille, in Ordnung befinde. Im 27. Band der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (S. 708) habe ich Laotses Grundmotiv zufällig in folgender Form berührt: »Bei welch theoretisch denkbarem Zustande könnte es keinen Anarchismus als Wollendes geben? Bei einem Zustande, in dem jede positive Gewaltregung eines Individuums in negativen Gewaltregungen anderer Individuen seine Befriedigung findet ... Prüfen wir an diesem Ideal den jetzigen Zustand, so erscheint dieser uns schlecht, weil es viel positive Gewaltregungen gibt, der negative nicht entsprechen.« An diesen Gedanken lassen sich Laotses Lehren ohne weiteres anfügen. Laotses Nichthandeln stellt nichts anderes dar als die eben erwähnten negativen Gewaltregungen, die eben zu Laotses Zeiten genau wie heute in der Minderzahl waren, weshalb Laotse als Politiker den in obenangegebenem Aufsatz von mir sogenannten negativen Anarchismus vertritt, dessen Hauptgestalt in Europa Tolstoi war. Als echter negativer Anarchist hat Laotse erkannt, daß die Beeinflussung des gesellschaftlichen Zustandes von dem einzelnen Gesellschaftsglied nicht anders als durch Arbeit in seinem Innern geschehen könne, dadurch, daß man »die schwere Verpflichtung auf sich nimmt« (79). Deshalb auch: »Wer das Unglück des Reiches auf sich nimmt, der ist der König der Welt« (78). »Wirken ohne zu streiten«, das ist ja doch des Berufenen Sinn (81). Auch die Tolstoische Liebe taucht öfter als negative Gewaltregelung auf (10, 19, 67). In diesem Sinne heißt es so ausdrucksvoll in Abschnitt 49: »Der Berufene behandelt alle Leute als seine Kinder«. Im übrigen werden als Ursachen der Ordnung in der Gesellschaft angeführt: Duldsamkeit, welche die Herrschaft bringt (14), Verminderung der Selbstsucht und Begierden (19), Wunschlosigkeit (37), als fernere Ursachen aber: »Bedeutendes nicht bevorzugen, Seltenes nicht bewerten« (3), Verminderung des Wohlstandes (57, 53), Rückkehr zur Einfachheit (65) auch in den Kenntnissen.

Daß es sich aber bei all dem nicht etwa doch um Entsagung handelt, das beweist der häufig wiederholte Ausspruch: »Der Berufene tut ab das Ferne und ergreift das Nahe«. Wo ohne Streit genommen werden kann, da mag es ruhig geschehen. Es ist ja doch zwischen gut und böse kein Unterschied (20), Pflicht gibt es doch erst, seit der große SINN verlassen ist (18), sie kann durch Liebe ersetzt werden (19), und je mehr die Gesetze und Befehle prangen, desto mehr gibt es Diebe und Räuber (57). Hier wird es auch erklärlich, daß der große Soziologe von der Rechtsordnung nicht viel zu reden weiß. Ist nämlich der oberwähnte faktische Zustand eingetreten, in dem es keinen Anarchismus geben kann, dann ist ja die Rechtsordnung selbst etwas völlig Gleichgültiges (man vergl. den obzitierten Aufsatz S. 712), dieser Zustand tritt aber nach Laotses Naturgesetz der menschlichen Gesellschaft bei genügendem Vorhandensein negativer Gewaltregungen ganz von selber ein.[28] So ist es ganz folgerichtig, wenn Laotse das Prinzip des Rechtes, die Gerechtigkeit, erst nach Verlust des SINNES in die menschliche Gesellschaft eintreten läßt, das Recht selber aber und die Sitten (Gewohnheitsrecht!) – die hier wohl unter »Moral« zu verstehen sind – erst nach Verlust der Gerechtigkeit (38). Sitte und Recht ist ja doch »Treu und Glaubens Dürftigkeit«. Laotses Antipathie gegen das Recht wird nicht etwa aufgehoben durch die hohe Stellung, die Laotse dem Menschenkönig, Königen und Fürsten zudenkt. In echt chinesischer Weise wird nämlich der Monarch hier nicht etwa als eine Rechtseinrichtung aufgefaßt, sondern als Resultat des selbstverständlichen Sieges dessen, der in der Gesellschaft das Prinzip an sich am stärksten verwirklicht. Dieser dem Westländer sonderbar erscheinende Optimismus ist im alten China, dessen erste Herrscher angeblich ganz ohne Strafen auszukommen wußten, allenthalben eingewurzelt, wie denn überhaupt der Optimismus in China festeren Boden hat als anderswo. Dieser Optimismus ist aber dadurch recht begründet, daß das Gute in China eben immer dem »Nützlichen« außerordentlich nahestand. Das Nützliche aber wird auch bei uns in den organischen Naturwissenschaften allenthalben als siegendes Prinzip angenommen. Wenn so bei Laotse in Analogie zum Siege des schwachen Weibes über den starken Mann der Sieg des zurückhaltenden Reiches über andere Länder verkündet wird, so liegt darin eine tiefe wissenschaftliche Überzeugung. Will ein Reich nichts als Einigung und Ernährung seiner Bürger, welches Land sollte sich da nicht anschließen wollen (61)? So erscheint der Krieg, den Laotse übrigens mit der ganzen Kraft seiner Überzeugung haßt, von selbst als durchaus widersinnig und nur in Notwehr geboten (31). Ruhe und Frieden ist aber das Höchste (31), und hier spricht sich, wie zum Schlusse hervorgehoben werden soll, die ethische Grundüberzeugung Laotses aus, die nicht in Utilitarismus aufgeht, die vielmehr nicht anders als ästhetisch völlig verstanden werden kann. Daß der reine Utilitarismus nicht Laotses Ausgangspunkt ist, oder doch von ihm nicht rein festgehalten wird, das ergeben im Gegensatz zu dem weiter oben Bemerkten mehrere Stellen des Taoteking, von denen nur die meist bezeichnenden angeführt seien: »Das Leid ist es, von dem das Glück abhängt. Das Glück ist es, auf das das Leiden lauert. Wer erkennt aber, daß es das Höchste ist, wenn nicht geordnet wird? Denn sonst verkehrt die Ordnung sich in Wunderlichkeiten (58)«. »Es gibt aber einen, der das Töten überwacht und tötet (74).« Das letztere Zitat, das dem gegen die Todesstrafe gehenden Abschnitt des Taoteking entnommen ist, enthält besonders klar die demütige Unterordnung unter irgendein nicht näher bezeichnetes Höheres und Höchstes, das Laotse nicht etwa vom ethischen Standpunkte aus postuliert, sondern das er im Zwange seines letzten Endes ästhetisch veranlagten Geistes im Verfolge des von ihm entdeckten »WESENS« oder »SINNES«[29] der menschlichen Gesellschaft ahnt. Gibt man sich Laotse völlig hin, so gelangt man so zum Schlusse zu einer weiter nicht mehr ableitbaren Ehrfurcht vor dem »SINN« der Welt. Wer aber »in seinem Ich die Welt ehrt«, wer »in seinem Ich die Welt liebt«, der muß Laotse wirklich nahe sein.

Fußnoten

1 Anm. des Herausgebers: In dem folgenden Aufsatz findet der Leser an zwei Stellen Gedankengänge vor, die ihm aus dem Vorherigen bekannt sind. Trotzdem wurde der Aufsatz unverändert zum Abdruck gebracht, da er ohne Kenntnis des vorhergehenden abgefaßt worden war und da die scheinbare Wiederholung so als gleiches Resultat, das auf verschiedenen Wegen gefunden wurde, von Interesse sein mag.
[30]

Quelle:
Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf/Köln 1952, S. XXIII23-XXXI31.

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