Anhang III

Bemerkungen zu der Schrift vom Ursprung des Uebels, welche vor kurzem in England erschienen ist

[455] 1. Es ist schade, dass Herr Bayle nur die Rezensionen von dieser schönen Schrift gesehen hat, welche in den Zeitschriften erschienen sind. Hätte er sie selbst gelesen und gehörig geprüft, so hätte dies für uns eine gute Gelegenheit abgegeben, um manche Schwierigkeiten aufzuklären, welche gleich den Köpfen der Hydra entstehen und wieder entstehen bei einem Gegenstand, wo man sich leicht veruneinigen kann, wenn man das ganze System nicht vor sich hat und wenn man nicht in strenger Fassung die Beweise bietet; da die Strenge der Beweise bei Gegenständen, welche das bildliche Vorstellen übersteigen, dasselbe ist, was die Figuren in der Geometrie sind, indem man immer eines Anhaltes bedarf, um die Aufmerksamkeit festzuhalten und die Verbindung zwischen den Erwägungen zu erhalten. Ich glaubte deshalb, als diese lateinische Schrift voller Gelehrsamkeit und Anmuth, die zuerst in London erschienen und dann in Bremen nachgedruckt worden ist, mir in die Hände fiel, dass die Wichtigkeit des Gegenstandes und[455] das Verdienst des Verfassers alle Beachtung verdienen, und dass sogar die Leser derselben mich fragen könnten, weshalb ich dem Verfasser nur bis zur Hälfte seiner Schrift zustimme. Die Schrift enthält nämlich 5 Kapitel, von denen das fünfte mit seinem Anhang so stark ist, als die vier andern zusammen. Letztere handeln von dem Uebel überhaupt und von dem physischen insbesondere und entsprechen ganz meinen Ansichten (einige Stellen ausgenommen), ja sie behandeln mitunter in beredter Weise einige Punkte, die ich nur kurz berührt habe, weil Herr Bayle sie nicht hervorgehoben hatte. Das fünfte Kapitel dagegen behandelt in seinen Abschnitten (deren manche so gross, wie ein Kapitel sind) die Freiheit und das davon abhängige moralische Uebel und ist auf Grundsätzen errichtet, welche den meinigen ganz entgegengesetzt sind, und oft selbst denen des Herrn Bayle, wenn man letzterem feste Grundsätze zuschreiben könnte. Denn dieses fünfte Kapitel will zeigen (wenn dies möglich wäre), dass die wahre Freiheit von einem unbestimmten Gleichgewicht des Wollens ganz und unbedingt abhänge, so dass vor dem Entschlüsse noch kein Grund, sich zu entschliessen, bestehe und zwar weder in dem, der wählt, noch in dem Gegenstande und dass man nicht das wähle, was gefällt, sondern dass, indem man ohne Grund wählt, man bewirke, dass das gefallt, was man wählt.

2. Dieses Prinzip einer Wahl ohne Ursache und ohne Grund, einer Wahl, welche des Zieles der Weisheit und Güte beraubt ist, gilt für Viele als das grosse Vorrecht Gottes und der vernünftigen Geschöpfe und als die Quelle ihrer Freiheit, ihrer Befriedigung, ihrer Moral und des für sie geltenden Guten und Schlechten. Die Vorstellung, wonach man sich nicht blos von der Neigung, sondern selbst von der Vernunft im Innern und von dem Guten und Schlechten in der Aussenwelt unabhängig erklärt, wird mit so schönen Farben ausgemalt, dass man sie für das schönste Ding der Welt halten möchte. Allein sie ist trotzdem eine hohle Einbildung und eine Unterdrückung der Vernunft durch den Eigensinn, auf die man stolz ist. Was man verlangt, ist unmöglich, und wäre es wirklich, so wäre es nur schädlich. Dieser eingebildete Zustand passte allenfalls für[456] irgend einen Don Juan an einem Petersfeste und irgend ein romantischer Mensch könnte dessen Aeusseres nachäffen und sich einbilden, jenen Zustand wahrhaft zu besitzen; aber in der Natur wird nie eine Wahl vorkommen, wo man nicht durch eine vorgehende Vorstellung eines Gutes oder Uebels und durch Reize oder Gründe bestimmt wird und ich habe immer die Vertheidiger dieser unbedingten Unentschiedenheit aufgefordert, mir ein Beispiel zu nennen. Während ich indess diese Wahl, wo man sich durch nichts entscheidet, als eine Einbildung behandle, bedenke ich nicht, dass ich damit die Vertheidiger dieser Ansicht und vor allem meinen gewandten Verfasser als chimärische Leute behandle. Die Peripatetiker lehren einige Ansichten solcher Art, aber es wäre höchst ungerecht, wenn man deshalb einen Occam, einen Suisset, einen Césalpin, einen Conring verachten wollte, die manche Ansichten der Scholastik noch vertheidigten, welche man heute verbessert hat.

3. Eine dieser Ansichten, welche durch die niederländische Schule in der Zeit der Chimären wieder hervorgeholt worden, ist die völlige Unbestimmtheit bei dem Wählen, oder die Einbildung, dass es einen Zufall gebe, den man in die Seelen verlegt, als wenn Nichte uns zu einer Neigung bestimmte, sofern man dies nicht deutlich bemerkt, und als wenn es eine Wirkung ohne Ursache dann geben könnte, wenn die Ursachen nicht bemerkbar sind. Es ist ungefähr so, wie Einige die unwahrnehmbaren Körperchen geleugnet haben, weil sie sie nicht sehen. Die neuem Philosophen haben diese scholastischen Ansichten berichtigt und gezeigt, dass nach den Gesetzen der körperlichen Natur ein Körper durch die Bewegung eines andern, der ihn stösst, bewegt werden kann; ebenso muss man annehmen, dass unsere Seelen (vermöge der Gesetze der geistigen Natur) nur durch irgend einen Grund des Guten oder Schlechten bewegt werden können, wenn auch die genaue Kenntniss derselben noch nicht herausgefunden worden ist, weil eine Unzahl kleiner Vorstellungen in uns eintreten, welche uns bald heiter, bald traurig, bald sonst wie gestimmt machen und eine Sache uns angenehmer als die andere empfinden lassen, ohne dass man sagen[457] kann, weshalb. Plato, Aristoteles und selbst Thomas von Aquino, Durandus und andere sehr tüchtige Scholastiker urtheilen darüber, wie die Menge der Menschen und wie Leute ohne Vorurtheil es immer gethan haben. Sie verlegen die Freiheit in den Gebrauch der Vernunft und der Neigungen, welche die Dinge wählen oder zurückweisen lassen und sie nehmen an, dass unser Wille in seiner Wahl stets nur durch das Gute und Ueble bestimmt wird. Allein zuletzt haben einige, etwas zu spitzfindige Philosophen aus ihrem Destillirkolben den unerklärlichen Begriff einer durchaus von allem unabhängigen Wahl herausgezogen, welcher Wunder verrichten muss, um alle Schwierigkeiten zu lösen. Allein er selbst bietet gleich eines der schlimmsten, indem er das Prinzip der Vernunft erschüttert, wonach wir annehmen, dass nichts ohne hinreichende Ursache oder Grund geschieht. Die Scholastiker haben die Benutzung dieses Prinzips oft verabsäumt und gewisse ursprüngliche Qualitäten angenommen; man darf sich daher nicht wundern, wenn dieses Gebilde einer völligen Unbestimmtheit bei ihnen Beifall gefunden hat und selbst ausgezeichnete Männer davon angesteckt worden sind. Unser Verfasser, der sonst sich von vielen scholastischen Irrthümern befreit hat, hält dieses Gebilde noch fest, aber er ist jedenfalls der, welcher es noch am geschicktesten vertheidigt hat.


Si Pergama dextra

Defendi possent, etiam hac defensa fuissent.


(Hätte Troja mit der Rechten aufrecht erhalten werden können, so wäre es auch mit dieser hier geschehen.)


Er giebt ihm die möglichst beste Wendung und zeigt es nur von seiner besten Seite. Er beraubt die Freiwilligkeit und die Vernunft ihrer besten Vorzüge, um diese alle der völligen Unbestimmtheit zuzuwenden; nur durch diese soll man thätig sein, den Leidenschaften widerstehen, sich seiner Wahl erfreuen und glücklich sein und es scheint, dass man elend würde, wenn eine glückliche Notwendigkeit uns zur Wahl des Guten triebe. Der Verfasser hatte sich sehr gut über den Ursprung und die Gründe unsrer natürlichen Uebel ausgesprochen;[458] er hätte nur dieselben Grundsätze auf das moralische Uebel auszudehnen gebraucht und zwar um so mehr, da er selbst sagt, das moralische Uebel durch die physischen Uebel, welche es verursacht oder zu verursachen strebt, ein Uebel werde. Aber ich weiss nicht, wie er zu der Meinung kommt, dass es Gott und den Menschen herabwürdige, wenn sie der Vernunft unterthan sein sollten; dass sie dadurch alle Thätigkeit verlören und nicht mehr mit sich selbst zufrieden sein würden; endlich dass die Menschen den von aussen ihnen zustossenden Uebeln nichts entgegenstellen könnten, wenn sie in sich nicht das schöne Vorrecht hätten, die Dinge durch ihre Wahl zu guten oder erträglichen zu machen, und mittelst der Berührung mit dieser wunderbaren Macht alles in Gold zu verwandeln.

4. Ich werde dies später noch genauer prüfen; vorher wird es gut sein, wenn ich die vortrefflichen Gedanken des Verfasser über die Natur der Dinge und die natürlichen Uebel berühre, zumal ich selbst an einigen Stellen noch weiter gehen würde. Wir werden damit auch die ganze Einrichtung seines Systems besser verstehen. Das erste Kapitel enthält die obersten Grundsätze. Der Verfasser nennt Substanz ein Ding, dessen Begriff nicht des Daseins eines andern bedarf. Ich weiss nicht, ob es solche Substanzen unter den geschaffenen Dingen giebt, da deren gegenseitige Verbindung dem entgegensteht. Das Beispiel des Lichtes einer Wachskerze ist so wenig das einer Substanz, wie das eines Bienenschwarms. Indessen kann man ja die Worte in einem weitem Sinne nehmen. Er sagt sehr richtig, dass trotz allen Veränderungen des Stoffes und trotz aller Eigenschaften, die man ihm entziehen kann, ihm die Ausdehnung, die Beweglichkeit, die Theilbarkeit und der Widerstand verbleibe. Er erklärt auch die Natur der Begriffe und giebt zu verstehen, dass die allgemeinen nur die zwischen den einzelnen Dingen bestehenden Aehnlichkeiten anzeigen; dass wir unter Vorstellungen nur das durch eine unmittelbare Empfindung Erkannte verstehen und dass alles Andere uns nur durch die Beziehungen auf diese Vorstellungen bekannt ist. Wenn er aber zugesteht, dass wir keine Vorstellung von Gott, von dem Geiste und von der Substanz[459] haben, so scheint er nicht bemerkt zu haben, dass wir uns unmittelbar der Substanz und des Geistes bewusst werden, wenn wir uns selbst wahrnehmen und dass die Vorstellung Gottes in uns vermöge der Beseitigung der Grenzen unserer Vollkommenheiten entsteht, sowie die Ausdehnung, unbedingt aufgefasst, in der Vorstellung einer Kugel befasst ist. Er behauptet auch mit Recht, dass wenigstens einfache Vorstellungen uns angeboren sind; er verwirft die ausgewischte Tafel des Aristoteles und des Herrn Locke; allein ich kann ihm nicht zugestehen, dass wahre Vorstellungen kaum mehr Beziehung zu den Dingen haben, als die in die Luft gesprochenen Worte, oder die auf das Papier gebrachte Schrift Beziehung auf unsere Vorstellungen hat und dass die Beziehung der Empfindungen willkürlich und ex instituto seien (auf menschlicher Bestimmung beruhen) wie die Bedeutung der Worte. Ich habe schon anderwärts bemerkt, dass ich hierin mit den Cartesianern nicht übereinstimme.

5. Um zur ersten Ursache zu gelangen sucht der Verfasser nach einem Kriterien oder Kennzeichen der Wahrheit und er findet es in der Kraft, durch welche unsere inneren Aussprüche, wenn sie überzeugend sind, den Verstand nöthigen, denselben zuzustimmen. Deshalb vertrauen wir, sagt er, unseren Sinnen; er zeigt dass das Kennzeichen der Cartesianer, nämlich eine deutliche und klare Vorstellung eines weiteren Kennzeichens bedürfe um zu wissen was klar und deutlich sei, und das Zusammenstimmen oder Nicht-Zusammenstimmen der Vorstellungen (oder vielmehr der Worte, wie man sonst sagte) ebenfalls trügerisch sei, weil es ein wirkliches und ein anscheinendes Zusammenstimmen gebe. Er hätte auch zusetzen können, dass die innere Kraft selbst, welche uns nöthigt zuzustimmen, noch der Vorsicht bedürfe und auf eingewurzelte Vorurtheile sich stützen könne. Deshalb würde der, welcher ein anderes Kriterien gewährte, nach seiner Meinung etwas sehr nützliches für das menschliche Geschlecht leisten. Ich habe versucht, dieses Kriterien in einer kleinen Abhandlung über die Wahrheit und die Ideen, was 1684 veröffentlicht wurde, darzulegen, und obgleich ich mich keiner neuen Entdeckung rühmen will, glaube ich doch Dinge erläutert zu haben, die bisher nur verworren gekannt waren. Ich unterscheide zwischen[460] Wahrheiten der Thatsache und Wahrheiten der Vernunft. Die erstem können nur durch ihre Zusammenstellung mit letzteren ihre Beglaubigung erhalten und durch Zurückführung derselben auf unmittelbare Vorstellungen in uns, von denen der heilige Augustinus und Herr Descartes sehr wohl erkannt haben, dass man an ihnen nicht zweifeln kann, d.h. dass man nicht zweifeln kann, ob man denkt und selbst ob man dies oder jenes denkt. Aber um zu entscheiden, ob unsere innern Vorstellungen eine Wirklichkeit in den Dingen haben und um von den Gedanken zu den Gegenständen zu gelangen, muss man, nach meiner Ansicht, erwägen, ob unsere innern Vorstellungen wohl verbunden unter sich und mit andern sind, die wir gehabt haben, so dass die Regeln der Mathematik und andere Wahrheiten der Vernunft hier Geltung haben. Ist dies der Fall, so muss man sie dann für wirklich halten und ich glaube dass sie dadurch allein von den Einbildungen, Träumen und Visionen unterschieden werden können. Danach kann also die Wahrheit der Dinge ausser uns nur durch die Verknüpfung der Erscheinungen erkannt werden. Das Kriterion der Wahrheiten der Vernunft, oder der, die von Conceptionen kommen, besteht in einer sorgfältigen Benutzung der Regeln der Logik. Was die Vorstellungen oder Begriffe anlangt, so nenne ich alle diejenigen wirkliche, deren Möglichkeit gewiss ist. Die Definitionen, welche diese Möglichlichkeit nicht darlegen, sind nur Nominal-Definitionen. Die in der Analyse gut geübten Geometer kennen den Unterschied, welcher hierbei unter den Eigenschaften besteht, mittelst deren man eine Figur oder Linie definiren kann. Unser geschickter Verfasser ist vielleicht nicht so weit gegangen; indess erhellt aus allem, was ich von ihm bisher berichtet habe und was nachfolgen wird, dass es ihm nicht an tiefem Eindringen und sorgfältiger Erwägung fehlt.

6. Demnächst untersucht er, ob die Bewegung der Stoffe und der Raum in sich selbst bestehen und erwägt zu dem Ende, ob man sich vorstellen kann, dass sie nicht bestehen. Auch bemerkte er das Vorrecht bei Gott, dass sobald man annehme, er bestelle, man auch annehmen müsse, dass er nothwendig bestehe. Dies ist ein Folgesatz der Bemerkung, welche ich in der kleinen, eben erwähnten Abhandlung gemacht habe, nämlich, dass sobald man[461] annimmt, Gott sei möglich, man auch zugestehen muss, dass er nothwendig bestehe. Nun giebt man zu, dass es möglich sei, sobald man zugiebt, dass Gott bestehe, also muss man, sobald man zugiebt, dass Gott bestehe, auch zugeben, dass er nothwendig bestehe. Indess gehört dieses Vor recht nicht den drei Dingen an, die hier genannt worden sind. Auch meint der Verfasser von der Bewegung im Besonderen, dass es nicht genüge, mit Herrn Hobbes zu sagen, die gegenwärtige Bewegung komme von einer frühem Bewegung und diese wieder von einer andern und so fort, ohne Ende. Denn wenn man auch noch so weit zurückgeht, ist man doch nicht zu dem Grunde gelangt, welcher bewirkt, dass es eine Bewegung in dem Stoffe giebt. Deshalb muss dieser Grund ausserhalb dieser Reihe liegen und wenn es eine ewige Bewegung geben soll, so bedarf es auch eines ewigen Bewegers, sowie die Strahlen der Sonne, wenn sie auch so ewig wie die Sonne sind, doch ihre ewige Ursache immer in der Sonne haben werden. Ich freue mich, diese Begründung des Verfassers mittheilen zu können, damit man einsehe, von welcher Wichtigkeit selbst nach ihm der Grundsatz des zureichenden Grundes ist. Denn wenn es gestattet ist, eine Sache anzunehmen, von der man anerkennt, es bestehe kein Grund für sie, so könnte ein Atheist leicht diesen Beweis umstossen und sagen, es sei nicht nothwendig, dass ein hinreichender Grund für das Bestehen der Bewegung vorhanden sei. – Ich will nicht in die Erörterung über die Wirklichkeit und Ewigkeit des Raums eintreten, weil ich mich leicht zu weit von meinem Gegenstand entfernen könnte. Es genüge, dass der Verfasser meint, der Raum könne durch die Macht Gottes vernichtet werden, aber nur im Ganzen, nicht im Einzelnen, und dass wir allein nicht mit Gott bestehen können, auch wenn es keinen Raum und keinen Stoff gäbe, weil wir in uns nicht den Begriff vom Dasein der äussern Dinge haben. Er giebt auch zu bedenken, dass in den Wahrnehmungen der Töne, der Gerüche und dem Geschmacke die Vorstellung des Raumes nicht enthalten ist. Indess mag man von dem Raum annehmen, was man wolle, so zeigt es, dass es einen Gott giebt, welcher die Ursache des Stoffes und der Bewegung und damit aller Dinge ist. Der Verfasser meint, wir könnten über Gott nur nachdenken, wie ein Blindgeborner über[462] das Licht; aber ich meine, dass etwas Mehreres in uns ist, da unser Licht ein Strahl vom Lichte Gottes ist. Der Verfasser erkennt, nachdem er über einige Eigenschaften Gottes gesprochen, an, dass Gott nach einem Zwecke handle, welcher in der Mittheilung seiner Güte bestehe und dass seine Werke wohl gemacht seien. Endlich beschliesst er das Kapitel, wie es sich gehört, indem er sagt, dass Gott bei Erschaffung der Welt ihr die grösste Uebereinstimmung unter den Dingen gegeben habe, und das grösste Beilagen bei den mit Empfindung begabten Wesen, und die grösste Verträglichkeit der Begehrungen, wie sie nur eine unendliche Macht, Weisheit und Güte zusammen hätten hervorbringen können. Wenn trotzdem einiges Uebel geblichen sei, so müsse man annehmen, dass jene unendlichen Vollkommenheiten Gottes nicht vermocht haben (ich will lieber sagen, nicht durften) sie zu beseitigen.

7. Das zweite Kapitel zerlegt das Uebel. Es wird, wie von mir, in das metaphysische, physische und moralische eingetheilt. Das metaphysische ist das der Unvollkommenheiten; das physische besteht in den Schmerzen und ähnlichen Unannehmlichkeiten; das moralische in der Sünde. Alle diese Uebel finden sich in dem Werke Gottes und Lucian hat daraus geschlossen, dass es keine Vorsehung gebe und geleugnet, dass die Welt ein Werk der Gottheit sein könne:


Naturam rerum divinitus esse creatam

(Dass die Natur der Dinge eine göttliche Schöpfung sei)


weil es so viele Fehler in der Natur der Dinge gebe;


Quoniam tanta est praedita culpa.

(Weil sie mit so viel Mängeln begabt ist.)


Andere haben zwei Prinzipien angenommen ein gutes und ein böses, und Manche haben auch die Schwierigkeit für unlöslich gehalten, wobei unser Verfasser wohl an Herrn Bayle gedacht haben mag. Er hofft in seiner Schrift zu zeigen, dass es kein Gordischer Knoten sei,[463] den man durchhauen müsse; er sagt mit Recht, dass die Macht, Weisheit und Güte Gottes nicht unendlich und vollkommen in ihrer Ausübung sein könnten, wenn diese Uebel verbannt wären. Er beginnt im dritten Kapitel mit dem Uebel der Unvollkommenheit und sagt mit dem heiligen Augustin, dass die Geschöpfe unvollkommen seien, weil sie aus Nichts geschaffen worden, während, wenn Gott eine vollkommene Substanz aus seinem eignen Gründe hervorgebracht hätte, er daraus einen Gott gemacht haben würde. Dies veranlasst ihn zu einer kleinen Abschweifung gegen die Socinianer. Indess könnte Jemand fragen, weshalb hat Gott sich nicht der Schöpfung ganz enthalten, statt eine unvollkommene zu schaffen? Der Verfasser antwortet sehr gut, dass der Ueberfluss der Güte Gottes davon die Ursache sei. Er hat sich mittheilen wollen, selbst auf Kosten einer Empfindlichkeit, die wir in Gott annehmen, indem wir uns einbilden, dass die Unvollkommenheiten ihn stören. Deshalb war ihm das Unvollkommene lieber als das Nichts. Indess hätte hinzugefügt werden können, dass Gott allerdings das möglichst vollkommene Ganze geschaffen habe, mit dem er vollkommen zufrieden sein konnte, da die Unvollkommenheiten einzelner Theile zur grössern Vollkommenheit des Ganzen dienen. Auch bemerkt der Verfasser ein wenig später, dass gewisse Dinge wohl hätten besser gemacht werden können, aber nicht ohne neue Unbequemlichkeiten, die vielleicht noch grösser gewesen wären. Dieses »vielleicht« hätte wegbleiben können, zumal der Verfasser am Schlüsse des Kapitels als gewiss und mit Grund annimmt, dass es der unendlichen Güte eigen sei, das Beste zu wählen. Er konnte deshalb hieraus schon vorher folgern, dass die unvollkommenen Dinge mit den vollkommensten werden verbunden sein können, sofern sie nicht verhindern, dass es im Ganzen zuletzt so viel Vollkommenheiten giebt, als möglich ist. Deshalb sind auch Körper neben den Geistern geschaffen worden, weil das Eine kein Hinderniss für das Andere ist, die Schaffung des Stoffes ist des grossen Gottes nicht unwürdig gewesen, wie die alten Ketzer gemeint haben, welche dessen Erschaffung einem grossen Demogorgon zugetheilt haben.

[464] 8. Im vierten Kapitel wird über das physische Uebel gehandelt. Nachdem der berühmte Verfasser dargelegt hat, dass das metaphysische Uebel, d.h. die Unvollkommenheit aus dem Nichts herführe meint er, dass das physische Uebel, d.h. das Unangenehme von dem Stoffe herkomme, oder vielmehr von dessen Bewegung, da ohne diese der Stoff unnütz sein würde. Auch müsse es Gegensätze in diesen Bewegungen geben, da sonst, wenn alles nach einer Richtung ginge, es keine Mannichfaltigkeit und keine Erzeugung geben würde. Die Bewegungen nun, welche die Erzeugungen bewirken, verursachen auch die Verderbniss, da aus der Verschiedenheit der Bewegungen der Stoss der Körper entsteht, durch den sie oft zertheilt und zerstört werden. Um jedoch die Körper dauerhafter zu machen, hat der Schöpfer der Natur sie in Systeme eingetheilt, von denen die uns bekannten aus leuchtenden und dunklen Kugeln zusammengesetzt sind und zwar auf eine so schöne und passende Weise, um ihren Inhalt zu erkennen und zu bewundern, dass man nichts Besseres sich vorstellen könne. Der Gipfel des Werkes war aber der Bau der Thiere, damit es überall der Erkenntniss fähige erschöpfe gebe.


Ne regio foret ulla, suis animalibus orba.

(Damit keine Gegend ihrer lebenden Wesen beraubt sei.)


Der scharfsinnige Verfasser meint, dass die Luft und selbst der reinste Aether ihre Bewohner so gut haben, wie die Erde und das Wasser. Sollte es aber auch Orte ohne Thiere geben, so könnten diese Orte ihren Nutzen für die bewohnten Orte haben. So seien z.B. die Gebirge, welche unsere Erdoberfläche ungleich und mitunter auch wüst und unfruchtbar machen, nützlich für die Erzeugung der Flüsse und der Winde und wir könnten uns auch nicht über die sandigen Gegenden und die Moräste beklagen, da noch so viel andere Orte zur Bebauung vorhanden seien. Ueberdem dürfe man sich nicht einbilden, dass Alles nur für den Menschen gemacht sei; der Verfasser ist überzeugt, dass es nicht blos reine Geister giebt, sondern seiest unsterbliche[465] Thiere, welche sich diesen Geistern nähern, d.h. Geschöpfe, deren Seelen mit einem ätherischen und unverderblichen Stoffe verbunden sind. Dies sei aber bei den Geschöpfen mit einem irdischen Körper nicht der Fall, der aus Röhren und Flüssigkeiten, welche darin fliessen, zusammengesetzt sei und dessen Bewegung aufhöre, wenn seine Gefässe zerbrochen werden. Deshalb würde nach der Meinung des Verfassers die dem Adam zugedachte Unsterblichkeit, im Fall er gehorsam geblieben wäre, nicht eine Folge seiner Natur, sondern eine Wirkung der göttlichen Gnade gewesen sein.

9. Es war ferner für die Erhaltung der verletzbaren Thiere nöthig, dass sie Zeichen hatten, an denen sie eine gegenwärtige Gefahr erkennen konnten und welche sie antrieben, diese zu vermeiden. Deshalb muss das was im Begriff ist, eine grosse Verletzung beizubringen, vorher einen Schmerz erregen, welcher das Thier zu Anstrengungen nöthigt, welche die schädliche Ursache zurückstossen oder sie fliehen lassen, damit sie so einem grossen Uebel vorbeugen. Auch die Furcht vor dem Tode dient zu dessen Vermeidung, da wenn der Tod nicht so hässlich wäre und die Auflösung des Zusammenhanges nicht so schmerzlich, die Thiere sich oft um ihren Untergang nicht kümmern würden, oder Theile ihres Körpers untergehen lassen würden, so dass selbst die stärksten kaum einen Tag bestehen würden.

Gott hat den Thieren auch den Hunger und den Durst verliehen, damit sie sich nähren und erhalten und das ersetzen, was verbraucht wird und unmerklich verschwindet. Diese Begierden veranlassen sie auch zur Arbeit, durch welche sie die ihrer Verfassung entsprechende und ihnen Kraft gebende Nahrung erlangen. Es hat sogar dem Schöpfer nöthig geschienen, dass oft ein Thier dem andern zur Nahrung diene; dadurch werden sie nicht unglücklicher, weil der durch Krankheiten verursachte Tod meist ebenso oder noch schmerzlicher ist, als ein gewaltsamer Tod. Auch haben die Thiere, welche andern zur Beute dienen, keine Voraussicht und sorgen sich nicht um die Zukunft; sie leben deshalb eben so ruhig, als wenn sie ausser aller Gefahr wären. Ebenso verhält es sich mit den Ueberschwemmungen[466] und den Erdbeben, mit dem Einschlagen des Blitzes und andern Störungen; die unvernünftigen Thiere fürchten sie nicht, und die Menschen brauchen sie in der Regel nicht zu fürchten, weil nur Wenige darunter leiden.

10. Der Schöpfer hat diese und andere Uebel, die nur selten eintreten, durch tausend regelmässige und fortwährende Annehmlichkeiten ausgeglichen. Hunger und Durst steigern das Vergnügen bei der Aufnahme der Nahrung. Die massige Arbeit ist eine angenehme Hebung der Körperkräfte, und der Schlaf ist in einer ganz entgegengesetzten Weise angenehm, weil er durch die Ruhe die Kräfte wieder herstellt. Eines der lebhaftesten Vergnügen treibt die Thiere zur Fortpflanzung. Gott sorgt dafür, dass die Arten nicht untergehen, da die Einzelnen hienieden nicht unsterblich sind; deshalb hat er gewollt, dass die Thiere eine grosse Liebe für ihre Jungen haben, bis diese sich selbst forthelfen können.

Von dem Schmerz und der Lust kommen die Furcht und die Begierden und andere Leidenschaften, welche in der Regel nützlich sind, wenn sie auch manchmal Zinn Uebel ausschlagen. Dasselbe muss man von den Giften, den epidemischen Krankheiten und andern schädlichen Dingen sagen, denn sie sind die unvermeidlichen Folgen eines gut eingerichteten Systems. In Bezug auf Unwissenheit und Irrthtümer muss man bedenken, dass selbst die vollkommensten Geschöpfe unzweifelhaft vieles nicht wissen und dass in der Regel die Kenntnisse den Bedürfnissen entsprechen. Indess muss man unvorhergesehenen Unglücksfällen ausgesetzt bleiben und diese Arten von Zufällen sind unvermeidlich. Man muss sich oft in seinem Urtheile täuschen, weil man es oft nicht bis zu einer genauen Untersuchung zurückhalten kann. Diese Unannehmlichkeiten sind von dem Systeme der Dinge nicht zu trennen; letztere müssen sich in gewissen Lagen oft einander gleichen und so kann eines für das andere gehalten werden. Allein solche unvermeidliche Irrthtümer sind weder die häufigsten, noch die gefährlichsten. Die schlimmsten sind meist die Folgen unserer eignen Fehler. Deshalb handelt man verkehrt, wenn man wegen der natürlichen Uebel sich das Leben nimmt,[467] weil die, welche es gethan haben, meist durch Uebel, die sie sich selbst zuzuschreiben hatten, dazu gebracht worden, sind.

11. Nach allem ergiebt sich, dass alle diese besprochenen Uebel nebensächliche Folgen guter Ursachen sind und nach allem, was wir kennen und nicht kennen, ist anzunehmen, dass sie nicht beseitigt werden konnten, ohne in grössere Unannehmlichkeiten zu gerathen. Um dies besser zu begreifen, räth der Verfasser uns, die Welt wie ein grosses Gebäude aufzufassen. Dazu sind nicht blos Zimmer, Säle, Galerien, Gärten, Grotten nöthig, sondern auch eine Küche, ein Keller, ein Viehhof, Ställe und Ausgüsse. Deshalb wäre es nicht passend gewesen, lauter Sonnen in der Welt einzurichten, oder eine Erde aus lauter Gold und Diamanten zu machen, die ja nicht bewohnbar gewesen wäre. Wäre der Mensch ganz Auge oder ganz Ohr, so würde er sich nicht ernähren können. Hätte Gott ihn ohne Leidenschaften geschaffen, so hätte er ihn dumm gemacht und wollte er ihn frei von allem Irrthume machen, so hätte er ihn der Sinne berauben, oder andere Organe zum Empfinden geben müssen, d.h. es hätte dann keine Menschen gegeben. Unser gelehrter Verfasser erwähnt hier eines Gedankens, welchen die heiligen und weltlichen Geschichten zu lehren scheinen, nämlich, dass die wilden Thiere, die giftigen Pflanzen und andere schädliche Dinge gegen uns wegen der Sünde eingerichtet worden seien; indess lässt er diese Lehren der Offenbarung bei Seite, da er nur nach den Grundsätzen der Vernunft hier seine Ansichten begründen will. Doch meint er, dass Adam nicht von den natürlichen Uebeln verschont geblieben sein würde (wenn er gehorsam geblieben wäre), als nur in Folge der göttlichen Gnade und eines mit Gott geschlossenen Vertrags und dass Moses ohngefähr nur sieben Folgen der Erbsünde aufzähle; nämlich:

1) den Widerruf des gnädigen Geschenks der Unsterblichkeit.

2) Die Unfruchtbarkeit der Erde, welche nicht mehr von selbst fruchtbar sein, sondern nur schlechtes und unnützes Kraut hervorbringen werde.[468]

3) Die schwere Arbeit, die zur Ernährung nöthig wurde.

4) Die Unterwerfung der Frau unter den Willen des Mannes.

5) Die Schmerzen des Kindergebärens.

6) Die Feindschaft zwischen dem Menschen und der Schlange.

7) Die Verbannung des Menschen aus jenem herrlichen Orte, wo ihn Gott hingestellt hatte.

Er glaube jedoch, dass mehrere unsrer Uebel mit Notwendigkeit vom Stoffe kommen, namentlich seit der Zurückziehung der Gnade. Ueberdem meint der Verfasser, dass nach unserer Verbannung die Unsterblichkeit uns nur eine Last sein würde und dass es uns viel mehr zum Nutzen als zur Strafe gereiche, dass der Baum des Lebens für uns unzugänglich geworden sei. – Es liesse sich wohl hie und da etwas dagegen sagen, aber im Grunde ist die Abhandlung des Verfassers über den Ursprung der Uebel voll guter und gründlicher Gedanken, die man sich zu Nutze machen kann.

Jetzt komme ich nun zu der zwischen uns streitigen Frage, nämlich zur Erklärung der Natur der Freiheit.

12. Der gelehrte Verfasser, welcher den Ursprung des moralischen Uebels in dem fünften Kapitel darlegen will, was beinah die Hälfte der Schrift einnimmt, meint, dass dessen Ursache von der des physischen Uebels ganz verschieden sei. Letztere liege nur in der unvermeidlichen Unvollkommenheit der Geschöpfe; denn es scheint ihm, wie wir bald sehen werden, dass das moralische Uebel vielmehr von dem komme, was er eine Vollkommenheit nennt, welche nach ihm das Geschöpf mit dem Schöpfer gemein habe, nämlich von der Macht ohne Beweggrund und ohne Zweck und treibende Ursache zu wählen. Es ist dies eine höchst sonderbare Meinung, nämlich dass die grösste Unvollkommenheit, d.h. die Sünde von der Vollkommenheit selbst kommen solle; aber es ist nicht minder sonderbar, dass er die unvernünftigste Sache von der Welt, deren Nutzen darin bestände, gegen die Vernunft geschützt zu sein, für eine Vollkommenheit erklärt. Im Grunde zeigt der Verfasser damit nicht die Quelle des moralischen Uebels auf, sondern er will zeigen, dass es gar kein solches gebe.[469] Denn wenn der Wille sich entscheidet, ohne dass weder in der wählenden Person, noch in dem gewählten Gegenstände etwas enthalten ist, was ihn zur Wahl bestimmt, so fehlt für solche Wahl alle Ursache und aller Grund und da das moralische Uebel in dieser Wahl besteht, so erkennt er an, dass das moralische Uebel überhaupt keine Ursache habe, und dann müsste es nach den Regeln der Metaphysik gar kein moralisches Uebel in der Welt geben und aus demselben Grunde könnte es denn auch kein moralisch-Gutes geben und alle Moralität wäre vernichtet. Indess müssen wir den geschickten Verfasser selbst hören, welchen die Spitzfindigkeit einer Ansicht, die von berühmten Scholastikern vertheidigt worden und die Ausschmückungen, die er selbst mit seinem Geist und seiner Beredtsamkeit ihr hinzugefügt hat, die grossen Unzuträglichkeiten hat übersehen lassen, welche sie in sich enthält. Bei der Aufstellung des Standes der Frage theilt er die Schriftsteller in zwei Parteien. Die eine begnügt sich nach ihm mit der Entfesselung der Freiheit des Willens von allem äussern Zwange; die andere behauptet, dass sie auch keiner innern Nothwendigkeit unterliege. Diese Aufstellung genügt aber nicht, wenn man nicht wenigstens die unbedingte und der Moralität entgegengesetzte Nothwendigkeit von der bedingten und moralischen Nothwendigkeit unterscheidet, wie ich dies an mehreren Orten dargelegt habe.

13. Der erste Abschnitt dieses Kapitels soll die Natur des Wählens darlegen. Der Verfasser entwickelt zunächst die Ansicht derer, nach denen der Wille durch das Urtheil des Verstandes, oder durch die dem Begehren vorgehenden Neigungen getrieben wird, um sich für die Seite, die er ergreift, zu entscheiden. Indess vermengt er diese Männer mit denen, nach welchen der Wille durch eine unbedingte Nothwendigkeit zu seinem Entschluss geführt wird und nach denen die Person, welche will, durchaus keine Macht über ihr Wollen hat; er vermengt also die Thomisten mit den Spinozisten. Er benutzt die Geständnisse und die hässlichen Erklärungen des Herrn Hobbes und seines Gleichen, um sie denjenigen aufzubürden, die weit davon entfernt sind und sich viel Mühe geben, um sie zu[470] widerlegen. Er thut es, weil sie, wie Herr Hobbes und wie alle Welt (mit Ausnahme einiger Gelehrten, die sich in ihre eignen Spitzfindigkeiten verwickeln) glauben, dass der Wille durch die Vorstellung des Guten und Schlechten bestimmt werde. Er meint deshalb, diese nähmen keine Zufälligkeit an, sondern alles sei durch eine unbedingte Nothwendigkeit verknüpft. Dies ist indess ein sehr eiliges Begründen; doch fügt er hinzu, dass es eigentlich keinen bösen Willen gebe, weil alles, was man dafür sagen könne, auf das Uebel sich stütze, was er veranlassen könne. Allein dies stimme, wie er sagt, nicht mit dem gewöhnlichen Begriffe, weil alle Welt die Schlechten nicht deshalb tadle, dass sie Schaden verursachen, sondern weil sie dies ohne Nothwendigkeit thun. Er behauptet also, dass die Schlechten nur unglücklich seien, aber keineswegs schuldig, indem es dann keinen Unterschied zwischen dem physischen und moralischen Uebel gäbe, weil der Mensch selbst dann nicht die wahre Ursache einer Handlung sei, wenn er sie nicht vermeiden könne. Die Schlechthandelnden dürften dann weder getadelt noch gemisshandelt werden, weil sie es verdienten, sondern nur, weil dies die Leute vom Bösen abhalten könne und nur aus diesem Gründe zürne man auf einen Dieb und nicht auf einen Kranken, weil die Vorwürfe und Drohungen den einen bessern, aber den andern nicht heilen könnten. Die Strafen hätten nach dieser Lehre nur die Verhinderung der zukünftigen Uebels zum Ziele und die blose Rücksicht auf das bereits geschehene Uebel würde zur Strafe nicht hinreichen. Selbst die Dankbarkeit hätte dann nur den Zweck, eine neue Wohlthat zu veranlassen, denn ohnedem würde die blose Erwägung der vergangenen Wohlthat keine genügende Ursache dafür sein. Endlich meint der Verfasser, dass wenn diese Lehre, welche den Entschluss des Willens aus der Vorstellung des Guten und Schlechten ableite, wahr wäre man an der menschlichen Glückseligkeit verzweifeln müsste, denn sie wäre dann nicht in unserer Gewalt und hinge nur von äusserlichen Dingen ab und da man nicht erwarten könne, dass die äusseren Dinge sich nach unsern Wünschen regeln und fügen, werde uns immer etwas fehlen und immer etwas zu viel sein. Alle diese Folgen gelten nach ihm auch gegen die,[471] welche glauben, dass der Wille sich nach dem letzten Urtheil des Verstandes entscheide. Diese Meinung entkleide den Willen seines Rechts und mache die Seele ganz zu einer leidenden, und dieser Vorwurf trifft unzählige ernste und anerkannte Schriftsteller, welche hier in dieselbe Klasse mit Herrn Hobbes und Spinoza und einigen andern Schriftstellern gestellt werden, die man getadelt hat und deren Lehre für gehässig und unerträglich erklärt worden ist.

Was mich anlangt, so nöthige ich den Willen nicht immer, dem Urtheile des Verstandes zu folgen weil ich dieses Urtheil von den Beweggründen unterscheide, welche von unmerklichen Vorstellungen und Neigungen kommen. Allein ich behaupte, dass der Wille immer der vortheilhaftesten Vorstellung folgt, mag sie deutlich oder verworren, gut oder schlecht sein, welche als das Ergebniss aus den Gründen, Leidenschaften und Neigungen hervorgeht, obgleich der Wille auch Beweggründe zu finden vermag, um sein Urtheil aufzuhalten. Aber immer sind es Beweggründe, aus denen er handelt.

14. Ich habe zuvor auf diese gegen meine Ansicht gerichteten Einwürfe zu antworten, ehe ich zur Aufstellung der Ansicht des Verfassers übergehen kann. Das Missverständniss meiner Gegner kommt daher, dass man die Folge, welche mit einer unbedingten Nothwendigkeit sich ergiebt, indem das Gegentheil dieser Folge einen Widerspruch enthält, mit derjenigen Folge verwechselt, welche sich auf blos passliche Wahrheiten stützt und einzutreten nicht unterlässt. Das heisst, man verwechselt das, was von dem Grundsatz: des Widerspruches abhängt, welcher die Wahrheiten zu nothwendigen und unerlässlichen macht mit dem, was von dem Grundsatz des hinreichenden Grundes abhängt, der auch bei zufälligen Wahrheiten gilt. Ich habe diesen Satz schon anderwärts ausgesprochen, welcher einer der wichtigsten in der Philosophie ist, indem ich dargelegt habe, dass es zwei grosse Grundsätze giebt, nämlich den der Identität oder des Widerspruchs, welcher besagt, dass von zwei sich widersprechenden Aussagen die eine wahr, die andere falsch ist und den des zureichenden Grundes, welcher besagt, dass es keine wahre Aussage giebt, von welcher derjenige,[472] welcher die nöthige Kenntniss besitzt, um sie vollkommen zu verstehen, nicht den Grund einsehen könnte. Der eine und der andere Grundsatz gilt nicht blos für die nothwendigen Wahrheiten, sondern auch für die zufälligen und es ist sogar nothwendig, dass das, was keinen genügenden Grund hat, nicht besteht. Denn man kann gewissermassen sagen, dass diese beiden Grundsätze in der Definition des Wahren und Falschen enthalten sind. Wenn man also bei der Auflösung einer vorgelegten Wahrheit ersieht dass sie von Wahrheiten abhängt, deren Gegentheil einen Widerspruch enthält, so ist sie eine unbedingt nothwendige. Wenn man aber bei der noch so weit fortgesetzten Auflösung derselben zu solchen Elementen der vorgelegten Wahrheit nicht gelangt, so gehört sie zu den zufälligen und entspringt aus einem überwiegenden Grunde, welcher bestimmt, ohne zu zwingen. Dies vorausgeschickt ersieht man, wie ich mit mehreren Philosophen und berühmten Theologen sagen kann, dass die denkende Substanz zu ihrem Entschluss durch die überwiegende Darstellung des Guten oder Schlechten gebracht wird, und zwar in gewisser und untrüglicher, aber nicht in nothwendiger Weise, d.h. durch Gründe, welche bestimmen, aber nicht zwingen. Deshalb bleibt das zukünftige Zufällige, was an sich selbst und durch seine Gründe vorausgesehen ist, zufällig und Gott ist zur Erschaffung der Welt untrüglich durch seine Weisheit und Güte mittelst seiner Macht bestimmt worden und hat ihr die möglichst beste Form gegeben, aber er ist nicht mit Nothwendigkeit dazu bestimmt worden und dies alles ist geschehen ohne Verminderung seiner vollkommenen und höchsten Freiheit. Auch glaube ich nicht, dass man ohne diese gegebene Auffassung im Stande sein wird, den gordischen Knoten der Zufälligkeit und der Freiheit zu lösen.

15. Durch diese Auseinandersetzung verschwinden alle Einwürfe des geschickten Verfassers. Erstens erhellt, dass die Zufälligkeit mit der Freiheit sich verträgt. Zweitens ist das schlechte Wollen schlecht, nicht blos weil es schadet, sondern auch weil es eine Quelle von schädlichen Dingen oder physischen Uebeln ist; ein schlechter Geist ist innerhalb des Gebietes seiner[473] Thätigkeit das, was das böse Prinzip der Manichäer in der ganzen Welt sein würde. Auch bemerkt der Verfasser Kap. 4, Abschn. 4, § 8, dass die Weisheit Gottes in der Regel Handlungen verbiete, welche Unangenehmes verursachen, d.h. physische Uebel. Ich erkenne an, dass der, welcher Uebles aus Nothwendigkeit bewirkt, nicht strafbar ist, allein kein Gesetzgeber und kein Rechtsgelehrter versteht unter dieser Nothwendigkeit die Macht der Gründe des Guten und Schlechten, mag dasselbe ein wahres oder nur ein scheinbares sein, welche den Menschen zur schlechten That bestimmt haben; sonst wäre der, welcher eine grosse Summe Geldes stiehlt, oder einen angesehenen Mann tödtet, um zu einem hohem Posten zu gelangen, weniger strafbar, wie der, welcher einige Groschen zu einem Glas Bier stiehlt oder den Hund seines Nachbars aus Uebermuth tödtet, weil diese letzteren Personen weniger versucht worden sind. Vielmehr geschieht das gerade Gegentheil in der amtlichen Rechtspflege der ganzen Welt und je grösser die Versuchung der Sünde ist, desto mehr bedarf sie einer Zurückweisung durch die Furcht vor einer grossen Strafe. Uebrigens wird man auch finden, dass je mehr Berechnung in den Absichten eines Unrechthandelnden vorhanden ist, um so mehr auch seine Schlechtigkeit überlegt und um so grösser und strafbarer ist. Deshalb macht die fein berechnete Absicht das Vergehen zu dem schwereren, was Betrug genannt wird und der Betrüger wird ein Fälscher, wenn er das Geschick hat selbst die Grundlagen unserer Sicherheit in den Schriftstücken zu untergraben. Dagegen wird man für eine grosse Leidenschaft mehr Nachsicht haben, weil sie sich mehr dem Wahnsinn nähert. Deshalb belegten die Römer jene Priester des Gott Apis mit einer harten Strafe, welche die Unschuld eines vornehmen Mädchens einem Ritter, der toll in sie verliebt war, dadurch überliefert hatten, dass sie ihn für ihren Gott ausgegeben hatten, während man bei dem Liebhaber sich mit dessen Verbannung begnügte. Hätte aber jemand Schlechtes gethan, ohne anscheinenden Grund und ohne Anschein einer Leidenschaft, so würde der Richter ihn leicht für einen Narren halten, namentlich wenn sich finden sollte, dass er oft solche aussergewöhnliche Dinge thäte, und dies kann zur[474] Verminderung der Strafe führen, aber ist durchaus nicht der wahre Grund von seiner schlechten That und seiner Bestrafung. So sehr entfernen sich also die Sätze meines Gegners von der Praxis der Gerichtshöfe und von der öffentlichen Meinung.

16. Drittens wird der Unterschied zwischen physischen und moralischen Uebel immer bleiben, wenn sie auch das mit einander gemein haben, dass beide ihre Gründe und Ursachen haben. Warum macht man sich auch immer neue Schwierigkeiten über den Ursprung des moralischen Uebels, da das Prinzip des Entschlusses für solche, welche die natürlichen Uebel haben entstehen lassen, auch hinreicht, um Rechenschaft für die freiwilligen Uebel zu geben? Das heisst, es genügt, wenn man zeigt, dass sich die Fähigkeit der Menschen zu Fehlern nicht beseitigen liess, ohne die Verfassung des besten Systems zu verändern oder ohne Anwendung von Wundern bei jeder Gelegenheit. Allerdings bildet die Sünde einen grossen Theil des menschlichen Elends und sogar den grössten, aber daraus folgt nicht, dass die Menschen nicht schlecht und strafbar seien, sonst müsste man auch die wirklichen Sünden der Nicht-Wiedergeborenen für entschuldbar halten, weil sie aus dem Prinzip unseres Elendes herkommen, welches die Erbsünde ist.

Viertens: Wenn man sagt, dass die Seele nur leidend und der Mensch nicht die wahre Ursache seiner Sünden sei, sofern er durch die Gegenstände zu seinen freiwilligen Handlungen gereizt werde, wie der Verfasser an vielen Orten behauptet, besonders im Kap. 5 Abschnitt I. Unterabschnitt 3 §18, so heisst dies den Worten neue Begriffe beilegen. Wenn die Alten von dem sprechen, was eph' hêmin ist, oder wenn wir von dem sprechen, was von uns abhängt, von der Selbstthätigkeit, von dem innern Princip unserer Handlungen, so schliessen wir dabei die Vorstellung der äussern Gegenstände nicht aus; denn auch deren Vorstellungen sind in unserer Seele und sie bilden einen Theil der Modificationen des in uns befindlichen thätigen Princips. Es giebt keinen Handelnden, welcher handeln könnte ohne zu dem im Voraus geneigt zu sein, was die Handlung erfordert und die Gründe oder Reize, welche aus dem Guten oder Schlechten hervorgehen, sind[475] die bestimmenden Momente, welche machen, dass die Seele sich zwischen Mehrerem, was zu wählen ist, entscheiden kann. Man will, dass der Wille allein das Thätige und Herrschende sei und man pflegt ihn wie einen König auf den Thron zu nehmen, dessen Staatsminister der Verstand ist, während die Leidenschaften die Höflinge oder die begünstigten Frauenzimmer darstellen, welche mit ihrem Entschluss oft den Rath des Ministers überwiegen. Man will dass der Verstand nur auf Befehl dieses Königs spreche und dass der König zwischen den Gründen des Ministers und den Einflüsterungen der Günstlinge abwägen und selbst beide abweisen könne, so dass er zuletzt sie schweigen oder sprechen, lässt, ihnen Audienz gewährt oder nicht, wie es ihm gutdünkt. Allein dies ist ein Gebilde oder eine Fiktion, die schlecht ersonnen ist. Wenn der Wille urtheilen oder Kenntniss von den Gründen und Wegen, welche der Verstand und die Sinne ihm bieten, nehmen soll, so müsste er noch einen Verstand in sich haben, um das zu verstehen, was man ihm vorstellt. In Wahrheit ist es die Seele, oder die Substanz, welche denkt, die Gründe versteht, die Reize empfindet und sich nach dem Uebergewicht der Vorstellungen bestimmt, welche ihre thätige Kraft modifiziren, um der Handlung ihre Besonderheit zu geben. Ich brauche hier nicht mein System der vorherbestimmten Harmonie zu benutzen, welches unsere Unabhängigkeit in ihrem vollen Glänze zeigt und uns von dem physischen Einflüsse der Gegenstände frei macht, da schon das Gesagte zur Widerlegung des Einwurfs hinreicht. Der Verfasser lässt zwar mit der gewönlichen Ansicht den physischen Einfluss der Gegenstände auf uns zu, aber entgegnet sehr sinnreich, dass die Körper oder die Gegenstände der Sinne der Seele weder die Vorstellungen noch die thätige Kraft geben und nur das enthalten, was in uns ist. So hat auch ohngefähr Descartes geglaubt, dass die Seele dem Körper zwar keine Kraft geben könne, aber doch einige Richtung. Es ist dies ein Mittelding zwischen der einen und der andern Ansicht, zwischen dem physischen Einfluss und der vorherbestimmten Harmonie.

17. Man erhebt fünftens den Einwurf gegen meine Lehre, dass danach die Sünde nicht getadelt und bestraft werde, weil sie es verdiene, sondern damit der Tadel und die Züchtigung neue Sünden verhindere, während die[476] Menschen mehr verlangen, nämlich eine Genugthuung für das Vergehen, selbst wenn dieselbe nicht zur Schadloshaltung oder zur Abschreckung dienen kann, wie sie ja auch mit Recht verlangen dass die wahre Dankbarkeit aus einer wahren Erkenntlichkeit für die vergangene Wohlthat hervorgehe und nicht aus der eigennützigen Absicht, neue Wohlthaten zu erpressen. Dieser Einwurf enthält schöne und gute Gedanken, aber trifft mich nicht. Ich verlange dass man tugendhaft, dankbar, gerecht nicht blos aus Eigennutz, oder in Hoffnung, oder aus Furcht sei, sondern auch um des Vergnügens willen, was man an guten Handlungen finden soll; ohnedem ist man noch nicht zu der Stufe der Tugend gelangt, wohin man streben soll. Dies meint man unter der Liebe der Gerechtigkeit und Tugend um ihrer selbst willen, und dies habe ich erklärt, als ich über die uninteressirte Liebe kurz vorher meine Ansicht darlegte, ehe der Streit entstand, welcher so viel Lärm verursacht hat. Ebenso ist nach meiner Ansicht die Schlechtigkeit grösser, wenn sie mit Vergnügen geübt wird, z.B. wenn ein Strassenräuber der bisher die Menschen getödtet hat, weil sie Widerstand leisteten, oder weil er ihre Rache fürchtete, zuletzt grausam wird und Vergnügen in deren Tödtung findet oder gar an deren vorherigen Martern. Dieser Grad von Schlechtigkeit gilt für teuflisch, weil der davon erfüllte Mensch in dieser schändlichen Lust einen starkem Grund für seine Mordthaten findet, als früher, wo sie nur aus Hoffnung oder Furcht geschahen. Auch in meiner Antwort auf die von Herrn Bayle erhobenen Schwierigkeiten habe ich gesagt, dass nach dem berühmten Herrn Conring die Justiz, welche nur mit medizinischen Strafen, so zu sagen, straft, d.h. nur um den Verbrecher zu bessern oder für Andere ein Beispiel zu geben, von Denen angenommen werden könne, welche die der Nothwendigkeit entledigte Freiheit vernichten; und dass die wahrhafte rächende Justiz, welche über die medizinischen Mittel hinausgeht, etwas Mehreres voraussetzt, nämlich die Einsicht und die Freiheit bei den, welcher sündigt, weil die Harmonie der Dinge eine Genugthuung verlange, oder ein Uebel im Erleiden, welches dem Geist seine Fehler empfinden lässt, nach dem Uebel des freiwilligen Handelns, zu dem er seine Zustimmung gegeben hat. Auch Herr Hobbes, welcher keine Freiheit[477] gelten lässt, hat die rächende Gerechtigkeit verworfen; wie die Socinianer, welche von unsern Rechtsgelehrten widerlegt worden sind, obgleich letztere den Begriff der Freiheit zu übertreiben pflegen.

18. Sechstens. Man entgegnet endlich, dass die Menschen auf die Seligkeit nicht rechnen können, wenn der Wille nur durch die Vorstellung des Guten und Bösen bestimmt werden könne; aber dieser Einwurf scheint mir von allen nichtigen der nichtigste und man wird Mühe haben ihm seine richtige Bezeichnung zu geben. Auch ist die Begründung zu dem Behuf die sonderbarste von der Welt. Es soll nämlich unser Glück von den äussern Dingen abhängen, wenn es wirklich von der Vorstellung des Guten und Schlechten abhänge. Man sagt, das Glück sei dann nicht mehr in unserer Gewalt, denn wir könnten nicht hoffen, dass die Dinge sich nach unserm Vergnügen einrichten würden. Allein dieser Grund hinkt auf beiden Füssen. »Diese Folgerung hat keine Kraft; man könnte die Folgerung zugestehen; der Grund könnte gegen den Verfasser geltend gemacht werden.« Ich beginne mit dieser Geltendmachung, welche leicht ist. Denn werden die Menschen durch diese Mittel wohl glücklicher oder unabhängiger von den Schlägen des Schicksals, um deshalb, weil man ihnen den Vorzug zutheilt, dass sie ohne Grund wählen können ? Werden sie deshalb weniger von den körperlichen Schmerzen leiden? Haben sie deshalb weniger Neigung für das wahre oder scheinbare Gute, weniger Furcht vor den wahren oder eingebildeten Uebeln. Sind sie deshalb weniger die Sclaven der Wollust, der Ehrsucht, des Geizes? weniger furchtsam? weniger neidisch? »Allerdings«, wird der gewandte Verfasser sagen: »ich werde es aus einer Art von Rechnung oder Abschätzung beweisen.« Allein ich hätte es lieber aus der Erfahrung bewiesen; indess wollen wir seine Rechnung hören. Gesetzt, ich gebe durch meine Wahl, welche nach dem Verfasser immer bewirkt, dass der gewählte Gegenstand in Bezug auf mich etwas Gutes erhält, dem gewählten Gegenstande sechs Grade der Güte, und gesetzt, dass er vorher zwei Grade des Uebels für meinen Zustand gehabt habe, so werde ich mit einem Schlage, ganz wie es mir behagt, glückliche denn es bleiben mir vier Grade Gutes übrig, oder vielmehr frei. – Dies ist allerdings ganz hübsch,[478] aber leider unmöglich. Denn wie will man diese sechs Grade Gutes dem Gegenstand beibringen? Dazu gehörte dass wir die Macht hätten unsern Geschmack oder die Dinge nach unserm Belieben zu ändern. Dies wäre ungefähr so, als wenn ich zu dem Blei in wirksamer Weise sagen könnte: Du sollst Gold werden; zum Sterne: Du sollst ein Diamant werden oder: Du sollst wenigstens dieselbe Wirkung für mich haben. Oder es wäre so, wie man die Stelle bei Moses erklärt, welche zu sagen scheint, dass das Manna der Wüste den Israeliten gerade so geschmeckt habe, wie sie gewollt hätten. Sie hätten zu ihrem Gomor nur zu sagen brauchen, Du da sollst ein Capaun sein und Du da ein Rebhuhn. Und wenn es mir freistellt, dem Gegenstand sechs Grade an Güte zu verleihen, kann ich ihm da nicht auch noch mehr verleihen? Ich denke ja. Aber weshalb geben wir dann dem Gegenstand nicht alle mögliche Güte? Weshalb gehen wir du nicht bis zu den 24 Carat der Güte? Durch dieses Mittel wären wir ja immer ganz glücklich, trotz der Schläge des Schicksals. Mag der Wind brausen, mag es hageln oder schneien dies kümmert uns nicht; durch dieses schöne Mittel und Geheimniss sind wir für immer gegen alle Zufälle gestützt. Der Verfasser gesteht zu (in der Sektion I, des 5. Kapitels, Unterabschnitt 3, § 12), dass diese Macht alle natürlichen Begehren übertreffe und von keinem derselben übertroffen werden könne; er betrachtet sie (§ 20. 21. 22) als die festeste Grundlage unseres Glücks. Wenn es nichts giebt, was eine so unbestimmte Macht beschränken könnte, wie die, ohne Grund wählen zu können und jedem Gegenstand durch die Wahl eine gewisse Güte zu verleihen, so müsste allerdings diese Güte alle jene ohne Maass übertreffen, welche die natürlichen Begehren in den Dingen suchen; denn diese Begehren und diese Dinge sind beschränkt, während diese Macht ganz unabhängig ist, oder es muss wenigstens diese Güte, welche der Wille dem gewählten Gegenstande verleiht, willkürlich und so gross sein, wie man mag. Woher sollte man auch einen Grund für deren Beschränkung hernehmen, wenn der Gegenstand möglich ist, wenn er zu Händen dessen ist, welcher will und wenn der Wille ihm jede beliebige Güte verleihen kann ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit und dem Schein? Dies genügt wohl, um eine so fragliche Hypothese zu beseitigen,[479] die etwas Aehnliches, wie die Fabeln von den Feen enthält; optantis isthaec sunt, non invenientis. (Man wünscht wohl dergleichen, findet es aber nicht). Auch bleibt es nur zu wahr, dass jene schöne Fiktion uns nicht freier von den Uebeln machen würde und wir werden später seilen, dass wenn die Menschen über gewisse Begehrungen oder Verabscheuungen Herr werden, es durch andere Begehrungen geschieht, welche immer ihren Grund in der Vorstellung des Guten und des Schlechten haben. – Ich habe auch gesagt, dass man dem Schlusssatz des Beweises beistimmen könne, wonach es nicht unbedingt von uns abhängt, glücklich zu sein, wenigstens in dem Zustand des gegenwärtigen Lebens; denn unzweifelhaft sind wir vielen Zufällen ausgesetzt, welche die menschliche Klugheit nicht vermeiden kann. Wie könnte ich es z.B. verhindern, von einem Erdbeben verschlungen zu werden, sammt einer Stadt, wo ich wohne, wenn die Ordnung der Dinge der Art ist. – Ich kann endlich die Folgerichtigkeit in dem Beweise bestreiten, wonach es nicht von uns abhängt, glücklich zu sein, wenn der Wille nur durch die Vorstellung des Guten und Schlechten bewegt wird. Die Folgerung wäre richtig, wenn es keinen Gott gäbe, wenn alles nur nach blinden Ursachen ginge; allein Gott bewirkt es, dass um glücklich zu sein, es genügt, tugendhaft zu sein. Wenn daher die Seele der Vernunft und den von Gott gegebenen Verordnungen folgt, so kann sie ihres Glückes sicher sein, obgleich man dessen nicht genug in diesem Leben finden kann.

19. Nachdem der gewandte Verfasser das Unangemessene meiner Hypothese darzulegen versucht hat, entwickelt er die Vorzüge der seinigen. Er meint, dass sie allein unsere Freiheit retten könne, dass sie all unser Glück ausmache, unsere Güter vermehre und unsere Uebel mindere und dass wer diese Macht besitze, damit vollkommener sei. Diese Vorzüge habe ich beinah sämmtlich schon widerlegt. Ich habe gezeigt, dass, um frei zu sein, es genügt, wenn die Vorstellungen des Guten und Schlechten und andere innere und äussere Zustände uns reizen, ohne uns zu zwingen. Auch ist nicht einzusehen, wie die reine Unbestimmbarkeit zu unserm Glück beitragen kann; im Gegentheil wird man[480] um so unempfindlicher und weniger fähig sein, die Güter zu geniessen, je mehr man gleichgültig ist. Ueberdem hat die Hypothese eine zu grosse Wirkung. Denn wenn eine unbestimmte Macht sich das Gefühl des Guten geben könnte, so könnte sie sich auch, wie ich schon gezeigt habe, das vollkommenste Glück gewähren, und es gäbe hier keine Schranke, denn diese würde sie aus dieser reinen Unbestimmbarkeit heraustreten lassen, aus der sie doch angeblich nur durch sich selbst herausschreitet, oder vielmehr, in welcher sie niemals gewesen ist. Endlich ersieht man nicht, in was die Vollkommenheit der reinen Unbestimmtheit bestehen soll, vielmehr giebt es nichts unvollkommneres, da sie das Wissen und die Güte unnütz machen und alles auf den Zufall zurückführen würde, ohne dass man für sein Handeln eine Regel oder einen Massstab hätte.

Indess bleiben noch einige Vortheile zu prüfen, die der Verfasser anführt und welche ich noch nicht besprochen habe. Er meint, nur vermöge dieser Macht wären wir die wahre Ursache unserer Handlungen, der sie zugerechnet werden könnten, weil wir ohnedem durch die äusseren Gegenstände gezwungen würden; auch könne man nur vermöge dieser Macht sich das Verdienst seines eignen Glückes zuschreiben und sich seiner selbst erfreuen. Allein ganz das Gegentheil findet statt; denn wenn man in eine Handlung durch eine unbedingt unbestimmte Erregung geräth und nicht in Folge ihrer guten und schlechten Eigenschaften, wäre dies dann nicht ebenso, als wenn man blind durch Zufall oder Loos hinein geriethe? Und wie könnte man sich dann noch einer guten Handlung rühmen oder wegen einer schlechten getadelt werden, wenn man nur dem Schicksal oder Zufall dafür zu danken, oder deshalb es anzuklagen hätte? Ich denke, man ist lobenswerther, wenn man die Handlung seinen guten Eigenschaften verdankt und in dem Maasse tadelnswerther, als man dazu wegen seiner schlechten Eigenschaften bereit gewesen ist. Ein Abschätzen der Handlungen ohne Abwägung der Eigenschaften, aus denen sie entstellen, ist ein Gerede in die Luft und ein eingebildetes »ich weiss nicht was« an die Stelle der Ursachen setzen. Wäre dieser Zufall oder dieses unbekannte Etwas die Ursache unserer Handlungen und wären unsere natürlichen oder erworbenen[481] Eigenschaften, unsere Neigungen und Gewohnheiten davon ausgeschlossen, so könnte man von den Entschlüssen Anderer sich nichts versprechen, da ein Unbestimmbares sich nicht bestimmen lässt und man nicht weiss, auf welche Rhede das Schiff unseres Willens durch den unzuverlässigen Sturm einer übermässigen Unbestimmtheit geworfen werden würde.

20. Wir wollen jetzt die Vortheile und Nachtheile dieser Hypothese bei Seite lassen und sehen, wie unser gelehrter Verfasser seine Hypothese rechtfertigen wird, von welcher er sich so viel Nutzen verspricht. Er meint, dass nur Gott und die freien Geschöpfe in Wahrheit thätig seien und dass um thätig zu sein, man nur durch sich selbst bestimmt werden dürfe. Nun dürfe der, welcher sich selbst bestimmt, nicht durch die Gegenstände bestimmt werden und deshalb müsse die freie Substanz, als freie, in Bezug auf die Gegenstände sich gleichgültig verhalten und aus dieser Gleichgültigkeit nur durch ihre Wahl heraustreten, welche den Gegenstand ihr angenehm machen werde. Allein beinah alle Sätze dieser Begründung geben Anlass zu Bedenken. Nicht blos die freien Geschöpfe, sondern auch alle andern Substanzen, so wie die aus Substanzen zusammengesetzten Naturen sind thätig. Die Thiere sind nicht frei und doch haben sie thätige Seelen, man müsste dann mit den Cartesianern annehmen, dass sie reine Maschinen seien. Auch ist es, um thätig zu sein, nicht nöthig, dass man blos durch sich selbst bestimmt werde, da ein Gegenstand seine Richtung empfangen kann, ohne seine Kraft zu empfangen. In dieser Weise wird das Pferd von dem Reiter regiert und das Schiff von dem Steuerruder; auch Herr Descartes hat gemeint, dass der Körper seine Kraft in sich habe und von der Seele nur seine Richtung zum Theil erhalte. Also kann ein thätiges Ding von Aussen eine Bestimmung oder Richtung empfangen, wodurch es von der abgelenkt wird, die es ohnedem eingehalten hätte. Aber selbst wenn eine thätige Substanz nur von sich selbst bestimmt wird, folgt nicht, dass sie nicht durch die Gegenstände bewegt werde; denn die Vorstellung des Gegenstandes ist in ihm und diese trägt zur Bestimmung bei. Da nun diese nicht von Aussen kommt, so ist die Selbstbestimmung so ganz vollständig.[482] Die Gegenstände wirken auf die verständigen Substanzen nicht wie wirkende und physische Ursachen, sondern wie Zweckursachen und moralische Ursachen. Wenn Gott nach seiner Weisheit handelt, so regelt er sich in Bezug auf die möglichen Gedanken, welche seine Gegenstände bilden, die aber noch keine Wirklichkeit ausserhalb seiner vor ihrer thatsächlichen Erschaffung haben. Deshalb ist diese Art von geistiger und moralischer Anregung, der Thätigkeit der Substanz nicht entgegengesetzt, und auch nicht der Selbstbestimmbarkeit ihres Handelns. Wäre endlich die freie Macht auch nicht durch die Gegenstände bestimmt, so könnte sie doch nie für die Handlung gleichgültig sein, wenn sie auf dem Punkte zu handeln steht, weil die Handlung da nothwendig aus einer Bereitwilligkeit zu handeln entstehen muss; ohnedem würde man alles aus allem thun, quidvis ex quovis, und man könnte selbst das Verkehrteste voraussetzen. Aber diese Bereitwilligkeit wird schon den Zauber der reinen Unbestimmtheit durchbrochen haben und wenn die Seele sich diese Bereitwilligkeit giebt, so bedarf es wieder einer andern Bereitwilligkeit für die Handlung, wodurch man jene sich giebt, und deshalb wird man, so weit man auch zurückgehen mag, in der Seele niemals eine reine Unentschiedenheit für die vorzunehmenden Handlungen antreffen. Es ist richtig, dass diese Zustände zur Handlung geneigt machen, aber sie zwingen nicht dazu; sie beziehen sich meist auf Gegen stände, allein es giebt auch welche, die in anderer Weise a subjecto, oder von der Seele selbst kommen und welche den einen Gegenstand angenehmer als den andern machen, oder es wird auch derselbe Gegenstand in verschiedenen Zeiten verschieden angenehm empfunden.

21. Der Verfasser versichert fortwährend, dass diese Hypothese wahr sei und er versucht zu zeigen, dass diese unbestimmte Macht auch in Gott enthalten sei, ja dass man sie ihm nothwendig zutheilen müsse. Denn für ihn, sagt der Verfasser, ist in den Geschöpfen nichts gut oder schlecht; er hat kein natürliches Begehren, welches durch den Genuss irgend einer Sache ausser ihm befriedigt wird, er ist vielmehr durchaus gleichgültig für alle äussern Dinge, da diese ihm weder[483] helfen, noch ihn belästigen können; er muss daher sich entschliessen und sich gleichsam ein Begehren durch seine Wahl verschaffen. Nach der Wahl wird er dieselbe aufrecht erhalten ganz so, als wenn eine natürliche Neigung ihn dazu bestimmt hätte. So wird der göttliche Wille die Ursache von der Güte in den Wesen; d.h. die Gegenstände werden eine Güte haben, nicht vermöge ihrer Natur, sondern durch den Willen Gottes. Wird dieser bei Seite gestellt, so wird man weder Gutes noch Schlechtes an den Dingen antreffen. – Man kann schwer begreifen, wie verdienstvolle Schriftsteller sich an einen so sonderbaren Gedanken haben heften können, da der Grund, den man hier dafür anführen könnte, nicht das mindeste Gewicht hat. Es scheint, als wolle man diese Meinung darauf stützen, dass alles Geschaffene sein Dasein von Gott habe, und dass es deshalb keine Macht über ihn haben und ihn nicht bestimmen könne. Allein damit weicht man offenbar von der Sache ab. Wenn ich sage, dass eine verständige Substanz durch die Güte ihres Gegenstandes bestimmt werde, so braucht dieser Gegenstand nicht nothwendig ein Seiendes ausserhalb dieser Substanz zu sein: es genügt, dass der Gegenstand begreiflich ist; denn seine Vorstellung ist es, welche in der Substanz wirkt, oder die Substanz wirkt vielmehr auf sich selbst, je nachdem sie durch diese Vorstellung eine Richtung erhält oder angeregt wird.

Bei Gott ist es klar, dass sein Verstand die Vorstellungen von allen möglichen Sachen enthält, und deshalb ist in ihm alles in eminenter Weise enthalten. Diese Vorstellungen bieten ihm das Gute und das Schlechte, die Vollkommenheit und die Unvollkommenheit, die Ordnung und die Unordnung, die Uebereinstimmung und die Nicht-Uebereinstimmung der möglichen Gegenstände und seine überfliessende Güte lässt ihn das Vortheilhafteste wählen. Sonach bestimmt sich Gott durch sich selbst; sein Wille wird vermöge seiner Güte thätig, allein er wird in seinem Handeln genauer bestimmt und geleitet durch seinen von der Weisheit erfüllten Verstand. Da nun sein Verstand vollkommen, seine Gedanken immer gut sind, so thut er immer nur das beste, während wir durch den falschen Schein des Wahren und Guten getäuscht werden können. Wie kann man aber behaupten, dass in den Vorstellungen[484] das Gute und Schlechte vor dem Willen Gottes nicht enthalten sei? Ist es denn der Wille Gottes, der die Vorstellungen in seinem Verstande bildet? Ich mag dem Verfasser einen so sonderbaren Gedanken nicht zuschreiben, welcher den Willen mit dem Verstande vermengt und den Gebrauch der Begriffe ganz zerstören würde. Wenn also die Vorstellungen von dem Willen unabhängig sind, so ist es auch die in demselben vorgestellte Vollkommenheit und Unvollkommenheit. Ist es z.B. der Wille Gottes oder nicht vielmehr die Natur der Zahlen, vermöge deren gewisse Zahlen mehr wie andere in verschiedener Weise genau getheilt werden können? Dass die einen mehr, als die andern Ordnungen bilden, Vielecke und andere regelmässige Figuren darstellen können? Dass die Zahl 6 den Vorzug hat, die kleinste von allen vollkommenen Zahlen zu sein; dass in der Ebene 6 gleiche Kreise einen siebenten berühren können, dass von allen gleich grossen Körpern die Kugel die kleinste Oberfläche hat? Dass gewisse Linien kein gemeinsames Maass haben und deshalb wenig zur Harmonie geeignet sind? Sieht man nicht, dass alle diese Vorzüge und Mängel aus der Vorstellung der Sache kommen und dass das Entgegengesetzte einen Widerspruch enthält? Glaubt man auch, dass der Schmerz und die Unbequemlichkeiten der fühlenden Geschöpfe, vor allem das Glück und Unglück verständiger Substanzen Gott gleichgültig sei?

Und was soll man dann von seiner Gerechtigkeit sagen? Ist sie auch etwas willkürliches und würde er weise und gerecht gehandelt haben, wenn er beschlossen hätte, die Unschuldigen zu verdammen? Ich weiss, dass manche schlecht berathene Schriftsteller eine so gefährliche Ansicht gehegt haben, welche alle Frömmigkeit zerstören muss; allein der Verfasser ist sicherlich weit davon entfernt. Dennoch dürfte diese Hypothese dahin führen, wenn alles in den Dingen für den Willen Gottes vor seiner Wahl gleichgeltend ist. Allerdings hat Gott keine Bedürfnisse, aber der Verfasser hat selbst sehr gut dargelegt, dass Gottes Güte und nicht sein Bedürfniss ihn zur Schöpfung der Geschöpfe veranlasst habe, und deshalb ging ein Grund seinem Entschlüsse vorher, und Gott hat diese Welt, wie ich so oft gesagt, weder aus Zufall, noch aus Nothwendigkeit geschaffen, sondern seine[485] Neigung hat ihn dahin geführt und seine Neigung führt immer zu dem Besten. Es ist deshalb auffallend, dass der Verfasser hier behauptet (Kap. 5, Abschn. 1, Unter abschn. 4, § 5), dass es keinen Grund gebe, welcher den unbedingt vollkommenen und in sich glücklichen Gott zur Erschaffung von etwas ausser ihm habe veranlassen können, da der Verfasser doch selbst vorher (Kap. 1, Abschn. 3, § 8. 9.) gelehrt hat, dass Gott um eines Zweckes willen handle, und dieser Zweck in der Mittheilung seiner Güte bestehe. Zu erschaffen, oder nicht zu erschaffen war daher für Gott nicht durchaus gleichgültig und doch ist die Schöpfung eine freie That. Auch die Erschaffung dieser bestimmten Welt oder eines ewigen Chaos oder eines Systems voll Ordnung war ihm deshalb nicht gleichgültig. Deshalb haben die Beschaffenheiten der Dinge, welche in deren Vorstellungen mit befasst waren, den Grund zu seiner Wahl gegeben.

22. Der Verfasser, welcher vorher so viel Schönes über das Angenehme und die Schönheit von Gottes Werken gesagt hat, sucht eine Wendung, um dies mit seiner Hypothese zu vereinigen, welche Gott alle Rücksicht auf das Gute und das Angenehme bei den Geschöpfen zu nehmen scheint. Er sagt, die Gleichgültigkeit Gottes habe nur bei seinen ersten Wahlen bestanden; sobald aber Gott etwas erwählt habe, so habe er zugleich dem Vermögen nach auch alles erwählt, was nothwendig mit dem Ersten verbunden sei. Es gab nach unserm Verfasser unzählig viele mögliche vollkommene Menschen, die Auswahl von einigen aus denselben war durchaus willkürlich; aber nachdem Gott sie erwählt, so konnte er das nicht mehr wollen, was der menschlichen Natur widersprach. Bis hierher spricht der Verfasser in Uebereinstimmung mit seiner Hypothese; aber das Folgende geht viel weiter; denn er sagt, dass, nachdem Gott beschlossen, gewisse Geschöpfe zu erschaffen, er vermöge seiner schrankenlosen Güte auch beschlossen habe, denselben alles mögliche Behagen zu gewähren. Dies ist durchaus richtig, allein widerspricht auch durchaus der von ihm aufgestellten Hypothese und er sollte sie lieber verwerfen, als sie, mit Unangemessenem beladen, fortbestehen zu lassen, welches der Weisheit und Güte Gottes[486] zuwider ist. Ich will hier darlegen, dass diese letzte Annahme sich offenbar mit dem, was ich eben berichtet, nicht verträgt. Die erste Frage würde sein: Wird Gott etwas erschaffen oder nicht, und weshalb? Nach dem Verfasser hat Gott es gethan, um seine Güte mitzutheilen. Also ist ihm das Erschaffen oder Nicht-Erschaffen nicht gleichgültig. Dann frage ich weiter: Wird Gott diese Sache erschaffen oder eine andere, und weshalb? Wollte man folgerichtig bleiben, so müsste man antworten, dass dieselbe Güte ihn das Beste habe wählen lassen und darauf kommt auch in der That der Verfasser in der Folge zurück; aber seiner Hypothese gemäss antwortet er, dass Gott diese Sache erschaffen werde, aber dass es kein Warum dafür gebe, weil Gott für die Geschöpfe durchaus gleichgültig sei, welche ihre Güte nur durch seine Wahl erlangen. Allerdings schwankt der Verfasser hier ein wenig, denn er sagt (Kap. 5, Abschn. 5, Unterabschn. 4, § 12), dass die Wahl unter gleich vollkommenen Menschen oder unter den gleich vollkommenen Arten von vernünftigen Geschöpfen für Gott rein gleichgültig sei. Also müsste er nach diesen Worten vielmehr die vollkommenste Art erschaffen und da die gleich vollkommenen Arten mehr oder weniger mit andern übereinstimmen, so wird Gott diejenigen wählen, welche am meisten mit einander stimmen; daher besteht bei ihm keine reine und unbedingte Gleichgültigkeit und so kommt der Verfasser auf meine Ansichten zurück.

Alleinsprechen wir wie er es nach seiner Hypothese thut und nehmen wir also mit ihm an, dass Gott gewisse Geschöpfe erwählt, obgleich sie alle ihm völlig gleichgültig sind. Er wird also eben so leicht Geschöpfe erwählen, welche unregelmässig, schlecht gebaut, schlecht handelnd, unglücklich sind, ein ewiges Chaos, überall Ungeheuer, eine Erde, die nur von Verbrechern bewohnt wird, ein Universum, was nur von Teufeln erfüllt ist, wie ein gutes System, gut gebildete Arten, gute Menschen und Engel! Nein, wird der Verfasser sagen: Da Gott beschlossen, Menschen zu erschaffen, so hat er gleichzeitig beschlossen, ihnen alle Bequemlichkeiten zu gewähren, deren die Welt fähig war; und ebenso verhält es sich mit den übrigen Arten. Wären nun diese Bequemlichkeiten nothwendig, mit der Natur der Menschen[487] verknüpft gewesen, so würde der Verfasser folgerichtig sprechen, aber da diese Nothwendigkeit nicht besteht, so muss er einräumen, dass es eine neue Wahl ist, welche unabhängig von der ist, wonach er Menschen geschaffen hat, wenn Gott beschliesst, denselben alle möglichen Bequemlichkeiten zu gewähren. Woher kommt nun diese neue Wahl? Kommt sie auch von einer reinen Gleichgültigkeit? Ist dies der Fall, so treibt Nichts Gott, dass er das Gute für die Menschen aufsuche, und wenn es mitunter geschieht, so ist es zufällig. Allein der Verfasser will, dass Gott durch seine Güte dazu veranlasst worden, also ist das Gute und Schlimme der Geschöpfe ihm nicht gleichgültig und es giebt bei ihm ursprüngliche Wahlen, wo er von der Güte des Gegenstandes bestimmt wird. Er wählte nicht blos die Erschaffung der Menschen, sondern solcher, die so glücklich wären, als in diesem Systeme möglich war. Auch dann blieb er nicht in einer reinen Gleichgültigkeit, denn man kann dasselbe für die ganze Welt geltend machen, was für das menschliche Geschlecht gesagt worden ist. Gott hatte die Erschaffung einer Welt beschlossen, aber seine Güte führte ihn gleichzeitig zur Wahl einer solchen, welche die möglichst grösste Ordnung, Regelmässigkeit, die meiste Tugend und das meiste Glück enthielt. Denn ich sehe keinen Grund ab, weshalb Gott durch seine Güte zwar bestimmt worden, die Menschen, welche er schaffen wollte, so vollkommen zu machen, als dieses System gestattet, aber dass er nicht dieselbe gütige Absicht für das ganze Universum gehabt haben sollte. So sind wir wieder bei der Güte der Gegenstände angelangt und die reine Gleichgültigkeit, bei welcher Gott ohne Grund handeln würde, ist durch das eigne Verfahren unseres gewandten Verfassers gänzlich zerstört, bei welchem die Macht der Wahrheit da, wo man auf Thatsachen zurückgehen musste, eine speculative Hypothese überwogen hat, welche keine Anwendung auf wirkliche Thatsachen haben kann.

23. Wenn es sonach bei Gott nichts Gleichgültiges giebt, und wenn er alle Grade, alle Wirkungen, alle Beziehungen der Dinge kennt und mit einem Schlage in alle möglichen Verbindungen eindringt; so wollen wir nun sehen, ob wenigstens bei dem Menschen Gottes Unwissenheit[488] und Unempfindlichkeit ihn bei einer Wahl durchaus gleichgültig machen konnte. Der Verfasser bewirthet uns mit dieser reinen Gleichgültigkeit, als wie mit dem schönsten Geschenk. Seine Beweise sind folgende: 1) Wir fühlen diese Gleichgültigkeit in uns. 2) Wir erfahren in uns deren Zeichen und Eigenthümlichkeiten. 3) Wir können zeigen, dass Ursachen, die unsern Willen bestimmen könnten, unzureichend seien. – Bei dem ersten Punkt sollen wir also bei Empfindung unserer Freiheit gleichzeitig darin die reine Gleichgültigkeit empfinden. Allein ich kann nicht zugeben, dass wir eine solche Gleichgültigkeit empfinden und dass diese angebliche Empfindung der der Freiheit folge. Wir fühlen in der Regel in uns etwas, was uns zu unserer Wahl hinneigen macht. Selbst wenn es manchesmal vorkommt, dass man von allen seinen Neigungen nicht Rechenschaft geben kann, so lässt uns doch eine geringe Aufmerksamkeit erkennen, dass der Zustand unseres Körpers und der uns umgebenden Körper die gegenwärtige oder vorgehende Stimmung in unsrer Seele und eine Menge kleiner Dinge, welche in diesen grossen Dingen drin stecken, dazu beitragen können, dass uns die Gegenstände mehr oder weniger behagen und wir verschieden über sie zu verschiedenen Zeiten urtheilen.

Niemand schiebt dies auf eine reine Gleichgültigkeit oder auf irgend welche Kraft der Seele, welche bei den Dingen das bewirkt, was die Farben bei dem Chamäleon thun. Deshalb kann der Verfasser sich hier nicht auf das Urtheil der Menge berufen und sagen, dass diese in vielen Dingen besser urtheile als die Philosophen. Allerdings haben manche Philosophen Chimären zusammengesetzt und die reine Gleichgültigkeit dürfte auch zu den chimärischen Begriffen gehören; allein wenn jemand sagt, eine Sache bestehe nicht weil die Menge nichts davon merkt, so wird hier das Volk nicht für einen guten Richter gelten können, weil es nur nach seinen Sinnen entscheidet. Viele Leute halten die Luft für Nichts, wenn sie nicht durch den Wind bewegt wird. Die Meisten kennen diejenigen Körper nicht, welche nicht in die Sinne fallen; sie kennen das Fluidum nicht, welches die Schwere macht, auch die Federkraft und die magnetische Materie nicht; geschweige die Atome und andere untheilbare Substanzen. Sollen deshalb diese Dinge nicht bestehen, weil die Menge sie nicht kennt?[489] Dann könnte man auch sagen, dass die Seele mitunter ohne alle jene Angelegtheit oder Neigung handelt, welche zu ihrem Handeln beiträgt, weil es viele solche Lagen und Neigungen giebt, welche von der Menge nicht genug bemerkt werden, indem sie nicht darauf achten und daran denken. Was aber zweitens die Zeichen der fraglichen Macht anlangt, so habe ich bereits den Vortheil widerlegt, den sie haben soll, weil sie uns thätig und zur wahren Ursache unserer Handlungen mache und dass man nur durch sie der Zurechnung und der Moralität fähig sei; dies wären keine guten Zeichen für deren Dasein. Dies gilt auch für ein anderes, von dem Verfasser angeführtes Zeichen, wonach wir in uns eine Macht haben, wodurch wir den natürlichen Begehren entgegentreten können, d.h. nicht blos den Sinnen, sondern auch der Vernunft; vielmehr habe ich schon gesagt, dass man sich den natürlichen Begehrungen durch andere natürliche Begehrungen entgegenstellt. Man erträgt mitunter Unangenehmes, ja mit Freuden, aber nur deshalb, weil eine Hoffnung oder eine Befriedigung mit dem Uebel verbunden ist, welche letzteres überwiegen; man erwartet davon ein Gut, oder findet es schon darin. Der Verfasser meint, dass wir durch diese, den Schein umwandelnde Macht, welche er auf den Schauplatz gebracht hat, dasjenige angenehm machen, was anfangs uns missfalle; allein offenbar sind es die Hinwendung und die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand und die Gewohnheit, welche unsere Empfänglichkeit ändern und folglich auch unsere natürlichen Begehren. Die Gewöhnung ist es auch, welche uns einen beträchtlichen Grad von Kälte oder Hitze nicht mehr so beschwerlich sein lässt, als vorher, und Niemand schiebt diese Wirkung auf eine Kraft zu wählen. Auch bedarf diese Abhärtung einer gewissen Zeit oder vielmehr jener harten Haut, vermöge deren gewisse Arbeiter einen Grad von Hitze mit ihren Händen ertragen können, welche die unsrigen verbrennen würde. Die Menge, auf welche der Verfasser sich beruft, urtheilt ganz richtig über diese Wirkung, wenn sie auch sonst manchmal lächerliche Urtheile fällt. Als von zweien in der Küche befindlichen Mädchen die eine sich am Feuer verbrannt hatte, sagte die andere: Meine Liebe, wer wird das Fegefeuer ertragen können? worauf die andere antwortete: Du bist verrückt, meine Liebe, man gewöhnt sich an alles.

[490] 24. Allein, wird der Verfasser sagen, diese merkwürdige Macht, welche uns gegen alles gleichgültig macht, oder allem zuneigen macht, wie wir wollen, überwiegt selbst die Vernunft. Dies ist sein dritter Beweis, nämlich, man würde seine eignen Handlungen nicht hinreichend erklären können, wenn man diese Macht nicht zu Hülfe nähme. Tausende von Menschen, sagt er, verachten die Bitten ihrer Freunde, den Rath ihrer Angehörigen, die Vorwürfe ihres Gewissens, die Strafe, den Tod, den Zorn Gottes, selbst die Hölle, um Thorheiten nachzulaufen, welche nur durch ihre reine und freie Wahl etwas gutes und erträgliches bekommen. In diesem Beweise ist alles gut, ausgenommen die letzten Worte. Denn wenn man ein Beispiel nimmt so wird man finden, dass Gründe und Ursachen vorhanden sind, welche den Menschen zu seiner Wahl geführt haben und dass sehr starke Bande ihn daran fest halten. So kommt eine Liebschaft niemals von einer reinen Gleichgültigkeit; eine Neigung oder Leidenschaft hat dabei ihr Spiel gehabt, aber Gewohnheit und Eigensinn bringen manche Naturen so weit, dass man sich lieber ruinirt, als davon frei macht. Ein anderes Beispiel bringt der Verfasser selbst herbei; ein Gottesleugner, Lucilio Vanini, (so nennen ihn die Meisten, während er selbst den vornehmen Namen, Giulio Cesare Vanini sich in seinen Werken giebt) wird lieber das lächerliche Märtyrerthum seiner Chimäre ertragen, als seiner Gottlosigkeit entsagen. Der Verfasser nennt nicht Vanini und dieser Mensch hat in Wahrheit seine schlechte Meinung widerrufen, als er überführt wurde, dass er Lehrsätze aufstelle und den Apostel der Atheisten mache. Als man ihn fragte, ob es einen Gott gebe, riss er einen Grashalm ab und sagte;


Et levis est cespes, qui probat, esse Deum.

(Ein leichter Grashalm beweist das Dasein Gottes).


Allein der General-Procurator bei dem Parlament zu Toulouse wollte den ersten Präsidenten desselben ärgern (wie man sagt) bei welchem Vanini viel Zutritt hatte und dessen Kinder er in der Philosophie unterrichtete, wenn er nicht gar sein Bedienter war; so wurde die Inquisition durch Strenge genöthigt und als Vanini sah, dass er auf keine Verzeihung mehr hoffen konnte, so erklärte[491] er sterbend sich für das, was er war, nämlich für einen Atheisten, worin nichts so Außerordentliches gefunden werden kann. Selbst wenn ein Atheist sich freiwillig zur Bestrafung mit dem Tode anböte so könnte die Eitelkeit bei ihm eine ebenso stark wirkende Ursache sein, wie bei dem Gymnosophisten Calanus und bei dem Sophisten, der nach Lucian's Bericht sich freiwillig den Tod durch das Feuer gesucht hat. Der Verfasser glaubt indess, dass selbst solche Eitelkeit und solche Hartnäckigkeit und sonstige Auffassungen der Menschen, die im übrigen von ganz gesundem Verstande sich zeigen nicht durch jene Begehrungen sich erklären liessen, welche aus den Vorstellungen des Guten und Schlimmen entspringen und dass sie uns deshalb nöthigen, auf jene transscendentale Macht zurückzugreifen, welche das Gute in Schlimmes, das Schlimme in Gutes verwandelt und das Gleichgültige in Gutes oder Schlimmes. Allein man braucht nicht so weit zu gehen; die Ursachen unserer Irrthümer liegen offen da.

Man kann allerdings diese Umwandlung ausführen, aber nicht, wie bei den Feen, durch einem einfachen Akt dieser magischen Gewalt, sondern durch Verdunkelung und Unterdrückung der guten und schlechten Eigenschaften in seinen Gedanken, die mit gewissen Gegenständen in natürlicher Weise verbunden sind und dadurch dass man nur diejenigen Eigenschaften im Auge behält, welche unserm Geschmack oder unsern Vorurtheilen entsprechen; ja selbst dadurch, dass man durch gewaltsames Denken gewisse Eigenschaften damit verbindet, die sich nur zufällig oder durch unsere gewohnte Auffassung darin vorfinden. So widersteht mir z.B. ein gutes Nahrungsmittel, weil ich als Kind darin etwas ekelhaftes gefunden habe und dies einen starken Eindruck bei mir zurückgelassen hat. Umgekehrt kann mir ein grosser Fehler gefallen, weil er in mir etwas von dem Bilde der Person erweckt, die ich ehrte oder liebte. Ein junger Mensch kann von dem grossen Beifall berauscht worden sein, der ihn eine glücklich öffentliche Handlung eingebracht hat; der Eindruck dieser grossen Freude hat ihn ausserordentlich empfänglich für den Ruhm gemacht, er denkt Tag und Nacht nur an das, was diese Leidenschaft nährt und er wird selbst deshalb den Tod nicht scheuen, um sein Ziel zu erreichen. Denn wenn er gleichwohl weiss, dass er das nicht hören werde, was[492] man von ihm nach seinem Tode sagen wird, so hat doch die Vorstellung die er sich davon im Voraus macht eine grosse Wirkung auf seinen Geist. Immer sind es dergleichen Gründe bei den Handlungen, welche denen völlig eitel und unvernünftig erscheinen, welche diese Gründe nicht beachten. Kurz, ein heftiger oder oft wiederholter Eindruck kann unsere Organe, unsere Einbildungkraft, unser Gedächtniss und selbst unsere Erwägungen erheblich umstimmen, und ein Mensch, der eine von ihm erfundene Lüge oft erzählt hat, kann zuletzt selbst daran glauben. Da man sich das Angenehme oft vorstellt, so wird seine Vorstellung leicht und man glaubt, sie auch so leicht verwirklichen zu können; deshalb hält man leicht das für wahr, was man wünscht.


Et qui amant ipsi sibi somnia fingunt.

(Die Verliebten machen sich selbst ihre Träume).


25. Die Irrthümer sind deshalb niemals willkürlich, im strengen Sinne, obgleich der Wille dabei oft mittelbar mit einwirkt, weil man gern gewissen Gedanken nachhängt, und vor andern eine Abscheu hat. Der gute Eindruck, welchen ein Buch macht, hilft dem Leser an dessen Inhalt glauben. Die Art und die Manieren in denen jemand spricht, nimmt die Zuhörer für ihn ein. Man verachtet leicht Lehren eines Menschen den man verachtet oder hasst oder die Lehren eines Andern, der jenem in einem auffallenden Stücke ähnelt. Ich habe schon gesagt, weshalb man das Mögliche und zugleich Angenehme gern glaubt und ich habe Personen gekannt, die zunächst ihre Religion aus weltlichen Rücksichten gewechselt haben, aber nachher überzeugt und fest überzeugt waren, dass sie den besten Theil ergriffen hätten. Die Hartnäckigkeit ist nicht blos das Aushalten bei einer schlechten Wahl, sondern auch eine Neigung, auszuhalten, weil man sich etwas Gutes dabei einbildet, oder etwas Uebles, wenn man seinen Sinn änderte. Die erste Wahl ist vielleicht leichtsinnig geschehen, aber der Wille dabei zu beharren kommt von starkem Gründen oder Eindrücken. Sogar manche Lehrer der Moral sagen, dass man die getroffene Wahl festhalten müsse, um nicht unbeständig zu sein, oder um es nicht zu scheinen. Allein das Beharren ist fehlerhaft, wenn man dabei die Warnungen[493] der Vernunft verachtet, namentlich wenn der Gegenstand wegen seiner Wichtigkeit eine genaue Prüfung verlangt. Ist aber der Gedanke des Wechsels unangenehm, so wendet man leicht seine Aufmerksamkeit davon ab, und deshalb stemmt man sich meist dagegen. Der Verfasser, welcher die Hartnäckigkeit auf seine vermeintlich reine Gleichgültigkeit bezieht, hätte bedenken sollen, dass es noch etwas andern bedarf, um an einer Wahl festzuhalten, als die blose Wahl, oder eine reine Gleichgültigkeit, namentlich wenn die Wahl leichthin getroffen worden ist und dies geschieht um so mehr, mit je mehr Gleichgültigkeit sie erfolgt ist. Man kommt deshalb auch bald zu einer Aenderung derselben, wenn die Eitelkeit, die Gewohnheit, das Interesse oder sonst ein Grund uns nicht zu deren Festhalten bestimmen. Selbst die Rache ist nur angenehm, wenn ein Grund dafür da ist. Menschen mit lebhaftem Gefühl denken Tag und Nacht daran und sie können die Vorstellung des erlittnen Uebels oder der erlittenen Beleidigung schwer entfernen. Es scheint ihnen ein grosser Genuss, den Gedanken ihrer Verachtung los zu werden, der fortwährend zurückkehrt und deshalb ist für Menschen die Rache süsser, als selbst das Leben.


Queis vindicta bonum vita jucundius ipsa.

(Denen die Rache ein grösseres Gut ist, als selbst das Leben.)


Der Verfasser möchte uns überreden, dass, wenn unser Verlangen oder unser Verabscheuen auf einen Gegenstand sich bezieht, der dies nicht genügend verdient, man in der Regel ihm den Ueberschuss des empfundenen Guten oder Schlechten durch die vermeintliche Macht zu wählen verliehen habe, welche die Dinge gut oder schlecht erscheinen lässt, je nachdem man es wolle. Es sind 2 Grade Schlechtes vorhanden, man giebt 6 Grade künstliches Gutes durch die Macht hinzu, welche ohne Grund wählen kann und so bleiben 4 Grad Gutes frei (Kap. 5, Abschn. 2, § 7). Wenn dies ausführbar wäre, so vermöchte man viel, wie ich schon früher gesagt. Er meint, dass selbst die Ehrsucht, der Geiz, die Spielsucht und andere leichtsinnige Leidenschaften von dieser[494] Macht ihre Gewalt entliehen (Kap. 5, Abschn. 5, Unterabschn. 6); allein es haftet ohnedem so viel falscher Schein an den Dingen, so viel Einbildung, welche die Dinge grösser oder kleiner macht, so viel schlechte Gründe in unsern Erwägungen, dass man die Hülfe dieser kleinen Zauberin nicht braucht, d.h. jener innern Macht, welche wie durch Verzauberung wirkt und welcher der Verfasser alle Unordnung zutheilt. Endlich habe ich schon oft gesagt, dass, wenn wir uns zu etwas Unvernünftigem entschliessen, wir durch einen andern, scheinbar stärkeren Grund dazu bestimmt werden, wie z.B. durch das Vergnügen, unabhängig zu scheinen, oder etwas Ausserordentliches zu vollbringen. Am Hofe von Osnabrück gab es einmal einen Lehrer der Pagen, welcher, wie ein zweiter Mutius Scävola, den Arm in die Flamme hielt und einen Brandschaden zu bekommen dachte, um zu zeigen, dass seine Geisteskraft grösser sei, als der heftigste Schmerz. Es werden wohl wenig Menschen es ihm nachmachen, und vielleicht wird sich auch nicht leicht ein Schriftsteller finden, der, wenn er eine Macht aufstellte, die ohne Grund, ja selbst gegen die Vernunft wählen kann, seine Lehre dadurch beweisen wollen wird, dass er auf ein gutes Einkommen oder eine schöne Stelle verzichtet, nur um die Uebermacht seines Willens über seine Vernunft zu zeigen. Ich bin sicher, dass wenigstens ein verständiger Mensch es nicht thun wird und dass er bald sehen wird, wie man sein Opfer nutzlos machen wird, indem man ihn belehrt, dass er nur dem Heliodorus, Bischof von Larissa, nachgeahmt habe, welchem sein Buch über Theagenes und Chariklea (wie man sagt) lieber war, als sein Bisthum, was nicht schwer ist, wenn er auch ohne Amt etwas zu leben hatte und er für seinen Ruhm sehr empfindlich war. Alle Tage trifft man ja auf Leute, welche ihren Vortheil ihrem Eigensinn zum Opfer bringen, d.h. wirkliche Güter den scheinbaren Gütern opfern.

26. Es würde zu weit führen, wenn ich Schritt für Schritt den Ausführungen des Verfassers folgen wollte, welcher oft auf das schon von mir geprüfte zurückkommt, aber meist mit einer feinen und sinnreichen Wendung vermehrt. Ich denke, dass es auch nicht nöthig sein wird, da ich wohl auf alle seine Gründe[495] genügend geantwortet haben werde. Das Beste ist, dass die Praxis bei ihm die Theorie oft berichtigt und verbessert. Nachdem er in dem zweiten Abschnitt des 5. Kapitels aufgestellt hat, dass wir durch diese Macht, ohne Grund zu wählen, Gott ähnlich werden und dass diese Macht die edelste sei und deren Uebung uns am meisten glücklich machen kann, Behauptungen der sonderbarsten Art, da man Gott auch mehr durch die Vernunft nachahmt und unser Glück in deren Befolgung besteht, – also nach diesen Ausführungen bringt der Verfasser ein vortreffliches Ausbesserungsmittel herbei, indem er in Kap. 5 sehr richtig sagt, dass wir, um glücklich zu werden, unsere Wahl den Dingen anpassen müssen, da die Dinge kaum dazu angethan seien, sich uns anzupassen und dass dies in Wahrheit eine Anpassung an den göttlichen Willen sei. Dies ist unzweifelhaft gut gesagt, allein dies besagt zugleich, dass unser Wille sich möglichst nach der Wirklichkeit der Dinge regelt und nach den wahren Vorstellungen des Guten und Schlechten, und dass mithin die Beweggründe des Guten und Schlechten der Freiheit nicht entgegen sind, und dass die Macht, ohne Grund zu wählen, anstatt unserem Glück zu dienen, vielmehr unnütz, ja selbst sehr schädlich ist. Glücklicherweise ist sie auch nirgends zu finden; es ist ein vernünftelndes Vernunftgeschöpf, wie einige Scholastiker die Gebilde, welche nicht einmal möglich sind, nennen. Ich würde sie lieber unvernünftige Vernunftgeschöpfe nennen. Der dritte Abschnitt (über die unrichtigen Wahlen) mag hingehen, weil man danach keine unmöglichen, unbeständigen, schädlichen Dinge wählen solle, und keine, die dem Willen Gottes entgegen oder von Andern schon in Besitz genommen sind. Auch sagt der Verfasser sehr richtig, dass wenn man dem Glücke Anderer Abbruch thue, man den Willen Gottes verletze, welcher verlange, dass Alle möglichst glücklich seien. Gleiches kann ich von dem vierten Abschnitt sagen, wo über die Quelle der unrechten Wahlen gehandelt wird. Diese sind der Irrthum oder die Unwissenheit, die Nachlässigkeit, der Leichtsinn in zu leichtem Wechsel der Wahl, die Hartnäckigkeit gar nicht zu wechseln und die schlechten Gewohnheiten; endlich die ungehörigen Begehren, welche oft in verkehrter[496] Weise nach den äussern Dingen verlangen lassen. Der fünfte Abschnitt soll die schlechten Wahlen oder die Sünden mit der Macht und Güte Gottes versöhnen; der Abschnitt ist sehr ausführlich und deshalb in Unterabschnitte eingetheilt. Der Verfasser macht sich hier selbst einen grossen Einwurf ohne Noth; denn er behauptet, dass es ohne eine in der Wahl durchaus unbeschränkte Macht zu wählen, keine Sünde geben würde. Nun wäre es aber Gott sehr leicht gewesen, den Geschöpfen eine so wenig vernünftige Macht zu verweigern; es genügt, dass sie durch die Vorstellungen des Guten und Bösen bestimmt wurden; also hätte Gott leicht die Sünde nach der Hypothese des Verfassers verhindern können. Er weiss keinen andern Ausweg aus dieser Schwierigkeit, als die Behauptung, dass, wenn diese Macht durch die Dinge eingeschränkt worden wäre, die Welt dann eine rein leidende Maschine sein würde. Allein dies habe ich schon oft widerlegt. Wenn der Welt diese Macht fehlte, wie dies in der That der Fall ist, würde man sich kaum darüber beklagen. Die Seelen würden sehr gern sich an den Vorstellungen des Guten und Schlechten genügen lassen, um danach ihre Wahl zu treffen und die Welt würde so schön bleiben, wie jetzt. Der Verfasser kommt auf das Frühere zurück, wonach es ohne diese Macht kein Glück geben solle; allein ich habe darauf genügend geantwortet und diese Behauptung hat nicht den mindesten Schein für sich, so wenig wie einige andere auffallende Behauptungen, welche der Verfasser hier aufstellt, um seine sonderbaren Hauptsätze aufrecht zu erhalten.

27. Der Verfasser macht auch in dem Unterabschn. 4 einen kleinen Abstecher in Bezug auf das Gebet und sagt, dass die, welche zu Gott beten, auf eine Veränderung der natürlichen Ordnung hoffen, aber nach seiner Ansicht sich wohl täuschen. Im Grunde werden indess die Menschen zufrieden sein, wenn sie erhört werden, ohne sich darum zu kümmern, ob die Ordnung der Natur zu ihren Gunsten gestört worden ist, oder nicht. Sollte ihnen von den guten Engeln geholfen werden, so würde dies keine Aenderung der allgemeinen Ordnung der Dinge enthalten. Auch nimmt der Verfasser sehr richtig an, dass es sowohl ein System geistiger, wie körperlicher[497] Substanzen gebe; und dass jene, wie diese, in Verkehr mit einander stehen. Gott benutzt die Engel zur Leitung der Menschen, ohne dass die Naturordnung darunter leidet. Indess kann man dergleichen leichter behaupten, als erklären, wenn man nicht auf mein System der Harmonie zurückgreifen will. Doch der Verfasser geht weiter. Nach ihm war die Sendung des heiligen Geistes im Anfange ein grosses Wunder, aber jetzt sei seine Wirksamkeit in uns eine natürliche. Ich überlasse ihm die Sorge, dies zu erklären und mit den andern Theologen sich zu vereinigen. Indess findet er den natürlichen Erfolg der Gebete in ihrer Kraft, die Seele zu bessern, die Leidenschaften zu besiegen und sich einen Grad neuer Gnade zu erwerben. Ich kann bei meiner Hypothese ziemlich das Gleiche sagen, wonach der Wille nur nach Beweggründen handelt und ich treffe daher da auf keine Schwierigkeiten, wo der Verfasser sich durch seine Macht, ohne Grund zu wählen, verwickelt hat. Auch das Vorauswissen Gottes macht ihn verlegen; denn wenn die Seele bei ihrer Wahl durchaus gleichgültig ist, wie könnte man da diese Wahl voraussehen und welchen vernünftigen Grund gäbe es, eine Sache zu kennen, wenn es keinen Grund für ihr Dasein giebt? Der Verfasser verweist die Lösung dieser Schwierigkeit an einen andern Ort, da sie nach ihm ein ganzes Werk verlangen dürfte. Uebrigens sagt er über das moralische Uebel manches Gute, was mit meinen Grundsätzen ganz übereinkommt. Z.B. sagt er (Unterabschnitt 6), dass die Laster und Verbrechen die Schönheit der Welt nicht mindern, sondern eher vermehren, so wie manche Misstöne das Ohr durch ihre Schärfe verletzen würden, wenn man sie allein hörte, während sie doch in der Mischung die Harmonie nur angenehmer machen. Er zeigt auch, wie manches Gute in dem Schlechten enthalten ist, z.B. der Nutzen von der Verschwendung der Reichen und von dem Geize bei den Armen. Dies hilft allerdings zur Blüthe der Künste. Auch sollen wir nicht nach unserer kleinen Erde das Urtheil über die Welt bemessen, so wie nicht blos nach dem, was wir kennen, da die Fehler und Flecken hier sehr wohl die Schönheit des Uebrigen erhöhen können; wie z.B. die Schönpflästerchen, welche an sich nichts schönes sind, doch bei dem schönen Geschlecht als eine Verschönerung[498] des ganzen Gesichts gelten, obgleich sie die Stelle, welche sie bedecken, zu einer hässlichen machen. Cotta vergleicht bei Cicero die Vorsehung in ihrer Verleihung der Vernunft an den Menschen mit einem Arzt, welcher dem Kranken Wein verordnet, trotzdem, dass er voraussieht, derselbe werde einen schlechten Gebrauch davon auf Kosten seines Lebens machen. Der Verfasser antwortet, dass die Vorsehung thue, was ihre Weisheit und Güte erfordere und dass das daraus hervorgehende Gute grösser sei, als das Schlechte. Hätte Gott dem Menschen nicht die Vernunft gegeben, so hätte er überhaupt keine Menschen gehabt und Gott gliche dann einem Arzt, welcher jemanden tödtete, um ihn nicht krank werden zu lassen. Man kann hinzufügen, dass nicht die Vernunft an sich schädlich ist, sondern der Mangel der Vernunft, und wird von der Vernunft ein schlechter Gebrauch gemacht, so urtheilt man richtig über die Mittel, aber nicht genügend über den Zweck, oder über den schlechten Zweck, den man vor hat. Also ist es immer aus Mangel der Vernunft, dass man eine schlechte Handlung verübt. Er erwähnt auch den Einwurf Epikur's, welchen Lucrez in seiner Schrift über den Zorn Gottes erwähnt, die ungefähr so lautet: Entweder will Gott die Uebel beseitigen, aber kann damit nicht zum Ziele kommen, dann ist er schwach; oder er kann sie beseitigen, aber will es nicht, und dies würde Bosheit in ihm zeigen; oder es fehlt ihm sowohl der Wille, wie die Macht, und dann wäre er schwach und zugleich neidisch; oder endlich er kann und will es, wo man dann fragen muss, weshalb er das vorhandene Schlechte nicht beseitige? Nach dem Verfasser kann Gott das Schlechte nicht beseitigen, und will es auch nicht, und trotzdem sei er weder schwach noch boshaft. Ich hätte lieber gesagt, dass er es kann, aber nicht unbedingt will und zwar mit Recht, weil er das Gute zugleich mit beseitigen würde, und zwar mehr Gutes als Schlechtes.

Am Ende seines Werkes fügt der Verfasser ihm einen Anhang bei, wo er von den göttlichen Gesetzen spricht. Er theilt dieselben richtig in natürliche und positive ein. Die besondern Gesetze der Natur der lebenden Wesen müssen nach ihm denen der Körper überhaupt nahe stehen. Gott soll nicht eigentlich zornig sein, wenn[499] seine Gesetze verletzt werden, allein die Ordnung habe gewollt, dass der Sündigende sich ein Uebel zuziehe und dass wer Andern Gewalt anthue, auch seinerseits welche erleide. Aber er meint, dass die positiven Gesetze Gottes das Uebel mehr anzeigen und voraussagen, als zufügen und dies veranlasst ihn, über die ewige Verdammniss der Bösen zu sprechen, welche nicht mehr zur Besserung, oder zur Abschreckung diene, aber der rächenden Gerechtigkeit Gottes Genüge leiste, obgleich die Bösen sich ihr Unglück selbst bereiten. Er vermuthet, dass diese Strafen der Bösen doch für die guten Menschen Nutzen haben mögen und er zweifelt auch, ob es nicht besser sei, verdammt, als Nichts zu sein; weil ja die Verdammten auch wahnsinnige Leute sein könnten, die auf dem Beharren in ihrem Elende aus einer Sonderbarkeit des Geistes bestehen könnten. Daher kommt es nach ihm, dass sie, mitten in ihrem Elende, sich zu ihren schlechten Ansichten noch Beifall klatschen und sich darin gefallen, den Willen Gottes zu kritisiren. Denn man sehe alltäglich betrübte, boshafte, neidische Menschen, die ein Vergnügen an der Betrachtung ihrer Uebel fänden und selbst sich zu betrüben suchten. – Diese Ansicht ist nicht zu verachten; und ich habe schon ähnliche Gedanken gehabt, aber ich mag nicht unbedingt darüber entscheiden. In § 275 der gegen Herrn Bayle gerichteten Versuche habe ich die Fabel von dem Teufel erwähnt, welcher die Verzeihung, die ihm ein Eremit von Seiten Gottes anbietet, ablehnt. Der Baron Andreas Taifel, ein österreichischer Herr, Gross-Ritter bei dem österreichischen Erzherzog Ferdinand, welcher nachher Kaiser unter dem Namen Ferdinand II. wurde, nahm in Anspielung an seinen Namen (welcher im Deutschen den Teufel zu bezeichnen scheint) als Symbol einen Teufel oder Satyr mit dem spanischen Ausspruch: mas perdido, y menos arrependito (je mehr verloren, desto weniger bereut), was eine Leidenschaft ohne Hoffnung andeutet, deren man sich aber nicht entschlagen kann. Dieser Spruch ist dann von dem spanischen Grafen von Villamediana aufgenommen worden, als man ihn für verliebt in die Königin hielt. – Was nie Frage anlangt, weshalb den Guten so oft Uebles, und den Bösen Gutes begegne, so meint der berühmte Verfasser, dass er sie genügend erledigt habe und kein Zweifel darüber mehr[500] übrig bleibe. Nach ihm kann man indess oft zweifeln, ob die in dem Elend befindlichen Guten nicht durch ihr Unglück gerade gut gemacht worden seien und ob die Schlechten, aber Glücklichen nicht vielleicht erst durch ihr Glück verdorben worden seien. Er meint, wir seien schlechte Richter, wenn es sich nicht blos um das Kennenlernen eines guten, sondern auch eines glücklichen Men schen handle. Man ehre oft einen Heuchler und verachte den, dessen wahre Tugend sich nicht vordränge. Auch das Glück sei schwer zu erkennen und werde oft unter den Lumpen eines Armen, aber Zufriedenen verkannt, während man es in den Palästen der Grossen oft vergeblich suche. Endlich bestellt nach dem Verfasser das grösste Glück hinieden in der Hoffnung auf das zukünftige Glück, deshalb könne man sagen, dass den Schlechten nichts begegne, was nicht zu ihrer Besserung oder Züchtigung diene, und nichts den Guten, was nicht zu ihrem grösserem Wohle diene.

Dieser Schluss kommt ganz auf meine Ansichten zurück und für den Schluss eines Werkes wird man nichts besseres sagen können.[501]

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Die Theodicee. Leipzig 1879, S. 455-503.
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