Elftes Kapitel.
Ueber die Mittel gegen die erwähnten Unvollkommenheiten und Missbräuche der Sprache

[119] § 1. (Sie sind des Aufsuchens werth.) Die natürlichen und die erkünstelten Unvollkommenheiten der Sprachen sind im Obigen ausführlich dargelegt worden, und da die Sprache das grosse Band ist, was die menschliche Gesellschaft zusammenhält, und der gemeinschaftliche Kanal, mittelst dessen die Fortschritte in den Wissenschaften von einem Menschen und von einem Geschlecht auf das andere übergeführt werden, so verdient die Aufsuchung der Mittel gegen diese Mängel das ernsteste Nachdenken.

§ 2. (Sie sind nicht leicht.) Ich bin nicht so eitel, dass ich glaubte, ein Einzelner könne unternehmen, eine vollständige Reform in den Sprachen, ja nur in seiner Muttersprache zu Stande zu bringen, ohne sich lächerlich[119] zu machen. Wer verlangt, dass alle Welt die Worte immer in demselben Sinn und nur für bestimmte und gleichförmige Vorstellungen brauchen solle, muss glauben, dass alle Menschen dieselben Begriffe haben und nur über das sprechen, wovon sie klare und deutliche Vorstellungen haben. Dies kann aber Niemand erwarten, er musste denn so eitel sein, dass er meinte, die Menschen auch ganz gelehrt oder ganz schweigsam machen zu können. Man muss wenig von der Welt wissen, wenn man meint, eine gewandte Zunge sei nur mit einem guten Verstande verbunden, und das Maassim Sprechen müsse mit dem Maasse des Wissens bei dem Menschen Schritt halten.

§ 3. (Dennoch erfordert es die Wissenschaft.) Wenn indess auch dem Markte und den Geschäften ihre Art zu sprechen belassen werden muss, und den Schwätzern ihr altes Vorrecht nicht genommen werden kann, zumal die Schulen und streithaften Männer ein Anerbieten übel nehmen würden, was die Länge ihrer Disputationen kürzen und deren Zahl vermindern könnte, so sollten doch Die, denen es mit dem Aufsuchen und Vertheidigen der Wahrheit Ernst ist, beharrlich erwägen, wie sie sich aus der Dunkelheit, der Ungewissheit und Zweideutigkeit befreien können, welchem die Worte bei mangelnder Sorgfalt von Natur ausgesetzt sind.

§ 4. (Der Missbrauch der Worte ist die Hauptursache des Irrthums.) Denn wenn man die Irrthümer und Dunkelheiten, die Missverständnisse und Verwirrungen erwägt, die durch Missbrauch der Worte in der Welt ausgestreut werden, so kann man billig zweifeln, ob nicht die Sprache nach ihrer bisherigen Benutzung mehr zur Hemmung als zur Steigerung der Wissenschaften beigetragen habe. Wie Viele, die auf die Dinge selbst ihr Denken richten wollen, bleiben an den Worten hängen, namentlich wenn sie auf Fragen der Moral kommen. Wie kann man sich da wundern, wenn solche Betrachtungen und Ausführungen, die kaum über die Laute hinausgehen, und bei denen die erforderlichen Vorstellungen nur verworren und schwankend oder gar nicht vorhanden sind, in Dunkelheiten und Missverständnissen enden, ohne das Urtheil und die Erkenntniss zu klären.

§ 5. (Eigensinn.) Man leidet unter dem falschen[120] Gebrauch der Worte schon beim eignen Nachdenken; aber viel offenbarer ist die daraus hervorgehende Unordnung in der Unterhaltung, in dem Verhandeln und Streiten mit Andern. Die Sprache ist der grosse Kanal, durch den die Menschen sich ihre Entdeckungen, Erwägungen und Kenntnisse mittheilen; ein schlechter Gebrauch derselben zerstört daher zwar nicht die Quellen derselben, die in den Dingen selbst liegen, aber er zerbricht und verstopft nach Möglichkeit die Kanäle, in denen sie zum allgemeinen Gebrauch und Nutzen der Menschheit mitgetheilt werden. Wer Worte ohne klare und feste Bedeutung benutzt, verleitet nur sich und Andere zum Irrthum; und wer dies absichtlich thut, muss als ein Feind der Wahrheit und Wissenschaft angesehen werden. Allein man darf sich nicht wundern, dass alle Wissenschaften und Gebiete des Wissens mit dunkeln und zweideutigen Ausdrücken, die selbst den Aufmerksamsten und Schnellfassenden keineswegs zu dem Gescheutesten oder Rechtgläubigsten machen, überladen worden sind, wenn bei Denen, welche die Vertheidigung und die Lehre der Wahrheit zu ihrem Geschäft machen, die Spitzfindigkeit für ein Vorzug gegolten hat, obgleich sie in der Regel nur in einem täuschenden und trügerischen Gebrauch zweifelhafter und trügerischer Worte besteht, und die Menschen in ihren Irrthümern noch fester und in ihrer Unwissenheit noch hartnäckiger macht.

§ 6. (und Zank.) Man schaue in die Bücher aber alle Arten von Streitfragen, und man wird finden, dass die dunklen, schwankenden und zweideutigen Ausdrücke nur ein Lärm und Zank über Laute ist, welcher den Verstand nicht überzeugt oder bessert. Wenn Sprecher und Hörer nicht über die Vorstellung einig sind, die das Wort bezeichnet, dann dreht sich der Streit nicht um Dinge, sondern um Worte. So oft ein solches zweifelhaftes Wort ertönt, können Beide nur in dem Laute übereinstimmen, während die Sache, an die Jeder bei dem Worte denkt, sehr verschieden ist.

§ 7. (Ein Beispiel an der Fledermaus und dem Vogel.) Bei der Frage, ob die Fledermaus ein Vogel ist, handelt es sich nicht darum, ob, die Fledermaus etwas anderes sei, als sie ist, oder ob sie andere Eigenschaften habe, als sie hat, denn dies wäre sehr[121] widersinnig; sondern die Frage erhebt sich 1) zwischen Personen, welche geständlich nur unvollständige Vorstellungen von einem oder beiden dieser so benannten Thiere haben. In diesem Falle handelt es sich um eine wirkliche Untersuchung in Betreff der Namen von Fledermaus und Vogel; ihre Vorstellungen sollen dadurch vervollständigt werden, dass man prüft, ob alle einfachen Vorstellungen, denen als Gesammtvorstellung beide Theile den Namen Vogel geben, in der Fledermaus angetroffen werden; in diesem Falle betrifft die Frage blos die Untersuchung (nicht den Streit); man behauptet oder verneint nicht, sondern man prüft nur; oder es erhebt sich 2) diese Frage zwischen Streitenden, von denen Einer behauptet und der Andere leugnet, dass die Fledermaus ein Vogel sei. Dann handelt es sich blos um die Bedeutung von einem oder von beiden Worten, indem beide Theile nicht dieselbe Gesammtvorstellung damit verbinden, und der Eine behauptet, der Andere aber leugnet, dass beide Worte von einander ausgesagt werden können. Wären sie über die Bedeutung beider Worte einig, so könnten sie nicht darüber streiten; sie würden sofort klar erkennen (nachdem die Frage so zurecht gelegt worden), ob alle einfachen Vorstellungen des allgemeinen Wortes Vogel sich in der Gesammtvorstellung der Fledermaus vorfinden, und sie könnten daher nicht zweifeln, ob eine Fledermaus ein Vogel sei oder nicht. Man erwäge und prüfe deshalb sorgfältig, ob nicht die meisten Streitfälle in der Welt blos die Worte und ihre Bedeutung betreffen, und ob nicht, wenn die gebrauchten Worte definirt und ihre Bedeutung (was möglich ist, wenn sie überhaupt etwas bedeuten) auf die Verbindung der einfachen Vorstellungen zurückgeführt würde, die sie bezeichnen oder bezeichnen sollen, solcher Streit von selbst aufhören und sofort erlöschen würde. Hiernach erwäge man, was aus solchem Streit wohl sich lernen lasse, und wie viel er den Streitenden und Andern nützt, und ob es sich nicht blos um ein Prahlen mit Lauten handelt, nämlich bei Denen, die ihr Leben in solchem Streit und Disputiren hinbringen. Wenn ich sehen werde, dass diese Kämpfer all ihre zweideutigen und dunklen Ausdrücke von sich werfen (was Jeder mit den von ihm gebrauchten Worten thun kann), so will ich sie als Kämpfer für Wissenschaft, Wahrheit[122] und Frieden, und nicht für Sklaven eitlen Ruhmes, Ehrgeizes oder der Parteisucht gelten, lassen.

§ 8. Um diesen Mängeln der Rede einigermassen abzuheben und den Uebelständen, die daraus folgen, zuvorzukommen, dürften die nachfolgenden Regeln sich so lange empfehlen, bis ein Geschickterer darüber nachgedacht und die Welt mit seinen Gedanken beglückt haben wird.

(1stes Mittel; die Worte nicht ohne Vorstellung zu gebrauchen.) Erstens hüte man sich und gebrauche kein Wort ohne eine Bedeutung, und keine Namen ohne eine damit verknüpfte Vorstellung. Diese Regel wird nicht überflüssig scheinen, wenn man sich erinnert, wie oft Worte, z.B. Instinkt, Sympathie, Antipathie u.s.w. von Leuten gebraucht werden, die höchst wahrscheinlich keine Vorstellung dazu in ihrer Seele haben, sondern diese Worte nur als Laute aussprechen, welche in solchen Fällen für Gründe zu gelten pflegen. Diese Worte haben allerdings ihre eigene Bedeutung; allein da zwischen Worten und ihrer Vorstellung keine natürliche Verbindung besteht, so werden solche Worte nur auswendig gelernt und auch von Leuten ausgesprochen und geschrieben, die keine Vorstellungen haben, womit sie sie als deren Zeichen verbinden könnten; obgleich dies selbst dann nöthig ist, wenn man nur mit sich selbst sprechen will.

§ 9. (2tens muss man bei den Zuständen bestimmte Vorstellungen mit den Worten verbinden.) Zweitens genügt es nicht, dass man die Worte als Zeichen, irgend einer Vorstellung gebraucht; sondern diese Vorstellung muss, wenn sie eine einfache ist, auch klar und deutlich sein, und ist sie zusammengesetzt, so muss sie bestimmt sein, d.h. eine bestimmte Verbindung einfacher und fester Vorstellungen sein, so dass das verbundene Wort als das Zeichen dieser genau bestimmten Gesammtvorstellung und keiner andern gilt. Dies ist buchst nöthig bei den Worten für Zustände, namentlich in der Moral, da bei ihnen der bestimmte natürliche Gegenstand fehlt, von dem die Vorstellung wie von dem Urbild abgenommen werden könnte, und deshalb leicht Verwirrung eintreten kann. So ist »Gerechtigkeit« ein Wort in Jedermanns Munde; aber meist mit einer unbestimmten, losen Bedeutung. Dies wird immer der Fall[123] sein, so lange man nicht die Theile, aus denen diese Gesammtvorstellung besteht, einzeln und bestimmt sich klar macht, und man dies Wort nicht so weit aufzulösen vermag, bis man zuletzt zu den einfachen Vorstellungen, aus denen es besteht, gelangt. So lange dies nicht geschieht, gebraucht man das Wort falsch, sei es Gerechtigkeit oder ein anderes. Allerdings ist diese Ueberlegung und dieses ausführliche Auflösen des Wortes Gerechtigkeit nicht jedesmal nöthig, wo es in den Weg kommt; aber es muss diese Prüfung wenigstens einmal geschehen, und alle diese Einzelvorstellungen müssen dann in ihrer Verbindung so der Seele eingeprägt werden, dass diese Auflösung jederzeit beliebig wieder vorgenommen werden kann. Wird die Gesammtvorstellung der Gerechtigkeit z.B. als eine solche Behandlung eines Gegenstandes oder fremden Gutes aufgefasst, die dem Gesetz entspricht, und fehlt die klare und deutliche Vorstellung, was Gesetz ist, so ist die Vorstellung von Gerechtigkeit noch verworren und unvollkommen. Diese Genauigkeit mag lästig sein, und deshalb hält man es nicht immer für einen Verstoss, wenn die Gesammtvorstellungen von gemischten Zuständen nicht so genau innerlich festgestellt werden; allein so lange dies nicht geschieht, darf man sich nicht wundern, dass Dunkelheit und Verwirrung in der Seele, und viel Zank im Gespräch mit Andern herrscht.

§ 10. (Und bei den Substanzen solche, die bestimmt und entsprechend sind.) Bei den Substanzen ist zum richtigen Gebrauch ihrer Worte etwas mehr als nur bestimmte Vorstellungen nöthig; hier müssen letztere auch den bestehenden Gegenständen entsprechen; doch wird sich die Gelegenheit zur ausführlichen Besprechung dessen nebenbei finden. Diese Genauigkeit ist unentbehrlich für die Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntniss und bei Streitigkeiten über die Wahrheit; es wäre zwar gut, wenn sie sich auch auf die Unterhaltung und den täglichen Verkehr in Geschäften ausdehnte; doch kann man dies kaum erwarten. Gewöhnliche Begriffe passen zur gewöhnlichen Unterhaltung; beide sind verworren, aber reichen doch für den Markt und für die Kirmesfeste aus. Kaufleute, Liebhaber, Köche und Schneider haben ihre Ausdrücke für schnelle Erledigung ihrer gewöhnlichen Angelegenheiten; dies sollten[124] also auch die Philosophen und Kämpfer bei den Disputationen können, wenn es ihnen daran läge, verstanden und zwar deutlich verstanden zu werden.

§ 11. (3. die Richtigkeit.) Drittens genügt es nicht, dass man bestimmte Vorstellungen mit den Worten verbindet, sondern es müssen gerade diejenigen Vorstellungen damit verbunden werden, die nach dem Sprachgebrauch dazu gehören. Denn die Worte sind, namentlich bei einer schon ausgebildeten Sprache, nicht der Besitz eines Einzelnen, sondern das gemeinsame Mittel für den Verkehr und die Mittheilung; deshalb darf der Einzelne nicht willkürlich den Stempel, unter dem sie umlaufen, verändern, noch die daran geknüpften Vorstellungen wechseln, und sollte es einmal unumgänglich sein, so muss er es anzeigen. Man will oder sollte wenigstens wollen, dass man beim Reden verstanden werde; verlässt man aber dabei den gewöhnlichen Gebrauch, so sind häufige Erklärungen, Fragen und andere lästige Unterbrechungen unvermeidlich. Die Richtigkeit im Sprechen führt die Gedanken am leichtesten und besten in die Seele des Andern ein; sie verdient deshalb Sorgfalt und Aufmerksamkeit, namentlich bei Worten für moralische Begriffe. Den richtigen Gebrauch der Sprache kann man am besten von Denen lernen, deren Begriffe nach ihren Schriften und Reden die klarsten sind, und die in der Wahl der passenden Worte am sorgfältigsten verfahren. Spricht man, wie der Sprachgebrauch verlangt, so ist man deshalb allerdings noch nicht immer so glücklich, verstanden zu werden; indess trifft dann der Tadel nur Den, der seine Sprache so wenig kennt, dass er sie bei richtigem Gebrauche nicht versteht.

§ 12. (4. um seine eigene Meinung auszudrücken.) Der Sprachgebrauch hat indess den Worten ihre Bedeutung nicht so sichtbar angeheftet, dass man diese Andern sicher mittheilen könnte, und der Fortschritt der Wissenschaften führt zu Vorstellungen, die von den gemeinen und gebräuchlichen abweichen, und für welche neue Worte gebildet (was man gern vermeidet, weil es leicht als Eitelkeit oder Neuerungssucht aufgefasst wird) oder alte in einem neuem Sinne gebraucht werden müssen, und deshalb ist es nach den obigen Regeln mitunter nothwendig, den Sinn der Worte zur Sicherung[125] ihrer Bedeutung, zu erklären, wo der Sprachgebrauch diese Bedeutung ungewiss gelassen hat (wie bei den meisten Worten für Gesammtvorstellungen), oder wo das Wort, was für die Darstellung wichtig ist und den Hauptpunkt bildet. Zweifeln oder Missverständnissen ausgesetzt ist.

§ 13. (und zwar auf drei Arten.) Da die Vorstellungen verschiedene sind, so ist auch die Art wie die mit einem Wort verbundene Vorstellung mitzutheilen ist, verschieden. Das Definiren könnte vielleicht hier für das beste Mittel gelten, allein manche Worte gestatten keine Definition; andere können dagegen in ihrem genauen Sinne nur durch Definition erläutert werden, und eine dritte Art hat etwas von beiden, wie sich bei den Worten für einfache Vorstellungen, für Zustände und für Substanzen ergeben wird.

§ 14. (Bei einfachen Vorstellungen nur durch gleichbedeutende Worte oder durch Aufzeigen.) Erstlich, im Fall das Wort für eine einfache Vorstellung nicht verstanden wird oder missverstanden werden könnte, verlangt es die Höflichkeit und der Zweck der Sprache, den Sinn des Wortes zu erklären und dessen Vorstellung darzulegen. Dies ist hier, wie ich gezeigt habe, durch Definition nicht möglich; kann es also durch kein gleichbedeutendes Wort geschehen, so bleibt nur übrig, entweder 1) einen Gegenstand zu nennen, der diese einfache Bestimmung an sich hat; dies hilft bisweilen bei Denen zum Verständniss, welche diesen Gegenstand und sein Wort kennen. Will man z.B. einem Bauer erklären, welche Farbe Feuillemorte bedeutet, so kann man es durch Hinweisung auf die Farbe der im Herbst abfallenden Blätter thun. 2) Aber am sichersten ist es, wenn man den Gegenstand herbeiholt und wahrnehmen lässt, damit so die Vorstellung in der Seele des Andern hervorgebracht werde, die das Wort bezeichnet.

§ 15. (2. beigemischten Zuständen durch Definition.) Zweitens, da gemischte Zustände, namentlich im Gebiete der Moral, meist Verbindungen von Vorstellungen sind, welche die Seele beliebig bildet und von denen es nicht immer wirkliche bestehende Muster giebt, so kann ihre Bedeutung nicht, wie bei den einfachen Vorstellungen, durch Aufzeigung dargelegt werden;[126] aber dafür können sie vollständig und genau definirt werden. Denn da diese Zustände willkürliche Verbindungen mehrerer Vorstellungen sind, wobei die Seele auf kein Urbild geachtet hat, so kann man diese in die Verbindung aufgenommenen Vorstellungen genau kennen und daher sowohl das Wort in einem festen Sinne gebrauchen, wie es vollständig erklären, wo es nöthig ist. Deshalb trifft Jene eine grosse Schuld, die sich über die Moral nicht klar und deutlich in ihren Reden ausdrücken; denn hier ist die Bedeutung der Worte für die gemischten Zustände, oder was dasselbe ist, für das wirkliche Wesen jeder Art genau bekannt, da nicht die Natur, sondern der Mensch sie gemacht hat. Es zeigt deshalb eine grosse Nachlässigkeit und Verkehrtheit, wenn man in Fragen der Moral sich unsicher und dunkel ausdrückt, während bei Behandlung natürlicher Dinge dies verzeihlicher ist, wo aus dem umgekehrten Grunde schwankende Ausdrücke kaum zu vermeiden sind, wie sich bald ergeben wird.

§ 16. (In der Moral sind Beweise möglich.) Aus diesem Grunde halte ich die Sätze der Moral für so beweisbar, wie die der Mathematik; denn das wirkliche Wesen der Dinge kann bei Worten der Moral vollkommen erkannt und es kann deshalb genau ermittelt werden, ob die Dinge selbst mit den Begriffen übereinstimmen oder nicht, worin die vollkommene Erkenntniss besteht. Man wende nicht ein, dass bei der Moral auch viele Warte von Substanzen, wie von gemischten Zuständen gebraucht werden, und jene daher die Dunkelheit veranlassen werden. Wenn in Verhandlungen über Moral Substanzen erwähnt werden, so kommt es auf deren Natur nicht so viel an, wie man meint; sagt man z.B. der Mensch ist dem Gesetz unterthan, so wird unter Mensch nur ein körperliches und vernünftiges Geschöpf verstanden, ohne das wirkliche Wesen oder die übrigen Eigenschaften eines solchen Geschöpfes zu beachten. Deshalb mag unter den Naturforschern die Frage, ob ein Rind oder Wechselbalg ein Mensch im physikalischen Sinne sei, sehr zweifelhaft sein; aber dies trifft nicht den Menschen in der Moral, wo damit nur die Vorstellung eines körperlich – vernünftigen Wesens gleichmässig verknüpft wird. Fände sich ein Affe oder sonst[127] ein Geschöpf, was allgemeine Zeichen verstehen oder aus allgemeinen Vorstellungen Folgerungen ziehen könnte, so wurde es sicher dem Gesetz unterliegen und in diesem Sinne ein Mensch sein, wenn es auch in Gestalt von Andern noch so verschieden wäre. Die Substanzworte können bei richtigem Gebrauche die Darstellung der Moral so wenig wie die der Mathematik stören. Auch der Mathematiker spricht von einem Würfel oder einer Kugel von Gold oder einem andern Stoffe; allein er hat eine klare und feste Vorstellung dabei, die sich nicht verändert, obgleich sie aus Missverstand auf einzelne Körper falsch angewendet werden kann.

§ 17. (Definitionen können moralische Verhandlungen klar machen.) Ich habe damit beiläufig zeigen wollen, wie wichtig es ist, wenn die Worte für gemischte Zustände überhaupt und insbesondere bei Verhandlungen über die Moral, wo es nöthig erscheint, definirt werden; dadurch kann die Kenntnnis der Moral zu grosser Klarheit und Gewissheit gebracht werden. Es zeigt wenig Offenherzigkeit (um mich nicht schlimmer auszudrücken), wenn man dies verweigert; denn die Definition allein kann den bestimmten Sinn moralischer Worte darlegen und zwar mit Sicherheit, ohne dass noch Raum für Streit übrig bliebe. Es ist deshalb eine unentschuldbare Nachlässigkeit und Verkehrtheit, wenn die Verhandlungen über Moral nicht so klar sind als die über Natur-Wissenschaften; sie behandeln Vorstellungen, die nicht falsch oder unangemessen sein können, da kein äusseres Urbild besteht, auf das sie bezogen werden könnten und dem sie entsprechen müssten. Man kann viel leichter eine Vorstellung bilden und als Maassstab aufstellen, der man den Namen Gerechtigkeit giebt, damit alle damit stimmenden Handlungen unter diese Bezeichnung fallen, als, nachdem man den Aristides gesehen hat, eine Vorstellung bilden, die ihm in allen Stücken gleichkommt. Aristides bleibt, was er ist, gleichviel welche Vorstellung die Menschen von ihm bilden; dort dagegen braucht man nur die Verbindung der Vorstellungen zu kennen, die man selbst gebildet hat; während bei den körperlichen Dingen die Natur vollständig mit ihrer schwer fassbaren geheimen Verfassung und mancherlei Eigenschaften[128] erforscht werden muss, die ausserhalb der Seele bestehen.

§ 18. (Es ist auch der einzige Weg.) Die Definition der gemischten Zustände und insbesondere der moralischen Begriffe ist auch, wie ich früher gesagt, deshalb nöthig, weil sie der einzige Weg ist, auf dem man sicher die Bedeutung der meisten ihrer Worte kennen lernen kann. Denn die damit bezeichneten Vorstellungen bestehen in der Regel nirgends in allen Theilen beisammen, sondern nur zerstreut in Verbindung mit andern; die Seele allein sammelt sie und vereint sie zu einer Vorstellung; deshalb kann nur durch wörtliche Aufzählung der verschiedenen einfachen so vereinten Vorstellungen Andern die Bedeutung dieser Worte klar gemacht werden; die Sinne können hier nicht zur Hülfe benutzt werden, um durch Aufstellung des sinnlichen Gegenstandes die Bedeutung sinnlich darzulegen, wie es bei den Worten für einfache Vorstellungen und in gewissem Maasse auch bei den Worten für Substanzen möglich ist.

§ 19. (3. Bei Substanzen durch Aufzeigung und durch Definition.) Drittens, was die Erklärung der Bedeutung von Substanz-Namen anlangt, welche die Vorstellungen ihrer verschiedenen Arten bezeichnen, so müssen hier oft beide obigen Mittel, nämlich die Aufzeigung und die Definition benutzt werden. In der Regel enthält jede Art der Substanzen gewisse hervortretende Eigenschaften, mit denen die übrigen Theile der Gesammtvorstellung als verbunden gelten; deshalb giebt man bereitwillig dem Dinge den Namen der Art, wenn die hervorstechenden Eigenschaften dieser Art bei ihm angetroffen werden. Diese leitenden oder kennzeichnenden Eigenschaften sind bei den Thieren und Pflanzen (nach Kap. 6. § 29 und Kap. 9. § 15) in der Regel die Gestalt und bei den leblosen Körpern die Farbe, und bei manchen beide Eigenschaften zusammen.

§ 20. (Die Vorstellung der leitenden Eigenschaften von Substanzen wird am besten durch Wahrnehmen gewonnen.) Diese leitenden Eigenschaften bilden nur die Hauptbestandtheile der Artbegriffe und daher auch den erkennbarsten und unveränderlichsten Theil in den Definitionen derselben. Allerdings kann ein gesunder Mensch an sich die aus der[129] Lebendigkeit und Vernünftigkeit einer Person gebildete Vorstellung ebenso gut wie eine andere Verbindung anstellen; allein da sie als das Zeichen für die menschlichen Geschöpfe gelten soll) so dürfte die äussere Gestalt ebenso nothwendig in die Gesamnrtvorstellung des Menschen gehören, wie jede andere darin bemerkte. Deshalb ist nicht ersichtlich, weshalb Plato's Definition des Menschen, als eines ungefiederten, zweifüssigen Geschöpfes mit breiten Nägeln, nicht auch gut sein sollte; denn die Gestalt, als die leitende Eigenschaft, scheint die Menschen-Art mehr zu bestimmen als die Vernünftigkeit, die erst später und bei Manchen gar nicht hervortritt. Sollte dies nicht zulässig sein, so wären die des Mordes schuldig, welche Missgeburten tödten, weil sie keine menschliche Gestalt haben; denn man kann nicht wissen, ob sie nicht eine vernünftige Seele besitzen, da ja auch bei einem neugeborenen, gut geformten Kinde dies sich nicht entscheiden lässt. Wer hat uns gelehrt, dass eine vernünftige Seele nur in einem Gehäuse wohnen könne, was ein menschliches Angesicht hat, und dass sie sich nur mit einem Körper von der äusserlichen Gestalt des Menschen verbinden und darin bestehen könne?

§ 21. Diese leitenden Eigenschaften kann man aber durch Aufzeigung am besten kenntlich machen und es giebt kaum einen andern Weg dafür. Denn die Gestalt eines Pferdes oder Kasuars kann durch Worte der Seele nur unvollkommen zugeführt werden; der Anblick derselben thut dies tausendmal besser; ebenso kann die eigenthümliche Farbe des Goldes durch keine Beschreibung, sondern nur durch fleissiges Besehen erlangt werden, wie man an Denen bemerkt, welche mit Gold viel zu thun haben und mit Leichtigkeit das ächte von dem falschen und das reine von dem gemischten blos mit den Augen unterscheiden, während Andere (die ebenso gute Augen, aber nicht durch Uebung die genaue Kenntniss dieses besondern Gelb erlangt haben) keinen unterschied bemerken. Dasselbe gilt für alle einfachen Vorstellungen, so weit sie gewissen Substanzen eigenthümlich sind, so lange keine besondern Worte dafür vorhanden sind. So giebt es so wenig für den eigenthümlich klingenden Ton des Goldes ein besonderes Wort, wie für seine besondere gelbe Farbe.[130]

§ 22. (Die Vorstellungen von den Kräften der Substanzen werden am besten durch Definition mitgetheilt.) Indess sind viele einfache Vorstellungen, welche die besondern Vorstellungen von Substanzen bilden, Kräfte, die bei den Dingen in ihrem gewöhnlichen Zustande nicht sofort in die Sinne fallen; deshalb wird ein Theil der Bedeutung der Substanznamen besser durch Angabe dieser einfachen Vorstellungen als durch Aufzeigung der Substanzen selbst kennbar gemacht. Wer durch Sehen die glänzende gelbe Farbe kennen gelernt hat, kann durch Aufzählung der Worte: Grosse Biegsamkeit, Schmelzbarkeit, Festigkeit und Löslichkeit in Königswasser eine vollständigere Vorstellung des Goldes erlangen, als wenn er ein Goldstück nur sieht und damit nur dessen augenfällige Eigenschaften sich einprägt Könnte aber die wirkliche Verfassung dieses glänzenden, schweren und biegsamen Dinges (aus welcher diese Eigenschaften herkommen) den Sinnen offen dargelegt werden, wie es mit der wirklichen Verfassung oder Wesenheit eines Dreiecks möglich ist, so könnte die Bedeutung des Wortes Gold ebenso leicht wie die des Dreiecks festgestellt werden.

§ 23. (Eine Betrachtung über das Wissen der Geister.) Man kann hieraus abnehmen, wie viel die Kenntniss der körperlichen Dinge von den Sinnen abhängt. Wie Geister ohne Körper (deren Wissen und deren Vorstellungen von den Körpern sicherlich vollkommener als die unsrigen sind) die körperlichen Dinge erkennen, davon haben wir keinen Begriff. All unser Wissen und Einbilden reicht nicht über die auf dem Wege der Wahrnehmung gewonnenen Vorstellungen hinaus. Sicherlich haben die Geister, welche über den Geistern im Fleische stehen, eine ebenso klare Vorstellung von der letzten Verfassung der Substanzen, wie wir von dem Dreieck, und sie erkennen damit, wie all deren Eigenschaften und Wirksamkeiten daraus abfliessen; aber die Art, wie sie zu diesem Wissen gelangen, überschreitet unsere Fassungskraft.

§ 24. (4. Auch müssen die Vorstellungen von Substanzen den Dingen entsprechen.) Wenn auch Definitionen zur Erklärung der Substanzworte, soweit sie deren Vorstellungen bezeichnen, dienen, so erklären sie[131] doch diese Worte nur sehr unvollkommen, soweit sie die Dinge selbst bezeichnen. Denn die Substanzworte sollen nicht blos die Vorstellungen bezeichnen, sondern zuletzt die Dinge selbst darstellen und deren Stelle vertreten; deshalb muss ihre Bedeutung sowohl mit den Vorstellungen wie mit den Dingen selbst wahrhaft übereinstimmen. Deshalb kann man sich hier nicht immer mit der gewöhnlichen Gesammtvorstellung begnügen, welche die Bedeutung des Wortes ausmacht, sondern muss weiter gehen und die Natur und Eigenschaften der Sache selbst erforschen und dadurch nach Möglichkeit die Vorstellung der betreffenden Art vervollständigen; oder man muss sie von Personen sich lehren lassen, die damit verkehren und darin erfahren sind. Die Worte sollen nämlich hier eine solche Verbindung einfacher Vorstellungen bezeichnen, wie sie sowohl in den Dingen selbst wirklich besteht, als wie sie als Gesammtvorstellung bei Andern nach dem gewöhnlichen Sinne des Wortes besteht, um daher diese Worte richtig zu definiren, bedarf es der Naturkenntniss; man muss die Eigenschaften sorgfältig erforschen und prüfen. Wenn die Uebelstände im Gespräch und Streit über natürliche Körper und substantielle Dinge vermieden werden sollen, so genügt nicht die aus dem Sprachgebrauch entnommene gemeine, aber verworrene oder unvollständige Vorstellung, welche zu einem Worte gehört, und es genügt nicht, dieses Wort nur für diese Vorstellung zu benutzen, sondern man muss sich auch aus der Naturgeschichte mit diesem Dinge bekannt machen und danach die dem Worte zugehörige Vorstellung berichtigen und sich einprägen, und in dem Gespräch mit Andern muss (wenn sie es missverstehen sollten) gesagt werden, aus was die Gesammtvorstellung besteht, die das Wort bezeichnet. Noch mehr gilt dies bei wissenschaftlichen und philosophischen Untersuchungen; denn die Kinder haben hier die Worte gelernt, ehe sie vollständige Begriffe von den Dingen hatten; sie gebrauchen deshalb die Worte nach Zufall, ohne viel zu denken und ohne bestimmte Vorstellungen dafür; diese Gewohnheit (die bequem ist und für die gewöhnlichen Verhältnisse des Lebens und der Unterhaltung genügt) behalten sie dann auch in reifem Jahren bei, und sie haben so bei dem falschen Ende angefangen, indem sie[132] erst die Worte vollständig gelernt und dann die zugehörigen Begriffe später nur oberflächlich gebildet haben. So kommt es, dass Menschen ihre Muttersprache richtig nach grammatikalischen Regeln sprechen, aber doch sehr unrichtig von den Dingen selbst reden. Deshalb kommen sie durch gegenseitige Erörterungen in der Entdeckung nützlicher Wahrheiten, und in der Erkenntniss der Dinge, wie sie an sich und nicht wie sie in der Einbildung bestehen, wenig weiter; denn für die Kenntniss der Dinge macht es wenig aus, wie sie genannt werden.

§ 25. (Dies ist nicht leicht durchzuführen.) Es wäre deshalb zu wünschen, dass Männer, die in physikalischen Untersuchungen bewandert und mit den verschiedenen Arten der Naturkörper bekannt sind, die einfachen Vorstellungen angäben, worin die Exemplare der einzelnen Arten immer übereinstimmen. Dies wäre ein gutes Mittel gegen die Verwirrung, wenn dasselbe Wort von verschiedenen Personen mit einer grossen oder geringem Anzahl sinnlicher Eigenschaften verbunden wird, je nachdem sie mehr oder weniger mit dem betreffenden Gegenstande bekannt sind. Ein solches Wörterbuch, was eine Naturgeschichte enthielte, verlangt indess zu viele Hände und zu viel Zeit, Kosten, Mühe und Scharfsinn, als dass man sich darauf Hoffnung machen dürfte; und so lange man dies nicht hat, muss man sich mit den Definitionen der Substanzworte begnügen, die den gebräuchlichen Sinn derselben erläutern. Da wäre es schon gut, wenn sie erforderlichen Falles nur so viel leisteten; allein auch dies geschieht meist nicht, sondern man spricht und streitet mit einander in Ausdrücken, in deren Sinn man nicht übereinstimmt, blos weil man irriger Weise glaubt, dass die Bedeutung der Worte fest bestimmt und die Vorstellung, die sie bezeichnen, genau bekannt seien, und weil man sich schämt, diese Bedeutung nicht zu kennen. Allein beide Voraussetzungen sind falsch; kein Wort einer Gesammtvorstellung hat eine so feste Bedeutung, dass es stets für genau dieselbe Vorstellung gebraucht wird; und ebensowenig braucht man sich zu schämen, wenn man die Dinge nur so weit kennt, als auf dem gewöhnlichen Wege erreichbar ist. Deshalb ist es nicht beschämend, wenn man die Vorstellung, die ein Anderer mit dem Worte verbindet, nicht genau kennt, so[133] lange er sie mir nicht auf andere Weise als durch den blossen Laut erkennbar macht; denn nur durch eine solche andere Weise kann man sie sicher kennen lernen. Allerdings fuhrt die Nothwendigkeit der Mittheilung durch die Sprache zu einer leidlich genauen Uebereinkunft über den Sinn der gebräulichen Worte, die für die tägliche Unterhaltung genügen mag; und deshalb, kann man nicht sagen, dass Jemand, der seine Sprache kennt, mit den an deren Worten geknüpften Vorstellungen ganz unbekannt sei. Allein der Sprachgebrauch ist schwankend und hängt zuletzt von den Vorstellungen der Einzelnen ab; er ist des halb kein zuverlässiger Maassstab. Wenn auch ein Wörterbuch, wie ich es oben erwähnt, zu viel Zeit, Geld und Mühe kostet, um darauf rechnen zu können, so wäre es doch gut, wenn die Worte, welche Dinge bezeichnen, die nach ihrer äussern Gestalt erkannt und unterschieden werden, durch kleine Zeichnungen und Holzschnitte erläutert würden. Ein solches Wörterbuch würde vielleicht schneller und leichter die wahre Bedeutung vieler Ausdrücke darlegen; namentlich würde dies bei Sprachen ferner Länder oder Zeiten und für die richtige Auffassung vieler Gegenstände, von denen man in den alten Schriftstellern nur die Worte findet, mehr beitragen als die breiten und mühsamen Kommentare gelehrter Kritiker. Naturforscher, die von Pflanzen und Thieren handeln, kennen die Vortheile dieses Verfahrens, und wer mit ihnen verkehrt, wird einräumen, dass ein kleiner Holzstich eine klarere Vorstellung von apium (Eppich) und ibex (Steinbock) verschafft, als lange Definitionen von deren Namen. Ebenso würde man von strigil und sisttrum eine deutlichere Vorstellung haben, als ihm die Wörterbücher mit deren Uebersetzung durch Striegel und Becken bieten, wenn man am Rande die kleinen Bilder dieser Instrumente, so wie sie bei den Alten in Gebrauch waren, sehen könnte. Toga, Tunica, Pallium sind leicht durch Rock, Unterkleid und Mantel übersetzt; allein man kennt deshalb so wenig die Gestalt dieser Kleider bei den Römern, wie die Gesichter der Schneider, die sie machten. Dinge, die sich nach ihrer sichtbaren Gestalt unterscheiden, werden am besten der Seele durch Zeichnungen kenntlich gemacht, welche deren Bedeutung deutlicher machen als andere Worte, mit denen man sie[134] bezeichnet oder definirt. Indess sei dies nur nebenbei erwähnt.

§ 26. (5. Durch Gleichmässigkeit der Bedeutung.) Fünftens ist, wenn man das Lästige des steten Erklärens vermeiden will und Definitionen der Worte nicht zu haben sind, doch wenigstens zu verlangen, dass bei allen Reden, womit man Andere belehren oder überführen will, jedes Wort immer in demselben Sinne gebraucht werde. Hätte man dies gethan (und der Ehrliche kann es nicht verweigern), so hätte man viele Bücher ersparen können; viele Streitfragen würden verschwinden; dicke Bände voll zweideutiger Worte, die bald in diesem, bald in jenem Sinne gebraucht werden, würden zu kleinen Büchern zusammenschrumpfen, und die Werke vieler Philosophen (um Andere nicht zu erwähnen) und Dichter würde man in eine Nussschale stecken können.

§ 27. (Wann die Abweichung erklärt werden muss.) Indess ist der Vorrath der Worte im Verhältniss zu den unzähligen und mannichfachen Gedanken so knapp, dass man da, wo passende Ausdrücke fehlen, trotz aller Vorsicht doch dasselbe Wort mitunter in verschiedenem Sinne gebrauchen muss; auch ist im Laufe einer Rede oder in dem Fortgange eines Beweises kein Platz zur jedesmaligen Einschiebung einer Definition, wenn das Wort in etwas anderem Sinne gebraucht wird. Allerdings kann schon der Fortgang der Rede in der Regel, und wo nicht absichtlich getäuscht werden soll, einen verständigen und wohlmeinenden Leser zu dem wahren Sinne dieser Worte führen; wo dies aber nicht zureicht, da hat der Schriftsteller den Ausdruck zu erläutern und zu sagen, in welchem Sinne er ihn gebraucht.[135]

Quelle:
John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. In vier Büchern. Band 2, Berlin 1872, S. 119-136.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
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