Drittes Kapitel.
Von den Vorstellungen eines Sinnes

[120] § 1. (Eintheilung der einfachen Vorstellungen.) Um die Vorstellungen besser zu verstehen, die man durch die Sinne erhält, ist es zweckmässig, sie mit Rücksicht auf die verschiedenen Wege zu betrachten, wodurch sie sich unsrer Seele nahem und für uns fassbar werden.

Erstlich kommen manche nur durch einen Sinn allein in die Seele.

Zweitens giebt es andere, die sich durch mehrere Sinne in die Seele einführen.

Drittens giebt es andere, die man nur durch Selbstwahrnehmung erlangt.

Viertens giebt es welche, die sich selbst den Weg bahnen, und der Seele durch alle Arten der Sinnes- und Selbstwahrnehmung zugeführt werden.

Wir wollen sie jede besonders nach diesen Gesichtspunkten betrachten.


(Vorstellungen eines Sinnes, wie der Farben durch Sehen, und der Töne durch Hören.)


Zunächst giebt es also Vorstellungen, die nur durch einen Sinn eintreten, der für ihre Aufnahme besonders eingerichtet ist. So treten das Licht und die Farben, wie weiss, roth, gelb, blau mit ihren verschiedenen Abstufungen und Mischungen wie grün, purpur, scharlachroth, meergrün u.s.w. nur durch die Augen ein; alle Arten von Geräusch, Lauten und Tönen nur durch die Ohren, und die verschiedenen Geschmäcke und Gerüche durch die Nase und den Gaumen. Wenn diese Organe, oder die Nerven, welche die Leiter bilden, die sie von aussen zu ihrem Empfange im Gehirn, dem Audienzzimmer der Seele führen (wie ich es nennen möchte), irgend wie gestört sind, und ihre Aufgabe nicht verrichten können, so haben sie keine Thür, um einzutreten, und keinen andern Weg, sich bemerkbar zu machen und von dem Verstande aufgefasst zu werden. Die wichtigsten, dem Gefühl[120] angehörenden Eigenschaften sind das Kalte, Warme und Feste, während die übrigen bekanntlich beinah nur auf der fühlbaren Gestaltung beruhen, wie glatt und rauh, oder auf der mehr oder weniger festen Anhängung der Theile, wie hart und weich, zähe und zerbrechlich.

§ 2. (Für wenige einfache Vorstellungen sind Worte vorhanden.) Ich werde wohl nicht alle einzelnen einfachen Vorstellungen, die zu jedem Sinn gehören, aufzuzählen brauchen; auch würde es nicht möglich sein, da für die meisten Sinne deren mehr, als Worte dafür, vorhanden sind. Die verschiedenen Gerüche, deren es vielleicht so viel, wo nicht mehr giebt, als verschiedene Körper in der Welt bestehen, haben meist keinen besondern Namen. Wohlriechend und stinkend genügen hier meist dem Bedürfniss, was ziemlich dasselbe sagt, als angenehm und unangenehm, obgleich der Geruch einer Rose und eines Veilchens, beide wohlriechend und doch sehr verschiedene Vorstellungen sind. Auch die Geschmäcke unsers Gaumens sind nicht besser mit Namen versehen. Süss, bitter, sauer, herbe und salzig sind beinah die einzigen Beiworte, um die zahllose Menge von Geschmäcken zu bezeichnen, die nicht blos bei jeder Art von Dingen verschieden sind, sondern selbst in den verschiedenen Theilen derselben Pflanze, Frucht oder desselben Thieres sich unterscheiden. Ich begnüge mich deshalb, hier nur die einfachen Vorstellungen aufzuzählen, die für meinen Zweck die wichtigeren sind oder weniger bemerkt werden, obgleich sie sehr oft Bestandtheile unserer zusammengesetzten Vorstellungen bilden. Ich kann wohl dazu die Dichtheit rechnen, die deshalb der Gegenstand des nächsten Kapitels sein soll.

Quelle:
John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. In vier Büchern. Band 1, Berlin 1872, S. 120-121.
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Ausgewählte Ausgaben von
Versuch über den menschlichen Verstand
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand, Teil 1: Buch I und II
Philosophische Bibliothek, Bd.76, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 2. Buch 3 und 4
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 1. Buch 1 und 2.
Versuch über den menschlichen Verstand: Theil 1