Atome sind farblos

[82] Nunmehr hör' auch die Verse, die mir in erfreulicher Arbeit

Reiften, damit du nicht glaubst, was in unseren Augen als weiß glänzt,

Dieses Weiße entstamme von weißen Atomen des Urstoffs,

Oder was schwarz aussieht, sei schwärzlichem Samen entsprossen,

Oder damit du nicht meinest, was irgendwie anders gefärbt ist,

Trage die Farbe nur darum, weil auch die Atome des Urstoffs

Mit ganz ähnlicher Farbe von Haus aus seien umkleidet.

Denn die Atome des Stoffs entbehren noch völlig der Farbe:

Weder gleich ist die Farbe des Stoffs dem Erzeugnis noch ungleich.

Wenn du nun aber vermeinst, die Atome seien wohl darum

Unserem Geist unfaßbar, so irrst du weit von dem Weg ab.

Die von Geburt blind sind und nie die Strahlen der Sonne

Haben geschaut, erkennen die Körper doch nur mit dem Tastsinn,

Da sie von Kindheit an entbehren der Farbenempfindung;

Also (merk es dir wohl) kann ebenso unsre Erkenntnis

Körper begrifflich erfassen, auch wenn sie der Farbe entbehren.

Endlich haben wir selbst auch ohne die Farben Empfindung

Sämtlicher Dinge, die wir im lichtlosen Dunkel berühren.

Da ich nun siegreich dies erwiesen, so will ich dir nunmehr

Dartun, [daß die Atome auch selber der Farbe entbehren.]

Jegliche Farbe vermag sich in jegliche andre zu wandeln,[82]

Aber das dürfen ja doch die Atome sich nimmer gestatten.

Etwas muß doch am Ende verbleiben, was nimmer sich ändert,

Soll nicht alles zuletzt in das Nichts vollständig versinken.

Denn was nur irgend sich ändert und seinen bisherigen Wohnsitz

Wechselt, erfährt sofort die Vernichtung des früheren Zustands.

Also hüte dich wohl, den Atomen die Farbe zu leihen,

Daß dir nicht alles zuletzt in das Nichts vollständig versinke.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 82-83.
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