Grenzen der Atommischung

[81] Trotzdem darf man nicht wähnen, es könne sich alles mit allem

Gatten. Denn sonst gewahrte man überall Aftergeburten

Bald halb Mensch, halb Tier entstehn, bald riesige Aste

Hier und da aus lebendigem Leib in die Höhe erwachsen,

Bald auch Glieder sich einen, gemischt aus See- und aus Landtier;

Ekle Chimären sogar mit dem feuerschnaubenden Rachen

Ließe Natur erstehn auf der alleserzeugenden Erde.

Aber dergleichen entsteht doch nichts, wie deutlich erkennbar.

Alles, was wächst, kann stets, wie man sieht, sein Geschlecht sich bewahren,

Da es besonderen Keimen besonderer Mutter entstammet.

Und dies muß, wie man weiß, nach bestimmten Gesetzen geschehen.

Denn aus allen den Speisen entnimmt ein jedes das Seine

Und verteilt es den Gliedern im Innern. So wirkt es vereint dort

Angemeßne Bewegung. Das Fremde dagegen (man sieht es)

Wirft die Natur auf die Erde zurück; viel flieht aus dem Körper,

Wenn ihn die Stöße erschüttern, mit unsichtbaren Atomen,[81]

Was sich nicht irgendwohin vereinigen konnte noch innen

Sich zur Lebenserregung verstehn und den übrigen folgen.

Glaube nicht etwa, daß dieses Gesetz nur beseelte Geschöpfe

Binde. Vielmehr ist die Schranke der Norm für alles dieselbe.

Denn so wie nach der ganzen Natur die geschaffenen Dinge

Sind voneinander verschieden, so muß ein jedes sich bilden

Aus der Verschiedenheit schon der Gestalten der Urelemente.

Nicht als ob nicht auch häufig bei ihnen sich ähnliche Formen

Fänden, jedoch ist gewöhnlich nicht alles mit allem identisch.

Sind nun die Keime verschieden, so müssen nicht minder sich scheiden

Ihre Verflechtung und Bahn, ihr Abstand, Schwere und Anprall,

Ihre Bewegung, ihr Stoß. Dies alles nun scheidet die Körper

Nicht nur beseelter Geschöpfe, nein Meer und Land voneinander,

Ja sie scheiden sogar das Irdische ganz von dem Himmel.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 81-82.
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