Fortsetzung über Atommischung

[80] Häufig grasen daher aus demselben Gefilde das Gras ab

Wolletragendes Vieh und die kriegrische Jugend der Rosse

Und die Gehörnten, die unter demselbigen Himmelsdome

Und aus demselbigen Strome die durstigen Kehlen erquicken:

Aber sie leben verschieden und wahren das Wesen der Eltern,

Deren Gebräuchen sie folgen, ein jedes nach seinem Geschlechte.

So verschieden sind also, bei jeder beliebigen Grasart,

Ihre Grundelemente, und so auch bei jeglichem Wasser.

Saft, Blut, Knochen, Gedärme, die Venen, Nerven und Wärme

Bilden zwar alle zusammen ein einziges lebendes Wesen,

Aber sie sind doch weit in der Form voneinander geschieden,

Da sie der Urelemente verschiedne Gestalt hat erschaffen.

Ferner muß alles, was immer durch Feuers Flammen verzehrt wird,

Wenn nichts weitet, doch die Elemente im Körper bewahren,

Die es zum Flammensprühen und Lichtverbreiten benötigt

Oder zum Funkenwurf und zu weiter Zerstreuung der Asche.

Gehst du das übrige durch in entsprechender Geistesverfassung,

Wirst du demnach erkennen: die Körper enthalten die Keime

Mannigfaltiger Dinge und fassen gar mancherlei Formen.

Endlich siehst du auch vieles, bei dem mit Geruch und Geschmack sich

Auch noch die Farbe vereint, wie vor allem bei zahlreichem Obste.[80]

Diese Atome bestehen daher aus verschiednen Gestalten.

Denn ihr Brodem dringt in die Glieder, wohin nicht die Farbe

Reicht, und die Farbe nun wieder wird anders den Sinnen vermittelt

Als der Geschmack. Du erkennst, wie verschieden die Form des Atoms ist.

Also vereinigen sich die verschiednen Gestalten zu einem

Knäuel und somit formt sich ein Ding aus der Mischung der Keime.

Ja, auch in unseren Versen (du kannst es ja sehen) erscheinen

Vielfach dieselbigen Lettern verschiedenen Wörtern gemeinsam;

Und doch mußt du gestehen, die Verse sind gleichwie die Worte

Ganz voneinander verschieden entsprechend den Grundelementen.

Nicht als ob nicht auch häufig gemeinsame Lettern sich fänden

Oder als ob nicht auch zwei aus ganz denselben bestehen

Könnten; jedoch sind gewöhnlich nicht alle mit allen identisch.

So sind auch in der übrigen Welt bei vielen der Dinge

Viele der Urelemente gemeinsam, aber als Ganzes

Sind sie in ihrem Bestande doch sehr voneinander verschieden.

Darum darf man mit Recht verschiedne Atome erschließen

Für das Menschengeschlecht, für Frucht und die labenden Bäume.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 80-81.
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