Die Seele ist an den Leib örtlich gebunden

[120] Übrigens kann in dem Himmel kein Baum, kein Gewölk in des Meeres

Tiefe sich bilden, es kann kein Fisch im Trockenen leben,

Kann kein Blut aus dem Holz, kein Saft aus den Steinen erfließen.

Fest umzirkt ist für jedes der Ort, wo es wachsen und sein darf.

So kann nie sich alleine und ohne den Körper die Seele

Ihrem Wesen nach bilden entfernt von dem Blut und den Nerven.

Könnte sie das, dann würde wohl eher die geistige Kraft sich

Sammeln im Haupte, den Schultern, sogar ganz unten im Fuße

Oder auch sonst an beliebigem Ort einwachsen, sie würde

Immer doch bleiben im selben Gefäß, das heißt, in dem Menschen.

Weil wir nun sehn, wie dieses Gesetz auch in unserem Körper

Feststeht und auch der Ort für das Sein und Wachsen gesondert

Wie für den Geist so die Seele bestimmt ist, muß man noch schärfer

Leugnen, daß außer dem Körper sie könnten entstehen und dauern.

Drum wenn der Körper zerfällt, dann geht notwendig zugleich auch

Die durch den ganzen Leib hin verbreitete Seele zunichte.

Drum wer ein sterbliches Wesen mit einem unsterblichen galtet

Und sie zu einem Gefühl und zur Wechselwirkung vereinen

Will, ist ein Narr. Was läßt sich denn auch Verschiedneres denken

Oder entgegengesetzter und weiter getrennt voneinander

Als ein sterbliches Wesen unsterblichem, ew'gem vermählet,

Um aneinandergebunden den widrigen Stürmen zu trotzen?

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 120.
Lizenz:
Kategorien: