Gleichzeitiges Werden und Vergeben von Leib und Seele

[109] Übrigens fühlen wir selbst, wie der Geist mit dem Körper zusammen

Wird und zugleich auch wächst und zugleich auch wiederum altert.

Denn wie die Kinder noch schwanken mit ihrem noch schwachen und zarten

Körper, so ist entsprechend ihr Geistesgedanke noch unfest.

Kommt dann das männliche Alter mit stärkeren Kräften zur Reife,

Wächst auch der kluge Verstand und es mehrt sich die Stärke des Geistes.

Doch wenn später den Leib in den nervigen Lebenskräften

Irgendein Stoß erschüttert, wenn stumpf und kraftlos der Körper

Sinkt, dann erlahmt uns das Denken, es faselt die Zunge, der Geist wankt

Alles wird schadhaft und endlich da mangelt uns alles auf einmal.

Also muß auch entsprechend das Wesen der Seele sich endlich

Ganz auflösen wie Rauch in die hohen Regionen des Luftreichs,

Da wir sie sehn mit dem Körper zugleich entstehen und wachsen

Und, wie ich zeigte, zugleich vom Alter ermattet zerfallen.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 109.
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