Wie scheidet die Seele vom Leibe

[114] Endlich, was zweifelst du noch, daß die Seele hinaus aus dem Körper

Hilflos ausgestoßen, im Freien und ledig der Hülle

Nicht nur nicht dauern könne durch endlos ewige Zeiten,

Sondern nicht eine Sekunde sogar sich zu halten vermöge?

Auch hat niemand (so scheint es) im Sterben noch selbst die Empfindung,

Daß sich die Seele als Ganzes dem ganzen Körper entringe,

Oder als steige sie erst bis zur Kehle und über den Schlund auf;

Sondern sie geht an der Stelle zugrund, die als Sitz ihr bestimmt ist,

Wie man ja auch bei den Sinnen es weiß, daß jeder verschwindet

Nur in seinem Bereich. Drum, war' unsterblich die Seele,

Klagte sie nicht beim Sterben so sehr, nun scheiden zu müssen;

Nein, sie freute sich wohl aus der Haut wie die Schlange zu schlüpfen.
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Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 114-115.
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