Die Ähnlichkeit und die Analogie als Leitmotiv der Forschung.269

[220] 1. Ähnlichkeit ist teilweise Identität. Die Merkmale ähnlicher Objekte stimmen zum Teil überein, zum Teil sind sie verschieden. Die Analogie ist jedoch ein besonderer Fall der Ähnlichkeit. Nicht ein einziges unmittelbar wahrnehmbares Merkmal des einen Objektes braucht mit einem Merkmal des anderen Objektes übereinzustimmen, und doch können zwischen den Merkmalen des einen Objektes Beziehungen bestehen, welche zwischen den Merkmalen des anderen Objektes in übereinstimmender, identischer Weise wiedergefunden werden. Jevons270 nennt die Analogie »eine tiefer liegende Ähnlichkeit«; man könnte dieselbe auch eine abstrakte Ähnlichkeit nennen. Die Analogie kann unter Umständen der unmittelbaren sinnlichen Beobachtung ganz verborgen bleiben, und sich erst durch die Vergleichung der begrifflichen Beziehungen der Merkmale des einen Objektes untereinander mit den Beziehungen der Merkmale des anderen Objektes untereinander offenbaren. Maxwell271 gibt nicht sowohl eine Definition der Analogie, als er vielmehr deren wichtigste Eigenschaft für den Naturforscher hervorhebt, wenn er sagt: »Unter einer physikalischen Analogie verstehe ich jene teilweise Ähnlichkeit zwischen den Gesetzen eines Erscheinungsgebietes mit jenen eines anderen, welche bewirkt, daß jedes das andere illustriert.« Wir werden jedoch sehen, daß Maxwells Auffassung von der hier dargelegten nicht verschieden ist. Hoppe272[220] hält den Begriff »Analogie« für ganz überflüssig, indem es bei derselben, wie bei der Ähnlichkeit überhaupt, nur auf begriffliche Übereinstimmung, Übereinstimmung in gewissen Merkmalen der in Analogie gesetzten Objekte ankomme. Es ist dies letztere richtig, doch hat man guten Grund die Analogie als einen besonderen Fall der Ähnlichkeit von dem allgemeineren Begriff zu unterscheiden. Insbesondere der Naturforscher, der durch Beachtung von Analogien sehr gefördert wird, fühlt sich hierzu gedrängt. Es liegt übrigens die Bemerkung nahe, daß auch Objekte, deren Ähnlichkeit der sinnlichen Beobachtung unmittelbar auffällt, Analogie, Beziehungsgleichheit zwischen den Merkmalen des einen Objektes untereinander und jenen des anderen untereinander darbieten können, welche als selbstverständlich oft unbeachtet bleiben.

2. Die sinnlich beobachtete Ähnlichkeit bedingt schon unbewußt und unwillkürlich ein ähnliches Verhalten, ähnliche motorische Reaktionen gegenüber den ähnlichen Objekten. Beim Erwachen des Intellekts wird sich auch dieser den ähnlichen Objekten gegenüber ähnlich verhalten, wie dies Stern273 bezüglich des volkstümlichen Denkens ausführlich dargelegt hat. Übrigens enthalten die Schriften von Tylor274 hierfür schon reichliche Belege. Wenn nun das begriffliche Denken erstarkt, so wird auch das absichtliche zielbewußte Streben, sich von einer praktischen oder intellektuellen Unbehaglichkeit zu befreien, ebenfalls durch Ähnlichkeiten, und bald auch durch tiefer liegende Analogien, geleitet sein.

3. In einer älteren Schrift275 habe ich die Analogie definiert als eine Beziehung von Begriffssystemen, in welcher sowohl die Verschiedenheit je zweier homologer Begriffe als auch die Übereinstimmung in den logischen Verhältnissen je zweier homologer Begriffspaare zum klaren Bewußtsein kommt. Es scheint, daß zuerst im Gebiete der Mathematik, wo allerdings die Sache am einfachsten liegt, die klärende, vereinfachende, heuristische Funktion der Analogie sich deutlich geoffenbart hat. Wenigstens bezieht Aristoteles die Analogie, wo er von derselben spricht,[221] auf quantitative (proportionale) Verhältnisse. Einfachere Analogien mußten schon den antiken Forschern auffallen. So nennt Euklid (im 7. Buch seiner Elemente Definition 16) das Produkt zweier Zahlen »Fläche« und die Faktoren »Seiten«, ebenso (Definition 17) ein Produkt aus drei Faktoren »Körper« und die Faktoren selbst »Seiten«, ein Produkt aus zwei, bezw. drei gleichen Faktoren (Definition 18, 19) Quadrat und Würfel.276 Wo Platon Geometrisches berührt, bedient er sich einer ähnlichen Redeweise. Die Erfindung der Algebra beruht auf dem Erschauen der Analogie der Rechnungsoperationen bei aller Verschiedenheit der in Betracht kommenden Zahlen. Sie erledigt das begrifflich Gleiche daran auf einmal und ein für allemal. Wo Größen in analoger Weise in eine Rechnung eingehen, erhält man, wenn nur eine berechnet ist, die übrigen durch eine einfache Vertauschung der Zeichen nach der Analogie. Die Descartessche Geometrie benützt in ausgiebiger Weise die Analogie zwischen Algebra und Geometrie, die Graßmannsche Mechanik (Ausdehnungslehre) jene zwischen Linien und Kräften, zwischen Flächen und Momenten u.s.w. Jede physikalische Anwendung der Mathematik beruht auf der Beachtung der Analogie zwischen Naturtatsachen und Rechnungsoperationen.

4. Den hohen Wert der Analogie für die Erkenntnis hat sich schon Kepler277 zum klaren Bewußtsein gebracht. Indem er die Kegelschnitte mit Rücksicht auf ihre optischen Eigenschaften behandelt, sagt er: »Focus igitur in circulo unus est A, isque idem qui et centrum: in ellipsi foci duo sunt A, B, aequaliter a centro figurae remoti et plus in acutiore. In parabola unus D est intra sectionem, alter vel extra vel intra sectionem in axe fingendus est infinito intervallo a priore remotus, adeo ut educta HG vel IG ex illo caeco foco in quodcunque punctum sectionis G sit axi paralleles. In hyperbola focus externus F interno E tanto est propior, quanto est hyperbole obtusior. Et qui externus est alteri sectionum oppositarum, is alteri est internus et contra.«

»Sequitur ergo per analogiam, ut in recta linea uterque focus (ita loquimur de recta, sine usu, tantum ad analogiam complendam)[222] coincidat in ipsam rectam: sitque unus ut in circulo. In circulo igitur focus in ipso centro est, longissime recedens a circumferentia proxima, in ellipsi jam minus recedit, et in parabola multo minus, tandem in recta focus minimum ab ipsa recedit, hoc est, in ipsam incidit. Sic itaque in terminis, circulo et recta, coeunt foci, illic longissime distat, hic plane incidit focus in lineam. In media parabole infinito intervallo distant, in ellipsi et hyperbole lateralibus bini actu foci spatio dimenso distant; in ellipsi alter etiam intra est, in hyperbole alter extra. Undique sunt rationes oppositae.«...

»Oportet enim nobis servire voces geometricas analogiae; plurimum namque amo analogias fidelissimos meos magistros, omniam naturae arcanorum conscios: in geometria praecipue suspiciendos, dum infinitos casus interjectos intra sua extrema mediumque quantumvis absurdis locutionibus concludunt, totamque rei alicujus essentiam luculenter ponunt ob oculos

5. Mit diesen klassischen Worten betont Kepler nicht nur den Wert der Analogie, sondern mit Recht auch das Prinzip der Kontinuität, welches ihn allein zu dem Grade der Abstraktion leiten konnte, der die Erfassung so tiefliegender Analogien ermöglichte. Aus der Werkstätte der antiken Forschung wissen wir ja sehr wenig. Es sind kaum die wichtigsten Ergebnisse der Forschung uns überliefert worden. Die Form der Darstellung ist aber, wie das drastische Beispiel Euklids lehrt, oft ganz dazu angetan, die Forschungswege zu verdecken. Leider ist entgegen dem Interesse der Wissenschaft und im Interesse einer falsch bewerteten Strenge das antike Beispiel in neuerer Zeit noch oft nachgeahmt worden. Am vollständigsten und strengsten ist jedoch ein Gedanke begründet, wenn alle Motive und Wege, welche zu demselben geleitet und ihn befestigt haben, klar dargelegt sind. Von dieser Begründung ist die logische Verknüpfung mit älteren, geläufigeren, unangefochtenen Gedanken doch eben nur ein Teil. Ein Gedanke, dessen Entstehungsmotive ganz klargelegt sind, ist für alle Zeiten unverlierbar, so lange letztere gelten, und kann andererseits sofort aufgegeben werden, sobald diese Motive als hinfällig erkannt werden.

6. Der Verkehr mit den Klassikern der Periode des Wiederauflebens der Naturforschung gewährt eben dadurch einen so[223] unvergleichlichen Genuß und eine so ausgiebige, nachhaltige, unersetzliche Belehrung, daß diese großen, naiven Menschen ohne jede zunftmäßige gelehrte Geheimtuerei in der liebenswürdigen Freude des Suchens und Findens alles mitteilen, was und wie es ihnen klar geworden ist. So lernen wir bei Kopernikus, Stevin, Galilei, Gilbert, Kepler die Leitmotive der Forschung ohne allen Pomp an Beispielen der größten Forschungserfolge kennen. Die Methoden des physischen und des Gedankenexperiments,278 der Analogie, das Prinzip der Simplizität und Kontinuität u.s.w. werden uns in der einfachsten Weise vertraut.

7. Außer diesem kosmopolitischen Zuge von Offenheit zeichnet sich die Wissenschaft jener Zeit noch durch einen ungewöhnlichen Aufschwung der Abstraktion aus. Aus Einzelerkenntnissen wächst die Wissenschaft hervor, und am einzelnen bleibt auch die antike Forschung meist haften. Wer aber einen reichen Besitz schon als Erbschaft übernimmt, befindet sich in günstigerer Lage. Er kann über die ihm schon vertraut und geläufig gewordenen einzelnen Erkenntnisschätze den vergleichenden Blick oft, in verschiedener Ordnung, und in rascher Folge führen. Hierbei entdeckt er in weit Abliegendem noch Gemeinsames, wo dies dem Finder oder Neuling noch vor dem Verschiedenen zurücktrat. Namentlich eine Änderung der betrachteten Objekte, welche kontinuierlich oder doch in kleinen Stilen stattfindet, macht die Verwandtschaft weit abstehender Glieder einer Reihe fühlbar und bringt zum Bewußtsein, was trotz aller Änderung gleich geblieben ist. So kann ein sich schneidendes Geradenpaar als Hyperbel, eine Gerade als zwei zusammenfallende Hyperbeläste, eine begrenzte Gerade als Ellipse erscheinen u.s.w. Parallele und sich schneidende Gerade unterscheiden sich für Kepler nur mehr durch die Größe der Entfernung des Durchschnittspunktes. Für seinen jüngeren Zeitgenossen Desargues279 ist die Gerade ein Kreis von unendlich fernem Mittelpunkt, die Tangente eine Sekante von zusammenfallenden Schnittpunkten, die Asymptote eine Tangente an einen unendlich fernen Punkt u.s.w. Alle diese für uns schon selbstverständlichen Schritte bereiteten[224] dem antiken Geometer noch unüberwindliche Schwierigkeiten. Mit der unter Leitung des Kontinuitätsprinzips erreichten Höhe der Abstraktion steigt natürlich die Fähigkeit zur Erfassung von Analogien. Analogien kontinuierlicher Größenänderungen zu anschaulicheren Verhältnissen der Geometrie führen zur Entwicklung der Infinitesimalrechnung sowohl in der Newtonschen als auch in der Leibnizschen Form. Die Vergleichung der algebraischen Zeichensprache mit der Vulgärsprache erweckt Leibniz den Gedanken einer allgemeinen Charakteristik oder Begriffsschrift und leitet ihn zu logischen Entdeckungen, welche eben erst wieder neues Leben gewinnen.280 Die hohe Abstraktion, die sich Lagrange angeeignet hat, ermöglicht ihm, die Analogie zwischen den kleinen Änderungen durch Zuwüchse der unabhängig Variablen und den kleinen Änderungen durch Variation der Funktionsform zu erschauen. So entsteht die wunderbare Schöpfung der Variationsrechnung.

8. Wenn ein Objekt der Betrachtung M die Merkmale a, b, c, d, e aufweist und ein anderes Objekt N mit ersterem in den Merkmalen a, b, c übereinstimmt, so ist man sehr geneigt, zu erwarten, daß das letztere auch die Merkmale d, e aufweisen, mit M auch in diesen übereinstimmen werde. Diese Erwartung ist logisch nicht berechtigt. Denn das logische Verfahren verbürgt nur die Übereinstimmung mit dem einmal Festgesetzten, das Beibehalten desselben, schließt den Widerspruch gegen dieses aus. Unsere Neigung, unsere Erwartung ist aber in unserer psychologisch-physiologischen Organisation begründet. Schlüsse nach Ähnlichkeit und Analogie sind genau genommen kein Gegenstand der Logik, wenigstens nicht der formalen Logik, sondern nur der Psychologie. Wenn in dem obigen Falle a, b, c, d, e unmittelbar wahrnehmbare Merkmale sind, so sprechen wir von Ähnlichkeit, bedeuten aber a, b, c, d, e begriffliche Beziehungen der Objektmerkmale von M zueinander, und ebenso in Bezug auf das Objekt N, so entspricht die Bezeichnung Analogie besser dem Sprachgebrauch. Ist uns das Objekt mit der Kombination seiner Merkmale a, b, c, d, e geläufig, so wird bei Betrachtung von N neben den Merkmalen a, b, c auch d, e durch Association in[225] Erinnerung gebracht, womit bei Gleichgültigkeit der Merkmale d, e der Prozeß abgeschlossen ist. Anders ist es, sobald d, e wegen ihrer nützlichen oder schädlichen Eigenschaft ein starkes biologisches Interesse, oder für einen technischen oder rein wissenschaftlich-intellektuellen Zweck einen besonderen Wert haben. Dann fühlen wir uns gedrängt nach d, e zu suchen; wir erwarten mit gespannter Aufmerksamkeit die Entscheidung. Diese erfolgt entweder durch einfache sinnliche Beobachtung, oder durch kompliziertere technische oder wissenschaftlich-begriffliche Reaktionen. Wie nun auch die Entscheidung erfolgen mag, ob wir die Merkmale d, e an dem Objekt N in Übereinstimmung mit M finden oder nicht, in beiden Fällen hat sich unsere Kenntnis des Objektes erweitert, indem sich eine neue Übereinstimmung oder ein neuer Unterschied gegen M ergeben hat. Beide Fälle sind gleich wichtig, beide schließen eine Entdeckung ein. Der Fall der Übereinstimmung hat aber außerdem noch die Bedeutung einer ökonomischen Ausdehnung einer gleichförmigen Auffassung auf ein größeres Gebiet, weshalb wir solche Fälle mit Vorliebe suchen. Das eben Gesagte enthält also die einfache biologische und erkenntnis-theoretische Begründung der Wertschätzung des Schlusses nach Ähnlichkeit und Analogie.

9. Das Leitmotiv der Ähnlichkeit und Analogie erweist sich in mehrfacher Hinsicht als treibend und fruchtbar für die Erweiterung der Erkenntnis. Ein noch wenig geläufiges Tatsachengebiet N offenbare in irgend einer Weise seine Analogie zu einem uns geläufigeren, der unmittelbaren Anschauung zugänglicheren Gebiet M. Sofort fühlen wir uns angetrieben in Gedanken, durch Beobachtung und Experiment zu den bekannten Merkmalen oder Beziehungen der Merkmale von M die Homologen von N aufzusuchen. Unter diesen Homologen werden sich im allgemeinen bislang unbekannte Tatsachen des Gebietes N finden, die wir auf diese Weise entdecken. Trifft aber unsere Erwartung auch nicht zu, finden wir unvermutete Unterschiede von N gegen M, so hat sich unser Trieb doch nicht vergebens betätigt. Wir haben das Tatsachengebiet N genauer kennen gelernt, unsere begriffliche Kenntnis desselben hat sich bereichert. Die Operation mit Hypothesen wird durch den Reiz der Ähnlichkeit und[226] Analogie eingeleitet. Die Hypothese belebt die Anschauung, die Phantasie, und erregt durch diese die physische Reaktionstätigkeit. Die Funktion der Hypothese ist sonst teils eine sich selbst befestigende, verschärfende, teils eine sich selbst zerstörende, jedenfalls aber eine kenntniserweiternde.281

10. Mehrere gleich gut bekannte Gebiete M, N, O, P können ebenfalls in Analogie zueinander treten, entweder paarweise oder mehrere zugleich. Selbstverständlich zeigen diese Tatsachengebiete außer den Übereinstimmungen auch Unterschiede, da sie ja sonst identisch wären. Daraus geht hervor, daß man beim Analogisieren bald das eine, bald das andere bevorzugen, bald von dem einen, bald von dem andern ausgehen kann, wobei verschiedene Analogien hervortreten und ihre Berechtigung geltend machen. Es ist klar, daß bei diesem Prozeß sich herausstellen muß, was an unseren Auffassungen zufällig und willkürlich ist, und welche Auffassungen sich in homogener Weise auf das weiteste Gebiet anwenden lassen, welche also dem Ideal der Wissenschaft am besten entsprechen.

11. An Beispielen für die Bedeutung der Analogie fehlt es nicht. Dieselbe kann in der Naturwissenschaft kaum überschätzt werden. Schon in der antiken Zeit haben die unmittelbar sichtbaren Wasserwellen den Vorgang der Schallfortpflanzung erläutert und verständlich gemacht.282 Die Vorstellungen über die Lichtfortpflanzung haben sich jenen über die Schallbewegung nachgebildet.283 Die Entdeckung der Jupitertrabanten durch Galilei hat das Kopernikanische System mächtiger als alle anderen Argumente durch die Analogie gestützt. Das Jupitersystem stellt ein verkleinertes Modell des Planetensystems dar. Wir sehen, wie sehr Huygens diese Stütze zu schätzen wußte.

12. Die Drehung der Polarisationsebene des Lichtes durch den elektrischen Strom, welche Faraday im Jahre 1845 nachzuweisen glückte, ist eines der merkwürdigsten Beispiele einer großen Entdeckung unter Leitung der Analogie. J. F. W. Herschel hatte diese Beziehung zwischen Licht und Elektrizität schon[227] zwanzig Jahre vorher vermutet, und war bei seinen Experimenten, wenngleich dieselben wegen Anwendung zu geringer Kräfte negativ ausfielen, von einem richtigen Gedanken geleitet. Wir wissen dies aus einem Brief Herschels284 an Faraday vom 9. November 1845. Herschel erhielt durch die Drehung der Polarisationsebene des Lichtes beim Fortschreiten des Strahles in gewissen starren und flüssigen Medien den Eindruck einer Schraube. Er suchte nun nach einer Schraubenstruktur (helicoidal dissymmetry) im Quarz. In der Tat äußert sich dieselbe bei diesem stark drehenden Körper in den plagiedrischen Flächen, obgleich die Quarzkristalle sonst den Eindruck der Symmetrie machen. Die optische helikoidale Dissymmetrie ist also an eine ebensolche Dissymmetrie des Mediums gebunden. Faßt man nun einen geradlinigen elektrischen Strom ins Auge, der den Nordpol der Magnetnadel, wo dieselbe auch in seiner Nähe sich befinden mag, stets zur Linken des Ampèreschen Schwimmers ablenkt, stets links herumtreibt, so erkennt man die helikoidale Dissymmetrie des magnetischen Stromfeldes. Herschel erwartete also, daß ein magnetisches Stromfeld das polarisierte Licht ähnlich beeinflussen würde, wie der Quarz. Seiner Vermutung entsprechend ließ er einmal einen Strahl durch die Achse einer durchströmten Drahtspule, ein anderes Mal zwischen zwei entgegengesetzt durchströmten parallelen Drähten längs der Länge derselben passieren, ohne ein positives Resultat zu erhalten. Die erstere Versuchsform entspricht bekanntlich der Faradayschen.

13. Ein anderes Beispiel mag die Vorteile des Analogisierens mehrerer schon bekannter Tatsachengebiete untereinander erläutern. Die Fouriersche Theorie des Wärmestroms scheint sich durch Beachtung der Analogie mit dem Wasserstrom entwickelt zu haben. Andererseits sind der Fourierschen Wärmeleitungstheorie andere Theorien, wie jene des elektrischen und des Diffusionsstroms nachgebildet worden. Unabhängig von diesen, und neben diesen, hat sich eine konforme Theorie der Fernkräfte, eine Attraktionstheorie entwickelt. Wenn man nun diese verschiedenen, große Tatsachengebiete zusammenfassend darstellenden Theorien vergleicht, so ergeben sich mannigfache[228] Analogien. W. Thomson285 (Lord Kelvin) hat zunächst die Wärmeleitungstheorie mit der Attraktionstheorie verglichen und gefunden, daß die Formeln des ersteren Gebietes in jene des letzteren übergehen, wenn man an die Stelle des Begriffes Temperatur den Begriff Potential und an die Stelle des Begriffes Temperaturgefälle den Begriff Kraft einsetzt. Diese nahe Verwandtschaft ist sehr auffallend, wenn man bedenkt, daß die Grundvorstellungen, von welchen man in beiden Gebieten ausgeht, gänzlich verschieden zu sein scheinen, indem man die Wärmeleitung auf Nahewirkungen (Berührungswirkungen), die Attraktion auf Fernwirkungen zurückführt. Diese Gedanken haben wohl auf Maxwell sehr anregend gewirkt. Er erkannte auf diesem Wege die Gleichberechtigung der Faradayschen Nahewirkungstheorie der Elektrizität und des Magnetismus mit der bis dahin von den mathematischen Physikern allein anerkannten Fernwirkungstheorie, und wandte schließlich den großen Vorzügen der ersteren die Aufmerksamkeit zu.286 Eine andere große Leistung dieser Art, die Erkenntnis der Analogie zwischen den Gleichungen der Lichtbewegung und jenen der elektrischen Schwingungen, die Begründung der elektromagnetischen Lichttheorie durch Maxwell287 und die sich anschließende Eröffnung eines neuen Feldes der experimentellen Forschung durch Hertz288 ist so bekannt, daß die bloße Erwähnung genügt.

14. Maxwell289 hat die Benützung der Analogie mit Bewußtsein zu einer sehr geklärten physikalischen Methode entwickelt. Maxwell findet, daß wir die Erscheinungen zu sehr[229] »aus den Augen verlieren«, wenn wir die Ergebnisse der Untersuchung nur in mathematischen Formeln darstellen. Wenn wir aber eine Hypothese benützen, sehen wir »wie durch eine gefärbte Brille«, und die Erklärung von einem einseitigen Standpunkt aus macht uns »gegen die Tatsachen blind«. Maxwell findet in den Erscheinungen des Gleichgewichtes der Elektrizität, des Magnetismus, der Strömung der Elektrizität u.s.w. gemeinsame Züge, die sämtlich an die Strömungserscheinungen einer Flüssigkeit erinnern. Um die Analogie ganz vollständig zu machen, wird jene Flüssigkeit von Maxwell idealisiert. Dieselbe wird ohne Trägheit (masselos), inkompressibel vorausgesetzt, und durch ein widerstehendes Medium strömend angenommen, dessen Widerstand der Stromgeschwindigkeit proportional gesetzt wird. Es wird also ein imaginäres, analogisierendes, aber darum nicht minder anschauliches Bild angewendet. Man hält es nicht für etwas Wirkliches, und weiß genau, worin dasselbe mit dem Darzustellenden begrifflich übereinstimmt. Der Druck der Flüssigkeit entspricht den verschiedenen Potentialen, die Stromrichtung den Kraft- und Stromrichtungen, das Druckgefälle den Kräften u.s.w. Maxwell gelingt es auf diese Weise in seinen Darstellungen, ohne die Anschaulichkeit aufzugeben, die Unbefangenheit und die begriffliche Reinheit zu wahren. Er vereinigt die Vorteile der Hypothese mit jenen der mathematischen Formel.290 Das Bild, welches er noch anwendet, ist, um einen modifizierten Ausdruck von Hertz zu gebrauchen, ein solches, dessen psychische Folgen wieder Bilder der Folgen der Tatsachen sind. Maxwell nähert sich sehr einer idealen Methode der Naturforschung. Daher seine ungewöhnlichen Erfolge!

15. Es sei zum Schlusse nochmals hervorgehoben, daß nicht nur die Verfolgung von vollständigen Analogien, welche zur Erkenntnis neuer Übereinstimmungen führen, sondern auch die Beachtung unvollständiger Analogien, welche die Unterschiede der verglichenen Tatsachengebiete enthüllen, der Forschung sehr förderlich sein kann. So wäre eine Energielehre bei bloßer Beachtung der Konformität der Energien auf Kenntnis des ersten[230] Hauptsatzes der Thermodynamik beschränkt geblieben, während gerade die Beachtung der Unterschiede zur wichtigen Kenntnis der Dissipation der Energie geleitet hat.291 Ein sehr lehrreiches und historisch wichtiges Beispiel des vorzeitigen Fallenlassens einer fruchtbaren Analogie bietet ein Forscher wie Newton. Die 28. Frage der Optik beschäftigt sich mit der Descartesschen Drucktheorie und mit der Huygensschen Wellentheorie des Lichtes.292 Nachdem Newton die erstere abgewiesen hat, spricht er sich auch gegen die zweite aus. Denn er vermißt beim Licht die Beugung in den Schattenraum. Zwar weiß er, daß Wasserwellen stärker gebeugt werden als Schallwellen, allein da er nur Versuche angestellt hat, bei welchen ihm die noch geringere Beugung des Lichtes in den Schattenraum leicht entgehen konnte, und nur die entgegengesetzte bemerkt wurde, zieht er es vor, die letztere auf eine ablenkende von dem gestreiften Körper ausgehende Kraft zurückzuführen. Diese einmal gefaßte Stellung verschließt ihm auch das Verständnis der Huygensschen Arbeiten. Er bleibt bei seiner Projektiltheorie. Er erklärt alles »ex congenitis et immutabilibus radiorum proprietatibus«; das sei ohnehin noch schwierig genug.[231]

269

Mit Erweiterungen aus Ostwalds »Annalen der Naturphilosophie« B. I abgedruckt.

270

Jevons, The principles of science. London 1892. p. 627.

271

Maxwell, Transact. of the Cambridge Philos. Soc. Vol. X, p. 27. 1855. (Ostwalds Klassiker Nr. 69.)

272

Hoppe, Die Analogie. Berlin 1873.

273

W. Stern, Die Analogie im volkstümlichen Denken. Berlin 1893.

274

Tylor, Die Anfänge der Kultur. Deutsch. Leipzig 1873.

275

Populär-wissenschaftliche Vorlesungen. 3. Aufl. 1903. S. 277.

276

Euklids Elemente. Ausgabe von J. F. Lorenz. Halle 1798.

277

Kepler, Opera, edidit Frisch. Vol. II, p. 186. – Die dem Zitat entsprechenden Figuren sind als selbstverständlich weggelassen.

278

Vgl. S. 183 u. f.

279

Oeuvres de Desargues. Ed. Poudra. Paris 1864.

280

Vgl. Couturat, La logique de Leibniz. Paris, 1901.

281

Mach, Bemerkungen über die historische Entwicklung der Optik. Poskes Zeitschrift f. physik. u. chem. Unterricht. XI. (1898.)

282

Vitruvius, De architectura. V. Cap. III, 6.

283

Huygens, Traité de la lumière. Leiden, 1690.

284

Bence Jones, The life of Faraday. Vol. II, p. 205. London 1870.

285

W. Thomson, Cambridge mathemat. Journal. III, February 1842.

286

Maxwell, A Treatise on Electricity and Magnetism. Vol. I, p. 99. Oxford 1873.

287

Maxwell, Dynamical Theory of the electromagn. field. London Phil. Trans. 1865.

288

Hertz, Untersuchungen über die Ausbreitung der elektrischen Kraft. Leipzig 1892.

289

Maxwell, Transact. of the Cambridge Phil. Society. Vol. X, p. 27, 1855. – Als ich selbst in der Prager Zeitschr. »Lotos« (Februarnummer 1871) und in »Erhaltung der Arbeit« (Prag 1872) diese Analogien in ähnlichem Sinne erörterte, waren mir Thomsons und Maxwells Arbeiten noch unbekannt und unzugänglich. S. Carnot scheint als der erste diese Denkweise mit Bewußtsein benützt zu haben.

290

Vgl. Machs oben erwähnten Artikel in Zeitschr. f. physik. u. chem. Unterricht. X. (1897.)

291

Vgl. Mach, Prinzipien der Wärmelehre. 2. Aufl. 1900.

292

Optice. Ed. Clarke. Londini 1719. p. 366.

Quelle:
Ernst Mach: Erkenntnis und Irrtum. Leipzig 31917, S. 220-232.
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