Elftes Kapitel

[49] Meine Verheiratung im elften Jahre macht mich zum Sklaven meiner Frau und verschafft mir Prügel von meiner Schwiegermutter. Ein Geist von Fleisch und Blut.


Bei meiner Hochzeit war mein Vater den ersten Abend nicht zugegen; und da er mir bei meiner Abreise sagte, daß er noch meinetwegen einige Artikel zu berichtigen habe, und ich daher seine Ankunft abwarten sollte, so wollte ich, aller Mühe, die man sich gab, ungeachtet, den ersten Abend nicht erscheinen; nichtsdestoweniger gingen die Hochzeitsfeierlichkeiten vor sich.

Man wartete den andern Tag, mein Vater kam nicht. Man drohte schon, mich zur Trauung mit Soldaten zu führen; ich gab aber zur Antwort, daß, wenn auch dieses geschähe, es doch wenig zur Sache helfen würde, indem die Trauung selbst nicht anders als freiwillig geschehen dürfte.

Endlich kam mein Vater gegen Abend zur Freude aller Interessenten an, die gedachten Artikel wurden berichtigt, und die Trauung ging vor sich.

Hier muß ich einer kleinen Anekdote erwähnen. Ich hatte in einem hebräischen Buche als ein probates Mittel für einen Ehegatten, sich auf Lebenszeit der Herrschaft über die andere Hälfte zu versichern, gelesen, daß er ihr bei der Trauung auf den Fuß treten müsse, und daß, wenn beide auf eben dieses Strategem gerieten, immer der erste hierin die Oberhand behalte. Da nun bei der Trauung ich und meine Braut nebeneinandergestellt wurden, so fiel mir gleich dieses ein, und ich sagte zu mir selbst, jetzt mußt du die Gelegenheit, dich der Herrschaft über deine Frau auf Lebenszeit zu versichern, nicht unbenutzt lassen. Schon wollte ich ihr auf den Fuß treten, aber ein gewisses – je ne sais quoi – sei es Furcht, Scham oder Liebe hielt mich davon zurück. Indem ich also darüber unschlüssig war, spürte ich auf einmal den Pantoffel meiner Frau auf meinem Fuß mit solchem Nachdruck, daß ich beinahe laut geschrien hätte, wenn mich die Scham nicht davon[50] abgehalten. Ich hielt dieses für ein böses Omen und sagte zu mir selbst: die Vorsehung hat dich zum Sklaven deiner Frau bestimmt, du darfst dich ihren Fesseln nicht entziehen.

Aus meiner Feigheit und dem Heldenmut meiner Frau kann der Leser leicht begreifen, warum diese Prophezeiung wirklich eintreffen mußte.

Aber ich stand nicht bloß unter dem Pantoffel meiner Frau, sondern, welches noch weit schlimmer war, unter der Fuchtel meiner Schwiegermutter. Nichts von alledem, was sie versprochen hatte, ging in Erfüllung. Ihr Haus, das sie ihrer Tochter zum Brautschatz bestimmt hatte, war mit Schulden beladen. Von den sechs Jahren Beköstigung, die sie mir versprochen hatte, genoß ich kaum ein halbes Jahr, und dieses auch unter beständigem Hader und Zank, ja, sie wagte es sogar, im Vertrauen auf meine Jugend und Mutlosigkeit dann und wann Hand an mich zu legen, welches ich aber nicht selten mit doppelten Zinsen erwiderte. Es ging beinahe keine Mahlzeit vorbei, wo wir nicht einander wechselseitig Schüssel, Teller, Löffel usw. an den Kopf schmissen.

Ich kam einst aus der Akademie nach Hause und hatte außerordentlichen Hunger. Da nun meine Schwiegermutter und meine Frau mit Wirtschaftsgeschäften überhäuft waren, so ging ich selbst in die Kammer, visitierte die Milchtöpfe, und da ich einen Topf mit geronnener Milch und etwas Rahm darauf fand, so machte ich mich darüber her und fing an zu essen. Meine Schwiegermutter kam dazu und schrie voller Wut: »Du wirst doch die Milch mit dem Rahm nicht auffressen!« Je mehr Rahm, dachte ich, desto besser, und aß immer fort, ohne mich durch ihr Geschrei im mindesten stören zu lassen. Sie wollte mir den Topf mit aller Gewalt aus den Händen reißen, stieß mich mit Fäusten und ließ mich all ihren Geifer fühlen. Ich, erbittert über eine solche Begegnung, stieß sie von mir, ergriff den Topf mit der Milch und zerschlug ihn auf ihrem[51] Kopf. Das war ein Spektakel! Die geronnene Milch floß auf allen Seiten von ihr herunter. Sie ergriff voller Wut ein Stück Holz, und hätte ich mich nicht in aller Eile aus dem Staube gemacht, so hätte sie mich gewiß damit totgeschlagen.

Solche Auftritte ereigneten sich sehr oft. Meine Frau mußte, wie natürlich, bei dergleichen Scharmützeln neutral bleiben, und welche Partei auch die Oberhand behielt, so ging es ihr immer sehr nahe. Ach, wenn doch einer von ihnen etwas mehr Mäßigung hätte, klagte sie oft.

Eines beständigen offenbaren Krieges müde, geriet ich einmal auf eine Kriegslist, die zum wenigsten auf kurze Zeit ihre gute Wirkung hatte. Ich stand um Mitternacht auf, nahm einen großen irdenen Topf, verkroch mich damit unter meiner Schwiegermutter Bette und fing an, in den Topf auf folgende Art laut hineinzusprechen: »Rissia, Rissia, du gottlose Frau! Warum behandelst du meinen geliebten Sohn so übel? Wenn du dich nicht besserst, so ist dein Ende nahe, und du wirst in alle Ewigkeit verdammt.« Darauf kroch ich wieder hervor und fing sie aufs grausamste zu kneipen an. Nachher schlich ich mich in der Stille nach meinem Lager.

Den folgenden Morgen stand sie voller Bestürzung auf, erzählte meiner Frau, daß meine Mutter ihr im Traume erschienen sei und meinetwegen gedroht und gekniept habe. Zur Bestätigung zeigte sie die blauen Flecken an ihren Armen. Als ich aus der Synagoge kam, traf ich meine Schwiegermutter nicht zu Hause und fand meine Frau in Tränen; ich fragte nach der Ursache davon, sie wollte mir aber nichts sagen. Meine Schwiegermutter kam zurück mit verweinten Augen und niedergeschlagenem Gemüt; sie ging, wie ich es nachher erfahren habe, auf den jüdischen Begräbnisplatz, warf sich auf meiner Mutter Grab und bat sie um Verzeihung ihrer Schuld. Darauf ließ sie den ganzen Begräbnisplatz ausmessen und ein Wachslicht von der Länge seines Umfanges zum Brennen in der Synagoge[52] verfertigen. Auch fastete sie den ganzen Tag und bezeigte sich gegen mich sehr liebreich.

Ich wußte zwar, woher dieses alles rührte, stellte mich aber, als merkte ich es nicht und freute mich innerlich über mein wohlgelungenes Strategem. Auf diese Art hatte ich einige Zeit Ruhe, zum Unglück aber dauerte es nicht lange. Alles wurde bald wieder vergessen, und bei der mindesten Veranlassung ging der Tanz wieder los; kurz, ich mußte bald das Haus gänzlich verlassen und als Privatlehrer in Kondition gehen. Nur zu den großen Festtagen pflegte ich nach Hause zu kommen.

Quelle:
Maimon, Salomon: Geschichte des eigenen Lebens (1754–1800). Berlin 1935, S. 49-53.
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Salomon Maimons Lebensgeschichte
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Salomon Maimons Lebensgeschichte. Von ihm selbst geschrieben
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