Neuntes Kapitel

[39] Liebschaften und Heiratsvorschläge. Das Hohelied Salomonis kann auch zum Ehezärter gebraucht werden. Ein neuer Modus lucrandi. Die bösen Pocken.


Ich war in meiner Jugend sehr lebhaft und hatte in meinem Wesen viel Annehmlichkeit. In meinen Begierden war ich heftig und ungeduldig. Bis ungefähr in mein elftes Jahr spürte ich, da ich eine sehr strenge Erziehung[39] genoß und von allem Umgange mit Frauenzimmern abgehalten wurde, keine sonderliche Neigung zu dem schönen Geschlechte. Eine Begebenheit aber brachte hierin eine große Veränderung bei mir hervor.

Ein armes, aber sehr hübsches Mädchen ungefähr von meinem Alter wurde in dem Hause meiner Eltern als Dienstmädchen angenommen. Das Mädchen gefiel mir ungemein. Es wurden bei mir Begierden rege, die ich bis jetzt noch nicht gekannt hatte. Ich mußte aber nach der strengen rabbinischen Moral mich in acht nehmen, dieses Mädchen mit Aufmerksamkeit anzusehen und noch mehr, sie zu sprechen, und konnte nur dann und wann verstohlene Blicke auf sie werfen.

Es ereignete sich einmal, daß die Frauensleute aus dem Hause ins Bad gingen, welches nach dem Gebrauch dieses Landes ein paarmal die Woche über zu geschehen pflegt. Da mich mein Instinkt, ohne es selbst zu wissen, von ungefähr nach der Gegend, wo das Bad war, hintrieb, erblickte ich auf einmal dieses hübsche Mädchen, wie es aus dem Schwitzbade heraus in den nahe vorbeifließenden Fluß hineinsprang.

Ich geriet bei diesem Anblick in Entzücken; nachdem ich mich erholt hatte, wollte ich, der strengen talmudistischen Gesetze eingedenk, zurückfliehen, aber ich konnte nicht. Ich blieb auf meiner Stelle wie angewurzelt stehen.

Da ich aber hier überrascht zu werden fürchtete, mußte ich mich doch mit einem schweren Gemüt zurückbegeben. Seit der Zeit war ich beständig unruhig, geriet zuweilen außer mir, und dieser Zustand dauerte bis zu meiner Verheiratung.

Unser Nachbar, der Arendant, hatte zwei Söhne und drei Töchter. Die älteste, Debora, war schon verheiratet. Die zweite, Pessel, war ungefähr von meinem Alter; ja, die Bauern dieses Ortes glaubten sogar einige Ähnlichkeit in unserer Gesichtsbildung zu finden und vermuteten daher nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit eine Verbindung[40] zwischen uns. Wir faßten auch wechselseitige Zuneigung zueinander. Aber zum Unglück mußte die jüngste Tochter Rachel in einen Keller fallen und sich ein Bein verrenken. Sie wurde zwar völlig wiederhergestellt, das Bein blieb aber etwas krumm. Der Arendant machte Jagd auf mich, er wollte mich absolut zum Schwiegersohn haben. Mein Vater war damit zufrieden, er wollte aber lieber die gradbeinige Pessel als die krummbeinige Rachel zur Schwiegertochter haben. Jener beteuerte, daß dieses nicht anginge, indem er für die ältere eine reiche Partie bestimmt habe; die jüngste hingegen sei für mich bestimmt, und weil mein Vater mir nichts mitgeben könne, so wolle er sie aus seinem eigenen Vermögen reichlich versorgen. Außer einer ansehnlichen Summe, die er zur Mitgabe bestimmte, wollte er noch mich zum Miterben seines Vermögens einsetzen und mich mit allen Bedürfnissen auf lebenslang versorgen. Außerdem versprach er meinem Vater, gleich nach der Verlobung eine bestimmte Summe auszuzahlen und ihn nicht nur in seinen Rechten ungestört zu lassen, sondern auch auf alle Art und Weise sein häusliches Glück zu fördern suchen. Die Feindseligkeiten zwischen beiden Familien sollten von nun an aufhören und ein Freundschaftsbündnis sie in der Zukunft in eine Familie vereinigen.

Hätte mein Vater diesen Vorstellungen Gehör gegeben, so hätte er ohne Zweifel dadurch das Glück seines Hauses befestigt, und ich lebte mit einer zwar krummbeinigen, aber (wie ich sie eine geraume Zeit nachher, da ich in diesem Hause Hofmeister war, befunden habe) übrigens liebenswürdigen Gattin, befreit von allen Sorgen, im Schöße des Glücks und konnte ungehindert meinen Studien nachhängen. Aber zum Unglück verwarf mein Vater diesen Vorschlag mit Verachtung. Er wollte absolut die Pessel zur Schwiegertochter haben, und da dieses, wie schon erwähnt worden, nicht anging, so fingen die Zwistigkeiten zwischen beiden Familien aufs neue an, und da der Arendant[41] reich, mein Vater aber arm war, so mußte dieser, wie natürlich, immer den kürzeren ziehen.

Einige Zeit nachher kam wieder ein Heiratsvorschlag für mich zum Vorschein. L. aus Schmilowitz, ein gelehrter und zugleich reicher Mann, der eine einzige Tochter hatte, wurde von meinem großen Ruf so bezaubert, daß er mich, ohne mich vorher zu sehen, zu seinem Schwiegersohn erkor. Er fing an, mit meinem Vater darüber in Briefwechsel zu treten und überließ es diesem, die Bedingungen dieser Verbindung vorzuschreiben. Mein Vater beantwortete seinen Brief mit einem erhabenen, aus biblischen Versen und talmudistischen Stellen zusammengesetzten Stil, worin er die Bedingungen durch folgenden Vers aus dem Hohenliede in der Kürze ausdrückte: »Die tausend Gulden sind für dich, Salomo, und die zweihundert für die, die seine Früchte bewahren.« Alles wurde bewilligt.

Mein Vater reiste nun nach Schmilowitz, sah seine zukünftige Schwiegertochter und ließ sich den Ehekontrakt abgeredetermaßen ausfertigen. Zweihundert Gulden wurden ihm gleich ausgezahlt. Er war aber damit nicht zufrieden, sondern behauptete, daß er es in seinem Schreiben bloß des schönen Verses wegen, den er nicht verderben wollen, bei zweihundert Gulden bewenden lassen müssen; er sei aber nicht willens den Handel einzugehen, wenn er nicht zweimal zweihundert Gulden (fünfzig Taler Polnisch) für sich erhielte. Man mußte ihm also noch zweihundert Gulden auszahlen, übergab ihm auch die sogenannten kleinen Geschenke für mich, nämlich eine schwarzsamtne Kappe mit goldenen Spitzen besetzt, eine Bibel, in grünen Samt gebunden, mit silbernen Platten usw.

Er kam damit voller Freuden nach Hause, gab mir die Geschenke und sagte, daß ich mich zu einer Disputation vorbereiten sollte, um sie an meinem Hochzeitstage, der in Zeit von zwei Monaten erfolgen werde, zu halten.[42]

Schon fing meine Mutter an, die von ihrer Seite zur Hochzeit mitzunehmenden Kuchen zu backen und allerhand Eingemachtes zuzubereiten, und ich auf meine zu haltende Disputation zu denken, als auf einmal die traurige Nachricht kam, daß meine Braut an den Blattern gestorben sei. Mein Vater konnte sich leicht über diesen Verlust zufriedengeben, weil er bei sich dachte: du hast mit deinem Sohn fünfzig Taler auf eine ehrliche Art verdient, nun kannst du abermals fünfzig Taler für ihn bekommen. Ich, der ich meine Braut nie gesehen hatte, konnte auch ihren Verlust nicht sonderlich bedauern und dachte: die Kappe und die mit Silber beschlagene Bibel ist einmal mein, und an einer Braut wird es mir auch nicht fehlen. Meine Disputation kann mir auch noch in der Zukunft ihre Dienste leisten. Nur meine Mutter war über diesen Verlust untröstlich. Die Kuchen und das Eingemachte sind von sehr vergänglicher Natur und können sich nicht lange halten. Meiner Mutter angewandte Mühe war also durch diesen Todesfall ganz fruchtlos geworden, und hierzu kam noch, daß sie keinen Ort ausfindig machen konnte, die schönen Kuchen vor meinen heimlichen Angriffen zu verwahren.

Quelle:
Maimon, Salomon: Geschichte des eigenen Lebens (1754–1800). Berlin 1935, S. 39-43.
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Salomon Maimons Lebensgeschichte
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Salomon Maimons Lebensgeschichte. Von ihm selbst geschrieben
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