2. Das zusätzliche konstante Kapital

[491] Das Mehrprodukt, der Träger des Mehrwerts, kostet den Aneignern desselben, den Kapitalisten I nichts. Sie haben in keinerlei Art Geld oder[491] Waren vorzuschießen, um es zu erhalten. Vorschuß (avance) ist schon bei den Physiokraten die allgemeine Form von Wert, verwirklicht in Elementen von produktivem Kapital. Was sie also vorschießen, ist nichts als ihr konstantes und variables Kapital. Der Arbeiter erhält ihnen nicht nur durch seine Arbeit ihr konstantes Kapital; er ersetzt ihnen nicht nur den variablen Kapitalwert durch einen entsprechenden neugeschaffnen Wertteil in Form von Ware; durch seine Mehrarbeit liefert er ihnen außerdem einen in Form von Mehrprodukt existierenden Mehrwert. Durch den sukzessiven Verkauf dieses Mehrprodukts bilden sie den Schatz, zuschüssiges potentielles Geldkapital. Im hier betrachteten Fall besteht dies Mehrprodukt von vornherein aus Produktionsmitteln von Produktionsmitteln. Erst in der Hand von B, B', B'' etc. (I) fungiert dies Mehrprodukt als zuschüssiges konstantes Kapital; aber es ist dies virtualiter schon, bevor es verkauft wird, schon in der Hand der Schatzbildner A, A', A'' (I). Wenn wir bloß den Wertumfang der Reproduktion seitens I betrachten, so befinden wir uns noch innerhalb der Grenzen der einfachen Reproduktion, denn kein zusätzliches Kapital ist in Bewegung gesetzt worden, um dies virtualiter zuschüssige konstante Kapital (das Mehrprodukt) zu schaffen, auch keine größre Mehrarbeit, als die auf Grundlage der einfachen Reproduktion verausgabte. Der Unterschied liegt hier nur in der Form der angewandten Mehrarbeit, der konkreten Natur ihrer besondren nützlichen Weise. Sie ist verausgabt worden in Produktionsmitteln für Ic statt für IIc, in Produktionsmitteln für Produktionsmittel statt in Produktionsmitteln für Konsumtionsmittel. Bei der einfachen Reproduktion wurde voraus gesetzt, daß der ganze Mehrwert I verausgabt wird als Revenue, also in Waren IIc; er bestand also nur aus solchen Produktionsmitteln, die das konstante Kapital IIc in seiner Naturalform wieder zu ersetzen haben. Damit also der Übergang von der einfachen zur erweiterten Reproduktion vor sich gehe, muß die Produktion in Abteilung I im Stand sein, weniger Elemente des konstanten Kapitals für II, aber um ebensoviel mehr für I herzustellen. Erleichtert wird dieser Übergang, der sich nicht immer ohne Schwierigkeit vollziehn wird, durch die Tatsache, daß eine Anzahl Produkte von I als Produktionsmittel in beiden Abteilungen dienen können.

Es folgt also, daß – bloß dem Wertumfang nach betrachtet – innerhalb der einfachen Reproduktion das materielle Substrat der erweiterten Reproduktion produziert wird. Es ist einfach direkt in Produktion von Produktionsmitteln, in Schöpfung von virtuellem zuschüssigem Kapital I verausgabte Mehrarbeit der Arbeiterklasse I. Die Bildung von virtuellem zusätzlichem Geldkapital seitens A, A', A'' (I) – durch sukzessiven Verkauf ihres[492] Mehrprodukts, das ohne alle kapitalistische Geldausgabe gebildet – ist also hier die bloße Geldform von zuschüssig produzierten Produktionsmitteln I.

Produktion von virtuellem zusätzlichem Kapital drückt also in unserm Fall (denn wie wir sehn werden, kann es sich auch ganz anders bilden) nichts aus als ein Phänomen des Produktionsprozesses selbst, Produktion, in einer bestimmten Form, von Elementen des produktiven Kapitals.

Produktion auf großer Stufenleiter von zuschüssigem virtuellem Geldkapital – auf zahlreichen Punkten der Zirkulationsperipherie – ist also nichts als Resultat und Ausdruck vielseitiger Produktion von virtuell zusätzlichem produktivem Kapital, dessen Entstehung selbst keine zusätzlichen Geldausgaben seitens der industriellen Kapitalisten voraussetzt.

Die sukzessive Verwandlung dieses virtuell zusätzlichen produktiven Kapitals in virtuelles Geldkapital (Schatz) seitens A, A', A'' etc. (I), die durch den sukzessiven Verkauf ihres Mehrprodukts bedingt ist – also durch wiederholten einseitigen Warenverkauf ohne ergänzenden Kauf –, vollzieht sich in wiederholter Entziehung von Geld aus der Zirkulation und ihr entsprechende Schatzbildung. Diese Schatzbildung – ausgenommen den Fall, wo der Goldproduzent der Käufer – unterstellt in keiner Weise zusätzlichen Edelmetallreichtum, sondern nur veränderte Funktion von bisher umlaufendem Geld. Eben fungierte es als Zirkulationsmittel, jetzt fungiert es als Schatz, als sich bildendes, virtuell neues Geldkapital. Bildung von zusätzlichem Geldkapital und Masse des in einem Lande befindlichen edlen Metalls stehn also in keiner ursächlichen Verbindung miteinander.

Es folgt daher ferner: Je größer das bereits in einem Lande fungierende produktive Kapital (eingerechnet die ihm inkorporierte Arbeitskraft, die Erzeugerin des Mehrprodukts), je entwickelter die Produktivkraft der Arbeit und damit auch die technischen Mittel rascher Ausweitung der Produktion von Produktionsmitteln – je größer daher auch die Masse des Mehrprodukts nach seinem Wert wie nach der Masse der Gebrauchswerte, worin er sich darstellt –, desto größer ist

1. das virtuell zusätzliche produktive Kapital in der Form von Mehrprodukt in der Hand von A, A', A'' etc. und

2. die Masse dieses in Geld verwandelten Mehrprodukts, also des virtuell zuschüssigen Geldkapitals in den Händen von A, A', A''. Wenn also Fullarton z.B. nichts von der Überproduktion im gewöhnlichen Sinn wissen will, wohl aber von Überproduktion von Kapital, nämlich Geldkapital, so beweist dies wieder, wie absolut wenig selbst die besten bürgerlichen Ökonomen vom Mechanismus ihres Systems verstehn.[493]

Wenn das Mehrprodukt, direkt produziert und angeeignet durch die Kapitalisten A, A', A'' (I), die reale Basis der Kapitalakkumulation, d.h. der erweiterten Reproduktion ist, obgleich es aktuell erst in dieser Eigenschaft fungiert in den Händen von B, B', B'' etc. (I) – so ist es dagegen in seiner Geldverpuppung – als Schatz und bloß sich nach und nach bildendes virtuelles Geldkapital – absolut unproduktiv, läuft dem Produktionsprozeß in dieser Form parallel, liegt aber außerhalb desselben. Es ist ein Bleigewicht (dead weight) der kapitalistischen Produktion. Die Sucht, diesen als virtuelles Geldkapital sich aufschatzenden Mehrwert sowohl zum Profit wie zur Revenue brauchbar zu machen, findet im Kreditsystem und in den »Papierchens« das Ziel ihres Strebens. Das Geldkapital erhält dadurch in einer andern Form den enormsten Einfluß auf den Verlauf und die gewaltige Entwicklung des kapitalistischen Produktionssystems.

Das in virtuelles Geldkapital umgesetzte Mehrprodukt wird seiner Masse nach um so größer sein, je größer die Gesamtsumme des bereits fungierenden Kapitals war, aus dessen Funktion es hervorgegangen. Bei der absoluten Vergrößerung des Umfangs des jährlich reproduzierten virtuellen Geldkapitals ist aber auch dessen Segmentation leichter, so daß es rascher in einem besondren Geschäft angelegt wird, sei es in der Hand desselben Kapitalisten, sei es in andern Händen (z.B. Familiengliedern, bei Erbteilungen etc.). Segmentation von Geldkapital meint hier, daß es ganz von Stammkapital losgetrennt wird, um als neues Geldkapital in einem neuen selbständigen Geschäft angelegt zu werden.

Wenn die Verkäufer des Mehrprodukts A, A', A'' etc. (I) selbes erhalten haben als direktes Ergebnis des Produktionsprozesses, der, außer dem auch bei einfacher Reproduktion erheischten Vorschuß in konstantem und variablem Kapital, keine weitren Zirkulationsakte voraussetzt, wenn sie ferner damit die reale Basis der Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter liefern, in der Tat virtuell zusätzliches Kapital fabrizieren, so verhalten sich dagegen die B, B', B'' etc. (I) verschieden. 1. Erst in ihrer Hand wird das Mehrprodukt der A, A', A'' etc. aktuell fungieren als zusätzliches konstantes Kapital (das andre Element des produktiven Kapitals, die zusätzliche Arbeitskraft, also das zusätzliche variable Kapital, lassen wir einstweilen außer acht); 2. damit es in ihre Hände komme, ist ein Zirkulationsakt erforderlich, sie haben das Mehrprodukt zu kaufen.

Ad 1. ist hier zu bemerken, daß ein großer Teil des Mehrprodukts (virtuell zusätzlichen konstanten Kapitals), produziert durch A, A', A'' (I), zwar in diesem Jahr produziert wird, aber erst im nächsten Jahr oder noch später aktuell in den Händen von B, B', B'' (I) als industrielles Kapital fungieren[494] kann; ad 2. fragt sich, wo kommt das zu dem Zirkulationsprozeß nötige Geld her?

Soweit die Produkte, die B, B', B'' etc. (I) produzieren, selbst wieder in natura in ihren Prozeß eingehn, versteht es sich von selbst, daß pro tanto ein Teil ihres eignen Mehrprodukts direkt (ohne Zirkulationsvermittlung) übertragen wird in ihr produktives Kapital und hier eingeht als zuschüssiges Element des konstanten Kapitals. Pro tanto sind sie aber auch keine Vergolder des Mehrprodukts von A, A' etc. (I). Hiervon abgesehn, wo kommt das Geld her? Wir wissen, daß sie ihren Schatz gebildet wie A, A' etc. durch Verkauf ihrer respektiven Mehrprodukte und nun ans Ziel gelangt sind, wo ihr als Schatz aufgehäuftes, nur virtuelles Geldkapital nun effektiv als zusätzliches Geldkapital fungieren soll. Aber damit drehn wir uns nur im Zirkel. Die Frage ist immer noch, wo das Geld herkomme, das die B's (I) früher der Zirkulation entzogen und aufgehäuft?

Wir wissen jedoch schon aus der Betrachtung der einfachen Reproduktion, daß sich eine gewisse Geldmasse in den Händen der Kapitalisten I und II befinden muß, um ihr Mehrprodukt umzusetzen. Dort kehrte das Geld, das nur zur Verausgabung als Revenue in Konsumtionsmitteln diente, zu den Kapitalisten zurück, im Maß, wie sie es vorgeschossen zum Umsatz ihrer respektiven Waren; hier erscheint dasselbe Geld wieder, aber mit veränderter Funktion. Die A's und die B's (I) liefern sich abwechselnd das Geld zur Verwandlung von Mehrprodukt in zusätzliches virtuelles Geldkapital und werfen abwechselnd das neugebildete Geldkapital als Kaufmittel in die Zirkulation zurück.

Das einzige, was hierbei vorausgesetzt, ist, daß die im Land befindliche Geldmasse (Umlaufsgeschwindigkeit etc. als gleich gesetzt) hinreicht sowohl für aktive Zirkulation wie für Reserveschatz – also dieselbe Voraussetzung, die, wie wir sahn, auch bei einfacher Warenzirkulation erfüllt sein muß. Nur die Funktion der Schätze ist hier verschieden. Auch muß die vorhandne Geldmasse größer sein, 1. weil bei der kapitalistischen Produktion alles Produkt (mit Ausnahme des neuproduzierten Edelmetalls und der vom Produzenten selbst verbrauchten wenigen Produkte) als Ware produziert wird, also Geldverpuppung durchmachen muß; 2. weil auf kapitalistischer Basis die Masse des Warenkapitals und dessen Wertumfang nicht nur absolut größer ist, sondern mit ungleich größrer Geschwindigkeit wächst; 3. ein immer ausgedehnteres variables Kapital sich stets in Geldkapital umsetzen muß; 4. weil mit der Erweiterung der Produktion die Bildung neuer Geldkapitale Schritt hält, also auch das Material ihrer Schatzform da sein muß. – Gilt dies schlechthin für die erste Phase der kapitalistischen[495] Produktion, wo auch das Kreditsystem von vorzugsweis metallischer Zirkulation begleitet ist, so gilt es selbst soweit für die entwickeltste Phase des Kreditsystems, als dessen Basis die Metallzirkulation bleibt. Einerseits kann hier die zuschüssi ge Produktion der edlen Metalle, soweit sie abwechselnd reichlich oder spärlich, störende Einflüsse auf die Warenpreise ausüben, nicht nur in längren, sondern innerhalb sehr kurzer Perioden; andrerseits ist der ganze Kreditmechanismus beständig damit beschäftigt, die wirkliche Metallzirkulation durch allerhand Operationen, Methoden, technische Einrichtungen, auf ein relativ stets abnehmendes Minimum zu beschränken – womit auch die Künstlichkeit der ganzen Maschinerie und die Chancen für Störungen ihres normalen Ganges im selben Verhältnis zunehmen.

Es können die verschiednen B, B', B'' etc. (I), deren virtuelles neues Geldkapital als aktives in Operation tritt, wechselseitig ihre Produkte (Teile ihres Mehrprodukts) voneinander zu kaufen und aneinander zu verkaufen haben. Pro tanto fließt das der Zirkulation des Mehrprodukts vorgeschoßne Geld – bei normalem Verlauf – an die verschiednen B's zurück, in derselben Proportion, worin sie solches zur Zirkulation ihrer respektiven Waren vorgeschossen haben. Zirkuliert das Geld als Zahlungsmittel, so sind hier nur Bilanzen zu zahlen, soweit sich die wechselseitigen Käufe und Verkäufe nicht decken. Es ist aber wichtig, überall, wie es hier geschieht, zunächst die metallische Zirkulation in ihrer einfachsten, ursprünglichsten Form vorauszusetzen, weil sich damit Fluß und Rückfluß, Ausgleichung von Bilanzen, kurz alle Momente, die im Kreditsystem als bewußt geregelte Verläufe erscheinen, als unabhängig vom Kreditsystem vorhanden darstellen, die Sache in naturwüchsiger Form erscheint, statt in der spätren reflektierten.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1963, Band 24, S. 491-496.
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