1. Schatzbildung

[488] Es ist klar, daß sowohl die Kapitalanlagen in den zahlreichen Industriezweigen, woraus Klasse I besteht, wie die verschiednen individuellen Kapitalanlagen innerhalb jedes dieser Industriezweige, je nach ihrem Lebensalter, d.h. ihrer schon verfloßnen Funktionsdauer, ganz abgesehn von ihrem Umfang, technischen Bedingungen, Marktverhältnissen usw., sich auf verschiednen Stufen des Prozesses der sukzessiven Verwandlung von Mehrwert in potentielles Geldkapital befinden, ob dies Geldkapital nun zur Erweiterung ihres fungierenden Kapitals dienen soll oder zur Anlage neuer industrieller Geschäfte – den zwei Formen der Erweiterung der Produktion. Ein Teil der Kapitalisten verwandelt daher beständig sein zu entsprechender Größe angewachsnes potentielles Geldkapital in produktives Kapital, d.h. kauft mit dem durch Vergoldung von Mehrwert aufgeschatzten Geld Produktionsmittel, zuschüssige Elemente von konstantem Kapital; während ein andrer Teil noch beschäftigt ist mit der Aufschatzung seines potentiellen Geldkapitals. Kapitalisten, diesen beiden Kategorien angehörig, treten sich also gegenüber, die einen als Käufer, die andern als Verkäufer, und jeder der beiden in dieser exklusiven Rolle.

A verkaufe z.B. 600 (= 400c + 100v + 100m) an B (der mehr als einen Käufer repräsentieren mag). Er hat für 600 Waren verkauft, gegen 600 in Geld, wovon 100 Mehrwert darstellen, die er der Zirkulation entzieht, sie aufschatzt als Geld; aber diese 100 Geld sind nur die Geldform des Mehrprodukts, das der Träger eines Werts von 100 war. Die Schatzbildung ist überhaupt keine Produktion, also von vornherein auch kein Inkrement der Produktion. Die Aktion des Kapitalisten dabei besteht nur darin, daß er das durch Verkauf des Mehrprodukts von 100 ergatterte Geld der Zirkulation entzieht, festhält und mit Beschlag belegt. Diese Operation findet nicht nur statt auf seiten des A, sondern auf zahlreichen Punkten der Zirkulationsperipherie von andren A', A'', A''', Kapitalisten, die alle ebenso emsig an dieser Sorte Schatzbildung arbeiten. Diese zahlreichen Punkte, wo Geld der Zirkulation entzogen wird und sich in zahlreichen individuellen Schätzen, resp. potentiellen Geldkapitalen aufhäuft, scheinen ebenso viele Hindernisse der Zirkulation, weil sie das Geld immobilisieren und es seiner Zirkulationsfähigkeit für längre oder kürzre Zeit berauben. Es ist aber zu erwägen, daß bei einfacher Warenzirkulation, lange bevor diese auf kapitalistischer Warenproduktion begründet wird, Schatzbildung stattfindet; das in der[488] Gesellschaft vorhandne Geldquantum ist immer größer als der in aktiver Zirkulation befindliche Teil desselben, obgleich dieser je nach Umständen anschwillt oder abnimmt. Diese selben Schätze und dieselbe Schatzbildung finden wir hier wieder, aber jetzt als ein dem kapitalistischen Produktionsprozeß immanentes Moment.

Man begreift das Vergnügen, wenn innerhalb des Kreditwesens alle diese potentiellen Kapitale durch ihre Konzentration in Händen von Banken usw. zu disponiblem Kapital, »loanable capital«, Geldkapital werden, und zwar nicht mehr zu passivem und als Zukunftsmusik, sondern zu aktivem, wucherndem (hier wuchern im Sinn des Wachsens).

A vollbringt diese Schatzbildung aber nur, sofern er – mit Bezug auf sein Mehrprodukt – nur als Verkäufer, nicht hintennach als Käufer auftritt. Seine sukzessive Produktion von Mehrprodukt – dem Träger seines zu vergoldenden Mehrwerts – ist also die Voraussetzung seiner Schatzbildung. Im gegebnen Fall, wo die Zirkulation nur innerhalb Kategorie I betrachtet wird, ist die Naturalform des Mehrprodukts, wie die des Gesamtprodukts, von dem es einen Teil bildet, Naturalform eines Elements des konstanten Kapitals I, d.h. gehört in die Kategorie der Produktionsmittel von Produktionsmitteln. Was daraus wird, d.h. zu welcher Funktion es dient, in der Hand der Käufer B, B', B'' etc., werden wir gleich sehn.

Was aber hier zunächst festzuhalten, ist dies: Obgleich A Geld für seinen Mehrwert der Zirkulation entzieht und es aufschatzt, wirft er andrerseits Ware in sie hinein, ohne ihrA37 andre Ware dafür zu entziehn, wodurch B, B', B'' etc. ihrerseits befähigt werden, Geld hineinzuwerfen und dafür nur Ware ihr zu entziehn. Im gegebnen Fall geht diese Ware, ihrer Naturalform wie ihrer Bestimmung nach, als fixes oder flüssiges Element in das konstante Kapital von B, B' etc. ein. Über letztres mehr, sobald wir es mit dem Käufer des Mehrprodukts, dem B, B' etc. zu schaffen haben werden.


Bemerken wir hier nebenbei: Wie vorher, bei Betrachtung der einfachen Reproduktion, finden wir hier wieder, daß der Umsatz der verschiednen Bestandteile des jährlichen Produkts, d.h. ihre Zirkulation (die zugleich Reproduktion des Kapitals, und zwar seine Wiederherstellung in seinen verschiednen Bestimmtheiten, konstantes, variables, fixes, zirkulierendes, Geldkapital, Warenkapital umfassen muß) keineswegs bloßen Kauf von Ware voraussetzt, der sich durch nachfolgenden Verkauf, oder Verkauf, der[489] sich durch nachfolgenden Kauf ergänzt, so daß tatsächlich nur Umsatz von Ware gegen Ware stattfände, wie die politische Ökonomie, namentlich die Freihandels schule seit den Physiokraten und Adam Smith, annimmt. Wir wissen, daß das fixe Kapital, nachdem die Auslage dafür einmal gemacht, während seiner ganzen Funktionszeit nicht erneuert wird, sondern in der alten Form fortwirkt, während sein Wert sich allmählich in Geld niederschlägt. Wir sahen nun, daß die periodische Erneuerung des fixen Kapitals IIc (welcher gesamte Kapitalwert IIc sich umsetzt in Elemente zum Wert von I(v+m)) voraussetzt einerseits bloßen Kauf des fixen Teils von IIc, der sich aus Geldform in Naturalform rückverwandelt und welchem entspricht bloßer Verkauf von Im; andrerseits voraussetzt bloßen Verkauf von seiten IIc, Verkauf des fixen (Verschleiß-)Wertteils desselben, der sich in Geld niederschlägt und welchem entspricht bloßer Kauf von Im. Damit sich hier der Umsatz normal vollziehe, ist vorauszusetzen, daß bloßer Kauf seitens IIc dem Wertumfang nach gleich sei dem bloßen Verkauf seitens IIc, und ebenso, daß der bloße Verkauf von Im an IIc, Teil 1, gleich sei seinem bloßen Kauf von IIc, Teil 2. (S. 440.) Sonst wird die einfache Reproduktion gestört; bloßer Kauf hier muß gedeckt werden durch bloßen Verkauf dort. Ebenso ist hier vorauszusetzen, daß der bloße Verkauf des schatzbildenden Teils A, A', A'' von Im im Gleichgewicht stehe mit dem bloßen Kauf des Teils B, B', B'' in Im, der seinen Schatz in Elemente von zusätzlichem produktivem Kapital verwandelt.

Soweit das Gleichgewicht dadurch hergestellt wird, daß der Käufer nachher und für den gleichen Wertbetrag als Verkäufer auftritt und umgekehrt, findet Rückfluß des Geldes statt an die Seite, die es beim Kauf vorgeschossen, die zuerst verkauft hat, ehe sie wieder kaufte. Das wirkliche Gleichgewicht, mit Bezug auf den Warenumsatz selbst, den Umsatz der verschiednen Teile des jährlichen Produkts, ist aber bedingt durch gleichen Wertbetrag der gegeneinander umgesetzten Waren.

Soweit aber bloß einseitige Umsätze stattfinden, Masse bloßer Käufe einerseits, Masse bloßer Verkäufe andrerseits – und wir haben gesehn, daß der normale Umsatz des jährlichen Produkts auf kapitalistischer Grundlage diese einseitigen Metamorphosen bedingt –, ist das Gleichgewicht nur vorhanden unter der Annahme, daß der Wertbetrag der einseitigen Käufe und der Wertbetrag der einseitigen Verkäufe sich decken. Die Tatsache, daß die Warenproduktion die allgemeine Form der kapitalistischen Produktion ist, schließt bereits die Rolle ein, die das Geld, nicht nur als Zirkulationsmittel,[490] sondern als Geldkapital in derselben spielt, und erzeugt gewisse, dieser Produktionsweise eigentümliche Bedingungen des normalen Umsatzes, also des normalen Verlaufs der Reproduktion, sei es auf einfacher, sei es auf erweiterter Stufenleiter, die in ebenso viele Bedingungen des anormalen Verlaufs, Möglichkeiten von Krisen umschlagen, da das Gleichgewicht – bei der naturwüchsigen Gestaltung dieser Produktion – selbst ein Zufall ist.

Wir haben ebenso gesehn, daß bei dem Umsatz von Iv gegen entsprechenden Wertbetrag von IIc zwar für IIc schließlich Ersatz von Ware II durch gleichen Wertbetrag von Ware I stattfindet, daß also seitens des Gesamtkapitalisten II hier Verkauf der eignen Ware nachträglich sich ergänzt durch Kauf von Ware I zum selben Wertbetrag. Dieser Ersatz findet statt; es findet aber nicht statt ein Austausch seitens der Kapitalisten I und II in diesem Umsatz ihrer wechselseitigen Waren. IIc verkauft seine Ware an die Arbeiterklasse von I, diese tritt ihm einseitig als Warenkäufer, es tritt ihr einseitig als Warenverkäufer gegenüber; mit dem hierdurch gelösten Geld tritt IIc einseitig als Warenkäufer dem Gesamtkapitalisten I gegenüber, dieser ihm bis zum Betrag von Iv einseitig als Warenverkäufer. Nur durch diesen Warenverkauf reproduziert I schließlich sein variables Kapital wieder in Form von Geldkapital. Tritt das Kapital von I dem von II einseitig als Warenverkäufer bis zum Betrag von Iv gegenüber, so seiner Arbeiterklasse gegenüber als Warenkäufer im Ankauf ihrer Arbeitskraft; und tritt die Arbeiterklasse I dem Kapitalisten II einseitig als Warenkäufer gegenüber (nämlich als Käufer von Lebensmitteln), so dem Kapitalisten I einseitig als Warenverkäufer, nämlich als Verkäufer ihrer Arbeitskraft.

Das fortwährende Angebot der Arbeitskraft von seiten der Arbeiterklasse in I, die Rückverwandlung eines Teils des Warenkapitals I in Geldform des variablen Kapitals, der Ersatz eines Teils des Warenkapitals II durch Naturalelemente des konstanten Kapitals IIc – alle diese notwendigen Voraussetzungen bedingen sich wechselseitig, werden aber vermittelt durch einen sehr komplizierten Prozeß, der drei unabhängig voneinander vorgehende, aber sich miteinander verschlingende Zirkulationsprozesse einschließt. Die Kompliziertheit des Prozesses selbst bietet ebensoviel Anlässe zu anormalem Verlauf.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1963, Band 24, S. 488-491.
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