1. »Feldzug« gegen Feuerbach

[81] Ehe wir der feierlichen Auseinandersetzung des Bauerschen Selbstbewußtseins mit sich selbst und der Welt folgen, müssen wir ein Geheimnis verraten. Der heilige Bruno hat nur darum Krieg und Kriegsgeschrei erregt, weil er sich selbst und seine abgestandene, sauer gewordene Kritik vor der undankbaren Vergeßlichkeit des Publikums »sicherstellen«, weil er zeigen mußte, daß auch unter den veränderten Verhältnissen des Jahres 1845 die Kritik stets sich selbst gleich und unveränderlich blieb. Er schrieb den zweiten Band der »guten Sache und seiner eignen Sache«; er behauptet sein eignes Terrain, er kämpft pro aris et focis. Echt theologisch aber verdeckt er diesen Selbstzweck unter dem Schein, als wolle er Feuerbach »charakterisieren«. Man hatte den guten Mann gänzlich vergessen, wie die Polemik zwischen Feuerbach und Stirner, in der er gar nicht berücksichtigt wurde, am besten bewies. Ebendarum klammert er sich an diese Polemik an, um sich als Gegensatz der Entgegengesetzten zu ihrer höheren Einheit, zum heiligen Geist proklamieren zu können.

Der heilige Bruno eröffnet seinen »Feldzug« mit einer Kanonade gegen Feuerbach, c'est-à-dire mit dem verbesserten und vermehrten Abdruck eines bereits in den »Norddeutschen Blättern« figurierenden Aufsatzes. Feuerbach wird zum Ritter der »Substanz« geschlagen, um dem Bauerschen »Selbstbewußtsein« größeren Relief zu verleihen. Bei dieser Transsubstantiation Feuerbachs, die angeblich durch sämtliche Schriften Feuerbachs bewiesen wird, hüpft der heilige Mann von Feuerbachs Schriften über Leibniz und Bayle sogleich auf das »Wesen des Christenthums« und überspringt den Aufsatz gegen die »positiven Philosophen« in den »Hallischen Jahrbüchern«. Dies »Versehen« ist »an der Stelle«. Feuerbach enthüllte hier nämlich den[81] positiven Vertretern der »Substanz« gegenüber die ganze Weisheit vom »Selbstbewußtsein« zu einer Zeit, wo der heilige Bruno noch über die unbefleckte Empfängnis spekulierte.

Es bedarf kaum der Erwähnung, daß Sankt Bruno sich noch immer auf seinem althegelschen Schlachtroß herumtummelt. Man höre gleich den ersten Passus seiner neuesten Offenbarungen aus dem Reiche Gottes:

»Hegel hatte die Substanz Spinozas und das Fichtesche Ich in eins zusammengefaßt; die Einheit von Beiden, die Verknüpfung dieser entgegengesetzten Sphären pp. bilden das eigentümliche Interesse, aber auch zugleich die Schwäche der Hegelschen Philosophie. [...] Dieser Widerspruch, in dem sich das Hegelsche System hin und her bewegte, mußte gelöst und vernichtet werden. Er konnte es aber nur dadurch, daß die Aufstellung der Frage: wie verhält sich das Selbstbewußtsein zum absoluten Geiste?... für immer unmöglich gemacht wurde. Es war nach zwei Seiten möglich. Entweder muß das Selbstbewußtsein wieder in der Glut der Substanz verbrennen, d.h. das reine Substantialitätsverhältnis feststehen und bestehen, oder es muß aufgezeigt werden, daß die Persönlichkeit der Urheber ihrer Attribute und ihres Wesens ist, daß es im Begriffe der Persönlichkeit überhaupt liegt, sich selbst« (den »Begriff« oder die »Persönlichkeit«?) »beschränkt zu setzen und diese Beschränkung, die sie durch ihr allgemeines Wesen letzt, wieder aufzuheben, da eben dieses Wesen nur das Resultat ihrer – innern Selbstunterscheidung, ihrer Tätigkeit ist.« Wigand, p. [86,] 87, 88.

Die Hegelsche Philosophie war in der »Heiligen Familie« p. 220 als Einheit von Spinoza und Fichte dargestellt und zugleich der Widerspruch, der darin liegt, hervorgehoben. Dem heiligen Bruno gehört eigentümlich, daß er nicht, wie die Verfasser der »Heiligen Familie«, die Frage vom Verhältnis des Selbstbewußtseins zur Substanz für eine »Streitfrage innerhalb der Hegelschen Spekulation« hält, sondern für eine welthistorische, ja für eine absolute Frage. Es ist die einzige Form, in welcher er die Kollisionen der Gegenwart aussprechen kann. Er glaubt wirklich, daß der Sieg des Selbstbewußtseins über die Substanz nicht nur vom wesentlichsten Einfluß auf das europäische Gleichgewicht, sondern auch auf die ganze zukünftige Entwicklung der Oregonfrage sei. Inwiefern dadurch die Abschaffung der Korngesetze in England bedingt ist, darüber ist bis jetzt wenig verlautet.

Der abstrakte und verhimmelte Ausdruck, wozu eine wirkliche Kollision sich bei Hegel verzerrt, gilt diesem »kritischen« Kopf für die wirkliche Kollision. Er akzeptiert den spekulativen Widerspruch und behauptet den einen Teil desselben dem andern gegenüber. Die philosophische Phrase der wirklichen Frage ist für ihn die wirkliche Frage selbst. Er hat also auf der einen Seite statt der wirklichen Menschen und ihres wirklichen Bewußtseins[82] von ihren ihnen scheinbar selbständig gegenüberstehenden gesellschaftlichen Verhältnissen die bloße abstrakte Phrase: das Selbstbewußtsein, wie statt der wirklichen Produktion die verselbständigte Tätigkeit dieses Selbstbewußtseins, und auf der andern Seite statt der wirklichen Natur und der wirklich bestehenden sozialen Verhältnisse die philosophische Zusammenfassung aller philosophischen Kategorien oder Namen dieser Verhältnisse in der Phrase: die Substanz, da er mit allen Philosophen und Ideologen die Gedanken, Ideen, den verselbständigten Gedankenausdruck der bestehenden Welt für die Grundlage dieser bestehenden Welt versieht. Daß er nun mit diesen beiden sinnlos und inhaltslos gewordenen Abstraktionen allerlei Kunststücke machen kann, ohne von den wirklichen Menschen und ihren Verhältnissen etwas zu wissen, liegt auf der Hand. (Siehe übrigens über die Substanz, was bei Feuerbach, bei Sankt Max über den »humanen Liberalismus« und über das »Heilige« gesagt ist.) Er verläßt also nicht den spekulativen Boden, um die Widersprüche der Spekulation zu lösen; er manövriert von diesem Boden aus und steht selbst so sehr noch auf speziell Hegelschem Boden, daß das Verhältnis »des Selbstbewußtseins« zum »absoluten Geist« ihm immer noch den Schlaf raubt. Mit einem Wort, wir haben hier die in der »Kritik der Synoptiker« angekündigte, im »Entdeckten Christenthum« ausgeführte und leider in der Hegelschen »Phänomenologie« längst antizipierte Philosophie des Selbstbewußtseins. Diese neue Bauersche Philosophie hat in der »Heiligen Familie« p. 220 seqq. und 304-307 ihre vollständige Erledigung gefunden. Sankt Bruno bringt es indes hier fertig, sich selbst noch zu karikieren. Indem er die »Persönlichkeit« hereinschmuggelt, um mit Stirner den Einzelnen als sein »eignes Machwerk« und um Stirner als Brunos Machwerk darstellen zu können. Dieser Fortschritt verdient eine kurze Notiz.

Zunächst vergleiche der Leser diese Karikatur mit ihrem Original, der Erklärung des Selbstbewußtseins im »Entdeckten Christenthum«, p. 113, und diese Erklärung wieder mit ihrem Ur-Original, Hegels »Phänomenologie«, p. 575, 583 und anderwärts. (Beide Stellen sind abgedruckt: »Heilige Familie« p. 221, 223, 224.) Nun aber die Karikatur! »Persönlichkeit überhaupt«! »Begriff«! »Allgemeines Wesen«! »Sich selbst beschränkt setzen und diese Beschränkung wieder aufheben«! »innere Selbstunterscheidung«! Welche gewaltigen »Resultate«! »Persönlichkeit überhaupt« ist entweder »überhaupt« Unsinn oder der abstrakte Begriff der Persönlichkeit. Es liegt also »im Begriff« des Begriffs der Persönlichkeit, »sich selbst beschränkt zu setzen«. Diese Beschränkung, die im »Begriff« ihres Begriffs liegt, setzt sie[83] gleich darauf »durch ihr allgemeines Wesen«. Und nachdem sie diese Beschränkung wieder aufgehoben hat, zeigt sich, daß »eben dieses Wesen« erst »das Resultat ihrer innern Selbstunterscheidung ist«. Das ganze großmächtige Resultat dieser verzwickten Tautologie läuft also auf das altbekannte Hegelsche Kunststück der Selbstunterscheidung des Menschen im Denken heraus, welche uns der unglückliche Bruno beharrlich als die einzige Tätigkeit der »Persönlichkeit überhaupt« predigt. Daß mit einer »Persönlichkeit«, deren Tätigkeit sich auf diese trivial gewordenen logischen Sprünge beschränkt, nichts anzufangen ist, hat man dem heiligen Bruno schon vor längerer Zeit bemerklich gemacht. Zugleich enthält dieser Passus das naive Geständnis, daß das Wesen der Bauerschen »Persönlichkeit« der Begriff eines Begriffs, die Abstraktion von einer Abstraktion ist.

Die Kritik Feuerbachs durch Bruno, soweit sie neu ist, beschränkt sich darauf, Stirners Vorwürfe gegen Feuerbach und Bauer heuchlerischerweise als Bauers Vorwürfe gegen Feuerbach darzustellen. So z.B., daß »das Wesen des Menschen Wesen überhaupt und etwas Heiliges« sei, daß »der Mensch der Gott des Menschen« sei, daß die Menschengattung »das Absolute« sei, daß Feuerbach den Menschen »in ein wesentliches und unwesentliches Ich« spalte (obwohl Bruno stets das Abstrakte für das Wesentliche erklärt und in seinem Gegensatz von Kritik und Masse sich diese Spaltung noch viel ungeheuerlicher vorgestellt als Feuerbach), daß der Kampf gegen »die Prädikate Gottes« geführt werden müsse etc. Über eigennützige und uneigennützige Liebe schreibt Bruno den Stirner, dem Feuerbach gegenüber, auf drei Seiten (p. 133-135) fast wörtlich ab, wie er auch die Phrasen von Stirner: »jeder Mensch sein eigenes Geschöpf«, »Wahrheit ein Gespenst« usw. sehr ungeschickt kopiert. Bei Bruno verwandelt sich das »Geschöpf« noch dazu in ein »Machwerk«. Wir werden zurückkommen auf die Exploitation Stirners durch Sankt Bruno.

Das Erste, was wir also bei Sankt Bruno fanden, war seine fortwährende Abhängigkeit von Hegel. Wir werden auf seine aus Hegel kopierten Bemerkungen natürlich nicht weiter eingehen, sondern nur noch einige Sätze zusammenstellen, aus denen hervorgeht, wie felsenfest er an die Macht der Philosophen glaubt und wie er ihre Einbildung teilt, daß ein verändertes Bewußtsein, eine neue Wendung der Interpretation der existierenden Verhältnisse die ganze bisherige Welt umstürzen könne. In diesem Glauben läßt sich Sankt Bruno auch durch einen Schüler, Heft IV der Wigand'schen Quartalschrift, pag. 327, das Attest ausstellen, daß seine obigen, in Heft III proklamierten Phrasen über Persönlichkeit »weltumstürzende Gedanken« seien.[84]

Sankt Bruno sagt p. 95 Wigand:

»Die Philosophie ist nie etwas Anderes gewesen als die auf ihre allgemeinste Form reduzierte, auf ihren vernünftigsten Ausdruck gebrachte Theologie.«

Dieser gegen Feuerbach gerichtete Passus ist fast wörtlich abgeschrieben aus Feuerbachs »Philosophie der Zukunft«, pag. 2:

»Die spekulative Philosophie ist die wahre, die konsequente, die vernünftige Theologie.«

Bruno fährt fort:

»Die Philosophie hat selbst im Bunde mit der Religion stets auf die absolute Unselbständigkeit des Individuums hingearbeitet und dieselbe wirklich vollbracht, indem sie das Einzelleben in dem allgemeinen Leben, das Akzidens in der Substanz, den Menschen im absoluten Geist aufgehen hieß und ließ.«

Als ob »die Philosophie« Brunos »im Bunde mit der« Hegelschen und seinem noch fortdauernden verbotenen Umgang mit der Theologie »den Menschen« nicht in der Vorstellung eines seiner »Akzidentien«, des Selbstbewußtseins, als der »Substanz«, »aufgehen hieße«, wenn auch nicht »ließe«! Man ersieht übrigens aus dem ganzen Passus, mit welcher Freudigkeit der »kanzelberedsamkeitliche« Kirchenvater noch immer seinen »weltumstürzenden« Glauben an die geheimnisschwangere Macht der heiligen Theologen und Philosophen bekennt. Natürlich im Interesse »der guten Sache der Freiheit und seiner eignen Sache«.

p. 105 hat der gottesfürchtige Mann die Unverschämtheit, Feuerbach vorzuwerfen:

»Feuerbach hat aus dem Individuum, aus dem entmenschten Menschen des Christentums, nicht den Menschen, den wahren« (!) »wirklichen« (!!) »persönlichen« (!!!) »Menschen« (durch die »Heilige Familie« und Stirner veranlaßte Prädikate), »sondern den entmannten Menschen, den Sklaven gemacht«

und damit u. a. den Unsinn zu behaupten, daß er, der heilige Bruno, mit dem Kopfe Menschen machen könne.

Ferner heißt es ibid.:

»Bei Feuerbach muß sich das Individuum der Gattung unterwerfen, ihr dienen. Die Gattung Feuerbachs ist das Absolute Hegels, auch sie existiert nirgends.«

Hier wie in allen andern Stellen ermangelt Sankt Bruno nicht des Ruhmes, die wirklichen Verhältnisse der Individuen von der philosophischen Interpretation derselben abhängig zu machen. Er ahnt nicht. In welchem Zusammenhang die Vorstellungen des Hegelschen »absoluten Geistes« und der Feuerbachschen »Gattung« zur existierenden Welt stehen.[85]

Der heilige Vater skandaliert sich p. 104 erschrecklich über die Ketzerei, womit Feuerbach die göttliche Dreieinigkeit von Vernunft, Liebe und Wille zu etwas macht, das »in den Individuen über den Individuen ist«; als ob heutzutage nicht jede Anlage, jeder Trieb, jedes Bedürfnis als eine Macht »in dem Individuum über dem Individuum« sich behauptete, sobald die Umstände deren Befriedigung verhindern. Wenn der heilige Vater Bruno z.B. Hunger verspürt, ohne die Mittel, ihn zu befriedigen, so wird sogar sein Magen zu einer Macht »in ihm über ihm«. Feuerbachs Fehler besteht nicht darin, dies Faktum ausgesprochen zu haben, sondern darin, daß er es in idealisierender Weise verselbständigte, statt es als das Produkt einer bestimmten und überschreitbaren historischen Entwicklungsstufe aufzufassen.

p. 111:

»Feuerbach ist ein Knecht, und seine knechtische Natur erlaubt ihm nicht, das Werk eines Menschen zu vollbringen, das Wesen der Religion zu erkennen« (schönes »Werk eines Menschen«!)... »er erkennt das Wesen der Religion nicht, weil er die Brücke nicht kennt, auf der er zum Quell der Religion kommt.«

Sankt Bruno glaubt alles Ernstes noch, daß die Religion ein eignes »Wesen« habe. Was die »Brücke« betrifft, »auf der« man zum »Quell der Religion« kommt, so muß die Eselsbrücke notwendig ein Aquadukt sein. Sankt Bruno etabliert sich zugleich als wunderlich modernisierter und durch die Brücke in Ruhestand versetzter Charon, indem er als tollkeeper an der Brücke zum Schattenreich der Religion jedem Passierenden seinen Halfpenny abverlangt.

p. 120 bemerkt der Heilige:

»Wie konnte Feuerbach existieren, wenn es keine Wahrheit gäbe und die Wahrheit nichts all ein Gespenst« (Stirner hilf!) »wäre, vor dem sich der Mensch bisher fürchtete.«

Der »Mensch«, der sich vor dem »Gespenst« der »Wahrheit« fürchtet, ist Niemand anders als der ehrwürdige Bruno selbst. Bereits zehn Seiten vorher, p. 110, stieß er vor dem »Gespenst« Wahrheit folgenden welterschütternden Angstschrei aus:

»Die Wahrheit, die nirgends für sich als fertiges Objekt zu finden ist und nur in der Entfaltung der Persönlichkeit sich entwickelt und zur Einheit zusammenfaßt.«

So haben wir hier also nicht nur die Wahrheit, dieses Gespenst, in eine Person verwandelt, die sich entwickelt und zusammenfaßt, sondern dies Kunststück noch obendrein nach Art der Bandwürmer in einer dritten Persönlichkeit[86] außer ihr vollzogen. Über des heiligen Mannes früheres Liebesverhältnis zur Wahrheit, da er noch jung war und des Fleisches Lüste stark in ihm siedeten, siehe »Heilige Familie«, p. 115 seqq.

Wie gereinigt von allen fleischlichen Lüsten und weltlichen Begierden der heilige Mann derzeit dasteht, zeigt seine heftige Polemik gegen Feuerbachs Sinnlichkeit. Bruno greift keineswegs die höchst bornierte Weise an, worin Feuerbach die Sinnlichkeit anerkennt. Der verunglückte Versuch Feuerbachs gilt ihm schon als Versuch, der Ideologie zu entspringen, für – Sünde. Natürlich! Sinnlichkeit – Augenlust, Fleischeslust und hoffärtiges Wesen, Scheuel und Greuel vor dem Herrn! Wisset ihr nicht, daß fleischlich gesinnet sein ist der Tod, aber geistlich gesinnet sein ist Leben und Friede; dem fleischlich gesinnet sein ist eine Feindschaft wider die Kritik, und alles, so da fleischlich ist, das ist von dieser Welt, und wisset ihr auch, was geschrieben steht: Offenbar sind aber die Werke des Fleisches, als da sind Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Rotten, Haß, Mord, Saufen, Fressen und dergleichen, von welchen ich Euch habe zuvor gesagt und sage noch zuvor, daß die solches tun, werden das Reich der Kritik nicht ererben; sondern wehe ihnen, denn sie gehen den Weg Kains und fallen in den Irrtum Balaams um Genusses willen, und kommen um in dem Aufruhr Korah. Diese Unfläter prassen von Euren Almosen ohne Scheu, weiden sich selbst, sie sind Wolken ohne Wasser, von dem Winde umgetrieben, kahle unfruchtbare Bäume, zweimal erstorben und ausgewurzelt, wilde Wellen des Meers, die ihre eigne Schande ausschäumen, irrige Sterne, welchen behalten ist das Dunkel der Finsternis in Ewigkeit. Denn wir haben gelesen, daß in den letzten Tagen werden greuliche Zeiten kommen, Menschen, die von sich selbst halten, Schänder, Unkeusch, die mehr lieben Wollust als die Kritik, die da Rotten machen, kurz. Fleischliche. Diese verabscheut Sankt Bruno, der da geistlich gesinnet ist und hasset den befleckten Rock des Fleisches; und so verdammt er Feuerbach, den er für den Korah der Rotte hält, draußen zu bleiben, wo da sind die Hunde und die Zauberer und die Hurer und die Totschläger. »Sinnlichkeit« – pfui Teufel, das bringt den heiligen Kirchenvater nicht nur in die ärgsten Krämpfe und Verzuckungen, das bringt ihn sogar zum Singen, und er singt p. 121 »das Lied vom Ende und das Ende vom Liede«. Sinnlichkeit, weißt du auch wohl, was Sinnlichkeit ist. Unglückseliger? Sinnlichkeit ist – »ein Stock«, p. 130. In seinen Krämpfen ringt der heilige Bruno auch einmal mit Einem seiner Sätze, wie weiland Jakob mit Gott, nur mit dem[87] Unterschiede, daß Gott dem Jakob die Hüfte verrenkte, während der heilige Epileptiker seinem Satze alle Glieder und Bänder verrenkt und so die Identität von Subjekt und Objekt an mehreren schlagenden Exempeln klarmacht:

»Mag darum Feuerbach immerhin sprechen... er vernichtet«(!) »dennoch den Menschen... weil er das Wort Mensch zur bloßen Phrase macht... weil er nicht den Menschen ganz macht« (!) »und schafft« (!) »sondern die ganze Menschheit zum Absoluten erhebt, weil er auch nicht die Menschheit, vielmehr den Sinn zum Organ des Absoluten, und als das Absolute, das Unbezweifelbare, das unmittelbar Gewisse, das Objekt des Sinnes, der Anschauung, der Empfindung – das Sinnliche stempelt.« Womit Feuerbach – dies ist die Meinung des heiligen Bruno – »wohl Luftschichten erschüttern, aber nicht Erscheinungen des menschlichen Wesens zerschmettern kann, weil sein innerstes« (!) »Wesen und seine belebende Seele [...] schon den äußern« (!) »Klang zerstört und hohl und schnarrend macht.« p. 121.

Der heilige Bruno gibt uns selbst über die Ursachen seiner Widersinnigkeit zwar geheimnisvolle, aber entscheidende Aufschlüsse:

»Als ob mein Ich nicht auch dieses bestimmte, vor allen Andern einzige Geschlecht und diese bestimmten einzigen Geschlechtsorgane hätte!«

(Außer seinen »einzigen Geschlechtsorganen« hat der Edle noch ein apartes »einziges Geschlecht«!) Dieses einzige Geschlecht wird p. 121 dahin erläutert, daß

»die Sinnlichkeit wie ein Vampyr alles Mark und Blut dem Menschenleben aussaugt, die unüberschreitbare Schranke ist, an der sich der Mensch den Todes-Stoß geben muß«.

Aber auch der Heiligste ist nicht rein! Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie vor dem »Selbstbewußtsein« haben sollen. Der heilige Bruno, der um Mitternacht sich im einsamen Kämmerlein mit der »Substanz« herumschlägt, wird von den lockeren Schriften des Ketzers Feuerbach auf das Weib und die weibliche Schönheit aufmerksam gemacht. Plötzlich verdunkelt sich sein Blick; das reine Selbstbewußtsein wird befleckt, und die verwerfliche sinnliche Phantasie umgaukelt mit lasziven Bildern den geängstigten Kritiker. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Er strauchelt, er fällt, er vergißt, daß er die Macht ist, die »mit ihrer Kraft bindet und löst und die Welt beherrscht«, daß diese Ausgeburten seiner Phantasie »Geist von seinem Geiste« sind, er verliert alles »Selbstbewußtsein« und stammelt berauscht einen Dithyrambos auf die weibliche Schönheit »im Zarten, im Weichlichen, im Weiblichen«, auf die »schwellenden, abgerundeten Glieder« und den »wogenden, wallenden, siedenden, brausenden und zischenden, wellenförmigen Körperbau« des Weibes. Aber die Unschuld[88] verrät sich stets, selbst wo sie sündigt. Wer wüßte nicht, daß ein »wogender, wallender, wellenförmiger Körperbau« ein Ding ist, das kein Auge je gesehen, noch ein Ohr gehöret hat? Darum stille, liebe Seele, der Geist wird gar bald die Oberhand über das rebellische Fleisch bekommen und den übersiedenden Lüsten eine unüberwindliche »Schranke« in den Weg setzen, »an der« sie sich bald »den Todesstoß« geben.

»Feuerbach« – dahin ist endlich der Heilige mittels eines kritischen Verständnisses der »Heiligen Familie« gekommen – »ist der mit Humanismus versetzte und zersetzte Materialist, d.h. der Materialist, der es nicht auf der Erde und ihrem Sein auszuhalten vermag« (Sankt Bruno kennt ein von der Erde unterschiednes Sein der Erde und weiß, wie man es anfangen muß, um es »auf dem Sein der Erde auszuhalten«!), »sondern sich vergeistigen und in den Himmel einkehren will, und der Humanist, der nicht denken und eine geistige Welt aufbauen kann, sondern der sich mit Materialismus schwängert pp.«, p. 123.

Wie hiernach bei Sankt Bruno der Humanismus im »Denken« und »Aufbauen einer geistigen Welt« besteht, so der Materialismus in folgendem:

»Der Materialist erkennt nur das gegenwärtige, wirkliche Wesen an, die Materie« (als wenn der Mensch mit allen seinen Eigenschaften, auch dem Denken, nicht ein »gegenwärtiges, wirkliches Wesen« wäre), »und sie als tätig sich in die Vielheit ausbreitend und verwirklichend, die Natur.« p. 123.

Die Materie ist zuerst ein gegenwärtiges wirkliches Wesen, aber nur an sich, verborgen; erst wenn sie »tätig sich in die Vielheit ausbreitet und verwirklicht« (ein »gegenwärtiges wirkliches Wesen« »verwirklicht sich«!!), erst dann wird sie Natur. Zuerst existiert der Begriff der Materie, das Abstraktum, die Vorstellung, und diese verwirklicht sich in der wirklichen Natur. Wörtlich die Hegelsche Theorie von der Präexistenz der schöpferischen Kategorien. Von diesem Standpunkt aus versteht es sich dann auch, daß Sankt Bruno die philosophischen Phrasen der Materialisten über die Materie für den wirklichen Kern und Inhalt ihrer Weltanschauung versieht.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 81-89.
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