a) Der Spuk

[140] Sankt Max macht jetzt Ernst mit den »Geistern«, welche die »Kinder des Geistes sind« (p. 39), mit der Gespensterhaftigkeit Aller (p. 47). Wenigstens bildet er sichs ein. In Wahrheit aber schiebt er nur seiner bisherigen Geschichtsauffassung, nach der die Menschen von vornherein die Repräsentanten von allgemeinen Begriffen waren, einen andern Namen unter. Diese allgemeinen Begriffe treten hier zuerst im negerhaften Zustande, als objektive, den Menschen gegenständliche Geister auf und heißen auf dieser Stufe Gespenster oder – Spuk- Das Hauptgespenst ist natürlich »der Mensch« seihst, da die Menschen nach dem Bisherigen nur als Repräsentanten eines Allgemeinen, Wesens, Begriffs, Heiligen, Fremden, Geistes, d.h. nur als Gespenstige, Gespenster füreinander vorhanden sind, und da schon nach[140] Hegels »Phänomenologie« p. 255 und anderwärts der Geist, sofern er »die Form der Dingheit« für den Menschen hat, ein anderer Mensch ist. (Siehe weiter unten über »den Menschen«.)

Wir sehen also hier den Himmel offen und die verschiedenen Gespenster der Reihe nach vor uns vorüberziehen. Jacques le bonhomme vergißt nur, daß er die alte und neue Zeit als Riesengespenster bereits hat vor uns vorbeiziehen lassen, wogegen alle die harmlosen Einfälle von Gott etc. wahre Lumpereien sind.

Gespenst Nr. 1: das höchste Wesen, Gott (p. 53). Wie nach dem Bisherigen zu erwarten, glaubt der alle weltgeschichtlichen Berge durch seinen Glauben versetzende Jacques le bonhomme, daß »die Menschen sich jahrtausendelang die Aufgabe setzten«, sich »mit der gräßlichen Unmöglichkeit, der endlosen Danaidenarbeit abquälten« – »das Dasein Gottes zu beweisen«. Über diesen unglaublichen Glauben brauchen wir kein Wort mehr zu verlieren.

Gespenst Nr. 2: das Wesen. Was unser guter Mann über das Wesen sagt, beschränkt sich nach Abzug des aus Hegel Abgeschriebenen auf »pomphafte Worte und armselige Gedanken« (p. 53). »Der Fortgang vom« Wesen »auf« das Weltwesen »ist nicht schwer«, und dies Weltwesen ist natürlich

Gespenst Nr. 3, die Eitelkeit der Welt. Hierüber ist Nichts zu sagen, als daß daraus »leicht«

Gespenst Nr. 4, die guten und bösen Wesen werden. Hierüber wäre zwar etwas zu sagen, wird aber nichts gesagt, und sogleich zum nächsten

Gespenst Nr. 5: das Wesen und sein Reich fortgeschritten. Daß wir das Wesen hier zum zweiten Male haben, darf uns bei unsrem ehrlichen Schriftsteller, der seine »Unbeholfenheit« (Wigand, p. 166) sehr gut kennt und deshalb Alles mehrmals sagt, damit es ja nicht mißverstanden werde, keineswegs verwundern. Das Wesen wird hier zuerst als Inhaber eines »Reiches« bestimmt und sodann von ihm ausgesagt, daß es »das Wesen« ist (p. 54), worauf es sich flugs in

Gespenst Nr. 6: »die Wesen« verwandelt. Sie und sie allem zu erkennen und anzuerkennen, das ist Religion. »Ihr Reich« (der Wesen) »ist – ein Reich der Wesen.« (p. 54.) Plötzlich tritt hier

Gespenst Nr. 7, der Gottmensch, Christus, ohne alle sichtbare Veranlassung herein. Von ihm weiß Stirner zu sagen, daß er »beleibt« gewesen ist. Wenn Sankt Max nicht an Christus glaubt, so glaubt er wenigstens an seinen »wirklichen Leib«. Christus hat nach Stirner eine große Misere in die Geschichte gebracht, und der sentimentale Heilige erzählt mit Tränen in den Augen, »wie sich die kräftigsten Christenmenschen abgemartert haben, um[141] ihn zu begreifen« – ja – »seelenmarternder war noch nie ein Gespenst, und kein Schamane, der bis zu rasender Wut und nervenzerreißenden Krämpfen sich aufstachelt, kann solche Qual erdulden, wie Christen sie von jenem unbegreiflichsten Gespenst erlitten«. Sankt Max weint eine empfindsame Zähre auf dem Grabe der Opfer Christi und kommt dann zum »grauenhaften Wesen«,

dem Gespenst Nr. 8, dem Menschen. Hier »graut« es unsrem wackeren Schriftsteller in Eins fort – »er erschrickt vor sich selbst«, er sieht in jedem Menschen einen »grausigen Spuk«, einen »unheimlichen Spuk«, in dem es »umgeht« (p. 55, 56). Er fühlt sich höchst unbehaglich. Der Zwiespalt zwischen Erscheinung und Wesen läßt ihn nicht ruhen. Er ist wie Nabal, der Gemahl der Abigail, von dem geschrieben steht, daß sein Wesen ebenfalls von seiner Erscheinung getrennt war: Es war ein Mann zu Maon und sein Wesen zu Carmel (1. Samuel 25, 2). Zur rechten Zeit und ehe sich der »seelengemarterte« Sankt Max aus Verzweiflung eine Kugel durch den Kopf jagt, fallen ihm plötzlich die Alten ein, die »so etwas nicht in ihren Sklaven beachteten«. Dies bringt ihn auf

Gespenst Nr. 9, den Volksgeist (p. 56), über den sich Sankt Max, an dem jetzt kein Aufhalten mehr ist, ebenfalls »grausige« Einbildungen macht, um

Gespenst Nr. 10: »Alles« in einen Spuk zu verwandeln, und schließlich, wo alles Zählen aufhört, den »heiligen Geist«, die Wahrheit, das Recht, das Gesetz, die gute Sache (die er noch immer nicht vergessen kann) und ein halbes Dutzend anderer, einander wildfremder Dinge in der Klasse Gespenster zusammenzuwerfen.

Sonst ist in dem ganzen Kapitel Nichts bemerkenswert als die Versetzung eines historischen Berges durch Sankt Maxens Glauben. Er meint nämlich p. 56, »nur um eines höheren Wesens willen sei man von jeher geehrt, nur als ein Gespenst für eine geheiligte, d.h.« (das heißt!) »geschützte und anerkannte Person betrachtet worden«. Versetzen wir diesen durch bloßen Glauben versetzten Berg wieder an seine rechte Stelle, so »heißt es nun«: Nur um der geschützten, d.h. sich selbst schützenden, und privilegierten, d.h. sich selbst privilegierenden Personen willen wurden höhere Wesen verehrt und Gespenster geheiligt. Sankt Max bildet sich z.B. ein, daß im Altertum, wo jedes Volk durch materielle Verhältnisse und Interessen, z.B. Feindschaft der verschiednen Stämme etc., zusammengehalten wurde, wo wegen Mangel an Produktivkräften jeder entweder Sklave sein oder Sklaven haben mußte etc. etc., wo es also vom »natürlichsten Interesse« (Wigand, p. [162]) war, einem Volke anzugehören – daß also damals der Begriff Volk oder »das Volkswesen«[142] erst diese Interessen aus sich erzeugt habe; daß in der neueren Zeit, wo die freie Konkurrenz und der Welthandel den heuchlerischen, bürgerlichen Kosmopolitismus und den Begriff des Menschen erzeugte, umgekehrt die spätere philosophische Konstruktion des Menschen jene Verhältnisse als seine »Offenbarungen« (p. 51) produziert habe. Ebenso mit der Religion, dem Reich der Wesen, das er für das einzige Reich hält, von deren Wesen er aber nichts weiß, weil er sonst wissen müßte, daß sie, als Religion, weder ein Wesen noch ein Reich hat. In der Religion machen die Menschen ihre empirische Welt zu einem nur gedachten, vorgestellten Wesen, das ihnen fremd gegenübertritt. Dies ist keineswegs wieder aus andern Begriffen zu erklären, aus »dem Selbstbewußtsein« und dergleichen Faseleien, sondern aus der ganzen bisherigen Produktions- und Verkehrsweise, die ebenso unabhängig vom reinen Begriff ist wie die Erfindung der self-acting mule und die Anwendung der Eisenbahnen von der Hegelschen Philosophie. Will er einmal von einem »Wesen« der Religion sprechen, d.h. von einer materiellen Grundlage dieses Unwesens, so hat er es weder im »Wesen des Menschen« noch in den Prädikaten Gottes zu suchen, sondern in der von jeder Stufe der religiösen Entwicklung vorgefundenen materiellen Welt. (Vgl. oben Feuerbach.)

Die sämtlichen »Gespenster«, die wir Revue passieren ließen, waren Vorstellungen. Diese Vorstellungen, abgesehen von ihrer realen Grundlage (von der Stirner ohnehin absieht), als Vorstellungen innerhalb des Bewußtseins, als Gedanken im Kopfe der Menschen gefaßt, aus ihrer Gegenständlichkeit in das Subjekt zurückgenommen, aus der Substanz ins Selbstbewußtsein erhoben, sind – der Sparren oder die fixe Idee.

Über den Ursprung von Sankt Maxens Gespenstergeschichte siehe Feuerbach in den »Anekdotis« II, p. 66, wo es heißt:

»Die Theologie ist Gespensterglaube. Die gemeine Theologie hat aber ihre Gespenster in der sinnlichen Imagination, die spekulative Theologie in der unsinnlichen Abstraktion.«

Da nun Sankt Max mit sämtlichen kritischen Spekulanten der neueren Zeit den Glauben teilt, daß verselbständigte Gedanken, verkörperte Gedanken – Gespenster – die Welt beherrscht haben und beherrschen, daß alle bisherige Geschichte Geschichte der Theologie gewesen sei, so war nichts leichter, als sie in eine Gespenstergeschichte zu verwandeln. Sanchos Gespenstergeschichte beruht also auf dem traditionell überlieferten Gespensterglauben der Spekulanten.[143]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 140-144.
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