B) Die Besessenen (Unreine Geistergeschichte)

[136] Sankt Max hat, ohne es zu wissen, bisher weiter nichts getan als eine Anleitung zum Geistersehen gegeben, indem er die alte und neue Welt nur als »Scheinleib eines Geistes«, als gespenstige Erscheinung faßte und nur Geisterkämpfe in ihr sah. Jetzt gibt er mit Bewußtsein und ex professo eine Anleitung zum Gespenstersehen.

Anleitung zum Geistersehen. Man muß sich zuerst in einen erzdummen Teufel verwandeln, d.h. sich als Szeliga setzen, und dann zu sich selbst sprechen, wie Sankt Max zu diesem Szeliga: »Blick umher in der Welt, und sage selbst, ob nicht aus Allem Dich ein Geist anschaut!« ist man dahin gekommen, sich dies einzubilden, so kommen die Geister »leicht« von selbst, in der »Blume« sieht man nur den »Schöpfer«, in den Bergen »einen Geist der Erhabenheit«, im Wasser »einen Geist der Sehnsucht« oder die Sehnsucht des Geistes, und man hört »aus den Menschen Millionen Geister reden«. Hat man es bis zu dieser Stufe gebracht, kann man mit Stirner ausrufen: »Ja, es spukt in der Ganzen Welt«, so »ist der Fortgang dahin nicht schwer« (p. 93), daß man den weiteren Ausruf tut: »Nur in ihr? Nein, sie selber spukt« (Eure Rede sei Ja, Ja, Nein, Nein, was darüber ist, das ist vom Übel, nämlich logischer Übergang), »sie ist der wandelnde Scheinleib eines Geistes, sie ist ein Spuk.« Dann »schau« getrost »in die Nähe oder in die Ferne, Dich umgibt eine gespenstige Welt – – Du siehst Geister«. Hiermit kannst Du zufrieden sein, wenn Du ein gewöhnlicher Mensch bist; gedenkst Du aber Dich mit Szeliga messen zu können, so kannst Du auch in Dich selbst schauen und darfst »Dich dann nicht wundern«, wenn Du bei dieser Gelegenheit und auf dieser Höhe der Szeligaität findest, daß auch »Dein Geist in Deinem Leibe spukt«, daß Du selbst ein Gespenst bist, das »auf Erlösung harrt, nämlich ein Geist«. Hiermit bist Du so weit gekommen, daß Du in »Allen« Menschen »Geister« und »Gespenster« sehen kannst, womit die Geisterseherei »ihr letztes Absehen erreicht«, p. 46, 47.

Die Grundlage dieser Anleitung findet sich, nur viel richtiger ausgedrückt, bei Hegel u. a. »Geschichte der Philosophie« III, p. 124, 125.

Der heilige Max glaubt seiner eignen Anleitung so sehr, daß er darüber selbst zum Szeliga wird und behauptet:

»Seit das Wort Fleisch geworden ist, seitdem ist die Welt vergeistigt, verzaubert, ein Spuk.« p. 47.[136]

»Stirner« »sieht Geister«.

Sankt Max beabsichtigt, uns eine Phänomenologie des christlichen Geistes zu geben, und nimmt nach seiner Gewohnheit nur die eine Seite heraus. Den Christen war die Welt nicht allein vergeistigt, sondern ebensosehr entgeistigt, wie Hegel z.B. in der ebengenannten Stelle dies ganz richtig anerkennt und die beiden Seiten miteinander in Beziehung bringt, was Sankt Max, wenn er historisch verfahren wollte, ebenfalls hätte tun müssen. Der Entgeistigung der Welt im christlichen Bewußtsein gegenüber können die Alten, »die überall Götter sahen«, mit gleichem Recht als Vergeistiger der Welt aufgefaßt werden, eine Auffassung, die unser heiliger Dialektiker mit der wohlmeinenden Ermahnung zurückweist: »Götter, mein lieber Neuer, sind keine Geister.« p. 47. Der gläubige Max erkennt nur den heiligen Geist als Geist an.

Aber selbst wenn er uns diese Phänomenologie gegeben hätte (was nach Hegel übrigens überflüssig ist), so hätte er uns noch Nichts gegeben. Der Standpunkt, auf dem man sich mit solchen Geistergeschichten begnügt, ist selbst ein religiöser, weil man sich auf ihm bei der Religion beruhigt, die Religion als causa sui auffaßt (denn auch »das Selbstbewußtsein« und »der Mensch« sind noch religiös), statt sie aus den empirischen Bedingungen zu erklären und nachzuweisen, wie bestimmte Industrielle und Verkehrsverhältnisse notwendig mit einer bestimmten Gesellschaftsform, damit einer bestimmten Staatsform, und damit einer bestimmten Form des religiösen Bewußtseins verbunden sind. Hätte Stirner sich die wirkliche Geschichte des Mittelalters angesehen, so hätte er finden können, warum die Vorstellung der Christen von der Welt im Mittelalter gerade diese Gestalt annahm, und wie es kam, daß sie später in eine andre überging; er hätte finden können, daß »das Christentum« gar keine Geschichte hat und alle die verschiednen Formen, in denen es zu verschiednen Zeiten aufgefaßt wurde, nicht »Selbstbestimmungen« und »Fortentwicklungen« »des religiösen Geistes« waren, sondern von ganz empirischen, allem Einflusse des religiösen Geistes entzogenen Ursachen bewirkt wurden.

Da Stirner »nicht am Schnürchen geht« (p. 45), so kann, ehe wir auf die Geisterseherei weiter eingehen, schon hier gesagt werden, daß die verschiedenen »Wandlungen« der Stirnerschen Menschen und ihrer Welt nur in der Verwandlung der ganzen Weltgeschichte in den Leib der Hegelschen Philosophie bestehen; in Gespenster, die nur zum Schein ein »Anderssein« der Gedanken des Berliner Professors sind. In der »Phänomenologie«, der Hegelschen Bibel, »dem Buch«, werden zunächst die Individuen in »das Bewußtsein« [und die] Welt in »den Gegenstand« ver[wa]ndelt, wodurch die[137] Mannigfaltigkeit des Lebens und der Geschichte sich auf ein verschiedenes Verhalten »des Bewußtseins« zu »dem Gegenstande« reduziert. Dies verschiedene Verhalten wird wieder auf drei Kardinalverhältnisse reduziert: 1. Verhältnis des Bewußtseins zum Gegenstand als der Wahrheit oder zur Wahrheit als bloßem Gegenstand (z.B. sinnliches Bewußtsein, Naturreligion, ionische Philosophie, Katholizismus, Autoritätsstaat pp.) – 2. Verhältnis des Bewußtseins als des Wahren zum Gegenstand (Verstand, geistige Religion, Sokrates, Protestantismus, französische Revolution) – 3. wahres Verhalten des Bewußtseins zur Wahrheit als Gegenstand oder zum Gegenstand als Wahrheit (logisches Denken, spekulative Philosophie, der Geist als für den Geist). Das erste wird auch bei Hegel gefaßt als Gottvater, das zweite als Christus, das dritte als Heiliger Geist usw. Stirner hat diese Wandlungen schon angebracht bei Kind und Jüngling, Alten und Neuen, wiederholt sie später bei Katholizismus und Protestantismus, Neger und Mongole etc. und akzeptiert diese Reihe von Verkleidungen eines Gedankens nun auf Treu und Glauben als die Welt, gegen die er sich als »leibhaftiges Individuum« geltend zu machen, zu behaupten hat.

Zweite Anleitung zum Geistersehen. Wie man die Welt in das Gespenst der Wahrheit und sich selbst in einen Geheiligten oder Gespenstigen verwandelt. Ein Gespräch zwischen Sankt Max und Szeliga, seinem Knecht, (p. 47, 48.)

Sankt Max. »Du hast Geist, denn Du hast Gedanken. Was sind Deine Gedanken?« Szeliga. »Geistige Wesen.«

Sankt Max. »Also keine Dinge?«

Szeliga. »Nein, aber der Geist der Dinge, die Hauptsache an allen Dingen, ihr Innerstes, ihre – Idee.«

Sankt Max. »Was Du denkst, ist mithin nicht bloß Dein Gedanke?«

Szeliga. »Im Gegenteil, es ist das Wirklichste, das eigentlich Wahre an der Welt: es ist die Wahrheit selber; wenn Ich nur wahrhaft denke, so denke ich die Wahrheit. Ich kann mich zwar über die Wahrheit täuschen und sie verkennen; wenn ich aber wahrhaft ernenne, so ist der Gegenstand meiner Erkenntnis die Wahrheit.«

Sankt Max. »So trachtest Du wohl allezeit die Wahrheit zu erkennen?« Szeliga. »Die Wahrheit ist mir heilig. – – Die Wahrheit kann ich nicht abschaffen; an die Wahrheit glaube ich, darum forsche ich in ihr; über sie geht's nicht hinaus, sie ist ewig. Heilig, ewig ist die Wahrheit, sie ist das Heilige, das Ewige.«

Sankt Max (erbost). »Du aber, der Du von diesem Heiligen Dich erfüllen lässest, wirst selbst geheiligt!«

Also, wenn Szeliga einen Gegenstand wahrhaft erkennt, so hört der Gegenstand auf, Gegenstand zu sein, und wird »die Wahrheit«. Erste Gespensterfabrikation im Großen. – Es handelt sich nun nicht mehr um das Erkennen der Gegenstände, sondern um die Erkenntnis der Wahrheit; erst erkennt er[138] Gegenstände wahrhaft, das fixiert er als Wahrheit der Erkenntnis, und diese verwandelt er in Erkenntnis der Wahrheit. Nachdem sich so Szeliga von dem drohenden Heiligen die Wahrheit als Gespenst hat aufbinden lassen, so rückt ihm sein gestrenger Herr mit der Gewissensfrage auf den Leib, ob er »allezeit« trächtig sei mit der Sehnsucht nach Wahrheit, worauf der verwirrte Szeliga etwas vor der Zeit mit der Antwort hervorplatzt – die Wahrheit ist mir heilig. Er merkt aber sogleich sein Versehen und nimmt es nach, indem er beschämt die Gegenstände in Wahrheiten, nicht mehr in die Wahrheit, verwandelt und sich als die Wahrheit dieser Wahrheiten »die Wahrheit« abstrahiert, die er nun nicht mehr abschaffen kann, nachdem er sie von den abschaffbaren Wahrheiten unterschieden hat. Damit ist sie dann »ewig«. Aber nicht damit zufrieden, ihr Prädikate wie »heilig, ewig« beizulegen, verwandelt er sie in das Heilige, das Ewige als Subjekt. Jetzt kann ihm Sankt Max natürlich erklären, daß er, nachdem er sich vom Heiligen habe »erfüllen« lassen, »selbst geheiligt werde«, und sich »nicht wundern dürfe«, wenn er nunmehr in sich »nichts als einen Spuk finde«. Der Heilige beginnt sodann eine Predigt: »Auch ist das Heilige nicht für Deine Sinne« und schließt ganz folgerichtig durch ein »Und« an: »niemals entdeckst Du als ein Sinnlicher seine Spur«; nachdem nämlich die sinnlichen Gegenstände »alle jeworden« sind und an ihre Stelle »die Wahrheit«, »die Heilige Wahrheit«, »das Heilige« getreten ist. »Sondern« – versteht sich! – »für Deinen Glauben, oder bestimmter noch für Deinen Geist« (für Deine Geistlosigkeit), »denn es ist ja selbst ein Geistiges« (per appositionem), »ein Geist« (wieder per appos.), »ist Geist für den Geist«. Dies ist die Kunst, wie man die profane Welt, die »Gegenstände«, vermittelst einer arithmetischen Reihe von Appositionen in »Geist für den Geist« verwandelt. Wir können hier diese dialektische Methode der Appositionen nur noch bewundern – später werden wir Gelegenheit haben, sie zu ergründen und in ihrer ganzen Klassizität darzustellen.

Die Appositionsmethode kann auch umgedreht werden – so hier, wo, nachdem wir »das Heilige« bereits erzeugt haben, es nicht wieder Appositionen erhält, sondern zur Apposition einer neuen Bestimmung gemacht wird: dies ist die Vereinigung der Progression mit der Gleichung. So wird hier der aus irgendeinem dialektischen Prozeß »übrigbleibende Gedanke an ein Anderes«, dem »Ich mehr dienen sollte als Mir« (per appos.), »das Mir wichtiger sein müßte als Alles« (per appos.), »kurz, ein Etwas, worin Ich Mein wahres Heil zu suchen hätte« (und endlich per appos. die Rückkehr auf die[139] erste Reihe) »– ein ›Heiliges‹« (p. 48). Wir haben hier zwei Progressionen, die einander gleichgesetzt werden und so zu einer großen Mannigfaltigkeit von Gleichungen Gelegenheit geben können. Hierüber später. Durch diese Methode hat dann auch »das Heilige«, das wir bisher nur als eine rein theoretische Bestimmung für rein theoretische Verhältnisse kennenlernten, einen neuen praktischen Sinn bekommen, als »Etwas, worin Ich Mein wahres Hell zu suchen hätte«, wodurch es möglich wird, das Heilige zum Gegensatz des Egoisten zu machen. Wir brauchen übrigens kaum zu erwähnen, daß dieser ganze Dialog, nebst nachfolgender Predigt, weiter nichts ist als eine neue Wiederholung der bereits drei- bis viermal dagewesenen Jünglingsgeschichte.

Hier, bei dem »Egoisten« angekommen, schneiden wir Stirners »Schnürchen« ab, weil wir erstens seine Konstruktion in ihrer Reinheit darzustellen haben, frei von allen dazwischengeworfenen Intermezzos, und weil zweitens diese Intermezzi (Sancho würde nach Analogie »des Lazaroni« (Wig[and], p. 159, soll heißen Lazzarone) sagen: Intermezzi's) an andern Stellen des Buchs ohnehin wieder vorkommen, da Stirner, weit entfernt, sich nach seiner eigenen Zumutung »stets in sich zurückzunehmen«. Im Gegenteil sich stets von Neuem von sich gibt. Wir erwähnen nur noch eben, daß die p. 45 aufgeworfene Frage: Was ist dies vom Ich Unterschiedene, das der Geist ist, jetzt dahin beantwortet ist, daß es das Heilige, id est das dem Ich Fremde ist und daß Alles dem Ich Fremde – kraft einiger nicht ausgesprochenen Appositionen, Appositionen »an sich« – hiernach ohne Weiteres als Geist gefaßt wird. Geist, Heiliges, Fremdes sind identische Vorstellungen, denen er den Krieg erklärt, wie dies schon bei dem Jüngling und Mann ganz im Anfang fast wörtlich dagewesen ist. Wir sind also noch keinen Schritt weiter, als wir p. 20 waren.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 136-140.
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