D) Die Hierarchie

[156] Jacques le bonhomme faßt in der bisherigen Darstellung die Geschichte nur als das Produkt abstrakter Gedanken – oder vielmehr seiner Vorstellungen von den abstrakten Gedanken –, als beherrscht von diesen Vorstellungen, die sich alle in letzter Instanz in »das Heilige« auflösen. Diese Herrschaft des »Heiligen«, des Gedankens, der Hegelschen absoluten Idee über die empirische Welt stellt er nun als gegenwärtiges historisches Verhältnis dar, als Herrschaft der Heiligen, Ideologen über die profane Welt – als Hierarchie. In dieser Hierarchie haben wir das, was früher nacheinander erschien, nebeneinander, so daß eine der beiden koexistierenden Entwicklungsformen über die andre herrscht. So herrscht also der Jüngling über das Kind, der Mongole über den Neger, der Neue über den Alten, der aufopfernde Egoist (citoyen) über den Egoisten im gewöhnlichen Verstande (bourgeois) etc. – siehe die »Ökonomie des Alten Bundes«. Die »Vernichtung« der »Welt der Dinge« durch die »Welt des Geistes« tritt hier als »Herrschaft« der »Welt der Gedanken« über die »Welt der Dinge« auf. Es muß natürlich dahin kommen, daß die Herrschaft, die die »Welt der Gedanken« von Anfang an in der Geschichte führt, am Ende derselben auch als wirkliche, faktisch existierende Herrschaft der Denkenden – und wie wir sehen werden, in letzter Instanz der spekulativen Philosophen – über die Welt der Dinge dargestellt wird, so daß Sankt Max dann nur noch gegen Gedanken und Vorstellungen der Ideologen zu kämpfen und sie zu überwinden hat, um sich zum »Eigner der Welt der Dinge und der Welt der Gedanken« zu machen.

[156] »Hierarchie ist Gedankenherrschaft, Herrschaft des Geistes. Hierarchisch sind wir bis auf diesen Tag, unterdrückt von denen, die sich auf Gedanken stützen, und Gedanken sind« – wer hat das nicht längst gemerkt – »das Heilige« (p. 97.) (Stirner hat sich vor dem Vorwurf, als mache er in seinem ganzen Buch nur »Gedanken«, d.h. »das Heilige«, dadurch zu bewahren gesucht, daß er darin wirklich nirgendwo Gedanken macht. Allerdings schreibt er sich bei Wigand »Virtuosität im Denken«, d.h. nach ihm in der Fabrikation »des Heiligen« zu – und das letztere wird ihm konzediert.) – »Hierarchie ist Oberherrlichkeit des Geistes.« p. 467. – »Jene mittelaltrige Hierarchie war nur eine schwächliche Hierarchie gewesen, da sie alle mögliche Barbarei des Profanen unbezwungen neben sich hergehen lassen mußte« (»woher nur Stirner das alles weiß, was die Hierarchie mußte«, wird sich gleich finden), »und erst die Reformation stählte die Kraft der Hierarchie.« p. 110. »Stirner« meint nämlich, »die Geisterherrschaft sei nie zuvor so umfassend und allmächtig gewesen« als nach der Reformation; er meint, daß diese Geisterherrschaft, »statt das religiöse Prinzip von Kunst, Staat und Wissenschaft loszureißen, vielmehr diese ganz aus der Wirklichkeit in das Reich des Geistes erhob und religiös machte«.

In dieser Auffassung der neueren Geschichte ist nur wieder die alte Illusion der spekulativen Philosophie über die Herrschaft des Geistes in der Geschichte breitgetreten. Ja, diese Stelle zeigt sogar, wie der gläubige Jacques le bonhomme fortwährend die ihm von Hegel überkommene, für ihn traditionell gewordene Weltanschauung für die Wirkliche Welt auf Treu und Glauben annimmt und nun von diesem Boden aus »machiniert«. Was an dieser Stelle »eigen« und »einzig« erscheinen könnte, ist die Auffassung dieser Geistesherrschaft als Hierarchie – und hier wollen wir wiederum eine kurze »geschichtliche Reflexion« über den Ursprung der Stirnerschen »Hierarchie« »einlegen«.

Hegel spricht sich in folgenden »Wandlungen« über die Philosophie der Hierarchie aus:

»Wir haben bei Plato in seiner Republik die Idee gesehen, daß die Philosophen regieren sollen; jetzt« (im katholischen Mittelalter) »ist die Zeit, wo es ausgesprochen wird, daß das Geistige herrschen solle; aber das Geistige hat den Sinn erhalten, daß das Geistliche, die Geistlichen herrschen sollen. Das Geistige ist so zur besondern Gestalt, zum Individuum gemacht.« (»Gesch[ichte] d[er] Phil[osophie]« III, p. 132.) – »Die Wirklichkeit, das Irdische, ist damit gottverlassen – – einzelne wenige Individuen sind heilig, die Andern unheilig.« (l. c. p. 136.) Die »Gottverlassenheit« wird näher so bestimmt: »Alle diese Formen« (Familie, Arbeit, Staatsleben etc.) »gelten als nichtige, unheilige« (»Phil[osophie] d[er] Rel[igion]« II, p. 343.) – »Es ist eine Vereinigung mit der Weltlichkeit, die unversöhnt ist, die Weltlichkeit roh in sich« (wofür Hegel sonst auch das Wort Barbarei braucht, vergl. z.B. »Gesch. d. Phil.« III p. 136), »und die als roh in sich nur beherrscht wird.« (»Phil. d. Rel.« II, p. 342, 343.) – »Diese Herrschaft« (die Hierarchie der katholischen Kirche) »ist also, obgleich sie Herrschaft des[157] Geistigen sein soll, eine Herrschaft der Leidenschaft.« (»Gesch. d. Phil.« III, p. 134.) – »Die wahrhafte Herrschaft des Geistes kann aber nicht Herrschaft des Geistes in dem Sinne sein, daß das Gegenüberstehende ein Unterworfenes ist.« (l. c. p. 131.) »Der rechte Sinn ist, daß das Geistige als solches« (nach »Stirner« »das Heilige«) »das Bestimmende sein soll, was bis auf unsere Zeiten gegangen ist: So sehen wir in der französischen Revolution« (was »Stirner« Hegel nachsieht), »daß der abstrakte Gedanke herrschen soll; nach ihm sollen Staatsverfassungen und Gesetze bestimmt werden, er soll das Band unter den Menschen ausmachen, und das Bewußtsein der Menschen soll sein, daß das, was unter ihnen gilt, abstrakte Gedanken sind, Freiheit und Gleichheit etc.« (»Gesch. d. Phil.« III. p. 132.) Die wahre Herrschaft des Geistes im Gegensatz zu ihrer unvollkommenen Form in der katholischen Hierarchie, wie sie durch den Protestantismus herbeigeführt wird, wird weiter dahin bestimmt, daß »das Weltliche in sich vergeistigt wird«. (»Gesch. d. Phil.« III, p. 185.) »Daß das Göttliche sich im Felde der Wirklichkeit realisiert« (also die katholische Gottverlassenheit der Wirklichkeit aufhört – »Phil. d. Rel.« II, p. 343); daß der »Widerspruch« zwischen Heiligkeit und Weltlichkeit »sich auflöst in der Sittlichkeit« (»Phil. d. Rel.« II, p. 343); daß »die Institutionen der Sittlichkeit« (Ehe, Familie, Staat, Selbsterwerb etc.) »göttliche, heilige« sind. (»Phil. d. Rel.« II, p. 344.) Diese wahre Herrschaft des Geistes spricht Hegel in zwei Formen aus: »Staat, Regierung, Recht, Eigentum, bürgerliche Ordnung« (und wie wir aus andern Werken von ihm wissen, auch Kunst, Wissenschaft etc.), »alles dies ist das Religiöse – – herausgetreten in die Form der Endlichkeit.« (»Gesch. d. Ph.« III, p. 185.) Und diese Herrschaft des Religiösen, Geistigen etc. wird endlich ausgesprochen als die Herrschaft der Philosophie: »Das Bewußtsein des Geistigen ist jetzt« (im achtzehnten Jahrhundert) »wesentlich das Fundament, und die Herrschaft ist dadurch der Philosophie geworden.« (»Phil. d. Gesch.« p. 440.)

Hegel schiebt also der katholischen Hierarchie des Mittelalters die Absicht unter, als hätte sie »die Herrschaft des Geistes sein« wollen, und faßt sie demnächst als eine beschränkte, unvollkommene Form dieser Geistesherrschaft, deren Vollendung er im Protestantismus und dessen angeblicher Ausbildung sieht. So unhistorisch dies ist, so ist er doch noch historisch genug, um den Namen der Hierarchie nicht über das Mittelalter hinaus auszudehnen. Sankt Max weiß aber aus ebendemselben Hegel, daß die spätere Epoche die »Wahrheit« der früheren ist, also die Epoche der vollkommenen Herrschaft des Geistes die Wahrheit der Epoche, in welcher der Geist nur noch unvollkommen herrschte, daß also der Protestantismus die Wahrheit der Hierarchie, also die wahre Hierarchie ist. Da aber nur die wahre Hierarchie den Namen der Hierarchie verdient, so ist es klar, daß die Hierarchie des Mittelalters eine »schwächliche« sein mußte, was ihm um so leichter zu beweisen wird, als in den obigen und hundert andern Hegelschen Stellen die Unvollkommenheit der Geistesherrschaft im Mittelalter dargestellt war, was er nur abzuschreiben brauchte und wobei seine ganze »eigne« Tätigkeit darin bestand, das Wort[158] »Geistesherrschaft« durch »Hierarchie« zu ersetzen. Die einfache Schlußfolge, durch welche sich ihm die Geistesherrschaft schlechthin in die Hierarchie verwandelte, brauchte er nicht einmal zu machen, nachdem es unter den deutschen Theoretikern Mode geworden war, die Wirkung mit dem Namen der Ursache zu belegen und Alles z.B. in die Kategorie der Theologie zurückzuwerfen, was aus der Theologie hervorgegangen war und noch nicht ganz auf der Höhe der Prinzipien dieser Theoretiker stand – z.B. die Hegelsche Spekulation, den Straußischen Pantheismus pp. – ein Kunststück, das namentlich im Jahre 1842 an der Tagesordnung war. Aus den obigen Stellen geht ebenfalls hervor, daß Hegel 1. die französische Revolution als eine neue und vollendetere Phase dieser Geistesherrschaft faßt, 2. in den Philosophen die Weltherrscher des neunzehnten Jahrhunderts sieht, 3. behauptet, daß jetzt nur abstrakte Gedanken unter den Menschen gelten, 4. daß schon bei ihm Ehe, Familie, Staat, Selbsterwerb, bürgerliche Ordnung, Eigentum pp. als »Göttlich und Heilig«, als »das Religiöse« gefaßt werden, und 5. daß die Sittlichkeit als verweltlichte Heiligkeit oder geheiligte Weltlichkeit, als die höchste und letzte Form der Herrschaft des Geistes über die Welt dargestellt wird – Alles Dinge, die wir bei »Stirner« wörtlich wiederfinden.

Hiernach wäre in Beziehung auf die Stirnersche Hierarchie gar nichts mehr zu sagen und nachzuweisen, als warum Sankt Max Hegel abgeschrieben hat – ein Faktum, zu dessen Erklärung aber wieder materielle Fakta notwendig sind und das deshalb nur für diejenigen erklärlich ist, die die Berliner Luft kennen. Eine andre Frage ist, wie die Hegelsche Vorstellung von der Herrschaft des Geisteszustande kommt, und hierüber siehe oben.

Die Adoption der Hegelschen Weltherrschaft der Philosophen und ihre Verwandlung in eine Hierarchie durch Sankt Max kommt vermittelst der gänzlich unkritischen Leichtgläubigkeit unsres Heiligen und durch eine »heilige« oder heillose Unwissenheit zustande, die sich damit begnügt, die Geschichte zu »durchschauen« (d.h. die Hegelschen geschichtlichen Sachen durchzuschauen), ohne von ihr viele »Dinge« zu »wissen«. Überhaupt müßte er ja fürchten, sobald er »lernte« – sich nicht mehr »abschaffend und auflösend« (p. 96) zu verhalten, also in der »Geschäftigkeit des Ungeziefers« steckenzubleiben – Grund genug, um nicht zur »Abschaffung und Auflösung« seiner eignen Unwissenheit »weiterzugehen«.

Macht man, wie Hegel, eine solche Konstruktion zum ersten Male für die ganze Geschichte und die gegenwärtige Welt in ihrem ganzen Umfange, so ist dies nicht möglich ohne umfassende positive Kenntnisse, ohne wenigstens stellenweise auf die empirische Geschichte einzugehen, ohne große Energie[159] und Tiefblick. Begnügt man sich dagegen, eine vorhandene überlieferte Konstruktion zu seinen eignen Zwecken zu exploitieren und umzuwandeln und diese »eigene« Auffassung an einzelnen Exempeln (z.B. Negern und Mongolen, Katholiken und Protestanten, der französischen Revolution pp.) nachzuweisen – und dies tut unser Eiferer wider das Heilige – so ist dazu durchaus keine Kenntnis der Geschichte nötig. Das Resultat dieser ganzen Exploitation wird notwendig komisch; am komischsten, wenn aus der Vergangenheit in die unmittelbarste Gegenwart hinübergesprungen wird, wie wir davon beim »Sparren« schon Exempel fanden.

Was nun die wirkliche Hierarchie des Mittelalters betrifft, so bemerken wir hier bloß, daß diese für das Volk, für die große Masse der Menschen nicht existierte. Für die große Masse existierte nur die Feudalität, und die Hierarchie nur, insofern sie selbst entweder Feudalität oder antifeudal (innerhalb der Feudalität) ist. Die Feudalität selbst hat ganz empirische Verhältnisse zu ihrer Grundlage. Die Hierarchie und ihre Kämpfe mit der Feudalität (die Kämpfe der Ideologen einer Klasse gegen die Klasse selbst) sind nur der ideologische Ausdruck der Feudalität und der innerhalb der Feudalität selbst sich entwickelnden Kämpfe, wozu auch die Kämpfe der feudalistisch organisierten Nationen unter sich gehören. Die Hierarchie ist die ideale Form der Feudalität; die Feudalität – die politische Form der mittelaltrigen Produktions- und Verkehrsverhältnisse. Aus der Darstellung dieser praktischen, materiellen Verhältnisse ist also allein der Kampf der Feudalität gegen die Hierarchie zu erklären; mit dieser Darstellung hört von selbst die bisherige Geschichtsauffassung auf, die die Illusionen des Mittelalters auf Treu und Glauben annahm, namentlich die Illusionen, die Kaiser und Papst in ihrem Kampfe gegeneinander geltend machen.

Da Sankt Max nur Hegels Abstraktionen über Mittelalter und Hierarchie auf »pomphafte Worte und armselige Gedanken« reduziert, ist keine Veranlassung gegeben, auf die wirkliche, geschichtliche Hierarchie weiter einzugehen.

Aus dem Obigen geht schon hervor, daß man das Kunststück auch umdrehen und den Katholizismus nicht nur als Vorstufe, sondern auch als Verneinung der wahren Hierarchie fassen kann; so ist also Katholizismus = Negation des Geistes, Ungeist, Sinnlichkeit, und hierbei kommt dann der große Satz unsres Jacques le bonhomme heraus, daß die Jesuiten »Uns vor dem Verkommen und Untergang der Sinnlichkeit gerettet haben«, (p. 118.) Was aus »Uns« geworden wäre, wenn der »Untergang« der Sinnlichkeit zustande gekommen, erfahren wir nicht. Die ganz[e] materielle Bewegung seit dem sechzehnten Jahrhundert, die »Uns« nicht vor dem »Verkommen« der Sinnlichkeit[160] rettete, sondern im Gegenteil die »Sinnlichkeit« viel weiter ausbildete, existiert für »Stirner « nicht – es sind die Jesuiten, die alles das zustande gebracht haben. Man vergleiche übrigens Hegels »Phil[osophie] d[er] Gesch[ichte]«, p. 425.

Indem Sankt Max die alte Pfaffenherrschaft in die neuere Zeit überträgt, hat er damit die neuere Zeit als »das Pfaffentum« aufgefaßt; und indem er diese in die neuere Zeit übertragene Pfaffenherrschaft wieder in ihrem Unterschiede von der alten mittelalterlichen Pfaffenherrschaft faßt, stellt er sie als Herrschaft der Ideologen, als »das Schulmeistertum« dar. So ist also Pfaffentum = Hierarchie als Geistesherrschaft, Schulmeistertum = Geistesherrschaft als Hierarchie.

Diesen einfachen Übergang auf das Pfaffentum, der gar kein Übergang ist, bringt »Stirner« in drei schweren Wandlungen fertig.

Zum ersten »hat« er den »Begriff des Pfaffentums« in jedem, »der für eine große Idee, eine gute Sache« (noch immer die gute Sache!), »eine Lehre pp. lebt«.

Zum Zweiten »stößt« Stirner in seiner Welt des Wahns auf »den uralten Wahn der Welt, die des Pfaffentums noch nicht entraten gelernt hat«, nämlich »für eine Idee zu leben und zu schaffen pp.«.

Zum Dritten »ist dies die Herrschaft der Idee oder das Pfaffentum«, nämlich »Robespierre z.B.« (zum Beispiel!), »St.-Just usw.« (und so weiter!) »waren durch und durch Pfaffen« pp. Alle drei Wandlungen, in denen das Pfaffentum »entdeckt«, »aufgestoßen« und »berufen« wird (alle p. 100), drücken also weiter Nichts aus als was Sankt Max uns bereits früher schon wiederholt gesagt hat, nämlich die Herrschaft des Geistes, der Idee, des Heiligen über das »Leben« (ibid.).

Nachdem so der Geschichte die »Herrschaft der Idee oder das Pfaffentum« einmal untergeschoben ist, kann Sankt Max natürlich ohne Schwierigkeit in der ganzen bisherigen Geschichte »das Pfaffentum« wiederfinden, und so »Robespierre z.B., St.-Just usw.« als Pfaffen darstellen und mit Innozenz III. und Gregor VII. Identifizieren, wo somit alle Einzigkeit vor dem Einzigen verschwindet. Sie sind ja Alle eigentlich nur verschiedene Namen, verschiedene Verkleidungen einer Person, »des« Pfaffentums, das die ganze Geschichte vom Anfang des Christentums an gemacht hat. Wie man in dieser Art der Geschichtsauffassung »alle Kühe grau macht«, indem man alle historischen Unterschiede »aufhebt« und in »den Begriff des Pfaffentums« »auflöst«, davon gibt uns der heilige Max sogleich ein schlagendes Beispiel an »Robespierre z.B., St.-Just usw.«. Hier wird uns zuerst Robespierre als »Beispiel« von Saint-Just und Saint-Just als »undsoweiter« von Robespierre[161] angeführt. Sodann heißt es: »Diesen Vertretern heiliger Interessen steht eine Welt zahlloser ›persönlicher‹, profaner Interessen gegenüber.« Wer stand ihnen gegenüber? Die Girondins und Thermidoriens, die ihnen, den wirklichen Repräsentanten der revolutionären Force – d.h. der nur wirklich revolutionären Klasse, der »zahllosen« Masse – gegenüber beständig (siehe »Mémoires« de R. Levasseur »z.B.«, »usw.«, »d.h.« Nougaret, »Hist[oire] des prisons« – Barère – »Deux amis de la liberté« (et du commerce) -Montgaillard, »Hist[oire] de France« – Mme Roland, »Appel à la postérité« – »Mémoires« de J. B. Louvet – und selbst die ekelhaften »Essais historiques« par Beaulieu ppp., sowie sämtliche Verhandlungen vor dem Revolutionstribunal »usw.«) die Verletzung der »heiligen Interessen«, der Konstitution, Freiheit, Gleichheit, Menschenrechte, Republikanismus, Recht, sainte propriété. »z.B.« Teilung der Gewalten, Menschlichkeit, Sittlichkeit, Mäßigung »usw.« vorwarfen. Ihnen standen gegenüber alle Pfaffen, die sie der Verletzung sämtlicher Haupt- und Nebenstücke des religiösen und moralischen Katechismus anklagten (siehe »z.B.« »Histoire du clergé de France pendant la révolution« par M. R., Paris, libraire catholique 1828 »usw.«). Die historische Glosse des Bürgers, daß während des règne de la terreur »Robespierre z.B., St.-Just usw.« den honnêtes gens (siehe die unzähligen Schriften des einfältigen Herrn Peltier »z.B.«, »Conspiration de Robespierre« par Montjoie »usw.«) die Köpfe abschlugen, drückt der heilige Max in folgender Wandlung aus: »Weil die revolutionären Pfaffen oder Schulmeister dem Menschen dienten, darum schnitten sie den Menschen die Hälse ab.« Hiermit ist Sankt Max natürlich der Mühe überhoben, über die wirklichen, empirischen, auf höchst profanen Interessen, freilich nicht der Agioteurs, sondern der »zahllosen« Masse basierten Gründe des Kopfabschlagens auch nur ein »einziges« Wörtlein zu verlieren. Ein früherer »Pfaffe«, Spinoza, hatte bereits im siebzehnten Jahrhundert die Unverschämtheit, »ein Zuchtmeister« auf Sankt Max zu sein. Indem er sagte: »Die Ignoranz ist kein Argument.« Dafür haßt der heilige Max auch den Pfaffen Spinoza so sehr, daß er seinen Antipfaffen, den Pfaffen Leibniz, akzeptiert und für alle dergleichen wundersame Phänomene, wie der Terrorismus »z.B.«, das Kopfabschlagen »usw.«, einen »zureichenden Grund« produziert, nämlich, daß »die geistlichen Menschen sich so etwas in den Kopf gesetzt haben«, (p. 98.)

Der selige Max, der für Alles den zureichenden Grund gefunden hat (»Ich habe nun den Grund gefunden, an dem Mein Anker ewig hält«, wo anders[162] als in der Idee »z.B.«, dem »Pfaffentum« »usw.« von »Robespierre z.B., Saint-Just usw.«, George Sand, Proudhon, die Berliner keusche Nähterin pp.), »verdenkt es der Bürgerklasse nicht, daß sie bei ihrem Egoismus anfragte, wie weit sie der revolutionären Idee Raum geben dürfe«. Für Sankt Max ist »die revolutionäre Idee« der habits bleus und honnêtes gens von 1789 dieselbe »Idee« wie die der sansculottes von 1793, dieselbe Idee, worüber beraten wird, ob ihr »Raum zu geben« sei – worüber keiner »Idee« weiter »Raum gegeben« werden kann.

Wir kommen jetzt auf die gegenwärtige Hierarchie, die Herrschaft der Idee im gewöhnlichen Leben. Der ganze zweite Teil »des Buchs« wird von dem Kampfe gegen diese »Hierarchie« ausgefüllt. Wir gehen also erst in diesem zweiten Teil auf sie ein. Da indes Sankt Max gerade wie beim »Sparren« schon hier seine Ideen vorläufig genießt und im Anfange das Spätere wiederholt, wie im Späteren den Anfang, sind wir gezwungen, schon jetzt einige Exempel seiner Hierarchie zu konstatieren. Seine Methode des Buchmachens ist der einzige »Egoismus«, der sich im ganzen Buche vorfindet. Sein Selbstgenuß und der Genuß des Lesers stehen in umgekehrtem Verhältnis.

Weil die Bürger Liebe zu ihrem Reich, ihrem Regime verlangen, wollen sie nach Jacques le bonhomme ein »Reich der Liebe auf Erden gründen« (p. 98). Weil sie Respekt vor ihrer Herrschaft und den Verhältnissen ihrer Herrschaft fordern, also die Herrschaft über den Respekt usurpieren wollen, verlangen sie nach demselben Biedermann die Herrschaft des Respekts schlechthin, verhalten sie sich zum Respekt als zum heiligen Geist, der in ihnen lebt (p. 95). Die verdrehte Form, worin die scheinheilige und heuchlerische Ideologie der Bourgeois ihre aparten Interessen als allgemeine Interessen ausspricht, wird von dem Berge versetzenden erlauben unsres Jacques le bonhomme als wirkliche, profane Grundlage der bürgerlichen Welt akzeptiert. Warum diese Ideologische Täuschung bei unserm Heiligen gerade diese Form annimmt, werden wir beim »politischen Liberalismus« sehen.

Ein neues Beispiel gibt uns Sankt Max p. 115 in der Familie. Er erklärt, man könne sich zwar sehr leicht von der Herrschaft seiner eigenen Familie emanzipieren, aber »der aufgekündigte Gehorsam fährt Einem leicht ins Gewissen«, und so hält man die Familienliebe, den Familienbegriff fest; man hat also den »heiligen Familienbegriff«, »das Heilige« (p. 116).

Der gute Junge sieht hier wieder die Herrschaft des Heiligen, wo ganz empirische Verhältnisse herrschen. Der Bourgeois verhält sich zu den Institutionen seines Regimes wie der Jude zum Gesetz; er umgeht sie, sooft es tunlich ist, in jedem einzelnen Fall, aber er will, daß alle Andern sie halten[163] sollen. Wenn sämtliche Bourgeois in Masse und auf Einmal die Institutionen der Bourgeoisie umgingen, so würden sie aufhören, Bourgeois zu sein – ein Verhalten, das ihnen natürlich nicht einfällt und keineswegs von ihrem Wollen oder Laufen abhängt. Der liederliche Bourgeois umgeht die Ehe und begeht heimlichen Ehebruch; der Kaufmann umgeht die Institution des Eigentums, indem er Andre durch Spekulation, Bankerott pp. um ihr Eigentum bringt – der junge Bourgeois macht sich von seiner eignen Familie unabhängig, wenn er kann, löst für sich die Familie praktisch auf; aber die Ehe, das Eigentum, die Familie bleiben theoretisch unangetastet, weil sie praktisch die Grundlagen sind, auf denen die Bourgeoisie ihre Herrschaft errichtet hat, weil sie in ihrer Bourgeoisform die Bedingungen sind, die den Bourgeois zum Bourgeois machen, gerade wie das stets umgangene Gesetz den religiösen Juden zum religiösen Juden macht. Dieses Verhältnis des Bourgeois zu seinen Existenzbedingungen erhält eine seiner allgemeinen Formen in der bürgerlichen Moralität. Es ist überhaupt nicht von »der« Familie zu sprechen. Die Bourgeoisie gibt historisch der Familie den Charakter der bürgerlichen Familie, worin die Langweile und das Geld das Bindende ist und zu welcher auch die bürgerliche Auflösung der Familie gehört, bei der die Familie selbst stets fortexistiert. Ihrer schmutzigen Existenz entspricht der heilige Begriff in offiziellen Redensarten und in der allgemeinen Heuchelei. Wo die Familie wirklich aufgelöst ist, wie im Proletariat, findet grade das Gegenteil von dem statt, was »Stirner« meint. Dort existiert der Familienbegriff durchaus nicht, während stellenweise allerdings Familienzuneigung, gestützt auf höchst reale Verhältnisse, gefunden wird. Im achtzehnten Jahrhundert wurde der Familienbegriff von den Philosophen aufgelöst, weil die wirkliche Familie auf den höchsten Spitzen der Zivilisation bereits in der Auflösung begriffen war. Aufgelöst war das innere Band der Familie, die einzelnen Teile, aus denen der Familienbegriff komponiert ist, z.B. Gehorsam, Pietät, eheliche Treue pp.; aber der wirkliche Körper der Familie, Vermögensverhältnis, ausschließliches Verhältnis gegen andre Familien, gezwungenes Zusammenleben, die Verhältnisse, die schon durch die Existenz der Kinder, den Bau der jetzigen Städte, Bildung des Kapitals pp. gegeben waren, blieben, wenn auch vielfach gestört, weil das Dasein der Familie durch ihren Zusammenhang mit der vom Willen der bürgerlichen Gesellschaft unabhängigen Produktionsweise nötig gemacht ist. Am frappantesten zeigt sich diese Unentbehrlichkeit in der französischen Revolution, wo die Familie für einen Augenblick gesetzlich so gut als aufgehoben war. Die Familie existiert sogar im neunzehnten Jahrhundert noch fort, nur daß die Tätigkeit der Auflösung nicht des Begriffs wegen, sondern wegen entwickelterer Industrie und Konkurrenz allgemeiner geworden ist;[164] sie existiert noch immer, trotzdem daß ihre Auflösung längst von französischen und englischen Sozialisten proklamiert und vermittelst französischer Romane endlich auch zu den deutschen Kirchenvätern gedrungen ist.

Noch ein Beispiel von der Herrschaft der Idee im gewöhnlichen Leben. Weil die Schulmeister über ihren geringen Sold mit der Heiligkeit der Sache, der sie dienen, vertröstet werden mögen (was bloß in Deutschland vorfallen kann), glaubt Jacques le bonhomme wirklich, diese Redensart sei die Ursache ihrer niedrigen Besoldung (p. 100). Er glaubt, daß »das Heilige« in der heutigen bürgerlichen Welt einen wirklichen Geldwert habe, er glaubt, daß die dürftigen Ressourcen des preußischen Staats, worüber u. a. Browning zu vergleichen sich durch die Abschaffung »des Heiligen« so sehr vergrößern würden, daß jeder Dorfschulmeister plötzlich wie ein Minister salariert werden könnte.

Dies ist die Hierarchie des Unsinns.

Der »Schlußstein des erhabnen Domwerkes«, wie der große Michelet sagt, der Hierarchie ist »mitunter« die Tat von »Man«.

»Man teilt mitunter die Menschen in zwei Klassen, in Gebildete und Ungebildete.« (Man teilt mitunter die Affen in zwei Klassen, in Geschwänzte und Ungeschwänzte.) »Die Ersteren beschäftigten sich, soweit sie ihres Namens würdig waren, mit Gedanken, mit dem Geiste.« Sie »waren in der nachchristlichen Zeit die Herrschenden und forderten für ihre Gedanken – – Respekt«. Die Ungebildeten (Tier, Kind, Neger) sind »schwach« gegen die Gedanken und »werden von ihnen beherrscht. Dies ist der Sinn der Hierarchie.«

Die Jebildeten (Jüngling, Mongole, Neuer) sind also wieder nur mit »dem Geist«, dem reinen Gedanken pp. beschäftigt, Metaphysiker von Profession, in letzter Instanz Hegelianer. »Daher« sind die Unjebildeten die Nichthegelianer. Hegel war ohne Zweifel der allerjebildetste Hegelianer, und darum muß auch bei ihm »an den Tag kommen, welche Sehnsucht gerade der Gebildetste nach den Dingen hat«. Nämlich der Jebildete und Unjebildete stoßen auch ineinander aneinander, und zwar in jedem Menschen stößt der Unjebildete auf den Jebildeten. Da nun bei Hegel die größte Sehnsucht nach den Dingen, also nach dem, was des Unjebildeten ist, an den Tag kommt, so kommt hier ebenfalls an den Tag, daß der Allerjebildetste zugleich der Unjebildetste ist. »Da« (bei Hegel) »soll dem Gedanken ganz und gar die Wirklichkeit entsprechen und kein Begriff ohne Realität sein.« Soll heißen: Da soll denn ganz und gar die gewöhnliche Vorstellung von der Wirklichkeit ihren philosophischen Ausdruck erhalten, wobei Hegel sich nun umgekehrt einbildet, daß »mithin« jeder philosophische Ausdruck sich die ihm entsprechende Wirklichkeit erschaffe. Jacques le bonhomme nimmt die Illusion, die[165] Hegel von seiner Philosophie hat, für die bare Münze der Hegelschen Philosophie.

Die Hegelsche Philosophie, die in der Herrschaft der Hegelianer über die Nichthegelianer als Krone der Hierarchie auftritt, erobert nun das letzte Weltreich.

»Hegels System – war die höchste Despotie und Alleinherrschaft des Denkens, die Allgewalt und Allmacht des Geistes.« (p. 97.)

Hier geraten wir also in das Geisterreich der Hegelschen Philosophie, das von Berlin bis Halle und Tübingen geht, das Geisterreich, dessen Geschichte Herr Bayrhoffer geschrieben und wozu die statistischen Notizen von dem großen Michelet zusammengetragen sind.

Die Vorbereitung zu diesem Geisterreich war die französische Revolution, die »nichts anders getan hat als die Dinge in Vorstellungen von den Dingen verwandelt« (p. 115 – vergl. oben Hegel über die Revolution p. [158]). »So blieb man Staatsbürger« (dies geht zwar bei »Stirner« vorher, aber »was Stirner sagt. Ist nicht das Gemeinte, und was er meint, ist unsagbar«, Wig[and,] p. 149) und »lebte in der Reflexion, man hatte einen Gegenstand, auf den man reflektierte, vor dem man« (per appos[itionem]) »Ehrfurcht und Furcht empfand«. »Stirner« sagt einmal p. 98: »Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.« Wir sagen dagegen: Der Weg zum Einzigen ist mit schlechten Nachsätzen gepflastert, mit Appositionen, die seine den Chinesen abgeborgte »Himmelsleiter« und sein »Seil des Objektiven« (p. 88) sind, auf dem er seine »Flohsprünge« macht. Hiernach war es für »die neuere Philosophie oder Zeit« – seit dem Hereinbrechen des Geisterreiches ist ja die neuere Zeit Nichts Andres als die neuere Philosophie – ein Leichtes, »die existierenden Objekte in vorgestellte, d.h. in Begriffe zu verwandeln«, p. 114, eine Arbeit, die Sankt Max weiter fortsetzt.

Wir haben unsren Ritter von der traurigen Gestalt bereits, »ehe denn die Berge waren«, die er nachher durch seinen Glauben versetzte, bereits im Anfange seines Buches auf das große Resultat seines »erhabenen Domwerkes« mit verhängtem Zügel lostraben sehen. Sein »Grauer«, die Apposition, konnte ihm nicht rasch genug springen; jetzt endlich, auf p. 114, hat er sein Ziel erreicht und durch ein mächtiges Oder die neuere Zeit in die neuere Philosophie verwandelt.

Hiermit hat die alte (d.h. die alte und neue, negerhafte und mongolische, eigentlich aber nur die vorstirnersche) Zeit, »ihr letztes Absehen erreicht«. Wir können jetzt enthüllen, weshalb Sankt Max seinen ganzen ersten Teil »Der Mensch« betitelt und seine ganze Zauber-, Gespenster- und Rittergeschichte[166] für die Geschichte »des Menschen« ausgegeben hat. Die Ideen und Gedanken der Menschen waren natürlich Ideen und Gedanken über sich und ihre Verhältnisse, ihr Bewußtsein von sich, von den Menschen, denn es war ein Bewußtsein nicht nur der einzelnen Person, sondern der einzelnen Person im Zusammenhange mit der ganzen Gesellschaft und von der ganzen Gesellschaft, in der sie lebten. Die von ihnen unabhängigen Bedingungen, innerhalb deren sie ihr Leben produzierten, die damit zusammenhängenden notwendigen Verkehrsformen, die damit gegebenen persönlichen und sozialen Verhältnisse, mußten, soweit sie in Gedanken ausgedrückt wurden, die Form von idealen Bedingungen und notwendigen Verhältnissen annehmen, d.h. als aus dem Begriff des Menschen, dem menschlichen Wesen, der Natur des Menschen, dem Menschen hervorgehende Bestimmungen ihren Ausdruck im Bewußtsein erhalten. Was die Menschen waren, was ihre Verhältnisse waren, erschien im Bewußtsein als Vorstellung von dem Menschen, von seinen Daseinsweisen oder von seinen näheren Begriffsbestimmungen. Nachdem die Ideologen nun vorausgesetzt hatten, daß die Ideen und Gedanken die bisherige Geschichte beherrschten, daß ihre Geschichte alle bisherige Geschichte sei, nachdem sie sich eingebildet hatten, die wirklichen Verhältnisse hätten sich nach dem Menschen und seinen idealen Verhältnissen, id est Begriffsbestimmungen gerichtet, nachdem sie überhaupt die Geschichte des Bewußtseins der Menschen von sich zur Grundlage ihrer wirklichen Geschichte gemacht hatten, war Nichts leichter als die Geschichte des Bewußtseins, der Ideen, des Heiligen, der fixierten Vorstellungen – Geschichte »des Menschen« zu nennen und diese der wirklichen Geschichte unterzuschieben. Sankt Max zeichnet sich vor allen seinen Vorgängern nur dadurch aus, daß er von diesen Vorstellungen, selbst in ihrer willkürlichen Isolierung vom wirklichen Leben, dessen Produkte sie waren, Nichts weiß und seine nichtige Schöpfung darauf beschränkt, in seiner Kopie der Hegelschen Ideologie die Unkenntnis selbst dessen, was er kopiert, zu konstatieren. – Schon hieraus ergibt sich, wie er seiner Phantasie von der Geschichte des Menschen die Geschichte – des wirklichen Individuums in der Form des Einzigen gegenüberstellen kann.

Die einzige Geschichte trägt sich anfangs in der Stoa zu Athen, später fast gänzlich in Deutschland und schließlich am Kupfergraben in Berlin zu, wo der Despot der »neueren Philosophie oder Zeit« seine Hofburg aufgeschlagen hatte. Schon daraus geht hervor, welch eine ausschließlich nationale und lokale Angelegenheit hier verhandelt wird. Statt der Weltgeschichte gibt der heilige Max uns einige, noch dazu höchst dürftige und schiefe Glossen über die Geschichte der deutschen Theologie und Philosophie. Wenn wir einmal zum Schein aus Deutschland heraustreten, so geschieht es nur,[167] um die Taten und Gedanken andrer Völker, z.B. die französische Revolution, in Deutschland und zwar am Kupfergraben »Ihr letztes Absehen erreichen« zu lassen. Nur deutsch-nationale Tatsachen werden zitiert, nach deutsch-nationaler Weise werden sie verhandelt und aufgefaßt, und das Resultat bleibt ein national-deutsches. Aber auch damit ist es nicht genug. Die Auffassung und Bildung unsres Heiligen ist nicht nur deutsch, sie ist durch und durch berlinisch. Die Rolle, die der Hegelschen Philosophie erteilt wird, ist dieselbe, die sie in Berlin spielt, und Stirner verwechselt nun Berlin mit der Welt und ihrer Geschichte. Der »Jüngling« ist ein Berliner, die guten Bürger, die uns im ganzen Buche begegnen, sind Berliner Weißbierphilister. Mit solchen Prämissen kommt man natürlich nur zu einem innerhalb der Nationalität und Lokalität befangenen Resultate. »Stirner« und seine ganze philosophische Bruderschaft, deren Schwächster und Unwissendster er ist, liefern den praktischen Kommentar zu dem wackern Verslein des wackern Hoffmann von Fallersleben:


Nur in Deutschland, nur in Deutschland,

Da möcht' ich ewig leben.


Das Berliner Lokalresultat unsres wackern Heiligen, daß die ganze Welt in der Hegelschen Philosophie alle jeworden sei, befähigt ihn nun, ohne große Unkosten zu einem »eignen« Weltreich zu kommen. Die Hegelsche Philosophie hat Alles in Gedanken, in das Heilige, in Spuk, in Geist, in Geister, in Gespenster verwandelt. Diese wird »Stirner« bekämpfen, in seiner Einbildung überwinden und auf ihren Leichen sein »eignes«, »einziges«, »leibhaftiges« Weltreich, das Weltreich des »ganzen Kerls« stiften.

»Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren dieser Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.« Epheser 6, 12.

Jetzt ist »Stirner« »an Beinen gestiefelt, als fertig zu treiben« den Kampf gegen die Gedanken. Den »Schild des Glaubens« braucht er nicht erst zu »ergreifen«, da er ihn nie aus den Händen gegeben hat. Mit dem »Helm« des Unheils und dem »Schwert« der Geistlosigkeit (vergl. ibid.) gewappnet, zieht er in den Kampf. »Und es ward ihm gegeben, zu streiten wider das Heilige«, aber nicht, es »zu besiegen«, (Offenb[arung] Joh[annis] 13, 7.)

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 156-168.
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