A) Der politische Liberalismus

[176] Der Schlüssel zu Sankt Maxens und seiner Vorgänger Kritik des Liberalismus ist die Geschichte des deutschen Bürgertums. Wir lieben einige Momente dieser Geschichte seit der französischen Revolution hervor.

Der Zustand Deutschlands am Ende des vorigen Jahrhunderts spiegelt sich vollständig ab in Kants »Critik der practischen Vernunft«. Wahrend die französische Bourgeoisie sich durch die kolossalste Revolution, die die Geschichte kennt, zur Herrschaft aufschwang und den europäischen Kontinent eroberte, während die bereits politisch emanzipierte englische Bourgeoisie die Industrie revolutionierte und sich Indien politisch und die ganze andere[176] Welt kommerziell unterwarf, brachten es die ohnmächtigen deutschen Bürger nur zum »guten Willen«. Kant beruhigte sich bei dem bloßen »guten Willen«, selbst wenn er ohne alles Resultat bleibt, und setzte die Verwirklichung dieses guten Willens, die Harmonie zwischen ihm und den Bedürfnissen und Trieben der Individuen, ins Jenseits. Dieser gute Wille Kants entspricht vollständig der Ohnmacht, Gedrücktheit und Misere der deutschen Bürger, deren kleinliche Interessen nie fähig waren, sich zu gemeinschaftlichen, nationalen Interessen einer Klasse zu entwickeln, und die deshalb fortwährend von den Bourgeois aller andern Nationen exploitiert wurden. Diesen kleinlichen Lokalinteressen entsprach einerseits die wirkliche lokale und provinzielle Borniertheit, andrerseits die kosmopolitische Aufgeblähtheit der deutschen Bürger. Überhaupt hatte seit der Reformation die deutsche Entwicklung einen ganz kleinbürgerlichen Charakter erhalten. Der alte Feudaladel war größtenteils in den Bauernkriegen vernichtet worden; was übrigblieb, waren entweder reichsunmittelbare Duodezfürsten, die sich allmählich eine ziemliche Unabhängigkeit verschafften und die absolute Monarchie im kleinsten und kleinstädtischsten Maßstabe nachahmten, oder kleinere Grundbesitzer, die teils ihr bißchen Vermögen an den kleinen Höfen durchbrachten und dann von kleinen Stellen in den kleinen Armeen und Regierungsbüros lebten – oder Krautjunker, die ein Leben führten, dessen sich der bescheidenste englische Squire oder französische gentilhomme de province geschämt hätte. Der Ackerbau wurde auf eine Weise betrieben, die weder Parzellierung noch große Kultur war und die trotz der fortdauernden Hörigkeit und Fronlasten die Bauern nie zur Emanzipation forttrieb, sowohl weil diese Art des Betriebes selbst keine aktiv revolutionäre Klasse aufkommen ließ, als auch weil ihr die einer solchen Bauernklasse entsprechende revolutionäre Bourgeoisie nicht zur Seite stand.

Was die Bürger betrifft, so können wir hier nur ein paar bezeichnende Momente hervorheben. Bezeichnend ist, daß die Leinenmanufaktur, d.h. die auf dem Spinnrad und Handwebstuhl beruhende Industrie, in Deutschland gerade zu derselben Zeit zu einiger Bedeutung kam, als in England diese unbeholfenen Instrumente durch Maschinen verdrängt wurden. Am bezeichnendsten ist ihre Stellung zu Holland. Holland, der einzige Teil der Hanse, der zu kommerzieller Bedeutung kam, riß sich los, schnitt Deutschland bis auf zwei Häfen (Hamburg und Bremen) vom Welthandel ab und beherrschte seitdem den ganzen deutschen Handel. Die deutschen Bürger waren zu ohnmächtig, der Exploitation durch die Holländer Schranken zu setzen. Die[177] Bourgeoisie des kleinen Hollands mit ihren entwickelten Klasseninteressen war mächtiger als die viel zahlreicheren Bürger Deutschlands mit ihrer Interesselosigkeit und ihren zersplitterten kleinlichen Interessen. Der Zersplitterung der Interessen entsprach die Zersplitterung der politischen Organisation, die kleinen Fürstentümer und die freien Reichsstädte. Wo sollte politische Konzentration in einem Lande herkommen, dem alle ökonomischen Bedingungen derselben fehlten? Die Ohnmacht jeder einzelnen Lebenssphäre (man kann weder von Ständen noch von Klassen sprechen, sondern höchstens von gewesenen Ständen und ungebornen Klassen) erlaubte keiner einzigen, die ausschließliche Herrschaft zu erobern. Die notwendige Folge davon war, daß während der Epoche der absoluten Monarchie, die hier in ihrer allerverkrüppeltsten, halb patriarchalischen Form vorkam, die besondre Sphäre, welcher durch die Teilung der Arbeit die Verwaltung der öffentlichen Interessen zufiel, eine abnorme Unabhängigkeit erhielt, die in der modernen Bürokratie noch weiter getrieben wurde. Der Staat konstituierte sich so zu einer scheinbar selbständigen Macht und hat diese in andern Ländern nur vorübergehende Stellung – Übergangsstufe – in Deutschland bis heute behalten. Aus dieser Stellung erklärt sich sowohl das anderwärts nie vorkommende redliche Beamtenbewußtsein wie die sämtlichen in Deutschland kursierenden Illusionen über den Staat, wie die scheinbare Unabhängigkeit, die die Theoretiker hier gegenüber den Bürgern haben – der scheinbare Widerspruch zwischen der Form, in der diese Theoretiker die Interessen der Bürger aussprechen, und diesen Interessen selbst.

Die charakteristische Form, die der auf wirklichen Klasseninteressen beruhende französische Liberalismus in Deutschland annahm, finden wir wieder bei Kant. Er sowohl wie die deutschen Bürger, deren beschönigender Wortführer er war, merkten nicht, daß diesen theoretischen Gedanken der Bourgeois materielle Interessen und ein durch die materiellen Produktionsverhältnisse bedingter und bestimmter Wille zugrunde lag; er trennte daher diesen theoretischen Ausdruck von den Interessen, die er ausdrückt, machte die materiell motivierten Bestimmungen des Willens der französischen Bourgeois zu reinen Selbstbestimmungen des »freien Willens«, des Willens an und für sich, des menschlichen Willens, und verwandelte ihn so in rein ideologische Begriffsbestimmungen und moralische Postulate. Die deutschen Kleinbürger schauderten daher auch vor der Praxis dieses energischen Bourgeoisliberalismus zurück, sobald diese sowohl in der Schreckensherrschaft als in dem unverschämten Bourgeoiserwerb hervortrat.[178]

Unter der Herrschaft Napoleons trieben die deutschen Bürger ihren Meinen Schacher und ihre großen Illusionen noch weiter. Über den Schachergeist, der damals in Deutschland herrschte, kann Sankt Sancho u. a. Jean Paul vergleichen, um ihm allein zugängliche belletristische Quellen zu zitieren. Die deutschen Bürger, die über Napoleon schimpften, weil er sie Zichorien zu trinken zwang und ihren Landfrieden durch Einquartierung und Konskription störte, verschwendeten ihren ganzen moralischen Haß an ihn und ihre ganze Bewunderung an England; während Napoleon ihnen durch seine Reinigung des deutschen Augiasstalles und die Herstellung zivilisierter Kommunikationen die größten Dienste leistete und die Engländer nur auf die Gelegenheit warteten, sie à tort et à travers zu exploitieren. In gleich kleinbürgerlicher Weise bildeten sich die deutschen Fürsten ein, für das Prinzip der Legitimität und gegen die Revolution zu kämpfen, während sie nur die bezahlten Landsknechte der englischen Bourgeois waren. Unter diesen allgemeinen Illusionen war es ganz in der Ordnung, daß die zur Illusion privilegierten Stände, die Ideologen, die Schulmeister, die Studenten, die Tugendbündler, das große Wort führten und der allgemeinen Phantasterei und der Interesselosigkeit einen analogen, überschwenglichen Ausdruck gaben.

Durch die Julirevolution – da wir nur wenige Hauptpunkte andeuten, überspringen wir den Zwischenraum – wurden die der ausgebildeten Bourgeoisie entsprechenden politischen Formen den Deutschen von außen zugeschoben. Da die deutschen ökonomischen Verhältnisse noch bei weitem nicht die Entwicklungsstufe erreicht hatten, der diese politischen Formen entsprachen, so akzeptierten die Bürger diese Formen nur als abstrakte Ideen, an und für sich gültige Prinzipien, fromme Wünsche und Phrasen, Kantsche Selbstbestimmungen des Willens und der Menschen, wie sie sein sollen. Sie verhielten sich daher viel sittlicher und uninteressierter zu ihnen als andre Nationen; d.h., sie machten eine höchst eigentümliche Borniertheit geltend und blieben mit allen ihren Bestrebungen ohne Erfolg.

Endlich drückte die immer heftiger werdende Konkurrenz des Auslandes und der Weltverkehr, dem sich Deutschland immer weniger entziehen konnte, die deutschen zersplitterten Lokalinteressen zu einer gewissen Gemeinsamkeit zusammen. Die deutschen Bürger begannen, namentlich seit 1840, auf die Sicherstellung dieser gemeinsamen Interessen zu denken; sie wurden national und liberal und verlangten Schutzzölle und Konstitutionen. Sie sind also jetzt beinahe so weit wie die französischen Bourgeois 1789.[179]

Wenn man, wie die Berliner Ideologen, den Liberalismus und den Staat, selbst innerhalb der deutschen Lokaleindrücke stehend, beurteilt oder gar auf die Kritik der deutschbürgerlichen Illusionen über den Liberalismus sich beschränkt, statt ihn im Zusammenhange mit den wirklichen Interessen aufzufassen, aus denen er hervorgegangen ist und mit denen zusammen er allein wirklich existiert, kommt man natürlich zu den abgeschmacktesten Resultaten von der Welt. Dieser deutsche Liberalismus, wie er sich bis zur neuesten Zeit hin noch aussprach, ist, wie wir gesehen haben, schon in seiner populären Form Schwärmerei, Ideologie über den wirklichen Liberalismus. Wie leicht also, seinen Inhalt ganz in Philosophie, in reine Begriffsbestimmungen, in »Vernunfterkenntnis« zu verwandeln! Ist man also gar so unglücklich, selbst den verbürgerten Liberalismus nur in der sublimierten Gestalt zu kennen, die Hegel und die von ihm abhängigen Schulmeister ihm gegeben haben, so gelangt man zu Schlußfolgerungen, die ausschließlich ins Reich des Heiligen gehören. Sancho wird uns hiervon ein trauriges Exempel liefern.

»Man hat in jüngster Zeit« in der aktiven Welt »so viel von« der Herrschaft der Bourgeois »gesprochen, daß man sich nicht wundern darf, wenn die Kunde davon«, schon durch den von dem Berliner Buhl übersetzten L. Blanc pp., »auch nach Berlin gedrungen ist« und daselbst die Aufmerksamkeit gemütlicher Schulmeister auf sich gezogen hat (Wigand, p. 190). Man kann indes nicht sagen, daß »Stirner« in seiner Methode der Aneignung der kursierenden Vorstellungen sich »eine besonders gewinnreiche und einträgliche Wendung angewöhnt« habe (Wig[and] ibid.), wie bereits aus seiner Ausbeutung Hegels hervorging und sich nun eines weiteren ergeben wird.

Es ist unserm Schulmeister nicht entgangen, daß in neuester Zeit die Liberalen mit den Bourgeois identifiziert wurden. Weil Sankt Max die Bourgeois mit den guten Bürgern, den kleinen Deutschbürgern identifiziert, faßt er das ihm Tradierte nicht, wie es wirklich ist und von allen kompetenten Schriftstellern ausgeprochen wurde – nämlich so, daß die liberalen Redensarten der idealistische Ausdruck der realen Interessen der Bourgeoisie seien, sondern umgekehrt, daß der letzte Zweck des Bourgeois der sei, ein vollendeter Liberaler, ein Staatsbürger zu werden. Ihm ist nicht der bourgeois die Wahrheit des citoyen, ihm ist der citoyen die Wahrheit des bourgeois. Diese ebenso heilige als deutsche Auffassung geht so weit, daß uns p. 130 »das Bürgertum« (soll heißen die Herrschaft der Bourgeoisie) in einen »Gedanken, nichts als einen Gedanken« verwandelt wird und »der Staat« als »der wahre Mensch« auftritt, der den einzelnen Bourgeois in den »Menschenrechten« die Rechte »des« Menschen, die wahre Weihe erteilt – Alles das, nachdem die Illusionen über den Staat und die Menschenrechte bereits in den »DeutschFranzösischen[180] Jahrbüchern« hinlänglich aufgedeckt waren41, eine Tatsache, die Sankt Max im »apologetischen Kommentar« anno 1845 endlich merkt. So kann er nun den Bourgeois, indem er ihn als Liberalen von sich als empirischem Bourgeois trennt, in den heiligen Liberalen, wie den Staat in »das Heilige« und das Verhältnis des Bourgeois zum modernen Staat in ein heiliges Verhältnis, in Kultus verwandeln (p. 131), womit er eigentlich seine Kritik über den politischen Liberalismus schon beschlossen hat. Er hat ihn in »das Heilige« verwandelt42.

Wir wollen hier einige Exempel davon geben, wie Sankt Max dieses sein Eigentum mit historischen Arabesken herausputzt. Hierzu benutzt er die französische Revolution, für die ihm sein Geschichtsmakler, der heilige Bruno, einen kleinen Lieferungskontrakt auf wenige Data vermittelt hat.

Vermittelst einiger Worte Baillys, die wieder durch des heiligen Bruno »Denkwürdigkeiten« vermittelt sind, »erlangen« durch die Berufung der Generalstaaten »die bisherigen Untertanen das Bewußtsein, daß sie Eigentümer seien« (p. 132). Umgekehrt, mon brave die bisherigen Eigentümer betätigen dadurch ihr Bewußtsein, daß sie keine Untertanen mehr sind – ein Bewußtsein, das schon längst erlangt war, z.B. in den Physiokraten, und polemisch gegen die Bourgeois bei Linguet, »Théorie des lois civiles«, 1767, Mercier, Mably, überhaupt den Schriften gegen die Physiokraten. Dieser Sinn wurde auch sogleich erkannt im Anfange der Revolution, z.B. von Brissot, Fauchet, Marat, im Cercle social und von sämtlichen demokratischen Gegnern Lafayettes. Hätte der heilige Max die Sache so gefaßt, wie sie sich unabhängig von seinem Geschichtsmakler zutrug, so würde er sich nicht wundern, daß »Baillys Worte freilich so klingen, [als wäre nun jeder ein Eigentümer...«]

[... »Stirner« glaubt, »›den guten Bü]rgern‹ kann es gleich (gelten, wer sie) und ihre Prinzipien [schützt, ob ei]n absoluter oder konstitutioneller[181] König, eine Republik usw.« – Den »guten Bürgern«, die in einem Berliner Keller ihr stilles Weißbier trinken. Ist dies allerdings »jleichjültig«; aber den historischen Bourgeois ist dies keineswegs gleich. Der »gute Bürger« »Stirner« bildet sich hier wieder ein, wie überhaupt im ganzen Abschnitte, die französischen, amerikanischen und englischen Bourgeois seien gute Berliner Weißbierphilister. Der obige Satz heißt, aus der Form der politischen Illusion in gutes Deutsch übersetzt: Den Bourgeois »kann es gleichgültig sein«, ob sie unumschränkt herrschen oder ob andre Klassen ihrer politischen und ökonomischen Macht die Waage halten. Sankt Max glaubt, ein absoluter König oder sonst jemand könne die Bourgeois ebensogut schützen, wie sie sich selbst schützen. Und nun gar »ihre Prinzipien«, die darin bestehen, die Staatsmacht dem chacun pour sol, chacun chez soi unterzuordnen, sie dafür zu exploitieren – das soll ein »absoluter König« können! Sankt Max möge uns das Land nennen, wo bei entwickelten Handels- und Industrieverhältnissen, bei einer großen Konkurrenz die Bourgeois sich von einem »absoluten König« schützen lassen.

Nach dieser Verwandlung der geschichtlichen Bourgeois in geschichtslose deutsche Philister braucht »Stirner« denn auch keine andern Bourgeois zu kennen als »behagliche Bürger und treue Beamte« (!!) – zwei Gespenster, die sich nur auf dem »heiligen« deutschen Boden sehn lassen dürfen – und die ganze Klasse als »gehorsame Diener« zusammenzufassen (p. 138). Er möge sich diese gehorsamen Diener auf der Börse von London, Manchester, New York und Paris einmal ansehen. Da Sankt Max im Zuge ist, kann er jetzt auch the whole hog gehen und einem bornierten Theoretiker der »Einundzwanzig Bogen« glauben, »der Liberalismus sei die Vernunfterkenntnis angewandt auf unsre bestehenden Verhältnisse«, und zu erklären, »die Liberalen seien Eiferer für die Vernunft«. Man sieht aus diesen [...] Phrasen, wie wenig die Deutschen [sich von] ihren ersten Illusionen über den Libera[lismus] erholt haben. »Abraham hat geglaubet auf Hoffnung, da Nichts zu hoffen war, – – und sein Glaube ward ihm gerechnet zur Gerechtigkeit.« Röm[er] 4, 18 und 22.

»Der Staat bezahlt gut, damit seine guten Bürger ohne Gefahr schlecht bezahlen können; er sichert sich seine Diener, aus denen er für die guten Bürger eine Schutzmacht, eine Polizei bildet, durch gute Bezahlung; und die guten Bürger entrichten gern hohe Abgaben an ihn, um desto niedrigere an ihre Arbeiter zu leisten.« p. 152.

Soll heißen: Die Bourgeois bezahlen ihren Staat gut und lassen die Nation dafür zahlen, damit sie ohne Gefahr schlecht bezahlen können; sie sichern[182] sich durch gute Bezahlung in den Staatsdienern eine Schutzmacht, eine Polizei; sie entrichten gern und lassen die Nation hohe Abgaben entrichten, um das, was sie zahlen, ihren Arbeitern gefahrlos als Abgabe (als Abzug am Arbeitslohn) wieder auflegen zu können. »Stirner« macht hier die neue ökonomische Entdeckung, daß der Arbeitslohn eine Abgabe, eine Steuer ist, die der Bourgeois dem Proletarier zahlt, während die andern, profanen Ökonomen die Steuern als eine Abgabe fassen, die der Proletarier dem Bourgeois zahlt.

Von dem heiligen Bürgertum kommt unser heiliger Kirchenvater nun ruf das Stirnersche »einzige« Proletariat (p. 148). Dies besteht aus »Industrierittern, Buhlerinnen, Dieben, Räubern und Mördern, Spielern, vermögenslosen Leuten ohne Anstellung und Leichtsinnigen« (ibid.). Sie sind »das gefährliche Proletariat« und reduzieren sich für einen Augenblick auf »einzelne Schreier«, dann endlich »Vagabonden«, deren vollendeter Ausdruck die »geistigen Vagabonden« sind, die sich nicht »in den Schranken einer gemäßigten Denkungsart halten«. – – »Solch weiten Sinn hat das sogenannte Proletariat oder« (per appos[itionem]) »der Pauperismus!« (p. 149.)

[Das Pro]letariat wird p. 151 [»dagegen vo]m Staate ausgesogen«. [Das] ganze Proletariat besteht also aus ruinierten Bourgeois und ruinierten Proletariern, aus einer Kollektion von Lumpen, die in jedem Zeitalter existiert haben und deren massenhafte Existenz nach dem Untergange des Mittelalters dem massenhaften Entstehen des profanen Proletariats vorherging, wie Sankt Max sich aus der englischen und französischen Gesetzgebung und Literatur überzeugen mag. Unser Heiliger hat ganz dieselbe Vorstellung vom Proletariat wie die »guten behaglichen Bürger« und namentlich die »treuen Beamten«. Er identifiziert konsequenterweise auch Proletariat und Pauperismus, während der Pauperismus die Lage nur des ruinierten Proletariats, die letzte Stufe ist, auf die der gegen den Druck der Bourgeoisie widerstandslos gewordene Proletarier versinkt, und nur der aller Energie beraubte Proletarier ein Pauper ist. Vgl. Sismondi, Wade etc. »Stirner« und Konsorten können z.B. in den Augen der Proletarier nach Umständen wohl für Paupers gelten, nie aber für Proletarier.

Dies sind Sankt Maxens »eigene« Vorstellungen von der Bourgeoisie und vom Proletariat. Da er aber mit diesen Imaginationen über Liberalismus, gute Bürger und Vagabunden natürlich zu Nichts kommt, so sieht er sich genötigt, um den Übergang auf den Kommunismus fertigzubringen, die wirklichen, profanen Bourgeois und Proletarier, soweit er sie vom Hörensagen kennt, hereinzubringen. Dies geschieht p. 151 und 152, wo das Lumpenproletariat sich in die »Arbeiter«, die profanen Proletarier, verwandelt und die Bourgeois[183] eine Reihe von »mancherlei Wandlungen« und »mannigfaltigen Brechungen« »mit der Zeit« »mitunter« durchmachen. Auf der einen Zeile heißt es: »Die Besitzenden herrschen« – profane Bourgeois; sechs Zeilen weiter: »Der Bürger ist, was er ist, durch die Gnade des Staats« – heilige Bourgeois; wieder sechs Zeilen weiter: »Der Staat ist der Status des Bürgertums« – profane Bourgeois; was dahin erklärt wird, daß »der Staat den Besitzenden« »ihren Besitz zu Lehen« gibt und daß das »Geld und Cut« der »Kapitalisten« – ein solches vom Staat zu »Lehen« übertragenes »Staatsgut« ist – heilige Bourgeois. Am Ende verwandelt sich dann dieser allmächtige Staat wieder in »den Staat der Besitzenden«, also der profanen Bourgeois, wozu dann eine spätere Stelle paßt: »Die Bourgeoisie wurde durch die Revolution allmächtig.« p. 156. Diese »seelenmarternden« und »gräßlichen« Widersprüche hätte selbst Sankt Max nie zustande gebracht, wenigstens nie zu promulgieren gewagt, wenn ihm nicht das deutsche Wort »Bürger«, das er nach Belieben als »citoyen« oder »bourgeois« oder als deutscher »guter Bürger« auslegen kann, zu Hülfe gekommen wäre.

Ehe wir weitergehen, müssen wir noch zwei große politisch-ökonomische Entdeckungen konstatieren, die unser Biedermann »in der Stille des Gemütes« »zutage fördert« und die mit der »Jünglingslust« von p. 17 das gemein haben, daß sie ebenfalls »reine Gedanken« sind.

p. 150 reduziert sich alles Unheil der bestehenden sozialen Verhältnisse darauf, daß »Bürger und Arbeiter an die ›Wahrheit‹ des Geldes glauben«. Jacques le bonhomme bildet sich hier ein, es hänge von den »Bürgern« und »Arbeitern« ab, die in allen zivilisierten Staaten der Welt zerstreut sind, morgen am Tage urplötzlich ihren »Unglauben« an die »Wahrheit des Geldes« zu Protokoll zu geben, er glaubt sogar, daß, wenn dieser Unsinn möglich sei, damit irgend etwas getan sei. Er glaubt, die »Wahrheit des Geldes« könne jeder Berliner Literat ebensogut abschaffen, wie er für seinen Kopf die »Wahrheit« Gottes oder der Hegelschen Philosophie abschafft. Daß das Geld ein notwendiges Produkt gewisser Produktions- und Verkehrsverhältnisse ist und eine »Wahrheit« bleibt, solange diese Verhältnisse existieren, das geht einen Heiligen wie Sankt Max, der gen Himmel schaut und der profanen Welt seinen profanen Hintern zudreht, natürlich Nichts an.

Die zweite Entdeckung wird auf p. 152 gemacht und geht dahin, daß »der Arbeiter seine Arbeit nicht verwerten kann«, weil er »Denen, die irgendein Staatsgut« »zu Lehen« erhalten haben, »in die Hände fällt«. Dies ist nur die Weitere Erklärung des schon früher zitierten Satzes von p. 151, daß der Arbeiter vom Staate ausgesogen wird. Hierbei »stellt« sogleich jeder »die einfache Reflexion an« – daß »Stirner« dies nicht tut, ist nicht »zu verwundern«-, wie es denn komme, daß der Staat nicht auch den »Arbeitern« irgendein[184] »Staatsgut« zum »Lehen« gegeben habe. Hätte Sankt Max sich diese Frage gestellt, so würde er sich seine Konstruktion des »heiligen« Bürgertums wahrscheinlich erspart haben, weil er dann hätte sehen müssen, in welchem Verhältnis die Besitzenden zum modernen Staat stehen.

Vermittelst des Gegensatzes von Bourgeoisie und Proletariat – das weiß selbst »Stirner« – kommt man auf den Kommunismus. Wie man aber darauf kommt, das weiß nur »Stirner«.

»Die Arbeiter haben die ungeheuerste Macht in Händen – – sie dürften nur die Arbeit einstellen und das Gearbeitete als das Ihrige ansehen und genießen. Dies ist der Sinn der hie und da auftauchenden Arbeiterunruhen,« p, 153.

Die Arbeiterunruhen, die bereits unter dem byzantinischen Kaiser Zeno ein Gesetz veranlaßten (Zeno, de novis operibus constitutio), die im 14. Jahrhundert in der Jacquerie und dem Aufstande von Wat Tyler, 1518 am evil may-day in London und 1549 im großen Aufstande des Gerbers Ket »auftauchten«, die dann den Act 2 und 3 Edward VI., 15 und eine Reihe ähnlicher Parlamentsakte veranlaßten, die bald darauf 1640 und 1659 (acht Aufstände in einem Jahre) in Paris vorkamen und schon seit dem vierzehnten Jahrhundert in Frankreich und England, der gleichzeitigen Gesetzgebung zufolge, häufig gewesen sein müssen – der beständige Krieg, der seit 1770 in England und seit der Revolution in Frankreich von den Arbeitern gegen die Bourgeois mit Gewalt und List geführt wird – Alles Das existiert für Sankt Max nur »hie und da«, in Schlesien, Posen, Magdeburg und Berlin, »wie deutsche Blätter melden«.

Das Gearbeitete würde, wie Jacques le bonhomme sich einbildet, als Gegenstand des »Ansehens« und »Genießens« immer fortexistieren und sich reproduzieren, wenn auch die Produzenten »die Arbeit einstellten«.

Wie oben beim Gelde, verwandelt unser guter Bürger hier wieder »die Arbeiter«, die in der ganzen zivilisierten Welt zerstreut sind, in eine geschlossene Gesellschaft, die nur einen Beschluß zu fassen hat, um sich aus allen Schwierigkeiten zu befreien. Sankt Max weiß natürlich nicht, daß allein seit 1830 in England wenigstens fünfzig Versuche gemacht wurden, daß in diesem Augenblicke noch einer gemacht wird, um die sämtlichen Arbeiter nur von England in eine einzige Assoziation zusammenzubringen, und daß höchst empirische Gründe das Gelingen aller dieser Projekte vereitelten. Er weiß nicht, daß selbst eine Minorität der Arbeiter, die sich zu einer Arbeitseinstellung vereinigt, sich sehr bald gezwungen sieht, revolutionär aufzutreten, eine Tatsache, die er an der englischen Insurrektion von 1842 und[185] früher schon an der welschen Insurrektion von 1839 hätte lernen können, in welchem Jahre die revolutionäre Aufregung unter den Arbeitern zuerst in dem »heiligen Monat«, der zugleich mit der allgemeinen Bewaffnung des Volks proklamiert wurde, einen umfassenden Ausdruck erhielt. Man sieht hier wieder, wie Sankt Max überall seinen Unsinn als »den Sinn« geschichtlicher Fakta an den Mann zu bringen sucht, was ihm höchstens bei seinem »Man« gelingt – geschichtlicher Fakta, »denen er seinen Sinn unterschiebt, die also auf einen Unsinn auslaufen mußten« (Wigand, p. 194). Übrigens fällt es keinem Proletarier ein, Sankt Max über »den Sinn« der proletarischen Bewegungen oder über das, was jetzt gegen die Bourgeoisie zu unternehmen sei, zu Rate zu ziehen.

Nach dieser großen Kampagne zieht sich unser heiliger Sancho mit folgender Fanfare zu seiner Maritornes zurück:

»Der Staat beruht auf der Sklaverei der Arbeit. Wird die Arbeit frei, so ist der Staat verloren.« (p. 153.)

Der moderne Staat, die Herrschaft der Bourgeoisie, beruht auf der Freiheit der Arbeit. Der heilige Max hat sich ja selbst, wie oft! freilich karikiert genug! aus den »Deutsch-Französischen Jahrbüchern« abstrahiert, daß mit der Freiheit der Religion, des Staats, des Denkens pp., also doch »mitunter« »wohl auch« »etwa« der Arbeit, nicht Ich, sondern nur Einer meiner Zwingherrn frei werde. Die Freiheit der Arbeit ist die freie Konkurrenz der Arbeiter unter sich. Sankt Max hat großes Unglück, wie in allen andern Sphären, so auch in der Nationalökonomie. Die Arbeit ist frei in allen zivilisierten Ländern; es handelt sich nicht darum, die Arbeit zu befreien, sondern sie aufzuheben.

41

in den »Deutsch-Franz[ösischen] Jahrb[üchern]« geschah dies, dem Zusammenhange gemäß, nur in Beziehung auf die Menschenrechte der französischen Revolution. Man kann übrigens diese ganze Auffassung der Konkurrenz als »der Menschenrechte« schon Ein Jahrhundert früher bei den Repräsentanten der Bourgeoisie nachweisen. (John Hamp[den], Petty, Boisguillebert, Child pp.) Über das Verhält[ms] der theoretischen Liberalen zu den Bourgeois vergleiche [oben] über das Verhältnis der Ideologen einer Klasse zu dieser Klasse selbst.

42

[Im Manuskript gestrichen:] womit für ihn alle Kritik »ihr letztes Absehen erreicht« und alle Kühe grau werden, womit er zugleich seine Unwissenheit über die wirkliche Grundlage und den wirklichen Inhalt der Bourgeoisieherrschaft gesteht.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 176-186.
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