C) Der humane Liberalismus

[214] Nachdem Sankt Max den Liberalismus und Kommunismus als unvollendete Existenzweisen des philosophischen »Menschen« und damit der neueren deutschen Philosophie überhaupt sich zurechtgemacht hat (wozu er insoweit berechtigt war, als nicht nur der Liberalismus, sondern auch der Kommunismus in Deutschland eine kleinbürgerliche und zugleich überschwenglich-ideologische Gestalt erhalten hat), ist es ihm nunmehr leicht, die neuesten Formen der deutschen Philosophie, den von ihm so genannten »humanen Liberalismus« als vollendeten Liberalismus und Kommunismus und zugleich als Kritik dieser beiden darzustellen.

Durch diese heilige Konstruktion ergeben sich nun folgende drei ergötzliche Wandlungen – (vgl. auch die Ökonomie des Alten Bundes):

1. Der Einzelne ist nicht der Mensch, darum gilt er nichts – kein persönlicher Wille, Ordonnanz – »dessen Namen wird man nennen«: »Herrenlos« – politischer Liberalismus, den wir schon oben behandelt haben.

2. Der Einzelne hat nichts Menschliches, darum gilt kein Mein und Dein oder Eigentum: »besitzlos« – Kommunismus, den wir ebenfalls schon behandelt haben.

3. Der Einzelne soll in der Kritik dem jetzt erst gefundenen Menschen Platz machen: »gottlos« = Identität von »Herrenlos« und »besitzlos« – humaner Liberalismus, p. 180, 181. – In der näheren Ausführung dieser letzteren negativen Einheit faßt sich die unerschütterliche Rechtgläubigkeit Jacques' zu folgender Spitze zusammen: p. 189:

»Der Egoismus des Eigentums hat sein Letztes eingebüßt, wenn auch das ›Mein Gott‹ sinnlos geworden ist, denn« (allergrößtes Denn!) »Gott ist nur, wenn ihm das Heil des Einzelnen am Herzen liegt, wie dieser in ihm sein Heil sucht.«

Hiernach hätte der französische Bourgeois erst dann sein »letztes« »Eigentum eingebüßt«, wenn das Wort adieu aus der Sprache verbannt [wäre]. Ganz im Einklang mit der bis[herigen] Konstruktion wird hier das Eigentum an Gott, das heilige Eigentum im Himmel, das Eigentum der Phantasie, die Phantasie des Eigentums für das höchste Eigentum und den letzten Notanker des Eigentums erklärt.

Aus diesen drei Illusionen über Liberalismus, Kommunismus und deutsche Philosophie braut er sich nun seinen neuen – diesmal, dem »Heiligen«[214] sei Dank, den letzten – Übergang zum »Ich«. Ehe wir ihm dahin folgen, wollen wir noch einen Blick auf seinen letzten »sauren Lebenskampf« mit dem »humanen Liberalismus« werfen.

Nachdem unser Biedermann Sancho in seiner neuen Rolle als caballero andante, und zwar als caballero de la tristisima figura die ganze Geschichte durchzogen, überall die Geister und Gespenster, die »Drachen und Straußen, Feldteufel und Kobolde, Marder und Geier, Rohrdommeln und Igel« (vgl. Jes[aia] 34, 11 – 14) bekämpft und »umgeblasen« hat, wie wohl muß ihm jetzt werden, wenn er nun endlich aus allen diesen verschiedenen Ländern auf seine Insel Barataria, in »das Land« als solches kommt, wo »der Mensch« in puris naturalibus herumläuft! Rufen wir uns noch einmal seinen Großen Satz, das ihm aufgebundene Dogma ins Gedächtnis, worauf seine ganze Geschichtskonstruktion beruht: daß

»die Wahrheiten, die sich aus dem Begriffe des Menschen ergeben, als Offenbarungen eben dieses Begriffes verehrt und – heilig gehalten werden«; den »Offenbarungen dieses heiligen Begriffs« werde selbst »durch Abschaffung mancher durch diesen Begriff manifestierten Wahrheiten nicht ihre Heiligkeit genommen.«. (p. 51.)

Wir brauchen kaum zu wiederholen, was wir dem heiligen Schriftsteller an allen seinen Beispielen nachgewiesen haben, daß man hinterher als Offenbarung des Begriffs »Mensch« konstruiert, darstellt, sich vorstellt, befestigt und rechtfertigt, was empirische, von den wirklichen Menschen in ihrem wirklichen Verkehr, keineswegs vom heiligen Begriff des Men[schen] geschaffene Verhältnisse sind. [Man] rufe sich auch seine Hierarchie [In das] Gedächtnis. Nun zum humanen [Liber]alismus.

[p. 4]4, wo Sankt Max »in Kürze« [»die theo]logische Ansicht Feuerbachs und Unsere [einander] gegenüberstellt«, wird Feuerbach zunächst Nichts entgegengestellt als eine Redensart. Wie wir schon bei der Geisterfabrikation sahen, wo »Stirner « seinen Magen unter die Sterne versetzt (dritter Dioskur, Schutzpatron gegen die Seekrankheit), weil er und sein Magen »verschiedene Namen für völlig Verschiedenes« sind (p. 42) – so erscheint das Wesen hier zunächst auch als existierendes Ding, und »so heißt es nun« p. 44:

»Das höchste Wesen ist allerdings das Wesen des Menschen, aber eben weil es sein Wesen und nicht er selbst ist, so bleibt es sich ganz gleich, ob wir es außer ihm sehen und als ›Gott‹ anschauen oder in ihm finden und ›Wesen des Menschen‹ oder ›der Mensch‹ nennen. Ich bin weder Gott noch der Mensch, weder das höchste Wesen noch Mein Wesen, und darum ist's in der Hauptsache einerlei, ob Ich das Wesen in Mir öde außer Mir denke[215]

Das »Wesen des Menschen« ist also hier als ein existierendes Ding vorausgesetzt, es ist »das höchste Wesen«, es ist nicht »Ich«, und Sankt Max, statt über »das Wesen« etwas zu sagen, beschränkt sich auf die einfache Erklärung, daß es jleichjültig ist, »ob Ich es in Mir oder außer Mir«, ob ich es in dieser oder jener Lokalität »denke«. Daß diese Gleichgültigkeit gegen das Wesen durchaus keine bloße Nachlässigkeit des Stils ist, geht schon daraus hervor, daß er selbst die Unterscheidung zwischen wesentlich und unwesentlich macht, daß bei ihm selbst sogar »das edle Wesen des Egoismus« p. 71 figurieren kann. Was übrigens bisher von deutschen Theoretikern über Wesen und Unwesen gesagt worden ist findet sich Alles schon viel besser bei Hegel in der »Logik«.

Wir fanden die grenzenlose Rechtgläubigkeit »Stirners« an die Illusionen der deutschen Philosophie darin konzentriert, daß er fortwährend der Geschichte als einzig handelnde Person »den Menschen« unterschiebt und glaubt, »der Mensch« habe die Geschichte gemacht. Wir werden dies jetzt auch wieder bei Feuerbach finden, dessen Illusionen er getreulichst akzeptiert, um darauf weiter fortzubauen.

p. 77. »Überhaupt bewirkt Feuerbach nur eine Umstellung von Subjekt und Prädikat, eine Bevorzugung des Letzteren. Da er aber selbst sagt: ›Die Liebe ist nicht dadurch heilig (und hat den Menschen niemals dadurch für heilig gegolten), daß sie ein Prädikat Gottes, sondern sie ist ein Prädikat Gottes, weil sie durch und für sich selbst göttlich ist‹, so konnte er finden, daß der Kampf gegen die Prädikate selbst eröffnet werden mußte, gegen die Liebe und alle Heiligkeiten. Wie durfte er hoffen, die Menschen von Gott abzuwenden, wenn er ihnen das Göttliche ließ? Und ist ihnen, wie Feuerbach sagt, Gott selbst nie die Hauptsache gewesen, sondern nur seine Prädikate, so konnte er ihnen immerhin den Flitter noch länger lassen, da ja die Puppe doch blieb, der eigentliche Kern.«

Weil Feuerbach also »selbst« das sagt, so ist das Grund genug für Jacques le bonhomme, ihm zu glauben, daß den Menschen die Liebe gegolten habe, weil sie »durch und für sich selbst göttlich ist«. Wenn nun gerade das Umgekehrte von dem, was Feuerbach sagt, stattfand – und wir »erkühnen uns, dies zu sagen« (Wigand, p. 157) –, wenn den Menschen weder Gott noch seine Prädikate jemals die Hauptsache gewesen sind, wenn dies selbst nur die religiöse Illusion der deutschen Theorie ist – so passiert also unsrem Sancho dasselbe, was ihm bereits bei Cervantes passierte, als man ihm vier Pfähle unter seinen Sattel stellte, da er schlief, und seinen Grauen unter ihm wegzog.

Auf diese Aussagen Feuerbachs gestützt, beginnt Sancho den Kampf, der ebenfalls bereits bei Cervantes am neunzehnten vorgezeichnet steht, da der[216] ingenioso hidalgo gegen die Prädikate kämpft, die Vermummten, so den Leichnam der Welt zu Grabe tragen, und die, in ihren Talaren und Leichenmänteln verwickelt, sich nicht regen können und es unsrem Hidalgo leicht machen, sie mit seiner Stange umzurennen und weidlich abzuprügeln. Der letzte Versuch, die nun bis zur Ermüdung durchgepeitschte Kritik der Religion als einer eignen Sphäre weiter auszubeuten. Innerhalb der Voraussetzungen der deutschen Theorie stehenzubleiben und doch sich den Schein zu geben, als trete man heraus, aus diesem bis zur letz[ten] Faser abgenagten Knochen noch [eine Ru]mfordsche breite Bettelsuppe [für »das] Buch« zu kochen, bestand darin, die materiellen Verhältnisse nicht in ihrer wirklichen Gestalt, nicht einmal in der profanen Illusion der in der heutigen Welt praktisch Befangenen, sondern in dem himmlischen Extrakt ihrer profanen Gestalt als Prädikate, als Emanationen Gottes, als Engel zu bekämpfen. So war nun das Himmelreich wieder bevölkert und der alten Manier der Exploitation dieses Himmelreichs wieder neues Material in Masse geschaffen. So war der Kampf mit der religiösen Illusion, mit Gott, wieder dem wirklichen Kampf untergeschoben. Sankt Bruno, dessen Broterwerb die Theologie ist, macht in seinen »sauren Lebenskämpfen« gegen die Substanz denselben Versuch pro aris et focis, als Theologe aus der Theologie herauszutreten. Seine »Substanz« ist Nichts als die in Einem Namen zusammengefaßten Prädikate Gottes; mit Ausschluß der Persönlichkeit, die er sich vorbehält – der Prädikate Gottes, die wieder nichts sind als die verhimmelten Namen von Vorstellungen der Menschen von ihren bestimmten empirischen Verhältnissen, Vorstellungen, die sie später aus praktischen Gründen heuchlerisch festhalten. Das empirische, materielle Verhalten dieser Menschen kann natürlich mit dem von Hegel ererbten theoretischen Rüstzeug auch nicht einmal verstanden werden. Indem Feuerbach die religiöse Welt als die Illusion der bei ihm selbst nur noch als Phrase vorkommenden irdischen Welt aufzeigte, ergab sich von selbst auch für die deutsche Theorie die von ihm nicht beantwortete Frage: Wie kam es, daß die Menschen sich diese Illusionen »in den Kopf setzten«? Diese Frage bahnte selbst für die deutschen Theoretiker den Weg zur materialistischen, nicht voraussetzungslosen, sondern die wirklichen materiellen Voraussetzungen als solche empirisch beobachtenden und darum erst wirklich kritischen Anschauung der Welt. Dieser Gang war schon angedeutet in den »Deutsch-Französischen Jahrbüchern« in der »Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie« und »Zur Judenfrage«. Da dies damals noch in philosophischer Phraseologie geschah, so gaben die hier traditionell unterlaufenden[217] philosophischen Ausdrücke wie »menschliches Wesen«, »Gattung« pp. den deutschen Theoretikern die erwünschte Veranlassung, die wirkliche Entwicklung zu mißverstehen und zu glauben, es handle sich hier wieder nur um eine neue Wendung ihrer abgetragenen theoretischen Röcke – wie denn auch der Dottore Graziano der deutschen Philosophie, der Doktor Arnold Ruge, glaubte, er dürfe hier noch fortwährend mit seinen unbeholfenen Gliedmaßen um sich schlagen und seine pedantisch-burleske Maske zur Schau tragen. Man muß »die Philosophie beiseite liegenlassen« (Wig[and,] p. 187, vgl. Heß, »Die letzten Philosophen«, p. 8), man muß aus ihr herausspringen und sich als ein gewöhnlicher Mensch an das Studium der Wirklichkeit geben, wozu auch literarisch ein ungeheures, den Philosophen natürlich unbekanntes Material vorliegt; und wenn man dann einmal wieder Leute wie Krummacher oder »Stirner« vor sich bekommt, so findet man, daß man sie längst »hinter« und unter sich hat. Philosophie und Studium der wirklichen Welt verhalten sich zueinander wie Onanie und Geschlechtsliebe. Sankt Sancho, der trotz seiner von uns mit Geduld und von ihm mit Emphase konstatierten Gedankenlosigkeit innerhalb der Welt der reinen Gedanken stehenbleibt, kann natürlich nur durch ein moralisches Postulat, durch das Postulat der »Gedankenlosigkeit«, sich vor ihr retten (p. 196 des »Buchs«). Er ist der Bürger, der sich durch die banqueroute cochonne vor dem Handel rettet, wodurch er natürlich kein Proletarier, sondern unbemittelter bankerutter Bürger wird. Er wird nicht Weltmann, sondern gedankenloser, bankerutter Philosoph.

Die von Feuerbach überlieferten Prädikate Gottes als wirkliche Mächte über die Menschen, als Hierarchen, sind der der empirischen Welt untergeschobne Wechselbalg, den »Stirner« vorfindet. So sehr beruht seine ganze »Eigenheit« nur auf »Eingegebnem«. Wenn »Stirner« (s. auch p. 63) Feuerbach vorwirft, er komme zu Nichts, weil er das Prädikat zum Subjekt mache und umgekehrt, [so] kann er nur noch zu viel weniger kommen, [weil] er diese Feuerbachschen, zu Sub[jekten gemac]hten Prädikate als wirkliche [die Welt behe]rrschende Persönlichkeiten, diese Phrasen über die Verhältnisse als die wirklichen Verhältnisse treulichst akzeptiert. Ihnen das Prädikat heilig beilegt, dies Prädikat in ein Subjekt, »das Heilige«, verwandelt, also ganz dasselbe tut, was er Feuerbach zum Vorwurf macht, und nun, nachdem er hierdurch den bestimmten Inhalt, um den es sich handelte, gänzlich losgeworden ist, gegen dies »Heilige«, das natürlich immer dasselbe bleibt, seinen Kampf, d.h. seinen »Widerwillen« eröffnet. Bei Feuerbach ist noch das Bewußtsein, was ihm Sankt Max zum Vorwurf macht, »daß es sich bei ihm ›nur um die Vernichtung einer Illusion handelt‹« (p. 77 »des Buchs«) – obgleich Feuerbach dem Kampfe gegen diese Illusion noch viel zu große Wichtigkeit beilegt. Bei[218] »Stirner« ist auch dies Bewußtsein »alle jeworden«, er glaubt wirklich an die Herrschaft der abstrakten Gedanken der Ideologie in der heutigen Welt, er glaubt, in seinem Kampfe gegen die »Prädikate«, die Begriffe, nicht mehr eine Illusion, sondern die wirklichen Herrschermächte der Welt anzugreifen. Daher seine Manier, alles auf den Kopf zu stellen, daher seine enorme Leichtgläubigkeit, mit der er alle scheinheiligen Illusionen, alle heuchlerischen Beteuerungen der Bourgeoisie für bare Münze nimmt. Wie wenig übrigens »die Puppe« »der eigentliche Kern« »des Flitters« und wie lahm dies schöne Gleichnis ist zeigt sich am besten an »Stirners« eigner »Puppe« – »dem Buch« –, an dem gar kein, weder »eigentlicher« noch un-»eigentlicher« »Kern« vorhanden ist und wo selbst das Wenige, was auf den 491 Seiten vorhanden ist, kaum den Namen »Flitter« verdient. – Sollen wir aber einmal einen »Kern« darin finden, so ist dieser Kern – der deutsche Kleinbürger.

Woher übrigens Sankt Maxens Haß gegen die »Prädikate« stammt, darüber gibt er selbst im apologetischen Kommentar einen höchst naiven Aufschluß. Er zitiert folgende Stelle aus dem »Wesen des Christenthums«, p. 31 : »Ein wahrer Atheist ist nur der, welchem die Prädikate des göttlichen Wesens, wie z.B. die Liebe, die Weisheit, die Gerechtigkeit Nichts sind, aber nicht der, welchem nur das Subjekt dieser Prädikate Nichts ist« – und ruft dann triumphierend aus: »Trifft dies nicht bei Stirner ein?« – »Hier ist Weisheit.« Sankt Max fand in obiger Stelle einen Wink, wie man es anfangen müsse, um »am Allerweitesten« zu gehen. Er glaubt Feuerbach, daß dies Obige das »Wesen« des »wahren Atheisten« sei und läßt sich nun von ihm die »Aufgabe« stellen, der »wahre Atheist« zu werden. Der »Einzige« ist »der wahre Atheist«.

Noch viel leichtgläubiger als gegen Feuerbach »machiniert« er gegen Sankt Bruno oder »die Kritik«. Was er sich alles von »der Kritik« aufbinden läßt, wie er sich unter ihre Polizeiaufsicht stellt, wie sie ihm seine Lebensart, seinen »Beruf« eingibt – wir werden das allgemach sehen. Einstweilen genügt als Probe seines Glaubens an die Kritik, daß er p. 186 »Kritik« und »Masse« als zwei Personen behandelt, die gegeneinander kämpfen und »sich vom Egoismus zu befreien suchen«, und p. 187 Beide »für das nimmt, wofür sie sich – ausgeben«.

Mit dem Kampf gegen den humanen Liberalismus ist der lange Kampf des Alten Bundes, wo der Mensch ein Zuchtmeister auf den Einzigen war, beendigt; die Zeit ist erfüllet und das Evangelium der Gnade und Freude bricht herein über die sündige Menschheit.[219]

Der Kampf um »den Menschen« ist die Erfüllung des Wortes, das da geschrieben steht bei Cervantes am einundzwanzigsten, »welches von dem hohen Abenteuer und reichen Gewinnung des Helmes Mambrins handelt«. Unser Sancho, der seinem ehemaligen Herrn und jetzigen Knecht Alles nachmacht, hat »den Schwur getan, den Helm Mambrins« – den Menschen – für sich »zu erobern«. Nachdem er in seinen verschiedenen »Auszügen« den ersehnten Helm bei den Alten und Neuen, Liberalen und Kommunisten vergebens gesucht hat, »sieht er einen Menschen zu Pferde, der auf seinem Kopfe etwas trägt, welches leuchtet, als wenn es von Gold wäre«, und spricht zu Don Quijote-Szeliga: »Wenn Ich mich nicht täusche, so kommt Einer dort zu uns heran, der auf seinem Haupte den Helm Mambrins trägt, wegen dessen Ich den Schwur getan habe, so du weißest.« »Nehme sich Eure Herrlichkeit wohl in Acht, was sie sagen und noch mehr, was sie tun«, erwidert der im Laufe der Zeit klug gewordene Don Quijote. »Sage Mir, siehst du nicht jenen Ritter, der zu uns herankommt auf einem graugefleckten Roß, und hat auf seinem Haupte einen goldenen Helm?« – »Was Ich sehe und gewahre«, erwidert Don Quijote, »ist nur ein Kerl auf einem grauen Esel wie der Eurige, welcher auf seinem Kopfe etwas trägt, was glänzt.« – »Also das ist der Helm des Mambrin«, sagt Sancho.

Unterdessen kam der heilige Bar hier Bruno auf seinem Eselein, der Kritik, ruhig herangetrabt, mit seinem Barbierbecken auf dem Kopfe; Sankt Sancho legt seine Lanze auf ihn ein. Sankt Bruno springt von seinem Esel, läßt das Becken liegen (wie wir ihn denn auch hier im Konzil ohne dies Becken auftreten sahen) und läuft querfeldein, »weil er der Kritiker selber ist«. Sankt Sancho nimmt hocherfreut den Mambrinshelm auf, und als Don Quijote bemerkt: er sehe einem Barbierbecken vollkommen ähnlich, antwortet Sancho: »Ohne Zweifel ist dieses famose Stück des verzauberten, ›spukhaft‹ gewordenen Helmes in die Hand eines Menschen gefallen, der seinen Wert nicht zu schätzen wußte, die eine Hälfte einschmolz und die andre so zurechtgehämmert, daß sie, wie du sagst, ein Barbierbecken zu sein scheint; er möge übrigens für profane Augen aussehen, wie er wolle, für Mich, der Ich seinen Wert kenne, ist das einerlei.«

»Die zweite Herrlichkeit, das zweite Eigentum ist nun erworben!«

Jetzt, nachdem er »den Menschen«, seinen Helm, erworben hat, stellt er sich ihm gegenüber, verhält sich zu ihm wie zu seinem »unversöhnlichsten Feind« und erklärt ihm rundheraus (warum, werden wir später sehen), daß Er (Sankt Sancho) nicht »der Mensch«, sondern »der Unmensch, das Unmenschliche« sei. Als dieses »Unmenschliche« zieht er nun auf die Sierra Morena, um sich durch Büßungen auf die Herrlichkeit des Neuen Bundes[220] vorzubereiten. Dort zieht er sich »splitternackt« aus (p. 184), um seine Eigenheit zu erlangen und um Das zu übertreffen, was sein Vorläufer bei Cervantes am fünfundzwanzigsten tut: »Und sich mit aller Eile der Hosen entkleidend, blieb er halbnackt im Hemde und machte, ohne sich zu besinnen, zwei Bocksprünge in der Luft, den Kopf nach unten, die Beine nach oben, Dinge enthüllend, die seinen getreuen Schildknappen veranlaßten, Rozinante herumzuwerfen, um sie nicht zu sehen.« »Das Unmenschliche« übertrifft sein profanes Vorbild bei weitem. Es »kehrt entschloßnen Mutes sich selbst den Rücken und wendet sich dadurch auch von dem beunruhigenden Kritiker ab« und »läßt ihn stehen«. »Das Unmenschliche« läßt sich dann mit der »stehengelassenen« Kritik in eine Disputation ein, es »verachtet sich selbst«, es »denkt sich im Vergleich zu einem Andern«, es »befiehlt Gott«, es »sucht sein besseres Selbst außer sich«, es tut Buße dafür, daß es noch nicht einzig war, es erklärt sich für das Einzige, »das Egoistische und das Einzige« – obwohl es dies kaum noch zu erklären brauchte, nachdem es sich selbst entschloßnen Muts den Rücken gekehrt hat. Alles dies hat »das Unmenschliche« aus sich selbst vollbracht (siehe Pfister, »Geschichte der Teutschen«), und nun reitet Es auf seinem Grauen geläutert und triumphierend in das Reich des Einzigen ein.


Ende des Alten Testaments.[221]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 214-222.
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