2. Phänomenologie des mit sich einigen Egoisten oder die Lehre von der Rechtfertigung

[224] Wie wir bereits in der Ökonomie des Alten Bundes und später sahen. Ist Sankt Sanchos wahrer, mit sich einiger Egoist keineswegs mit dem trivialen Alltagsegoisten, dem »Egoisten im gewöhnlichen Verstande«, zu verwechseln. Er hat vielmehr sowohl diesen (den in der Welt der Dinge Befangenen, Kind, Neger, Alten pp.) wie den aufopfernden Egoisten (den in der Welt der Gedanken Befangenen, Jüngling, Mongole, Neuen pp.) zu seiner Voraussetzung. Es liegt Indes in der Natur der Geheimnisse des Einzigen, daß dieser Gegensatz und die aus ihm hervorgehende negative Einheit – der »mit sich einige Egoist« – erst hier. Im Neuen Bunde, betrachtet werden kann.

Da Sankt Max den »wahren Egoisten« als etwas ganz Neues, als das Ziel der bisherigen Geschichte darstellen will, so hat er einerseits den Aufopfernden, den Predigern des dévoûment, nachzuweisen, daß sie wider Willen Egoisten, und den Egoisten im gewöhnlichen Verstande, daß sie Aufopfernde, daß sie keine wahren, keine heiligen Egoisten sind. – Beginnen wir mit den erstern, den Aufopfernden.[224]

Zu unzähligen Malen sahen wir, daß in der Welt Jacques le bonhommes Alle vom Heiligen besessen sind. »Indessen macht es doch einen Unterschied«, ob »man gebildet oder ungebildet ist«. Die Gebildeten, die sich mit dem reinen Gedanken beschäftigen, treten uns hier als die vom Heiligen »Besessenen« par excellence entgegen. Sie sind in ihrer praktischen Gestalt die »Aufopfernden«.

»Wer ist denn aufopfernd? Vollständig« (!) »doch« (!!) »wohl« (!!!) »derjenige, der an Eins, Einen Zweck, Einen Willen, Eine Leidenschaft alles Andre setzt. – – ihn beherrscht eine Leidenschaft, der er die übrigen zum Opfer bringt. Und sind diese Aufopfernden etwa nicht eigennützig? Da sie nur Eine herrschende Leidenschaft haben, sorgen sie auch nur für Eine Befriedigung, aber für diese desto eifriger. Egoistisch ist ihr ganzes Tun und Treiben, aber es ist ein einseitiger, unaufgeschlossener, bornierter Egoismus; es ist Besessenheit.« p. 99.

Sie haben also nach Sankt Sancho nur eine herrschende Leidenschaft; sollen sie auch für die Leidenschaften sorgen, die nicht sie, sondern Andre haben, um sich zum allseitigen, aufgeschlossenen, unbeschränkten Egoismus zu erheben, um diesem fremden Maßstab des »heiligen« Egoismus zu entsprechen?

Beiläufig wird in dieser Stelle auch der »Geizige« und der »Vergnügungssüchtige« (wahrscheinlich, weil Stirner glaubt, er suche »das Vergnügen« als solches, das heilige Vergnügen, nicht die wirklichen Vergnügungen aller Art) ebenso wie »Robespierre z.B., Saint-Just usw.« (p. 100) als Exempel des »aufopfernden, besessenen Egoisten« angeführt. »Von einem gewissen Standpunkt der Sittlichkeit aus räsoniert man« (d.h. unser heiliger, »mit sich einiger Egoist«, von seinem eignen, mit sich höchst uneinigen Standpunkte aus) »etwa so«:

»Opfere Ich aber Einer Leidenschaft andere, so opfere Ich darum dieser Leidenschaft noch nicht Mich und opfere nichts von dem, wodurch Ich wahrhaft Ich selber bin.« (p. 386.)

Sankt Max ist durch diese beiden »mit sich uneinigen« Sätze dazu gezwungen, die »lumpige« Distinktion zu machen, daß man wohl sechs »z.B.«, sieben »usw.« Leidenschaften einer einzigen andern opfern dürfe, ohne aufzuhören, »wahrhaft Ich selber« zu sein, aber beileibe nicht zehn oder gar noch mehr Leidenschaften. Robespierre und Saint-Just waren allerdings nicht »wahrhaft Ich selber«, ebensowenig wie sie wahrhaft »der Mensch« waren, aber sie waren wahrhaft Robespierre und Saint-Just, diese einzigen, unvergleichlichen Individuen.[225]

Das Kunststück, den »Aufopfernden« nachzuweisen, daß sie Egoisten seien, ist ein alter Kniff, bereits bei Helvétius und Bentham hinlänglich exploitiert. Sankt Sanchos »eignes« Kunststück ist die Verwandlung der »Egoisten im gewöhnlichen Verstande«, der Bourgeois, in Nichtegoisten. Helvétius und Bentham weisen allerdings den Bourgeois nach, daß sie durch ihre Borniertheit sich praktisch schaden, aber Sankt Maxens »eignes« Kunststück besteht darin. Ihnen nachzuweisen, daß sie dem »Ideal«, dem »Begriff«, »Wesen«, »Beruf« pp. des Egoisten nicht entsprechen und sich nicht als absolute Negation zu sich selbst verhalten. Ihm schwebt wieder nur sein deutscher Kleinbürger vor. Nebenbei bemerkt rechnet unser Heiliger, während der »Geizige« p. 99 als »aufopfernder Egoist« figuriert, den »Habgierigen« p. 78 dagegen zu den »Egoisten im gewöhnlichen Verstande«, zu den »Unreinen, Unheiligen«.

Diese zweite Klasse der bisherigen Egoisten wird p. 99 so definiert:

»Diese Leute« (die Bourgeois) »sind also nicht aufopfernd, nicht begeistert, nicht ideal, nicht konsequent, keine Enthusiasten; sie sind im gewöhnlichen Verstande Egoisten, Eigennützige, auf ihren Vorteil bedacht, nüchtern, berechnend usw.«

Da »das Buch« nicht am Schnürchen geht, so hatten wir bereits beim »Sparren« und beim »politischen Liberalismus« Gelegenheit zu sehen, wie Stirner das Kunststück, die Bourgeois in Nichtegoisten zu verwandeln, hauptsächlich durch seine große Unkenntnis der wirklichen Menschen und Verhältnisse zustande bringt. Hier dient ihm dieselbe Unkenntnis zum Hebel.

»Dem« (d.h. der Stirnerschen Einbildung der Uneigennützigkeit) »widersetzt sich der starre Kopf des weltlichen Menschen, ist aber jahrtausendelang wenigstens so weit erlegen, daß er den widerspenstigen Nacken beugen und höhere Mächte verehren mußte.« (p. 104.) Die Egoisten im gewöhnlichen Verstand »betragen sich halb pfäffisch und halb weltlich, dienen Gott und dem Mammon« (p. 105.)

p. 78 erfahren wir: »Der Mammon des Himmels und der Gott der Erde fordern beide genau denselben Grad der Selbstverleugnung« – wonach nicht abzusehen ist, wie die Selbstverleugnung für den Mammon und die für Gott als »weltlich« und »pfäffisch« entgegengesetzt werden können.

p. [105,] 106 fragt sich Jacques le bonhomme:

»Wie kommt es indessen, daß der Egoismus derer, welche das persönliche Interesse behaupten, dennoch immer wieder einem pfäffischen oder schulmeisterlichen, d.h. einem idealen Interesse unterliegt?«

(Es ist hier beiläufig zu »signalisieren«, daß an dieser Stelle die Bourgeois als die Vertreter der persönlichen Interessen dargestellt werden.) Dies kommt daher:

[226] »Ihre Person kommt ihnen selbst zu klein, zu unbedeutend vor, und ist es in der Tat auch, um Alles in Anspruch zu nehmen und sich vollständig durchsetzen zu können. Ein sicheres Zeichen dafür liegt darin, daß sie sich selbst in zwei Personen, eine ewige und eine zeitliche, zerteilen, am Sonntage für die ewige, am Werkeltage für die zeitliche sorgen. Sie haben den Pfaffen in sich, darum werden sie ihn nicht los.«

Sancho fühlt hier Skrupel, er fragt besorgt, ob es der Eigenheit, dem Egoismus im außergewöhnlichen Verstand »ebenso gehen werde«?

Wir werden sehen, daß diese ängstliche Frage nicht ohne Grund getan wird. Ehe der Hahn zweimal gekräht, wird der heilige Jakobus (Jacques le bonhomme) dreimal sich selbst »Verleugnet« haben.

Er entdeckt zu seinem großen Mißvergnügen in der Geschichte, daß von den beiden in ihr hervortretenden Seiten, dem Privatinteresse der Einzelnen und dem sogenannten allgemeinen Interesse, das eine stets das andere begleitet. Und er entdeckt es wie gewöhnlich in einer falschen Form, in seiner heiligen Form, nach der Seite der Idealen Interessen, des Heiligen, der Illusion hin. Er fragt: Wie kommt es, daß die gewöhnlichen Egoisten, die Vertreter der persönlichen Interessen, zugleich unter der Herrschaft allgemeiner Interessen, der Schulmeister, daß sie unter der Hierarchie stehen? Er beantwortet seine Frage dahin, daß die Bürger etc. »sich zu klein vorkommen«, wovon er das »sichre Zeichen« darin findet, daß sie sich religiös verhalten, nämlich sich in eine zeitliche und ewige Person teilen, d.h., er erklärt ihr religiöses Verhalten aus ihrem religiösen Verhalten, nachdem er vorher den Kampf der allgemeinen und persönlichen Interessen in das Spiegelbild des Kampfes verwandelte, simpler Reflex innerhalb der religiösen Phantasie.

Was die Herrschaft des Ideals auf sich hat, siehe oben die Hierarchie.

Übersetzt man Sanchos Frage aus ihrer überschwenglichen Form in die profane Sprache, so »heißt es nun«:

Wie kommt es, daß die persönlichen Interessen sich den Personen zum Trotz immer zu Klasseninteressen fortentwickeln, zu gemeinschaftlichen Interessen, welche sich den einzelnen Personen gegenüber verselbständigen, in der Verselbständigung die Gestalt allgemeiner Interessen annehmen, als solche mit den wirklichen Individuen in Gegensatz treten und in diesem Gegensatz, wonach sie als allgemeine Interessen bestimmt sind, von dem Bewußtsein als ideale, selbst religiöse, heilige Interessen vorgestellt werden können? Wie kommt es, daß innerhalb dieser Verselbständigung der persönlichen Interessen zu Klasseninteressen das persönliche Verhalten des Individuums sich versachlichen, entfremden muß und zugleich als von ihm unabhängige, durch den Verkehr hervorgebrachte Macht ohne ihn besteht, sich[227] in gesellschaftliche Verhältnisse verwandelt, in eine Reihe von Mächten, welche ihn bestimmen, subordinieren und daher in der Vorstellung als »heilige« Mächte erscheinen? Hatte Sancho einmal das Faktum begriffen, daß innerhalb gewisser, natürlich nicht vom Wollen abhängiger Produktionsweisen stets fremde, nicht nur vom vereinzelten Einzelnen, sondern sogar von ihrer Gesamtheit unabhängige praktische Mächte sich über die Menschen setzen, so konnte es ihm ziemlich gleichgültig sein, ob dies Faktum religiös vorgestellt oder in der Einbildung des Egoisten, über den Alles in der Vorstellung sich setzt, dahin verdreht wird, daß er Nichts über, sich setzt. Sancho war dann überhaupt aus dem Reich der Spekulation in das der Wirklichkeit herabgestiegen, aus dem, was die Menschen sich einbilden, zu dem, was sie sind, aus dem, was sie sich vorstellen, zu dem, wie sie sich betätigen und unter bestimmten Umständen betätigen müssen. Was ihm als Produkt des Denkens erscheint, würde er als Produkt des Lebens begriffen haben. Er wäre nicht zu der seiner Würdigen Abgeschmacktheit fortgegangen, den Zwiespalt zwischen persönlichen und allgemeinen Interessen daraus zu erklären, daß die Menschen sich diesen Zwiespalt auch religiös vorstellen und sich so oder so vorkommen, was aber nur ein andres Wort für das »Vorstellen« ist.

Selbst in der abgeschmackten kleinbürgerlich deutschen Form, worin Sancho den Widerspruch der persönlichen und allgemeinen Interessen erfaßt, mußte er übrigens einsehen, daß die Individuen, wie sie nicht anders konnten, immer von sich ausgegangen sind und daher beide von ihm notierte Seiten Seiten der persönlichen Entwicklung der Individuen sind, beide durch gleich empirische Lebensbedingungen der Individuen erzeugt, beide nur Ausdrücke derselben persönlichen Entwicklung der Menschen, beide daher nur in scheinbarem Gegensatz. Was die durch besondere Entwicklungsumstände und durch die Teilung der Arbeit dem Individuum zugefallene Stelle betrifft, ob es mehr die eine oder andere Seite des Gegensatzes repräsentiert, mehr als Egoist oder mehr als Devouierter erscheint, war eine durchaus untergeordnete Frage, die sogar nur dann irgendein Interesse erhielt, wenn sie innerhalb bestimmter Geschichtsepochen an bestimmten Individuen aufgeworfen würde. Sie konnte sonst nur zu moralisch quacksalbernden Redensarten führen. Aber Sancho läßt sich als Dogmatiker hier täuschen und weiß sich nicht anders zu helfen, als indem er Sancho Pansas und Don Quixoten geboren werden und dann den Sanchos dummes Zeug von den Don Quixoten in den Kopf setzen läßt -als Dogmatiker nimmt er sich die eine Seite, schulmeisterlich aufgefaßt, heraus, erklärt sie den Individuen als solchen gehörig und spricht seinen Widerwillen gegen die andre aus. Als einem Dogmatiker erscheint ihm daher auch die andre Seite teils als bloße Gemütsaffektion, Dévoûment, teils als ein[228] bloßes »Prinzip«, nicht als ein aus der bisherigen natürlichen Daseinsweise der Individuen notwendig hervorgehendes Verhältnis. Das »Prinzip« hat man sich konsequent auch nur »aus dem Kopfe zu schlagen«, obgleich es der Sanchoschen Ideologie gemäß allerlei empirische Dinge schafft. So hat z.B. p. 180 das »Lebens- oder Sozietätsprinzip« »das gesellschaftliche Leben, alle Umgänglichkeit, alle Verbrüderung und alles [d]as«... »geschaffen«. Umgekehrt besser: Das [L]eben hat das Prinzip geschaffen.

Der Kommunismus ist deswegen un[se]rm Heiligen rein unbegreiflich, weil die [Ko]mmunisten weder den Egoismus gegen die Aufopferung noch die Aufopferung gegen den Egoismus geltend machen und theoretisch diesen Gegensatz weder in jener gemütlichen noch in jener überschwenglichen, Ideologischen Form fassen, vielmehr seine materielle Geburtsstätte nachweisen, mit welcher er von selbst verschwindet. Die Kommunisten predigen überhaupt keine Moral, was Stirner im ausgedehntesten Maße tut. Sie stellen nicht die moralische Forderung an die Menschen: Liebet Euch untereinander, seid keine Egoisten pp.; sie wissen im Gegenteil sehr gut, daß der Egoismus ebenso wie die Aufopferung eine unter bestimmten Verhältnissen notwendige Form der Durchsetzung der Individuen ist. Die Kommunisten wollen also keineswegs, wie Sankt Max glaubt und wie ihm sein getreuer Dottore Graziano (Arnold Rüge) nachbetet (wofür ihn Sankt Max, Wigand, p. 192, einen »ungemein pfiffigen und politischen Kopf« nennt), den »Privatmenschen« dem »allgemeinen«, dem aufopfernden Menschen zuliebe aufheben – eine Einbildung, worüber sie sich Beide bereits in den »Deutsch-Französischen Jahrbüchern« die nötige Aufklärung hätten holen können. Die theoretischen Kommunisten, die einzigen, welche Zeit haben, sich mit der Geschichte zu beschäftigen, unterscheiden sich gerade dadurch, daß sie allein die Schöpfung des »allgemeinen Interesses« durch die als »Privatmenschen« bestimmten Individuen in der ganzen Geschichte entdeckt haben. Sie wissen, daß dieser Gegensatz nur scheinbar ist, weil die eine Seite, das sogenannte »Allgemeine«, von der andern, dem Privatinteresse, fortwährend erzeugt wird und keineswegs ihm gegenüber eine selbständige Macht mit einer selbständigen Geschichte ist, daß also dieser Gegensatz fortwährend praktisch vernichtet und erzeugt wird. Es handelt sich also nicht um eine Hegelsche »negative Einheit« von zwei Seiten eines Gegensatzes, sondern um die materiell bedingte Vernichtung einer bisherigen materiell bedingten Daseinsweise der Individuen, mit welcher zugleich jener Gegensatz samt seiner Einheit verschwindet.

Wir sehen also, wie der »mit sich einige Egoist« im Gegensatz zu dem »Egoisten im gewöhnlichen Verstande« und dem »aufopfernden Egoisten«[229] von vornherein in einer Illusion über beide und die wirklichen Verhältnisse der wirklichen Menschen beruht. Der Vertreter der persönlichen Interessen ist bloß »Egoist im gewöhnlichen Verstande« wegen seines notwendigen Gegensatzes gegen die gemeinschaftlichen Interessen, innerhalb der bisherigen Produktions- und Verkehrsweise zu allgemeinen Interessen verselbständigt und in der Form idealer Interessen vorgestellt und geltend gemacht. Der Vertreter der gemeinschaftlichen Interessen ist bloß »Aufopfernder« wegen seines Gegensatzes gegen die als Privatinteressen fixierten persönlichen Interessen, wegen der Bestimmung der gemeinschaftlichen Interessen als allgemeiner und idealer.

Beide, der »aufopfernde Egoist« wie der »Egoist im gewöhnlichen Verstande«, treffen in letzter Instanz zusammen in der Selbstverleugnung.

p. 78: »So ist die Selbstverleugnung den Heiligen gemein mit den Unheiligen, den Reinen mit den Unreinen: Der Unreine verleugnet alle bessern Gefühle, alle Scham, ja die natürliche Furchtsamkeit, und folgt nur der ihn beherrschenden Begierde. Der Reine verleugnet seine natürliche Beziehung zur Welt. – – Von Gelddurst getrieben, verleugnet der Habgierige alle Mahnungen des Gewissens, alles Ehrgefühl, alle Milde und alles Mitleid; er setzt alle Rücksichten aus den Augen: ihn reißt die Begierde fort. Gleiches begeht der Heilige: Er macht sich zum Spotte der Welt, ist ›hartherzig‹ und ›streng gerecht‹; denn ihn reißt das Verlangen fort.«

Der »Habgierige«, der hier als unreiner, unheiliger Egoist, also als Egoist im gewöhnlichen Verstande auftritt, ist nichts als eine [von] moralischen Kinderfreunden und Romanen [br]eitgetretene, in der Wirklichkeit aber nur [a]ls Abnormität vorkommende Figur, keines[w]egs der Repräsentant der habgierigen [Bo]urgeois, die im Gegenteil weder »Mahnungen des Gewissens«, »Ehrgefühl« etc. zu verleugnen brauchen noch sich auf die eine Leidenschaft der Habgier beschränken. Ihre Habgier hat vielmehr eine ganze Reihe anderer, politischer und sonstiger Leidenschaften im Gefolge, deren Befriedigung die Bourgeois keinesfalls aufopfern. Ohne hierauf weiter einzugehen, halten wir uns gleich an die Stirnersche »Selbstverleugnung«.

Sankt Max schiebt hier dem Selbst, das sich verleugnet, ein andres, nur in Sankt Maxens Vorstellung existierendes Selbst unter. Er läßt »den Unreinen« allgemeine Eigenschaften, wie »bessere Gefühle«, »Scham«, »Furchtsamkeit«, »Ehrgefühl« pp., aufopfern und fragt gar nicht darnach, ob der Unreine diese Eigenschaften auch besitzt. Als ob »der Unreine« notwendig alle diese Qualitäten besitzen müsse! Aber selbst dann, wenn »der Unreine« sie alle besäße, würde die Aufopferung dieser Eigenschaften noch keine Selbstverleugnung, sondern nur das selbst in der »mit sich einigen« Moral zu rechtfertigende Faktum konstatieren, daß Einer Leidenschaft mehrere andere[230] geopfert werden. Und endlich ist nach dieser Theorie alles »Selbstverleugnung«, was Sancho tut und nicht tut. Er mag sich anstellen oder nicht anstellen [...]50[231]

Obgleich51 nun Sankt Max p. 420 sagt:

»Über der Pforte unserer [Zeit] steht nicht...: Erkenne Dich selbst, [sondern] ein: Verwerte Dich« [-]

(wo der Schulmeister wieder die wirkliche, von ihm vorgefundene Verwertung in das Moralgebot der Verwertung verwandelt) –, so muß [statt für] den bisherigen »aufopfern[den«, für den] »Egoisten im gewöhn[lichen Verstande«] »jenes [apollinische« Wort lauten:

»] Erkennet Euch [nur wieder, erkennet nur, was] ihr [wirklich seid, und laßt Eure törichte Sucht fahren, etwas Anderes zu sein als ihr seid!« »Denn«: »Dies gibt die Erscheinung des betrogenen Egoismus, wo Ich nicht Mich befriedige, sond]ern Eine [Meiner Begierden, z.] B. den Glück[seligkeitstrieb. – All] Euer Tun und Trei[ben ist heim]licher, verdeckter... [Egoismus,] unbewußter Egoismus, darum [aber] nicht Egoismus, sondern Knechtschaft, Dienst, Selbstverleugnung. Ihr seid Egoisten und ihr seid es nicht, indem ihr den Egoismus verleugnet.« (p. 217.)

»Kein Schaf, kein Hund bemüht sich, ein rechter« Egoist »zu werden« (p. 443); »kein Tier« ruft den andern zu: erkennet Euch nur wieder, erkennet nur, was ihr wirklich seid, – »Eure Natur ist nun einmal eine« egoistische, »Ihr seid« egoistische »Naturen, d.h.« Egoisten. »Aber eben weil ihr das bereits seid, braucht ihr's nicht erst zu werden« (ibid.). Zu dem, was ihr seid, gehört auch Euer Bewußtsein, und da ihr Egoisten seid, so habt ihr auch das Eurem Egoismus entsprechende Bewußtsein, also ist gar kein Grund vorhanden, der Stirnerschen Moralpredigt, in Euch zu gehen und Buße zu tun, die geringste Folge zu leisten.

Stirner exploitiert hier wieder [den] alten philosophischen Witz, auf [den] wir später zurückkommen [wer]den. Der Philosoph sagt nicht direkt: ihr seid keine Menschen. Ihr wart immer Menschen, aber Euch fehlte das Bewußtsein von Dem, was ihr wart, und eben darum seid ihr auch in der Wirklichkeit keine Wahren Menschen gewesen. Darum entsprach Eure Erscheinung Eurem Wesen nicht. Ihr wart Menschen und ihr wart es nicht. – Der Philosoph gesteht hier auf einem Umwege, daß einem bestimmten Bewußtsein auch bestimmte Menschen und bestimmte Umstände entsprechen. Aber er bildet sich zu gleicher Zeit ein, daß seine moralische Forderung an die Menschen, ihr Bewußtsein zu verändern, dies veränderte Bewußtsein zustande bringen werde, und er sieht in den durch veränderte empirische Verhältnisse veränderten Menschen, die nun auch natürlich ein andres Bewußtsein haben, nichts Andres als ein verändertes [Bewußtsein.] – Ebenso [Euer Bewu]ßts[ein, das ihr heimlich] erseh[nt; darin seid] ihr heim[liche, unbewußte] Egoisten – d.h., ihr seid wirklich Egoisten, soweit ihr unbewußt seid,[232] aber Ihr seid Nichtegoisten, soweit Ihr bewußt seid. Oder: Eurem jetzig[en Bewußtsein liegt] ein bestimmtes Sein zugr[unde, das] nicht das von Mir verlan[gte Sein] ist; Euer Bewußtsein ist das Bewußtsein des Egoisten, wie er nicht [sein] soll, und zeigt daher, daß ihr selbst Egoisten seid, wie sie nicht sein sollen – oder daß ihr Andre sein sollt, als ihr wirklich seid. Diese ganze Trennung des Bewußtseins von den ihm zugrunde liegenden Individuen und ihren wirklichen Verhältnissen, diese Einbildung, der Egoist der heutigen Bourgeoisgesellschaft habe nicht das seinem Egoismus entsprechende Bewußtsein, ist nur eine alte Philosophenmarotte, die Jacques le bonhomme hier gläubig akzeptiert und nachmacht.52 Bleiben wir bei Stirners »rührendem Beispiel« vom Habgierigen. Diesem Habgierigen, der nicht der »Habgierige« überhaupt, sondern der Habgierige »Hans oder Kunz«, ein ganz individuell bestimmter »einziger« Habgieriger, und dessen Habgier nicht die Kategorie »der Habgier« ist (Sankt Maxens Abstraktion von seiner umfassenden, komplizierten, »einzigen« Lebensäußerung) und »nicht davon abhängt, wie Andre« (z.B. Sankt Max) »sie rubrizieren« – diesem Habgierigen will er vormoralisieren, daß er »nicht sich befriedige, sondern eine seiner Begierden«. Aber »nur im [Augen]blicke bist Du Du, nur als [Augen]blicklicher bist Du wirklich. Ein [von Dir, de]m Augenblicklichen, [Getrenntes« ist] ein absolut Höheres, [ist z.B. das Geld. Aber »daß] Dir« das Geld »viel[mehr« ein höherer Genuß], daß es Dir [ein »absolut Höheres« ist oder nic]ht ist,... mich vielleicht [»verleugne«? – Er] findet, daß die [Habgier mich] Tag und Nacht besitzt; [aber das] tut sie nur in seiner [Refle]xion. Er ist es, der aus den vielen Momenten, in denen Ich immer der Augenblickliche bin, immer Ich selber, immer wirklich, »Tag und Nacht« macht, wie nur Er die verschiedenen Momente meiner Lebensäußerung zu einem moralischen Urteil zusammenfaßt und sagt, daß sie die Befriedigung der Habgier seien. Wenn Sankt Max das Urteil fällt, daß Ich nur Eine meiner Begierden befriedige, nicht Mich, so stellt er Mich als volles ganzes Wesen Mir selber gegenüber. »Und worin besteht dies volle ganze Wesen? Eben nicht In[233] Deinem augenblicklichen Wesen, nicht in dem, was Du augenblicklich bist« – also nach Sankt Max selbst in dem – heiligen »Wesen«. (Wigand, p. 171). Wenn »Stirner« sagt, daß Ich Mein Bewußtsein verändern müsse, so weiß Ich [mei]nerseits, daß mein augenblickliches [Be]wußtsein auch zu meinem augenblick[lich]en Sein gehört und Sankt Max, in [dem] er mir dies Bewußtsein [strei]tig macht, als versteckter Moralist meinen ganzen Lebenswandel angreift.53 Und dann »bist Du nur, wenn Du an Dich denkst, bist Du nur durch das Selbstbewußtsein?« (Wig[and,] p. 157, 158.) Wie kann Ich etwas Andres als Egoist sein? Z.B., wie kann Stirner etwas Andres als Egoist sein, er mag den Egoismus verleugnen oder nicht? »Ihr seid Egoisten und ihr seid es nicht, indem ihr den Egoismus verleugnet«, predigst Du.

Unschuldiger, »betrogner«, »uneingestandener« Schulmeister! Die Sache verhält sich gerade umgekehrt. Wir Egoisten im gewöhnlichen Verstande, Wir Bourgeoiswissen sehr wohl: Charité bien ordonnée commence par soi-même, und wir haben längst das Sprüchlein: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, dahin interpretiert, daß jeder sich selbst der Nächste ist. Aber wir leugnen, daß wir engherzige Egoisten seien, Exploiteurs, gewöhnliche Egoisten, deren Herzen sich nicht zu dem Hochgefühl erheben können, die Interessen ihrer Mitmenschen zu den ihrigen zu machen – was, unter uns ges[agt, so]viel heißt, daß wir unsre In[teressen] als di[e] unserer Mitmenschen [be]hau[pten. Du] leu[gnest den] »gewöhnlich[en« Egoismus des einz]igen Egoisten [nur deshalb, w]eil Du deine [»natürlichen Bez]iehungen zur [Welt verleugne]st«. Du verstehst daher nicht, warum wir den praktischen Egoismus eben darin vollenden, daß wir die Redensart des Egoismus verleugnen – wir, denen es um die Durchsetzung wirklicher egoistischer Interessen, nicht um das heilige Interesse des Egoismus zu tun ist. Übrigens war es vorauszusehen – und damit dreht der Bourgeois kaltblütig Sankt Maxen den Rücken –, daß ihr deutschen Schulmeister, wenn ihr Euch einmal an die Verteidigung des Egoismus geben würdet, nicht den wirklichen, »profanen, auf platter Hand liegenden« (»Das Buch« p. 455) Egoismus, also »nicht mehr das, was man« Egoismus »nennt«, sondern den Egoismus im außergewöhnlichen, im Schulmeisterverstande, den philosophischen oder Lumpenegoismus, proklamieren würdet.

Der Egoist im außergewöhnlichen Verstande ist also »nun erst gefunden«. »Sehen wir uns diesen neuen Fund einmal genauer an.« (p.11.)[234]

Aus dem soeben Gesagten hat sich bereits ergeben, daß die bisherigen Egoisten nur ihr Bewußtsein zu verändern haben, um Egoisten im außergewöhnlichen Verstande zu werden; daß also der mit sich einige Egoist sich von den früheren nur durch das Bewußtsein, d.h. als Wissender, als Philosoph unterscheidet. Aus der ganzen Sankt Maxischen Geschichtsanschauung folgt ferner, daß, weil die bisherigen Egoisten nur vom »Heiligen« beherrscht waren, der wahre Egoist nur gegen »das Heilige« zu kämpfen hat. Die »einzige« Geschichte zeigte, wie Sankt Max die historischen Verhältnisse in Ideen und dann den Egoisten in einen Sünder gegen diese Ideen verwandelte, wie jede egoistische Geltendmachung in eine Sünde [gegen diese] Ideen verwandelt wurde, [die Macht der] Privilegierten in Sünde [gegen die Idee] der Gleichheit, des Des[potismus; bei der] Idee der Freiheit [der Konkurrenz] konnte deshalb [In »dem Buch« gesagt wer]den, daß er [das Privateigentum für »] das Persönliche« [ansieht, (p. 155)] [...] großen, [... den aufopfernden] Ego[isten...] notwendig und unbezwingb[ar...] nur dadurch zu bekämpfen, daß er sie in Heilige verwandelt und nun die Heiligkeit an ihnen, d.h. seine heilige Vorstellung von ihnen, sie [also] nur, insoweit sie in ihm, als einem Heiligen, existieren, aufzulösen beteuert.

p. 5054: »Wie Du in jedem Augenblicke bist, so bist Du Dein Geschöpf, und eben an dieses Geschöpf magst Du Dich, den Schöpfer, nicht verlieren. Du bist selbst ein höheres Wesen als Du, d.h., daß Du nicht bloß Geschöpf, sondern gleicherweise Schöpfer bist, das eben verkennst Du als unfreiwilliger Egoist, und darum ist das höhere Wesen Dir ein fremdes.«

Mit einer etwas andern Wendung heißt dieselbe Weisheit p. 239 »des Buchs«:

»Die Gattung ist Nichts« (später wird sie allerlei, siehe Selbstgenuß), »und wenn der Einzelne sich über die Schranken seiner Individualität erhebt, so ist das vielmehr gerade Er selbst als Einzelner, er ist nur. Indem er sich erhebt, er ist nur, indem er nicht bleibt, was er ist, sonst wäre er fertig, tot.«

Zu diesen Sätzen, seinem »Geschöpf«, verhält sich Stirner sofort als »Schöpfer«, indem er »sich nicht an sie verliert«:

»Nur im Augenblicke bist Du, nur als Augenblicklicher bist Du wirklich... Ich bin in jedem Momente ganz, was Ich bin...ein von Dir, dem Augenblicklichen, Getrenntes« ist »ein absolut Höheres«... (Wigand, p. 170); und p. 171 ibid. wird »Dein Wesen« als »Dein augenblickliches Wesen« bestimmt.[235]

Während Sankt Max im »Buche« sagt, er habe noch ein anderes, höheres Wesen als ein augenblickliches Wesen, wird im apologetischen Kommentar das »augenblickliche Wesen« [seines] Individuums mit seinem »vollen [ganzen] Wesen« identifiziert und jedes [Wesen] als das »augenblickliche Wesen« [in ein] »absolut höheres Wesen« verwandelt. Er ist also »im Buche« in jedem Augenblick ein höheres Wesen als Das, was er in diesem Augenblick ist, während im Kommentar Alles, was er nicht in diesem Augenblick unmittelbar ist, ein »absolut höheres Wesen«, ein heiliges Wesen ist. – Und dieser ganzen Spaltung gegenüber p. 200 »des Buchs«:

»Ich weiß Nichts von der Spaltung eines ›unvollkommnen‹ und ›vollkommnen‹ Ichs.«

Der »mit sich einige Egoist« braucht sich keinem Höheren mehr zu opfern, da er sich selbst der Höhere ist und diesen Zwiespalt zwischen einem »Höheren« und einem »Niederen« in sich selbst verlegt. So ist in der Tat (Sankt Sancho contra Feuerbach, »Das Buch«, p. 243) »am höchsten Wesen Nichts als eine Metamorphose vorgegangen«. Sankt Maxens wahrer Egoismus besteht in dem egoistischen Verhalten gegen den wirklichen Egoismus, gegen sich selbst, wie er »in jedem Augenblicke« ist. Dies egoistische Verhalten gegen den Egoismus ist die Aufopferung. Sankt Max als Geschöpf ist nach dieser Seite hin der Egoist im gewöhnlichen Verstande, als Schöpfer ist er der aufopfernde Egoist. Wir werden auch die entgegengesetzte Seite kennenlernen, denn beide Seiten legitimieren sich als echte Reflexionsbestimmungen, indem sie die absolute Dialektik durchmachen, in der jede von ihnen an sich selbst ihr Gegenteil ist.

Ehe wir auf dies Mysterium in seiner esoterischen Gestalt näher eingehen, ist [es] nun in einzelnen [seiner sauren] Lebenskämpfe zu beob[achten].

[Die all]gemeinste Qualität, [den Egoisten, a]ls Schöpfer mit sich [selbst in Einklang zu] bringen [vom Standpunkt der Welt] des Geistes [, vollbringt Stirner p. 82,83:]

[»Es hat das Christentum] dahin [gezielt, Uns von der Naturbestimm]ung [(Bestimmung durch die Natur), von den Begier]den [als antreibend, zu erlös]en, [mithin gewollt, daß der Mensch s]ich [nicht von seinen Begierden be]stimmen [lasse. Darin liegt nicht, daß] er keine [Begierden haben solle, so]ndern[,] daß die [Begierden ihn] nicht haben sollen, daß [sie] nicht fix, unbezwinglich, unauflös[lich] werden sollen. Was nun das Christentum gegen die Begierden machinierte, könnten wir das nicht auf seine eigene Vorschrift, daß Uns der Geist bestimmen solle, anwenden...?... Dann ginge es auf die Auflösung des Geistes, Auflösung aller Gedanken aus. Wie es dort heißen mußte, – – – so hieße es nun: Wir sollen zwar Geist haben, aber der Geist soll Uns nicht haben.«[236]

»Die aber Christo angehören, die kreuzigen ihr Fleisch samt den Lüsten und Begierden« (Galater 5, 24) – womit sie nach Stirner als wahre Eigentümer mit den gekreuzigten Lüsten und Begierden verfahren. Er übernimmt das Christentum auf Lieferung, will es aber nicht bei dem gekreuzigten Fleisch bewenden lassen, sondern auch seinen Geist kreuzigen, also den »ganzen Kerl«.

Das Christentum wollte uns nur darum von der Herrschaft des Fleisches und den »Begierden als antreibenden« befreien, weil es unser Fleisch, unsre Begierden für etwas uns Fremdes ansah; es wollte uns nur darum von der Naturbestimmung erlösen, weil es unsre eigne Natur für uns nicht zugehörig hielt. Bin ich nämlich nicht selbst Natur, gehören meine natürlichen Begierden, meine ganze Natürlichkeit – und dies ist die Lehre des Christentums – nicht zu mir selbst, so erscheint mir jede Bestimmung durch die Natur, sowohl durch meine eigne Natürlichkeit wie durch die sogenannte äußere Natur, als Bestimmung durch etwas Fremdes, als Fessel, als Zwang, der mir angetan wird, als Heteronomie im Gegensatz zur Autonomie des Geistes. Diese christliche Dialektik akzeptiert er unbesehen und wendet sie nun auch auf unsern Geist an. Übrigens hat das Christentum es ja nie dahin gebracht, uns auch nur in dem von Sankt Max ihm untergeschobenen Juste-Milleu-Sinn von der Herrschaft der Begierden zu befreien; es bleibt bei dem bloßen, in der Praxis resultatlosen Moralgebot stehen. Stirner nimmt das moralische Gebot für die wirkliche Tat und ergänzt es durch den weiteren kategorischen Imperativ: »Wir sollen zwar Geist haben, aber der Geist soll Uns nicht haben« – und deshalb verläuft sich sein ganzer mit sich einiger Egoismus »näher«, wie Hegel sagen würde. In eine nicht minder ergötzliche als erbauliche und beschauliche Moralphilosophie.

Ob eine Begierde fix wird oder nicht, d.h. ob sie zur ausschließlichen [Macht über uns wird,] wodurch indes ein [weiterer Fortschritt nicht aus]geschlossen ist, das hängt davon ab, ob die materiellen Umstände, die »schlechten« weltlichen Verhältnisse erlauben, diese Begierde normal zu befriedigen und andererseits eine Gesamtheit von Begierden zu entwickeln. Dies letztere wieder hängt davon ab, ob wir in Umständen leben, die uns eine allseitige Tätigkeit und damit eine Ausbildung aller unserer Anlagen gestatten. Ebenso hängt es von der Gestaltung der wirklichen Verhältnisse und der in ihnen gegebenen Möglichkeit der Entwickelung für jedes Individuum ab, ob die Gedanken fix werden oder nicht – wie z.B. die fixen Ideen der deutschen Philosophen, dieser »Opfer der Gesellschaft«, qui nous font pitié, von den[237] deutschen Verhältnissen unzertrennlich sind. Bei Stirner ist übrigens die Herrschaft der Begierde eine reine Phrase, die ihn zum absoluten Heiligen stempelt. So, um bei dem »rührenden Beispiel« vom Habgierigen zu bleiben:

»Ein Habgieriger ist kein Eigner, sondern ein Knecht, und er kann Nichts um Seinetwillen tun, ohne es zugleich um seines Herrn willen zu tun.« p. 400.

Niemand kann etwas tun, ohne es zugleich einem seiner Bedürfnisse und dem Organe dieses Bedürfnisses zuliebe zu tun – wodurch für Stirner dies Bedürfnis und sein Organ zum Herrn über ihn gemacht wird, gerade wie er früher schon das Mittel zur Befriedigung eines Bedürfnisses (vgl. politischen Liberalismus und Kommunismus) zum Herrn über sich machte. Stirner kann nicht essen, ohne zugleich um seines Magens willen zu essen. Hindern ihn die weltlichen Verhältnisse daran, seinen Magen zu befriedigen, so wird dieser sein Magen zum Herrn über ihn, die Begierde des Essens zur fixen Begierde und der Gedanke ans Essen zur fixen Idee – womit er zugleich ein Beispiel für den Einfluß der weltlichen Umstände auf die Fixierung seiner Begierden und Ideen hat. Sanchos »Empörung« gegen die Fixierung der Begierden und Gedanken läuft hiernach auf das ohnmächtige Moralgebot der Selbstbeherrschung hinaus und liefert einen neuen Beleg dafür, wie er nur den trivialsten Gesinnungen der Kleinbürger einen Ideologisch hochtrabenden Ausdruck verleiht.55

In diesem ersten Exempel bekämpft er also einerseits seine fleischlichen Begierden, andererseits seine geistigen Gedanken, einerseits sein Fleisch, andererseits seinen Geist, wenn sie, seine Geschöpfe, sich gegen ihn, den Schöpfer, verselbständigen wollen. Wie unser Heiliger diesen Kampf führt, wie er sich als Schöpfer zu seinem Ge[schöpf verhält], werden wir jetzt sehen.[238]

Bei dem Christen »im gewöhnlichen Verstande«, dem chrétien »simple«, um mit Fourier zu reden,

»hat der Geist die alleinige Gewalt, und keine Einrede des ›Fleisches‹ wird ferner gehört. Gleichwohl aber kann Ich nur durch das ›Fleisch‹ die Tyrannei des Geistes brechen; denn nur, wenn ein Mensch auch sein Fleisch vernimmt, vernimmt er sich ganz, und nur, wenn er sich ganz vernimmt, ist er vernehmend oder vernünftig. – – – Führt aber einmal das Fleisch das Wort, und ist der Ton desselben, wie es nicht anders sein kann, leidenschaftlich – – – so glaubt er« (der chrétien simple) »Teufelsstimmen zu vernehmen. Stimmen gegen den Geist – – – und eifert mit Recht dagegen. Er müßte nicht Christ sein, wenn er sie dulden wollte.« p. 83.

Also wenn sein Geist sich gegen ihn verselbständigen will, so ruft Sankt Max sein Fleisch zu Hülfe, und wenn sein Fleisch rebellisch wird, erinnert er[239] sich, daß er auch Geist ist. Was der Christ nach einer Seite hin tut, das tut Sankt Max nach Beiden Seiten hin. Er ist der chrétien »composé«, er beweist sich abermals als vollendeter Christ.

Hier in diesem Exempel tritt Sankt Max, der Geist, nicht als Schöpfer seines Fleisches und umgekehrt auf; er findet sein Fleisch und seinen Geist vor und erinnert sich nur, wenn eine Seite rebellisch wird, daß er auch noch die andere an sich hat, und macht nun diese andere Seite als sein wahres Ich dagegen geltend. Sankt Max ist also hier nur Schöpfer, insofern er »Auch-Anders-Bestimmter« ist, insofern er noch eine andere Qualität besitzt als die, welche es ihm gerade beliebt, unter die Kategorie Geschöpf zu subsumieren. Seine ganze schöpferische Tätigkeit besteht hier in dem guten Vorsatz, sich zu vernehmen, und zwar sich ganz zu vernehmen oder vernünftig zu sein56, sich als »volles, ganzes Wesen«, als von »seinem augenblicklichen Wesen« unterschiedenes Wesen, ja im geraden Gegensatz zu dem, was er »augenblicklich« für ein Wesen ist zu vernehmen.

[Ge]hen wir nun zu einem [der »sauren] Lebenskämpfe« [unsres Heiligen] über:

[p. 80, 81: »Mein Eife]r braucht nicht [geringer zu sein als der] fanatischste, [aber Ich bleibe zu glei]cher Zeit gegen [Ihn frostig kalt, ungläub]ig und sein [unversöhnlichster Feind;] Ich bleibe [sein Richter, weil Ich sein] Eigentümer [bin.«]

[Um Dem Sinn zu] geben, was Sankt [Sancho v]on [S]ich aussagt, so beschränkt sich seine schöpferische Tätigkeit hier darauf, daß er in seinem Eifer über seinen Elfer ein Bewußtsein behält, daß er über ihn reflektiert, daß er sich als reflektierendes Ich zu sich als wirklichem Ich verhält. Es ist das Bewußtsein, dem er willkürlich den Namen »Schöpfer« beilegt. Er ist nur »Schöpfer«, soweit er bewußt ist.

»Hierüber vergissest Du Dich selbst in süßer Selbstvergessenheit – – – Bist Du aber nur, wenn Du an Dich denkst, und verkommst Du, wenn Du Dich vergissest? Wer vergäße sich nicht alle Augenblicke, wer verlöre sich nicht in Einer Stunde tausendmal aus den Augen?« (Wigand, p. 157, 158.)

Dies kann Sancho seinem »Selbstvergessen« natürlich nicht vergessen und »bleibt« daher »zu gleicher Zeit sein unversöhnlichster Feind«.

Sankt Max, das Geschöpf, hat in demselben Moment einen enormen Eifer, wo Sankt Max, der Schöpfer, vermöge seiner Reflexion zugleich über[240] diesen seinen Elfer hinaus ist; oder der wirkliche Sankt Max eifert, und der reflektierende Sankt Max bildet sich ein, über diesen Elfer hinaus zu sein. Dieses Hinaussein in der Reflexion über das, was er wirklich ist wird nun in Romanphrasen ergötzlich und abenteuerlich dahin beschrieben, daß er seinen Eifer fortbestehen läßt, d.h. mit seiner Feindschaft gegen ihn nicht wirklich Ernst macht, aber sich »frostig kalt«, »ungläubig«, als »unversöhnlichster Feind« gegen ihn verhält. – Insofern Sankt Max eifert, d.h., sofern der Eifer seine wirkliche Eigenschaft ist, verhält er sich nicht als Schöpfer zu ihm, und insofern er sich als Schöpfer verhält, eifert er nicht wirklich, ist ihm der Eifer fremd, seine Nicht-Eigenschaft. Solange er eifert, ist er nicht der Eigner des Elfers, und sobald er sein Eigner wird, hört er auf zu eifern. Er, der Gesamtkomplex, ist in jedem Augenblick als Schöpfer und Eigentümer der Inbegriff aller seiner Eigenschaften, minus die eine, die er zu sich, dem Inbegriff aller andern, als Geschöpf und Eigentum in Gegensatz bringt, so daß ihm immer gerade die Eigenschaft fremd ist auf die als die Seinige er den Akzent legt.

So überschwenglich nun Sankt Maxens wahre Geschichte von seinen Heldentaten in sich selbst in seinem Bewußtsein klingt, so ist es dennoch ein notorisches Faktum, daß es reflektierende Individuen gibt, die in und durch ihre Reflexion über alles hinaus zu sein glauben57, weil sie in der Wirklichkeit nie aus der Reflexion herauskommen.

Dieser Kunstgriff, sich gegen eine bestimmte Eigenschaft als Auch-Anders-Bestimmter, nämlich im vorliegenden Beispiel als Inhaber der Reflexion auf das Entgegengesetzte geltend zu machen, kann bei jeder beliebigen Eigenschaft mit den nötigen Variationen wieder angewandt werden. Z.B. Meine Gleichgültigkeit braucht nicht geringer zu sein als die des Allerblasiertesten; aber ich bleibe zu gleicher Zeit gegen sie schwitzend heiß, ungläubig und ihr unversöhnlichster Feind etc.

[Wir dür]fen nicht vergessen, daß [der Gesamt]komplex aller seiner Ei[genschaften, der Eig]ner, als welcher [Sankt] Sancho [der Ein]en Eigenschaft[241] [reflektierend gegenübertri]tt, in diesem [Falle nichts anderes als] die einfache [Reflexion Sanchos über diese E]ine Eigenschaft [ist, welche er in sein Ich] verwandelt [hat, indem er sta]tt des Gesamt [komplexes die Eine,] bloß reflektieren[de Qualität, und] jeder seiner Eigen[schaften wie d]er Reihe gegenüber [nur die Eine] Qualität der Reflexion, ein Ich, und sich als vorgestelltes Ich, geltend macht.

Dies feindselige Verhalten gegen sich selbst, diese feierliche Parodie der Benthamschen Buchführung über seine eignen Interessen und Eigenschaften, wird jetzt von ihm selbst ausgesprochen:

p. 188: »Ein Interesse, es sei wofür es wolle, hat an Mir, wenn Ich nicht davon loskommen kann, einen Sklaven erbeutet und ist nicht mehr Mein Eigentum, Ich bin das Seine. Nehmen Wir daher die Weisung der Kritik an. Uns nur wohl zu fühlen im Auflösen.«

»Wir!« – Wer sind »Wir«? Es fällt »Uns« gar nicht ein, die »Weisung der Kritik« »anzunehmen«. – Also fordert hier Sankt Max, der augenblicklich unter der Polizeiaufsicht »der Kritik« steht, »Ein und dasselbe Wohlsein Aller«, »das Gleichwohlsein Aller bei Einem und demselben«, »die direkte Gewaltherrschaft der Religion«.

Seine Interessiertheit im außergewöhnlichen Verstande zeigt sich hier als eine himmlische Interesselosigkeit.

Wir brauchen übrigens hier gar nicht mehr darauf einzugehen, daß es in der bestehenden Gesellschaft keineswegs von Sankt Sancho abhängt, ob »ein Interesse« »an ihm einen Sklaven erbeutet« und »er nicht mehr davon loskommen kann«. Die Fixierung der Interessen durch die Teilung der Arbeit und die Klassenverhältnisse liegt noch viel mehr auf der Hand als die der »Begierden« und »Gedanken«.

Um die kritische Kritik zu überbieten, hätte unser Heiliger wenigstens bis zum Auflösen des Auflösens fortgehen müssen, denn sonst ist das Auflösen ein Interesse, von dem er nicht loskommen kann, das an ihm einen Sklaven erbeutet hat. Das Auflösen ist nicht mehr sein Eigentum, sondern er ist das Eigentum des Auflösens. Wollte er etwa in dem soeben gegebe[nen] Beispiel konsequent sein, s[o mußte er] [seinen Eifer gegen sei]nen »Eifer« als [ein »Interesse« behandeln] und sich dagegen [als ein »unversöhn]licher Feind« v[erhalten. Er mußte aber] auch seine [»frostig kalte« Interesselosigkeit] gegen seinen [»frostig kalten« Eifer be]trachten und g[anz ebenso »frostig kalt«] werden – wodurch [er selbstverständlich] seinem ursprüng[lichen »Interesse«] und sich damit die »Anfech[tung« ersparte, sich] auf dem spekulativen [Absatz im Kreis] zu drehen. – Dagegen fährt er getrost fort (ibid.):

[242] »Ich will nur Sorge tragen, daß ich Mein Eigentum Mir sichere« (d.h., daß ich Mich vor Meinem Eigentum sichere), »und um es zu sichern, nehme Ich es jederzeit in Mich zurück, vernichte in ihm jede Regung nach Selbständigkeit und verschlinge es, eh' sich's fixiere und zu einer fixen Idee oder Sucht werden kann.«

Wie Stirner wohl die Personen »verschlingt«, die sein Eigentum sind!

Stirner hat sich soeben von »der Kritik« einen »Beruf« geben lassen. Er behauptet, diesen »Beruf« sogleich wieder zu verschlingen, indem er sagt. p. 189:

»Das tue Ich aber nicht um meines menschlichen Berufs willen, sondern weil Ich Mich dazu berufe.«

Wenn ich mich nicht dazu berufe, bin ich, wie wir vorhin hörten, Sklave, nicht Eigentümer, nicht wahrer Egoist, verhalte mich nicht als Schöpfer zu mir, was ich als wahrer Egoist tun muß; soweit Einer also wahrer Egoist sein will, hat er sich zu diesem ihm von »der Kritik« angewiesenen Beruf zu berufen. Es ist also ein allgemeiner Beruf, ein Beruf für Alle, nicht nur Sein Beruf, sondern auch sein Beruf. – Andrerseits tritt hier der wahre Egoist als ein von der Mehrzahl der Individuen unerreichbares Ideal auf, denn (p. 434) »die gebornen beschränkten Köpfe bilden unstreitig die zahlreichste Menschenklasse« – und wie sollten diese »beschränkten Köpfe« das Mysterium des unbeschränkten Selbst- und Welt-Verschlingens durchdringen können. – Übrigens sind diese fürchterlichen Ausdrücke: vernichten, verschlingen usw. nur eine neue Wendung für den obigen »frostig kalten unversöhnlichsten Feind«.

Jetzt endlich werden wir in den Stand gesetzt, eine Einsicht in die Stirnerschen Einwürfe gegen den Kommunismus zu bekommen. Sie waren Nichts als eine vorläufige, versteckte Legitimation seines mit sich einigen Egoismus, in welchem sie leibhaftig wieder [a]uferstehen. Das »Gleichwohlsein Aller [in E]inem und Demselben« ersteht [wieder] in der Forderung, daß »Wir [Uns nur] wohl fühlen sollen im [Auflösen«. »Die Sor]ge« steht wieder [auf in der einzigen »Sorg]e«, sich [sein Ich als Eigent]um zu sichern; [aber »mit der Zei]t« steht wieder [»die Sorge auf, wie man«] zu einer [Einheit kommen könne, n]ämlich der [von Schöpfer und Geschöpf.] Und schließlich [erscheint der Hu]manismus wieder[, der als der wa]hre Egoist als unerreichbares Ideal [den emp]irischen Individuen gegenübertritt. Es muß also p. 117 »des Buches« folgendermaßen heißen: Der mit sich einige Egoismus will jeden Menschen recht eigentlich in einen »Geheimen Polizei-Staat« verwandeln. Der Spion und Laurer »Reflexion« überwacht jede Regung des Geistes und Körpers, und alles Tun und Denken, jede Lebensäußerung ist ihm eine Reflexionssache, d.h. Polizeisache. In dieser Zerrissenheit des Menschen in »Naturtrieb«[243] und »Reflexion« (innerer Pöbel, Geschöpf und innere Polizei, Schöpfer) besteht der mit sich einige Egoist.58

Heß hatte (»Die letzten Philosophen«, p. 26) unsrem Heiligen vorgeworfen :

»Er steht fortwährend unter der geheimen Polizei seines kritischen Gewissens. – – – Er hat ›die Weisung der Kritik – – – Uns nur wohl zu fühlen im Auflösen‹ nicht vergessen – – – Der Egoist, ruft ihm fortwährend sein kritisches Gewissen ins Gedächtnis zurück, darf sich für Nichts so sehr Interessieren, daß er sich seinem Gegenstände ganz hingibt« usw.

Sankt Max »ermächtigt sich«, hierauf folgendes zu antworten:

Wenn »Heß von Stirner sagt: er stehe fortwährend usw. – was ist damit weiter gesagt, als daß er, wenn er kritisiert, nicht ins Gelag hinein« (d.h. beiläufig: einzig) »kritisieren, nicht faseln, sondern eben wirklich« (d.h. menschlich) »kritisieren will?«

»Was damit weiter gesagt« war, daß Heß von der geheimen Polizei usw. sprach, ist aus der obigen Stelle von Heß so klar, daß selbst Sankt Maxens »einziges« Verständnis derselben nur für ein absichtliches Mißverständnis erklärt werden kann. Seine »Virtuosität im Denken« verwandelt sich hier in eine Virtuosität im Lügen, die wir ihm um so weniger verdenken, als sie hier sein einziger Notbehelf war – die aber sehr schlecht zu den subtilen Distinktiönlein über das Recht zu lügen paßt, welche er anderwärts »im Buche« aufstellt. Daß übrigens Sancho, »wenn er kritisiert«, keineswegs »wirklich kritisiert«, sondern »ins Gelag hinein kritisiert« und »faselt«, haben wir ihm, mehr als er verdient, nachgewiesen.

Zunächst wurde also das Verhalten des wahren Egoisten als Schöpfer zu sich als Geschöpf dahin bestimmt, daß er gegen eine Bestimmung, worin er sich als Geschöpf fixierte, z.B. gegen sich als Denkenden, als Geist, sich als Auch-anders-Bestimmter, als Fleisch geltend machte. Später machte er sich nicht mehr geltend als wirklich Auch-anders-Bestimmter, sondern als die bloße Vorstellung des Auch-Anders-Bestimmtseins überhaupt, also im obigen Beispiel als Auch-Nichtdenkenden, Gedankenlosen oder als Gleichgültigen gegen das Denken, eine Vorstellung, die er wieder fahren läßt, sobald der Unsinn sich herausstellt. Siehe oben die Kreiselbewegung auf dem spekulativen Absatz. Also die schöpferische Tätigkeit bestand hier in der Reflexion, daß ihm diese eine Bestimmtheit, hier das Denken, auch gleichgültig sein[244] könne – Im Reflektieren überhaupt; wodurch er natürlich auch nur Reflexionsbestimmungen schafft, wenn er Irgend etwas schafft (z.B. die Vorstellung des Gegensatzes, deren schlichtes Wesen unter allerlei feuerspeienden Arabesken verdeckt wird).

Was nun den Inhalt seiner als Geschöpfes anbetrifft, so sahen wir, daß er nirgends diesen Inhalt, diese bestimmten Eigenschaften, z.B. sein Denken, seinen Eifer pp. schafft, sondern nur die Reflexionsbestimmung dieses Inhalts als Geschöpf, die Vorstellung, daß diese bestimmten Eigenschaften seine Geschöpfe seien. Bei ihm finden sich alle seine Eigenschaften vor, und woher sie ihm kommen, ist ihm gleichgültig. Er braucht sie also weder auszubilden, also z.B. tanzen zu lernen, um über seine Beine Herr zu werden, oder sein Denken an Material, das nicht jedem gegeben wird und nicht jeder sich anschaffen kann, zu üben, um Eigentümer seines Denkens zu werden – noch braucht er sich um die Weltverhältnisse zu kümmern, von denen es in der Wirklichkeit abhängt, wie weit ein Individuum sich entwickeln kann.

Stirner ist wirklich nur durch Eine Eigenschaft die andere (d.h. die Unterdrückung seiner übrigen Eigenschaften durch diese »andere«) los. Ire der Wirklichkeit ist er dies aber nur, insofern diese Eigenschaft nicht nur zur freien Entwicklung gekommen, nicht bloß Anlage geblieben ist, sondern auch [in]sofern die Weltverhältnisse ihm [erlau]bten, eine Totalität von Ei[genschaften] gleichmäßig zu entwi[ckeln, d.h. also] durch die Teilung [der Arbeit, und darum] die vor[wiegende Betät]igung einer ein[zigen Leidenschaft, z.] B. des Bücher[schreibens – wie wir schon gezeig]t haben. [Überhau]pt ist es eine [Widersinnigkeit, wenn] man, wie Sankt [Max, unterst]ellt, man könne Eine [Leidenschaft], von allen andern getrennt, [be]friedigen, man könne sie befriedigen, ohne sich, das ganze lebendige Individuum, zu befriedigen. Wenn diese Leidenschaft einen abstrakten, abgesonderten Charakter annimmt, wenn sie mir als eine fremde Macht gegenübertritt, wenn also die Befriedigung des Individuums als die einseitige Befriedigung einer einzigen Leidenschaft erscheint – so liegt das keineswegs am Bewußtsein oder am »guten Willen«, am allerwenigsten an dem Mangel an Reflexion über den Begriff der Eigenschaft, wie Sankt Max sich vorstellt.

Es liegt nicht am Bewußtsein, sondern – am – Sein; nicht am Denken, sondern am Leben; es liegt an der empirischen Entwicklung und Lebensäußerung des Individuums, die wiederum von den Weltverhältnissen abhängt. Wenn die Umstände, unter denen dies Individuum lebt. Ihm nur die [ein]seitige Entwicklung einer Eigen[scha]ft auf Kosten aller andern erlauben, [wenn] sie ihm Material und Zeit zur Entwicklung nur dieser Einen Eigenschaft geben, so bringt dies Individuum es nur zu einer einseitigen, verkrüppelten[245] Entwicklung. Keine Moralpredigt hilft. Und die Art, in der sich diese Eine, vorzugsweise begünstigte Eigenschaft entwickelt, hängt wieder einerseits von dem ihr gebotenen Bildungsmaterial, andererseits von dem Grade und der Art ab. In denen die übrigen Eigenschaften unterdrückt bleiben. Eben dadurch, daß z.B. das Denken Denken dieses bestimmten Individuums ist, bleibt es sein, durch seine Individualität und die Verhältnisse, in denen es lebt, bestimmtes Denken; das denkende Individuum hat also nicht erst nötig, vermittelst einer langwierigen Reflexion über das Denken als solches sein Denken für sein eignes Denken, sein Eigentum zu erklären; es ist von vornherein sein eignes, eigentümlich bestimmtes Denken, und grade seine Eigenheit h[at sich bei Sankt] Sancho als »Gegenteil« da[von erwiesen, als] Eigenheit, die Eigenheit »an sich [« ist.] Bei einem Individuum z.B., dessen Leben einen großen Umkreis mannigfaltiger Tätigkeiten und praktischer Beziehungen zur Welt umfaßt, das also ein vielseitiges Leben führt, hat das Denken denselben Charakter der Universalität wie jede andere Lebensäußerung dieses Individuums. Es fixiert sich daher weder als abstraktes Denken, noch bedarf es weitläuftiger Reflexionskunststücke, wenn das Individuum vom Denken zu einer andern Lebensäußerung übergeht. Es ist immer von vornherein ein nach Bedürfnis verschwindendes und sich reproduzierendes Moment im Gesamtleben des Individuums.

Bei einem lokalisierten Berliner Schulmeister oder Schriftsteller dagegen, dessen Tätigkeit sich auf saure Arbeit einerseits und Denkgenuß andererseits beschränkt, dessen Welt von Moabit bis Köpenick geht und hinter dem Hamburger Tor mit Brettern zugenagelt ist, dessen Beziehungen zu dieser Welt durch eine miserable Lebensstellung auf ein Minimum reduziert werden, bei einem solchen Individuum ist es allerdings nicht zu vermeiden, wenn es Denkbedürfnis besitzt, daß das Denken ebenso abstrakt wird wie dies Individuum und sein Leben selbst, daß es Ihm, dem ganz Widerstandslosen gegenüber, eine fixe Macht wird, eine Macht, deren Betätigung dem Individuum die Möglichkeit einer momentanen Rettung aus seiner »schlechten Welt«, eines momentanen Genusses bietet. Bei einem solchen Individuum äußern sich die wenigen übrigen, nicht so sehr aus dem Weltverkehr als aus der menschlichen Leibeskonstitution hervorgehenden Begierden nur durch Reperkussion; d.h., sie nehmen innerhalb ihrer bornierten Entwicklung denselben einseitigen und brutalen Charakter an wie das Denken, kommen nur in langen Zwischenräumen und stimuliert durch das Wuchern der vorherrschenden Begierde (unterstützt durch unmittelbar physische Ursachen, z.B. Kompression [des Unter]leibs) zum Vorschein und äußern [sich] heftig, gewaltsam, mit brutalster Verdrängung der gewöhn[lichen, natürlichen][246] Begierde[, indem sie zur weit]er[n] Herrschaft über [das Denken fahren. D]aß das Schulmeister[liche Denken über] dies empirische [Faktum auf eine Schu]lmeisterliche Weise [reflektiert und spintisiert, ver]steht sich von selbst. [Aber das bloße Inse]rat davon, daß Stir[ner seine Eigen]schaften überhaupt »schafft«, [erklärt] nicht einmal ihre bestimmte [E]ntwicklung. Inwiefern diese Eigenschaften universell oder lokal entwickelt werden, inwiefern sie lokale Borniertheiten überschreiten oder in ihnen befangen bleiben, hängt nicht von ihm, sondern vom Weltverkehr und von dem Anteil ab, den er und die Lokalität, in der er lebt, an ihm nehmen. Keineswegs, daß die Individuen in ihrer Reflexion sich einbilden oder vornehmen, ihre lokale Borniertheit aufzulösen, sondern daß sie in ihrer empirischen Wirklichkeit und durch empirische Bedürfnisse bestimmt es dahin gebracht haben, einen Weltverkehr zu produzieren – nur dies Faktum macht es den Einzelnen möglich, unter günstigen Verhältnissen ihre lokale Borniertheit loszuwerden.59

Das Einzige, wozu es unser Heiliger mit seiner sauren Reflexion über seine Eigenschaften und Leidenschaften bringt, ist, daß er sich durch seine fortwährende Häkelei und Katzbalgerei mit ihnen ihren Genuß und ihre Befriedigung versäuert.

Sankt Max schafft, wie schon vorhin gesagt, bloß sich als Geschöpf, d.h. beschränkt sich darauf, sich unter diese Kategorie des Geschöpfs zu subsumieren. Seine Tätigkeit [als] Schöpfer besteht darin, sich als Geschöpf [zu] betrachten, wobei er nicht einmal [dazu fo]rtgeht, diese Spaltung in sich als [Schöpfer und s]ich als Geschöpf als sein eignes [Produkt wie]der aufzulösen. Die Spaltung [in »Wesentliches« un]d »Unwesentliches« wird [bei ihm zu einem] permanenten Lebensprozeß, [also zum bloßen Sc]hein, d.h., sein eigentliches Leb[e]n existiert nur [in der »reinen«] Reflexion, ist gar [nicht einmal ein] wirkliches Dasein, [denn da dies jeden Au]genblick außer [ihm und seiner Reflexion] ist, bemüht er sich [vergeblich, diese als] wesentlich darzustel[len.

»Indem] aber dieser Feind« (näm[l]ich der wahre Egoist als Geschöpf) »in seiner Niederlage sich erzeugt, indem das Bewußtsein, da es sich ihn fixiert, vielmehr statt frei davon zu werden. Immer dabei verweilt und sich immer verunreinigt erblickt, und indem zugleich dieser Inhalt seines Bestrebens das Niedrigste ist, so sehen wir nur[247] eine auf sich und ihr kleines Tun« (Tatlosigkeit) »beschränkte und sich bebrütende, ebenso unglückliche als ärmliche Persönlichkeit.« (Hegel.)

Was wir bisher über Sanchos Spaltung in Schöpfer und Geschöpf sagten, drückt er selbst nun schließlich in logischer Form aus: Schöpfer und Geschöpf verwandeln sich in voraussetzendes und vorausgesetztes, resp. (insofern seine Voraussetzung [seines Ichs eine] Setzung ist) setzendes und gesetztes Ich:

»Ich Meinesteils gehe von einer Voraussetzung aus, indem Ich Mich voraussetze; aber Meine Voraussetzung ringt nicht nach ihrer Vollendung« (vielmehr ringt Sankt Max nach ihrer Erniedrigung), »sondern dient Mir nur dazu, sie zu genießen und zu verzehren« (ein beneidenswerter Genuß!). »Ich zehre gerade an Meiner Voraussetzung allein und bin nur, indem Ich sie verzehre. Darum« (großes »Darum!«) »aber ist jene Voraussetzung gar keine; dem da« (großes »denn da«!) »Ich der Einzige bin« (soll heißen der wahre, der mit sich einige Egoist), »so weiß Ich nichts von der Zweiheit eines voraussetzenden und vorausgesetzten Ichs (eines ›unvollkommnen‹ und ›vollkommnen‹ Ichs oder Menschen)« – soll heißen, besteht die Vollkommenheit meines Ichs nur darin, mich jeden Augenblick als unvollkommnes Ich, als Geschöpf zu wissen – »sondern« (allergrößtes »Sondern«!), »daß Ich Mich verzehre, heißt nur, daß Ich bin.« (Soll heißen: Daß Ich bin, heißt hier nur, daß Ich an Mir die Kategorie des Vorausgesetzten in der Einbildung verzehre.) »Ich setze Mich nicht voraus, weil Ich Mich jeden Augenblick überhaupt erst setze oder schaffe« (nämlich als Vorausgesetzten, Gesetzten oder Geschaffenen setze und schaffe) »und nur dadurch Ich bin, daß Ich nicht vorausgesetzt, sondern gesetzt bin« (soll heißen: und nur dadurch bin, daß Ich Meinem Setzen vorausgesetzt bin) »und wiederum nur in dem Moment gesetzt, wo Ich Mich setze, d.h., Ich bin Schöpfer und Geschöpf in Einem.«

Stirner ist ein »gesetzter Mann«, da er stets ein gesetztes Ich und sein Ich »auch Mann« (Wig[and,] p. 183) ist. »Darum« ist er ein gesetzter Mann; »denn da« er nie von Leidenschaften zu Exzessen hingerissen wird, »so« ist er das, was die Bürger einen gesetzten Mann nennen, »sondern« daß er ein gesetzter Mann ist, »das heißt nur«, daß er stets Buch über seine eignen Wandlungen und Brechungen führt.

Was bisher, um nach Stirner auch einmal mit Hegel zu sprechen, nur »für uns« war, nämlich daß seine ganze schöpferische Tätigkeit keinen andern Inhalt als allgemeine Reflexionsbestimmungen hatte, das ist jetzt von Stirner selbst »gesetzt«. Sankt Maxens Kampf gegen »das Wesen« erreicht nämlich hier darin sein »letztes Absehen«, daß er sich selbst mit dem Wesen, und zwar dem reinen, spekulativen Wesen Identifiziert. [Da]s Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf [verw]andelt sich in eine Expli[kation] des Sich-selbst-Voraussetzens, d.h., [er verwandelt] in eine höchst »unbe[holfene«] und durcheinandergeworfene [Vorstellung,] was Hegel in »der [Lehre vom Wesen]«[248] über die Reflexion [sagt. Da nämlich] Sankt Max ein [Moment seiner] Reflexion, die [setzende Reflexion, her]ausnimmt, [werden seine Phantas]ien »nega[tiv«, indem er nämlich] sich pp. in »Selbst[voraussetzung«, zum U]nterschied zwischen [sich als dem Setzende]n und Gesetzten, [und die Re]flexion in den mystischen Gegensatz von Schöpfer und Geschöpf verwandelt. Nebenbei ist zu bemerken, daß Hegel in diesem Abschnitt der »Logik« die »Machinationen« des »schöpferischen Nichts« auseinandersetzt, woraus sich auch erklärt, weshalb sich Sankt Max schon p. 8 als dies »schöpferische Nichts« »setzen« mußte.

Wir wollen jetzt einige Sätze aus der Hegelschen Explikation des Sichselbst-Voraussetzens zur Vergleichung mit Sankt Maxens Explikation »episodisch einlegen«. Da Hegel Indes nicht so zusammenhanglos und »ins Gelag hinein« schreibt wie unser Jacques le bonhomme, sind wir genötigt, uns diese Sätze von verschiedenen Seiten der »Logik« zusammenzuholen, um sie dem großen Satze Sanchos entsprechend zu machen.

»Das Wesen setzt sich selbst voraus, und das Aufheben dieser Voraussetzung ist es selbst. Weil es Abstoßen seiner von sich selbst oder Gleichgültigkeit gegen sich, negative Beziehung auf sich ist setzt es sich somit sich selbst gegenüber... das Setzen hat keine Voraussetzung... das Andre ist nur durch das Wesen selbst gesetzt... Die Reflexion ist also nur als das Negative ihrer selbst. Als Voraussetzende ist sie schlechthin setzende Reflexion. Sie besteht also darin, sie selbst und nicht sie selbst in einer Einheit« (»Schöpfer und Geschöpf in Einem«) »zu sein.« Hegels »Logik«, II, p.5, 16, 17, 18, 22.

Man hätte nun von Stirners »Virtuosität im Denken« erwarten sollen, daß er zu weiteren Forschungen in der Hegelschen »Logik« fortgeschritten wäre. Dies unterließ er indes weislich. Er würde dann nämlich gefunden haben, daß er als bloß »gesetztes« Ich, als Geschöpf, d.h. soweit er Dasein hat, ein bloßes Schein-Ich, und nur »Wesen«, Schöpfer ist soweit er nicht da ist, sich bloß vorstellt: Wir haben bereits gesehen und werden noch weiter sehen, daß seine ganzen Eigenschaften, seine ganze Tätigkeit und sein ganzes Verhalten zur Welt ein bloßer Schein ist, den er sich vormacht, nichts als »Jongleurkünste auf dem Seile des Objektiven«. Sein Ich ist stets ein stummes, verborgenes »Ich«, verborgen in seinem als Wesen vorgestellten Ich.

Da der wahre Egoist in seiner schöpferischen Tätigkeit also nur eine Paraphrase der spekulativen Reflexion oder des reinen Wesens ist so ergibt sich »nach der Mythe« »durch natürliche Fortpflanzung«, was schon bei der Betrachtung der »sauren Lebenskämpfe« des wahren Egoisten hervortrat, daß seine »Geschöpfe« sich auf die einfachsten Reflexionsbestimmungen, wie Identi[tät], Unterschied, Gleichheit, Ungleich[heit, Gegen]satz pp. beschränken[249] – [Reflexions]bestimmungen, die er sich an [»Sich«, von] dem »die Kunde bis nach [Köln gedrun]gen ist«, klarzumachen [sucht. Über] sein voraussetzungsloses [Ich werden] wir gelegentlich noch [»ein gerin]ges Wörtlein vernehmen«. Siehe u. a. den »Einzigen«.

Wie in Sanchos Geschichtskonstruktion, nach Hegelscher Methode, die spätere historische Erscheinung zur Ursache, zum Schöpfer der früheren gemacht wird, so beim mit sich einigen Egoisten der Stirner von heute zum Schöpfer des Stirner von gestern, obgleich, um in seiner Sprache zu sprechen, der Stirner von heute das Geschöpf des Stirner von gestern ist. Die Reflexion dreht dies allerdings um und in der Reflexion, als Reflexionsprodukt, als Vorstellung, ist der Stirner von gestern das Geschöpf des Stirner von heute, ganz wie die Weltverhältnisse innerhalb der Reflexion die Geschöpfe seiner Reflexion sind.

p. 216. »Suchet nicht die Freiheit, die Euch gerade um Euch selbst bringt. In der ›Selbstverleugnung‹, sondern suchet Euch selbst« (d.h., suchet Euch selbst in der Selbstverleugnung), »werdet Egoisten, werde jeder von Euch ein allmächtiges Ich!«

Wir dürfen uns nach dem Vorhergehenden nicht wundern, wenn Sankt Max sich später zu diesem Satze wieder als Schöpfer und unversöhnlichster Feind verhält und sein erhabenes Moralpostulat: »Werde ein allmächtiges Ich« dahin »auflöst«, daß ohnehin jeder tut, was er kann und kann, was er tut, wodurch er natürlich für Sankt Max »allmächtig« ist. – Übrigens ist in dem obigen Satze der Unsinn des mit sich einigen Egoisten zusammengefaßt. Zuerst das Moralgebot des Suchens, und zwar des Sich-selbst-Suchens. Dies wird dahin bestimmt, daß man etwas werden soll, was man noch nicht ist, nämlich Egoist, und dieser Egoist wird dahin bestimmt, daß er »ein allmächtiges Ich« ist, worin das eigentümliche Vermögen aus wirklichem in Ich, in die Allmacht, die Phantasie des Vermögens sich aufgelöst hat. Sich selbst suchen heißt also etwas Andres werden, als man ist, und zwar allmächtig werden, d.h. Nichts, ein Unding, eine Phantasmagorie werden.


***


Wir sind jetzt so weit vorgedrungen, daß eines der tiefsten Mysterien des Einzigen und zugleich ein Problem, das die zivilisierte Welt seit längerer Zeit in ängstlicher Spannung hielt, enthüllt und gelöst werden kann.

Wer ist Szeliga? So fragt sich seit der kritischen »Literatur-Zeitung« (siehe: »Die heilige Familie« etc.) jeder, der die Entwicklung der deutschen Philosophie verfolgt hat. Wer ist Szeliga? Alle fragen. Alle horchen auf bei dem barbarischen Klange dieses Namens – Keiner antwortet.[250]

Wer ist Szeliga? Sankt Max gibt uns den Schlüssel dieses »Geheimnisses aller Geheimnisse«.

Szeliga ist Stirner als Geschöpf, Stirner ist Szeliga als Schöpfer. Stirner ist das »Ich«, Szeliga du »Du« »des Buchs«. Stirner, der Schöpfer, verhält sich daher zu Szeliga, dem Geschöpf, als zu seinem »unversöhnlichsten Feind«. Sobald sich Szeliga gegen Stirner verselbständigen will – wozu er einen unglückseligen Versuch in den »Norddeutschen Blättern« machte – »nimmt« ihn Sankt Max wieder »in sich zurück«, ein Experiment, was gegen diesen Szeligaschen Versuch auf p. 176-179 des apologetischen Kommentars bei Wigand vollzogen wird. Der Kampf des Schöpfers gegen das Geschöpf, Stirners gegen Szeliga, ist indes nur scheinbar: [Sz]eliga führt gegen seinen Schöpfer [jetzt] die Phrasen dieses [Schöpfers] ins Feld – z.B. »daß [der bloße,] blanke Leib die Gedan[kenlosigkei]t ist« (Wig[and,] p. 148). Sankt [Max dachte] sich, wie wir sahen, nur [das blanke Flei]sch, den Leib vor sei[ner Bildung], und gab bei die[ser Gelegenhe]it dem Leibe die [Bestimmung, »d]as Andere des Gedank[ens«, der] Nicht-Gedanke und Nicht-Den[ken]de zu sein, also die Gedankenlosigkeit; ja an einer späteren Stelle spricht er es geradezu aus, daß nur die Gedankenlosigkeit (wie vorher nur das Fleisch, die also identifiziert werden) ihn vor den Gedanken rette (p. 196). – Einen noch viel schlagenderen Beweis dieses geheimnisvollen Zusammenhangs erhalten wir bei Wigand. Wir sahen bereits p. 7 »des Buchs«, daß »Ich«, d.h. Stirner, »der Einzige« ist. Auf p. 153 des Kommentars redet er nun seinen »Du« an: »Du« – – »bist der Phraseninhalt«, nämlich der Inhalt des »Einzigen«, und auf derselben Seite heißt es: »Daß er selber, Szeliga, der Phraseninhalt sei, läßt er außer Acht.« »Der Einzige« ist die Phrase, wie Sankt Max wörtlich sagt. Als »Ich«, d.h. als Schöpfer gefaßt, ist er Phraseneigner – dies ist Sankt Max. Als »Du«, d.h. als Geschöpf gefaßt. Ist er Phraseninhalt – dies ist Szeliga, wie uns soeben verraten wurde. Szeliga, das Geschöpf, tritt als aufopfernder Egoist, als verkommener Don Quijote auf; Stirner, der Schöpfer, als Egoist im gewöhnlichen Verstande, als heiliger Sancho Pansa.

Hier tritt also die andere Seite des Gegensatzes von Schöpfer und Geschöpf auf, wo jede der beiden Seiten ihr Gegenteil an sich selbst hat. Sancho Panza Stirner, der Egoist im gewöhnlichen Verstande, überwindet hier den Don Quijote Szeliga, den aufopfernden und illusorischen Egoisten, eben ab Don Quijote, durch seinen Glauben an die Weltherrschaft des Heiligen. Was war [über]haupt Stirners Egoist im ge[wöhnlichen] Verstande anders als San[cho Panza] und sein aufopfernder Ego[ist andres] als Don Quijote und [ihr gegenseitiges Ver]hältnis in der bis[herigen Form an]ders als das des [Sancho Panza Stirner] zum Don Quijo[te Szeliga? Jetzt, als] Sancho Panza,[251] g[ehört Stirner sich als] Sancho nur, u[m Szeliga als] Don Quijote glau[ben zu machen, daß] er ihn in der Don[quijoterie über]trifft und einer [solchen Rolle gemäß, als] vorausgesetzte allgemeine Don[quijoterie, Nichts] gegen die D[onquijoterie sei]nes ehemaligen Herrn [(auf] die er mit dem festesten Bedientenglauben schwört) unternimmt und dabei seine schon bei Cervantes entwickelte Pfiffigkeit geltend macht. Dem wirklichen Gehalt nach ist er daher der Verteidiger des praktischen Kleinbürgers, aber bekämpft das dem Kleinbürger entsprechende Bewußtsein, das sich in letzter Instanz auf die Idealisierenden Vorstellungen des Kleinbürgers von der ihm unerreichbaren Bourgeoisie reduziert.

Don Quijote verrichtet also jetzt als Szeliga bei seinem ehemaligen Schildknappen Knechtsdienste.

Wie sehr Sancho in seiner neuen »Wandlung« noch die alten Gewohnheiten behalten hat, zeigt er auf jeder Seite. Noch immer bildet das »Verschlingen« und »Verzehren« eine seiner Hauptqualitäten, noch immer hat seine »natürliche Furchtsamkeit« solche Herrschaft über ihn, daß sich der König von Preußen und der Fürst Heinrich LXXII. ihm in den »Kaiser von China« oder den »Sultan« verwandeln und er nur von den »d...... Kammern« zu sprechen wagt; noch immer streut er Sprüchwörter und Sittensprüchlein aus seinem Schnappsack um sich, noch immer fürchtet er sich vor »Gespenstern«, ja erklärt sie für das allein Furchtbare; der einzige Unterschied ist, daß, während Sancho in seiner Unheiligkeit von den Bauern in der Schenke geprellt wurde, er im Stande der Heiligkeit jetzt fortwährend sich selbst prellt.

Kommen wir Indes auf Szeliga zurück. Wer hat nicht längst in allen »Phrasen«, die Sankt Sancho seinem »Du« in den Mund legte, Szeligas Finger entdeckt? Und nicht allein in den Phrasen des »Du«, sondern auch in den Phrasen, wo Szeliga als Schöpfer, also als Stirner auftritt, ist Szeligas Spur fortwährend zu verfolgen. Darum aber, weil Szeliga Geschöpf ist konnte in der »Heiligen Familie« Szeliga nur als »Geheimnis« auftreten. Die Enthüllung des Geheimnisses kam Stirner dem Schöpfer zu. Wir ahnten freilich, daß hier ein großes, heiliges Abenteuer zugrunde liege. Wir sind nicht getäuscht worden. Das einzige Abenteuer ist wirklich nie gesehen und nie erhört und übertrifft das von den Klappermühlen Cervantes' am zwanzigsten.[252]

50

[Hier fehlt eine Fortsetzung. Eine durchgestrichene, von Mäusen ganz zerfressene Seite enthielt folgendes:] er Egoist ist, seine eigne Selbstverleugnung. Wenn er ein Interesse verfolgt, verleugnet er die Gleichgültigkeit gegen dies Interesse, wenn er etwas tut, verleugnet er das Nichtstun. Nichts leichter [...] für Sancho, als dem »Egoisten im gewöhnlichen Verstande«, seinem Stein des Anstoßes, nachzuweisen, daß er stets sich selbst verleugnet, weil er stets das Gegenteil von dem verleugnet, was er tut und nie sein wirkliches Interesse verleugnet.

Nach seiner Theorie der Selbstverleugnung kann Sancho p. 80 ausrufen: »Ist nun etwa die Uneigennützigkeit unwirklich und nirgends vorhanden? Im Gegenteil, nichts ist gewöhnlicher!«

Wir freuen uns wirklich ü[ber die »Uneigennützigkeit«] des Bewußtseins der deutschen Klein[bürger]

Er gibt von dieser Uneigennützigkeit sogleich ein gutes Beispiel, Indem er ei[nen] Waisenhaus-F[rancke, O'Connell, den heiligen Bon]ifa[z]ius[, Robespierre, Theodor Körner...]

O'Connell, [...], dies weiß jedes [Kind] in England, Nur in Deutschland und namentlich in Berlin kann man sich noch einbilden, daß O'Connell »uneigennützig« sei, O'Connell, der für die Unterbringung seiner Bastardkinder und die Vergrößerung seines Vermögens »unermüdlich arbeitet«, seine einträgliche Advokatenpraxis (10000 Pfund jährlich) mit der (besonders in Irland, wo er keine Konkurrenz vorfand) noch viel einträglicheren eines Agitators (20[000]-30000 Pfund jährlich) nicht umsonst vertauschte, der die irischen Bauern als Middleman »hartherzig« exploitiert, sie bei ihren Schweinen wohnen läßt, während er, König Dan, in seinem Palaste in Merrion-Square einen fürstlichen Hof hält und dabei über das Elend dieser Bauern fortwährend jammert, »denn ihn reißt das Verlangen fort«; der die Bewegung immer gerade so weit treibt, als nötig ist, ihm seinen National Tribute und seine Stellung als Chef zu sichern, und jedes Jahr nach Einsammlung des Tributs alle Agitation aufgibt, um auf seinem Landgute zu Derrynane seines Leibes zu pflegen. Durch seine langjährige juristische Charlatanerie und überaus unverschämte Exploitation jeder Bewegung, an der er teilnahm, ist O'Connell, seiner sonstigen Brauchbarkeit zum Trotz, sogar den englischen Bourgeois verächtlich geworden.

Daß übrigens Sankt Max als Entdecker des wahren Egoismus ein großes Interesse daran hat, die Herrschaft der Uneigennützigkeit in der bisherigen Welt nachzuweisen, ist klar. Er spricht darum auch (Wigand, p. 165) den großen Satz aus, daß die Welt »seit Jahrtausenden nicht egoistisch« ist. Höchstens darf »der Egoist« von Zeit zu Zeit einmal als avant-coureur von Stirner aufgetreten sein und »die Völker zu Falle gebracht« haben.

51

[Auf dieser Seite machte Marx den Vermerk:] III. Bewußtsein.

52

[Im Manuskript gestrichen:] Am lächerlichsten tritt diese Marotte in der Geschichte auf, wo die spätere Epoche natürlich ein andres Bewußtsein über die frühere hat, als diese über sich selbst, und wo z.B. die Griechen über sich das Bewußtsein der Griechen, nicht das Bewußtsein hatten, was wir über sie haben, und wo der Vorwurf an die Griechen, warum sie dies unser Bewußtsein über sich selbst, d.h. »das Bewußtsein von dem, was sie doch wirklich waren«, nicht gehabt hätten, sich in den Vorwurf auflöst: warum sie Griechen gewesen seien.

53

[Hier hat Marx wieder den Vermerk gemacht:] III (Bewußtsein).

54

[Am Anfang dieser Seite machte Marx den Vermerk:] II (Schöpfer und Geschöpf)

55

[Im Manuskript gestrichen:] Die Kommunisten, Indem sie die materielle Basis angreifen, auf der die bisher notwendige Fixität der Begierden oder Gedanken beruht, sind die einzigen, durch deren geschichtliche Aktion das Flüssigmachen der fix werdenden Begierden und Gedanken wirklich vollzogen wird und aufhört, wie bei allen bisherigen Moralisten, »bis herab zu« Stirner, ein ohnmächtiges Moralgebot zu sein. Die kommunistische Organisation wirkt in doppelter Weise auf die Begierden, welche die heutigen Verhältnisse im Individuum hervorbringen; ein Teil dieser Begierden, diejenigen nämlich, welche unter allen Verhältnissen existieren und nur der Form und Richtung nach von verschiedenen gesellschaftlichen Verhältnissen verändert werden, wird auch unter dieser Gesellschaftsform nur verändert, indem ihnen die Mittel zur normalen Entwicklung gegeben werden; ein anderer Teil dagegen, diejenigen Begierden nämlich, die ihren Ursprung nur einer bestimm[ten] Gesellschaftsform, bestimmten Pro[duktions]- und Verkehrsbedingungen verdanken, wird ganz und gar seiner Lebensbedingungen beraubt. Welche [Begierden] nun unter der kommunisti[schen Organ]isation bloß verändert und [welche aufgelöst] werden, läßt [sich nur auf prakt]ische Weise, durch [Veränderung der wirk]lichen, praktischen [»Begierden«, nicht durch] Verglei[chungen mit früheren g]eschichtlichen [Verhältnissen, entscheiden.]

[Natürlich sind die] beiden Ausdrü[cke: »fix« und »Begierden«], die wir [soeben gebrauchten, um] Stirner in [dieser »einzigen« Tats]ache schlagen zu [können,] ganz unpassend. Die Tatsache, daß in der heutigen Gesellschaft bei einem Individuum sich ein Bedürfnis auf Kosten aller andern befriedigen kann, und daß dies »nicht sein soll« und daß dies plus ou moins bei allen Individuen der jetzigen Welt geschieht und daß dadurch die freie Entwicklung des ganzen Individuums unmöglich gemacht wird, drückt Stirner, weil er von dem empirischen Zusammenhang dieser Tatsache mit der bestehenden Weltordnung nichts weiß, dahin aus, daß bei den mit sich uneinigen Egoisten »die Begierden fix werden«. Eine Begierde ist schon durch ihre bloße Existenz etwas »Fixes«, und es kann nur Sankt Max und Konsorten einfallen, seinen Geschlechtstrieb z.B. nicht »fix« werden zu lassen, was er schon ist und nur durch die Kastration oder Impotenz aufhören würde zu sein. Jedes einer »Begierde« zugrunde liegende Bedürfnis ist ebenfalls etwas »Fixes«, und Sankt Max bringt es mit aller Mühe nicht fertig, diese »Fixität« aufzuheben und z.B. dahin zu kommen, daß er nicht innerhalb »fixer« Zeiträume essen muß. Die Kommunisten denken auch nicht daran, diese Fixität ihrer Begierden und Bedürfnisse aufzuheben, wie Stirner in der Welt seines Wahnes ihnen nebst allen andern Menschen zumutet; sie erstreben nur eine solche Organisation der Produktion und des Verkehrs, die ihnen die normale, d.h. nur durch die Bedürfnisse selbst beschränkte, Befriedigung aller Bedürfnisse möglich macht.

56

Hier rechtfertigt also Sankt Max vollständig Feuerbachs »rührendes Exempel« von der Hetäre und Geliebten. In der ersteren »vernimmt« ein Mensch nur sein Fleisch oder nur ihr Fleisch, in der zweiten sich ganz oder sie ganz. Siehe Wigand, p. 170, 171.

57

[Im Manuskript gestrichen:] In der Tat ist dies alles nur ein schwülstiger Ausdruck für den Bourgeois, der jede seiner Aufregungen überwacht, um keinen Schaden zu nehmen, andrerseits aber mit einer Masse Eigenschaften renommiert, wie z.B. philanthropischem Eifer, gegen die er sich »frostig kalt, ungläubig und als unversöhnlichster Feind« verhalten müsse, damit er nicht sich als Eigentümer daran verliere, sondern der Eigentümer der Philanthropie bleibe. Aber Sankt Max opfert die Eigenschaft, zu der er sich als »unversöhnlichster Feind« verhält, seinem reflektierenden Ich, seiner Reflexion zuliebe, während der Bourgeois seine Neigungen und Begierden immer einem bestimmten wirklichen Interesse opfert.

58

[Im Manuskript gestrichen;] Wenn übrigens Sankt Max »einen hohen preußischen Offizier« sagen läßt: »Jeder Preuße trägt seinen Gendarmen in der Brust«, so muß dies heißen: den Gendarmen des Königs, nur der »mit sich einige Egoist« trägt seinen eignen Gendarmen in der Brust.

59

[Im Manuskript gestrichen:] Sankt Max erkennt an einer späte[ren] profanen Stelle an, daß das Ich von der Welt einen (Fichteschen) »Anstoß« erhält. Daß die Kommunisten diesen »Anstoß«, der freilich, wenn man sich nicht mit der bloßen Redensart begnügt, ein höchst verwickelter und vielfach bestimmter »Anstoß« wird, unter ihre Kontrolle zu nehmen beabsichtigen, das ist freilich für Sankt Max ein viel zu verwegener Gedanke, als daß er sich darauf einlassen könnte.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 224-253.
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