III. Der Verein

[373] Wir haben bei der Empörung zuerst die Prahlereien Sanchos zusammengestellt und dann den praktischen Verlauf der »reinen Tat des mit sich einigen Egoisten« verfolgt. Wir werden beim »Verein« den umgekehrten Weg einschlagen; zuerst die positiven Institutionen prüfen und dann die Illusionen unseres Heiligen über diese Institutionen danebenhalten.


1. Grundeigentum

»Wenn Wir den Grundeigentümern den Grund nicht länger lassen, sondern Uns zueignen wollen, so vereinigen Wir Uns zu diesem Zwecke, bilden einen Verein, eine société« (Gesellschaft), »die sich zur Eigentümerin macht; glückt es Uns, so hören Jene auf, Grundeigentümer zu sein.« Der »Grund und Boden« wird dann »zum Eigentum der Erobernden... Und diese Einzelnen werden als eine Gesamtmasse nicht weniger willkürlich mit Grund und Boden umgehen als ein vereinzelter Einzelner oder sogenannter propriétaire. Auch so bleibt also das Eigentum bestehen, und zwar auch als ›ausschließlich‹, indem die Menschheit, diese große Sozietät, den Einzelnen von ihrem Eigentum ausschließt, ihm vielleicht nur ein Stück davon verpachtet, zu Lohn gibt... So wird's auch bleiben und werden. Dasjenige, woran Alle Anteil haben wollen, wird demjenigen Einzelnen entzogen werden, der es für sich allein haben will, es wird zu einem Gemeingut gemacht. Als an einem Gemeingut hat Jeder daran seinen Anteil, und dieser Anteil ist sein Eigentum. So ist ja auch in unsren alten Verhältnissen ein Haus, welches fünf Erben gehört, ihr Gemeingut; der fünfte Teil des Ertrags aber ist eines Jeden Eigentum.« p. 329, 330.

Nachdem unsre tapfern Empörer sich zu einem Verein, einer Sozietät, formiert und in dieser Gestalt sich ein Stück Land erobert haben, »macht sich« diese »société«, diese moralische Person, »zur Eigentümerin«. Damit man dies ja nicht mißverstehe, wird gleich darauf gesagt, daß »diese Sozietät den Einzelnen vom Eigentum ausschließt, ihm vielleicht nur ein Stück davon verpachtet, zu Lohn gibt«. Auf diese Weise eignet Sankt Sancho sich und seinem »Verein« seine Vorstellung vom Kommunismus an. Der Leser wird sich erinnern, daß Sancho in seiner Ignoranz den Kommunisten vorwarf, sie wollten die Gesellschaft zur höchsten Eigentümerin machen, die dem Einzelnen seine »Habe« zu Lehen gebe.

Ferner die Aussicht, die Sancho seinen Mannschaften auf einen »Anteil am Gemeingut« eröffnet. Bei einer späteren Gelegenheit sagt derselbe Sancho ebenfalls gegen die Kommunisten: »Ob das Vermögen der Gesamtheit gehört,[373] die Mir davon einen Teil zufließen läßt, oder einzelnen Besitzern, ist für Mich derselbe Zwang, da Ich über keins von Beiden bestimmen kann« (weswegen ihm auch seine »Gesamtmasse« dasjenige »entzieht«, von dem sie nicht will, daß es ihm allein gehöre, und ihm so die Macht des Gesamtwillens fühlbar macht).

Drittens finden wir hier wieder die »Ausschließlichkeit«, die er dem bürgerlichen Eigentum so oft vorgeworfen hat, so daß »ihm nicht einmal der armselige Punkt gehört, auf dem er sich herumdreht«. Er hat vielmehr nur das Recht und die Macht, als armseliger und gedrückter Fronbauer darauf herumzuhocken.

Viertens eignet sich hier Sancho das Lehnswesen an, das er zu seinem großen Verdruß in allen bisher existierenden und projektierten Gesellschaftsformen entdeckte. Die erobernde »Sozietät« benimmt sich ungefähr wie die »Vereine« von halbwilden Germanen, die die römischen Provinzen eroberten und dort ein noch sehr mit dem alten Stammwesen versetztes, rohes Lehnswesen einrichteten. Sie gibt jedem Einzelnen ein Stückchen Land »zu Lohn«. Auf der Stufe, auf welcher Sancho und die Germanen des sechsten Jahrhunderts stehen, fällt das Lehnswesen allerdings noch sehr mit dem »Lohn«-wesen zusammen.

Es versteht sich übrigens, daß das von Sancho hier neuerdings zu Ehren gebrachte Stammeigentum sich binnen kurzem wieder in die jetzigen Verhältnisse auflösen müßte. Sancho fühlt dies selbst, indem er ausruft: »So wird's auch bleiben und« (schönes Und!) »werden«, und schließlich durch sein großes Exempel von dem Hause, das fünf Erben gehört, beweist, daß er gar nicht die Absicht hat, über unsre alten Verhältnisse hinauszugehen. Sein ganzer Plan zur Organisation des Grundeigentums hat nur den Zweck, uns auf einem historischen Umwege zu der kleinbürgerlichen Erbpacht und dem Familieneigentum deutscher Reichsstädte zurückzuführen.

Von unsren alten, d.h. den jetzt bestehenden Verhältnissen, hat sich Sancho nur den juristischen Unsinn angeeignet, daß die Einzelnen oder propriétaires »willkürlich« mit dem Grundeigentum umgehen. Im »Verein« soll diese eingebildete »Willkür« von seiten der »Sozietät« fortgesetzt werden. Es ist für den »Verein« so gleichgültig, was mit dem Boden geschieht, daß die »Sozietät« »vielleicht« den Einzelnen Parzellen verpachtet, vielleicht auch nicht. Das ist Alles ganz gleichgültig. – Daß mit einer bestimmten Organisation des Ackerbaus eine bestimmte Form der Tätigkeit, die Subsumtion unter eine bestimmte Stufe der Teilung der Arbeit gegeben ist, kann Sancho freilich nicht wissen. Aber jeder Andere sieht ein, wie wenig die von Sancho hier vorgeschlagenen kleinen Fronbauern in der Lage sind, daß »Jeder von ihnen ein allmächtiges Ich werden« kann, und wie schlecht ihr Eigentum an ihre[r][374] lumpige[n] Parzelle zu dem viel gefeierten »Eigentum an Allem« paßt. In der wirklichen Welt hängt der Verkehr der Individuen von ihrer Produktionsweise ab, und daher wirft Sanchos »Vielleicht« vielleicht seinen ganzen Verein über den Haufen. »Vielleicht« aber oder vielmehr unzweifelhaft tritt hier schon die wahre Ansicht Sanchos über den Verkehr im Verein zutage, nämlich die Ansicht, daß der egoistische Verkehr das Heilige zu seiner Grundlage hat.

Sancho tritt hier mit der ersten »Einrichtung« seines zukünftigen Vereins an das Tageslicht. Die Empörer, die »verfassungslos« zu werden sich bestrebten, »richten sich selbst ein«, indem sie eine »Verfassung« des Grundeigentums »wählen«. Wir sehen, daß Sancho Recht hatte, wenn er sich von neuen »Institutionen« keine glänzenden Hoffnungen machte. Wir sehen aber zugleich, daß er einen hohen Rang unter den »sozialen Talenten« einnimmt und »an gesellschaftlichen Einrichtungen ungemein erfinderisch ist«.


2. Organisation der Arbeit

»Die Organisation der Arbeit betrifft nur solche Arbeiten, welche Andre für Uns machen können, z.B. Schlachten, Ackern usw.; die übrigen bleiben egoistisch, weil z.B. Niemand an Deiner Statt Deine musikalischen Kompositionen anfertigen. Deine Malerentwürfe ausführen usw. kann. Raffaels Arbeiten kann Niemand ersetzen. Die letzteren sind Arbeiten eines Einzigen, die nur dieser Einzige zu vollbringen vermag, während Jene menschliche« (p. 356 identisch gesetzt mit den »gemeinnützigen«) »genannt zu werden verdienen, da das Eigne daran von geringem Belang ist und so ziemlich jeder Mensch dazu abgerichtet werden kann.« p. 355.

»Es ist immer fördersam, daß Wir Uns über die menschlichen Arbeiten einigen, damit sie nicht, wie unter der Konkurrenz, alle unsre Zeit und Mühe in Anspruch nehmen... Für wen soll aber Zeit gewonnen werden ? Wozu braucht der Mensch mehr Zeit als nötig ist, seine abgespannten Arbeitskräfte zu erfrischen? Hier schweigt der Kommunismus. Wozu? Um seiner als des Einzigen froh zu werden, nachdem er als Mensch das Seinige getan hat.« p. 356, 357.

»Durch Arbeit kann Ich die Amtsfunktionen eines Präsidenten, Ministers usw. versehen; es erfordern diese Ämter nur eine allgemeine Bildung, nämlich eine solche, die allgemein erreichbar ist... Kann aber auch Jeder diese Ämter bekleiden, so gibt doch erst die einzige, ihm allein eigne Kraft des Einzelnen ihnen sozusagen Leben und Bedeutung. Daß er sein Amt nicht wie ein gewöhnlicher Mensch führt, sondern das Vermögen seiner Einzigkeit hineinlegt, das bezahlt man ihm noch nicht, wenn man ihn überhaupt nur als Beamten oder Minister bezahlt. Hat er's Euch zu Dank gemacht und wollt Ihr diese dankenswerte Kraft des Einzigen Euch erhalten, so werdet Ihr ihn nicht als einen bloßen Menschen bezahlen dürfen, der nur Menschliches verrichtet, sondern nur als Einen, der Einziges vollbringt.« p. 362, 363.

[375] »Vermagst Du Tausenden Lust zu bereiten, so werden Tausende Dich dafür honorieren, es stände ja in Deiner Gewalt, es zu unterlassen, daher müssen sie Deine Tat erkaufen.« p. 351.

»Über Meine Einzigkeit läßt sich keine allgemeine Taxe feststellen, wie für das, was Ich als Mensch tue. Nur über das Letztere kann eine Taxe bestimmt werden. Setzt also Immerhin eine allgemeine Taxe für menschliche Arbeiten auf, bringt aber Eure Einzigkeit nicht um Ihren Verdienst.« p. 363.

Als Beispiel der Organisation der Arbeit im Verein wird p. 365 die schon besprochene öffentliche Bäckerei angeführt. Diese öffentlichen Anstalten müssen wahre Wunder sein unter der oben vorausgesetzten vandalischen Parzellierung.

Zuerst soll die menschliche Arbeit organisiert und dadurch verkürzt werden, damit Bruder Straubinger hinterher, wenn er früh Feierabend gemacht hat, »seiner als des Einzigen froh werden kann« (p. 357); während p. 363 das »Frohwerden« des Einzigen sich in seinen Extraverdienst auflöst, p. 363 kommt die Lebensäußerung des Einzigen nicht hinterdrein nach der menschlichen Arbeit, sondern die menschliche Arbeit kann als einzige betrieben werden und erfordert dann einen Lohnzuschuß. Der Einzige, dem es nicht um seine Einzigkeit, sondern um den höheren Lohn zu tun ist, könnte ja sonst seine Einzigkeit in den Kleiderschrank verschließen und der Gesellschaft zum Trotz sich damit begnügen, den gewöhnlichen Menschen und sich selbst damit einen Possen zu spielen.

Nach p. 356 fällt die menschliche Arbeit mit der gemeinnützigen zusammen, aber nach p. 351 und 363 bewährt sich die einzige Arbeit eben darin, daß sie als gemeinnützige oder wenigstens Vielen nützliche extra honoriert wird.

Die Organisation der Arbeit im Verein besteht also in der Trennung der menschlichen Arbeit von der einzigen, in der Feststellung einer Taxe für die menschliche und in dem Mauscheln um einen Lohnzuschuß für die einzige Arbeit. Dieser Lohnzuschuß ist wieder doppelt, nämlich einer für die einzige Ausführung der menschlichen Arbeit und ein anderer für die einzige Ausführung der einzigen Arbeit, was eine um so verwickeltere Buchführung gibt, als heute Das eine menschliche Arbeit wird, was gestern eine einzige war (z.B. Baumwollengarn Nr. 200 zu spinnen), und als der einzige Betrieb menschlicher Arbeiten eine fortwährende Selbstmoucharderie im eignen und allgemeine Moucharderie im öffentlichen Interesse erfordert. Dieser ganze wichtige Organisationsplan läuft also auf eine ganz kleinbürgerliche Aneignung des Gesetzes von Nachfrage und Zufuhr hinaus, das heute existiert und von allen[376] Ökonomen entwickelt worden ist. Sancho kann das Gesetz, wonach der Preis derjenigen Arbeiten sich bestimmt, die er für einzige erklärt, z.B. der einer Tänzerin, eines ausgezeichneten Arztes oder Advokaten, schon bei Adam Smith erklärt und bei dem Amerikaner Cooper taxiert finden. Die neueren Ökonomen haben aus diesem Gesetz das hohe Salär dessen, was sie travail improductif nennen, und das niedrige der Ackerbautaglöhner, überhaupt die Ungleichheiten des Arbeitslohns erklärt. Wir sind so mit Gottes Hülfe wieder bei der Konkurrenz angekommen, aber bei der Konkurrenz in einem gänzlich heruntergekommenen Zustande, so heruntergekommen, daß Sancho eine Taxe, eine Fixierung des Arbeitslohns durch Gesetze, wie weiland im 14. und 15. Jahrhundert, vorschlagen kann.

Es verdient noch erwähnt zu werden, daß die hier von Sancho ans Licht gebrachte Vorstellung sich ebenfalls als etwas ganz Neues bei dem Herrn Messias Dr. Georg Kuhlmann aus Holstein findet.

Was Sancho hier menschliche Arbeiten nennt, ist, mit Ausschluß seiner bürokratischen Phantasien, dasselbe, was man sonst unter Maschinenarbeit versteht und was die Entwicklung der Industrie mehr und mehr den Maschinen anheim gibt. In dem »Verein« sind freilich bei der oben geschilderten Organisation des Grundbesitzes die Maschinen eine Unmöglichkeit, und daher ziehen es die mit sich einigen Fronbauern vor, sich über diese Arbeiten zu verständigen. Über »Präsidenten« und »Minister« urteilt Sancho, this poor localized being, wie Owen sagt, nur nach seiner unmittelbaren Umgebung.

Wie immer hat Sancho hier wieder Unglück mit seinen praktischen Exempeln. Er meint. Niemand könne »an Deiner Stelle Deine musikalischen Kompositionen anfertigen, Deine Malerentwürfe ausführen. Raffaels Arbeiten könne Niemand ersetzen.« Sancho könnte doch wohl wissen, daß nicht Mozart selbst, sondern ein Anderer Mozarts Requiem größtenteils angefertigt und ganz ausgefertigt, daß Raffael von seinen Fresken die wenigsten selbst »ausgeführt« hat.

Er bildet sich ein, die sogenannten Organisateure der Arbeit wollten die Gesamttätigkeit jedes Einzelnen organisieren, während gerade bei ihnen zwischen der unmittelbar produktiven Arbeit, die organisiert werden soll, und der nicht unmittelbar produktiven Arbeit unterschieden wird. In diesen Arbeiten aber soll nach ihrer Meinung nicht, wie Sancho sich einbildet. Jeder an Raffaels Statt arbeiten, sondern Jeder, in dem ein Raffael steckt, sich ungehindert ausbilden können. Sancho bildet sich ein, Raffael habe seine[377] Gemälde unabhängig von der zu seiner Zeit in Rom bestehenden Teilung der Arbeit hervorgebracht. Wenn er Raffael mit Leonardo da Vinci und Tizian vergleicht, so kann er sehen, wie sehr die Kunstwerke des ersteren von der unter florentinischem Einfluß ausgebildeten damaligen Blüte Roms, die des zweiten von den Zuständen von Florenz, und später die des dritten von der ganz verschiedenen Entwicklung Venedigs bedingt waren. Raffael, so gut wie jeder andre Künstler, war bedingt durch die technischen Fortschritte der Kunst, die vor ihm gemacht waren, durch die Organisation der Gesellschaft und die Teilung der Arbeit in seiner Lokalität und endlich durch die Teilung der Arbeit in allen Ländern, mit denen seine Lokalität im Verkehr stand. Ob ein Individuum wie Raffael sein Talent entwickelt, hängt ganz von der Nachfrage ab, die wieder von der Teilung der Arbeit und den daraus hervorgegangenen Bildungsverhältnissen der Menschen abhängt.

Stirner steht hier noch weit unter der Bourgeoisie, indem er die Einzigkeit der wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeit proklamiert. Man hat es bereits jetzt für nötig gefunden, diese »einzige« Tätigkeit zu organisieren. Horace Vernet hätte nicht Zeit für den zehnten Teil seiner Gemälde gehabt, wenn er sie für Arbeiten angesehen hätte, »die nur dieser Einzige zu vollbringen vermag«. Die große Nachfrage nach Vaudevilles und Romanen in Paris hat eine Organisation der Arbeit zur Produktion dieser Artikel hervorgerufen, die noch immer Besseres leistet als ihre »einzigen« Konkurrenten in Deutschland. In der Astronomie haben es Leute wie Arago, Herschel, Encke und Bessel für nötig gefunden, sich zu gemeinsamen Beobachtungen zu organisieren, und sind erst seitdem zu einigen erträglichen Resultaten gekommen. In der Geschichtschreibung ist es für den »Einzigen« absolut unmöglich, etwas zu leisten, und die Franzosen haben auch hier längst durch die Organisation der Arbeit allen andern Nationen den Rang abgelaufen. Es versteht sich übrigens, daß alle diese auf der modernen Teilung der Arbeit beruhenden Organisationen immer noch zu höchst beschränkten Resultaten führen und nur gegenüber der bisherigen bornierten Vereinzelung ein Fortschritt sind.

Es muß noch besonders hervorgehoben werden, daß Sancho die Organisation der Arbeit mit dem Kommunismus verwechselt und sich gar wundert, daß »der Kommunismus« ihm nicht auf seine Bedenken über diese Organisation antwortet. So wundert sich ein Gascogner Bauernjunge, daß Arago ihm nicht zu sagen weiß, auf welchem Stern der liebe Gott seinen Hof aufgeschlagen habe.

Die exklusive Konzentration des künstlerischen Talents in Einzelnen und seine damit zusammenhängende Unterdrückung in der großen Masse ist[378] Folge der Teilung der Arbeit. Wenn selbst in gewissen gesellschaftlichen Verhältnissen Jeder ein ausgezeichneter Maler wäre, so schlösse dies noch gar nicht aus, daß Jeder auch ein origineller Maler wäre, so daß auch hier der Unterschied zwischen »menschlicher« und »einziger« Arbeit in bloßen Unsinn sich verläuft. Bei einer kommunistischen Organisation der Gesellschaft fällt jedenfalls fort die Subsumtion des Künstlers unter die lokale und nationale Borniertheit, die rein aus der Teilung der Arbeit hervorgeht, und die Subsumtion des Individuums unter diese bestimmte Kunst, so daß es ausschließlich Maler, Bildhauer usw. ist und schon der Name die Borniertheit seiner geschäftlichen Entwicklung und seine Abhängigkeit von der Teilung der Arbeit hinlänglich ausdrückt. In einer kommunistischen Gesellschaft gibt es keine Maler, sondern höchstens Menschen, die unter Anderm auch malen.

Sanchos Organisation der Arbeit zeigt deutlich, wie sehr alle diese philosophischen Ritter von der Substanz sich bei bloßen Phrasen beruhigen. Die Subsumtion der »Substanz« unter das »Subjekt«, wovon sie Alle so hohe Worte machen, die Herabsetzung der »Substanz«, die das »Subjekt« beherrscht, zu einem bloßen »Akzidens« dieses Subjekts, zeigt sich als bloßes »leeres Gerede«.73 Sie unterlassen es daher weislich, auf die Teilung der Arbeit, auf die materielle Produktion und den materiellen Verkehr einzugehen, die eben die Individuen unter bestimmte Verhältnisse und Tätigkeitsweisen subsumieren. Es handelt sich bei ihnen überhaupt nur darum, neue Phrasen zur Interpretation der bestehenden Welt zu erfinden, die um so gewisser in burleske Prahlereien auslaufen, je mehr sie sich über diese Welt zu erheben glauben und in Gegensatz zu ihr stellen. Wovon Sancho ein beklagenswertes Beispiel ist.[379]


3. Geld

»Das Geld ist eine Ware, und zwar ein wesentliches Mittel oder Vermögen; denn es schützt vor der Verknöcherung des Vermögens, hält es im Fluß und bewirkt seinen Umsatz. Wißt Ihr ein besseres Tauschmittel, immerhin; doch wird es wieder ein Geld sein.« p. 364.

p. 353 wird das Geld als »gangbares oder kursierendes Eigentum« bestimmt.

Im »Verein« wird also das Geld beibehalten, dies rein gesellschaftliche Eigentum, dem alles Individuelle abgestreift ist. Wie sehr Sancho in der bürgerlichen Anschauungsweise befangen ist, zeigt seine Frage nach einem besseren Tauschmittel. Er setzt also zuerst voraus, daß ein Tauschmittel überhaupt nötig ist, und dann kennt er kein anderes Tauschmittel als das Geld. Daß ein Schiff, eine Eisenbahn, die Waren transportieren, ebenfalls Tauschmittel sind, kümmert ihn nicht. Um also nicht bloß vom Tauschmittel, sondern vom Gelde speziell zu sprechen, ist er genötigt, die übrigen Bestimmungen des Geldes, daß es das allgemein gangbare und kursierende Tauschmittel ist, alles Eigentum im Fluß erhält etc., hereinzunehmen. Damit kommen auch die ökonomischen Bestimmungen herein, die Sancho nicht kennt, die aber gerade das Geld konstituieren; und mit ihnen auch der ganze jetzige Zustand, Klassenwirtschaft, Herrschaft der Bourgeoisie etc.

Wir erhalten indes zunächst einige Aufschlüsse über den – sehr originellen – Verlauf der Geldkrisen im Verein.

Es entsteht die Frage:

»Wo Geld hernehmen?... Man bezahlt nicht mit Geld, woran Mangel eintreten kann, sondern mit seinem Vermögen, durch welches allein Wir vermögend sind... Nicht das Geld tut Euch Schaden, sondern Euer Unvermögen, es zu nehmen.«

Und nun der moralische Zuspruch:

»Laßt Euer Vermögen wirken, nehmt Euch zusammen, und es wird an Geld, an Eurem Gelde, dem Gelde Eures Gepräges, nicht fehlen...Wisse denn. Du hast so viel Geld, als Du – Gewalt hast; denn Du giltst soviel, als Du Dir Geltung verschaffst.« p. 353,364.

In der Macht des Geldes, in der Verselbständigung des allgemeinen Tauschmittels, sowohl der Gesellschaft wie den Einzelnen gegenüber, tritt die Verselbständigung der Produktions- und Verkehrsverhältnisse überhaupt am deutlichsten hervor. Also Sancho weiß, wie gewöhnlich. Nichts vom Zusammenhange der Geldverhältnisse mit der allgemeinen Produktion und dem Verkehr. Er behält als guter Bürgersmann das Geld ruhig bei, wie dies auch[380] nach seiner Teilung der Arbeit und Organisation des Grundbesitzes nicht anders möglich ist. Die sachliche Macht des Geldes, die in den Geldkrisen eklatant hervortritt und den »kauflustigen« Kleinbürger in der Gestalt eines permanenten Geldmangels drückt, ist dem mit sich einigen Egoisten ebenfalls ein höchst unangenehmes Faktum. Er entledigt sich seiner Ungelegenheit dadurch, daß er die gewöhnliche Vorstellung des Kleinbürgers umgekehrt ausdrückt und dadurch den Schein hereinbringt, als sei die Stellung der Individuen gegenüber der Geldmacht eine rein vom persönlichen Wollen oder Laufen abhängige Sache. Diese glückliche Wendung gibt ihm dann Gelegenheit, dem erstaunten und vom Geldmangel ohnehin entmutigten Kleinbürger eine durch Synonymik, Etymologie und Umlaut unterstützte Moralpredigt zu halten und dadurch alle ungelegenen Fragen über die Ursachen der Geldklemme vorweg abzuschneiden.

Die Geldkrise besteht zunächst darin, daß alle »Vermögen« auf einmal gegenüber dem Tauschmittel depreziiert werden und das »Vermögen« über das Geld verlieren. Die Krise ist gerade dann da, wenn man nicht mehr mit seinem »Vermögen« zahlen kann, sondern mit Geld zahlen muß. Dies findet wieder nicht dadurch statt, daß Mangel an Geld eintritt, wie der Kleinbürger sich vorstellt, der die Krise nach seiner Privatmisère beurteilt, sondern dadurch, daß der spezifische Unterschied des Geldes als der allgemeinen Ware, des »gangbaren und kursierenden Eigentums«, von allen andern speziellen Waren sich fixiert, die plötzlich aufhören, gangbares Eigentum zu sein. Die Ursachen dieses Phänomens hier, Sancho zu Gefallen, zu entwickeln, kann nicht erwartet werden. Den geld- und trostlosen Kleinkrämern gibt Sancho nun zunächst den Trost, daß nicht das Geld die Ursache des Geldmangels und der ganzen Krise sei, sondern ihr Unvermögen, es zu nehmen. Nicht der Arsenik ist schuld daran, daß Jemand stirbt, der ihn gegessen hat, sondern das Unvermögen seiner Konstitution, Arsenik zu verdauen.

Nachdem Sancho vorher das Geld als ein wesentliches, und zwar spezifisches Vermögen, als allgemeines Tauschmittel, als Geld im gewöhnlichen Verstande bestimmt hat, dreht er auf einmal, sowie er sieht, zu welchen Schwierigkeiten dies führen würde, die Sache um und erklärt alles Vermögen für Geld, um den Schein der persönlichen Macht hervorzubringen. Die Schwierigkeit während der Krise ist eben, daß »alles Vermögen« aufgehört hat, »Geld« zu sein. Übrigens läuft dies auf die Praxis des Bürgers hinaus, der »alles Vermögen« solange an Zahlungs Statt annimmt, als es Geld ist, und erst dann Schwierigkeiten macht, wenn es schwierig wird, dies »Vermögen« in Geld zu verwandeln, wo er es dann auch nicht mehr für ein »Vermögen« ansieht. Die Schwierigkeit in der Krisis besteht ferner gerade darin,[381] daß Ihr Kleinbürger, zu denen Sancho hier spricht, das Geld Eures Gepräges, Eure Wechsel nicht mehr zirkulieren lassen könnt, sondern daß man Geld von Euch verlangt, woran Ihr nichts mehr zu prägen hattet und dem kein Mensch es ansieht, daß es durch Eure Finger gegangen ist.

Endlich verdreht Stirner das bürgerliche Motto: Du giltst so viel, als Du Geld hast, dahin: Du hast so viel Geld, als Du giltst, womit nichts verändert, sondern nur der Schein der persönlichen Macht hereingebracht und damit die triviale Bourgeoisillusion ausgedrückt ist, daß Jeder selbst schuld daran sei, wenn er kein Geld habe. So wird Sancho fertig mit dem klassischen Bourgeoisspruch: L'argent n'a pas de maître, und kann nun auf die Kanzel steigen und ausrufen: »Lasset Eure Vermögen wirken, nehmt Euch zusammen, und es wird am Gelde nicht fehlen!« Je ne connais pas de lieu à la bourse où se fasse le transfert des bonnes intentions. Er brauchte nur noch hinzuzusetzen: Verschafft Euch Kredit, knowledge is power, der erste Taler ist schwerer zu erwerben als die letzte Million, seid mäßig und haltet das Eurige zu Rate, besonders aber pulluliert nicht zu viel usw., um statt des einen beide Eselsohren hervorblicken zu lassen. Überhaupt endigen bei dem Manne, für den Jeder ist, was er sein kann, und tut, was er tun kann, alle Kapitel mit moralischen Postulaten.

Das Geldwesen im Stirnerschen Verein ist also das existierende Geldwesen, ausgedrückt in der beschönigenden und gemütlich-schwärmerischen Weise eines deutschen Kleinbürgers.

Nachdem Sancho auf diese Weise mit den Ohren seines Grauen paradiert hat, richtet sich Szeliga-Don Quijote in seiner ganzen Länge auf, um mit einer feierlichen Rede über die moderne fahrende Ritterschaft, wobei das Geld in die Dulcinea von Toboso verwandelt wird, die Fabrikanten und Commerçants en masse zu Rittern, nämlich Industrierittern, zu schlagen. Die Rede hat noch den Nebenzweck, zu beweisen, daß das Geld, weil ein »wesentliches Mittel«, auch »wesentlich Tochter74 ist«. Und er reckte seine Rechte aus und sprach:

»Vom Gelde hängt Glück und Unglück ab. Es ist darum in der Bürgerperiode eine Macht, weil es nur wie ein Mädchen« (Viehmädchen, per appos[itionem] Dulcinea) »umworben, von Niemand unauflöslich geehlicht wird. Alle Romantik und Ritterlich-[382] keit des Werbens um einen teuren Gegenstand lebt in der Konkurrenz wieder auf. Das Geld, ein Gegenstand der Sehnsucht, wird von den kühnen Industrierittern entführt.« p. 364.

Sancho hat jetzt einen tiefen Aufschluß darüber erhalten, weshalb das Geld in der Bürgerperiode eine Macht ist, nämlich erstens, weil von ihm Glück und Unglück abhängt, und zweitens, weil es ein Mädchen ist. Er hat ferner erfahren, weshalb er um sein Geld kommen kann, nämlich, weil ein Mädchen von Niemand unauflöslich geehlicht wird. Jetzt weiß der arme Schlucker, woran er ist.

Szeliga, der so den Bürger zum Ritter gemacht hat, macht nun folgendermaßen den Kommunisten zum Bürger, und zwar zum bürgerlichen Ehemann:

»Wer das Glück hat, führt die Braut heim. Der Lump hat das Glück; er führt sie in sein Hauswesen, die Gesellschaft, ein und vernichtet die Jungfrau. In seinem Hause ist sie nicht mehr Braut, sondern Frau, und mit der Jungfräulichkeit geht auch der Geschlechtsname verloren. Als Hausfrau heißt die Geldjungfer Arbeit, denn Arbeit ist der Name des Mannes. Sie ist ein Besitz des Mannes. – Um dies Bild zu Ende zu bringen, so ist das Kind von Arbeit und Geld wieder ein Mädchen« (»wesentlich Tochter«), »ein unverehlichtes« (ist dem Szeliga je vorgekommen, daß ein Mädchen »verehlicht« aus dem Mutterleibe gekommen ist?), »also Geld«. (Nach dem obigen Beweise, daß alles Geld »ein unverehlichtes Mädchen« sei, leuchtet es von selbst ein, daß »alle unverehlichten Mädchen« »Geld« sind) – »also Geld, aber mit der gewissen Abstammung von der Arbeit, seinem Vater« (toute recherche de la paternité est interdite). »Die Gesichtsform, das Bild, trägt ein anderes Gepräge.« p. 364, 365.

Diese Hochzeits-, Leichenbitter- und Kindtaufsgeschichte beweist wohl durch sich selbst hinlänglich, wie sehr sie »wesentlich Tochter« Szeligas, und zwar Tochter von »gewisser Abstammung« ist. Ihren letzten Grund hat sie indes in der Unwissenheit seines ehmaligen Stallknechts Sancho. Diese tritt deutlich heraus am Schluß, wo der Redner wieder um das »Gepräge« des Geldes ängstlich besorgt ist und dadurch verrät, daß er noch immer das Metallgeld für das wichtigste zirkulierende Medium hält. Wenn er sich um die ökonomischen Verhältnisse des Geldes etwas näher bekümmert hätte, statt ihm einen schönen grünen Jungfernkranz zu flechten, so würde er wissen, daß, von Staatspapieren, Aktien pp. nicht zu sprechen, die Wechsel den größten Teil des zirkulierenden Mediums ausmachen, während das Papiergeld ein verhältnismäßig sehr kleiner und das Metallgeld ein noch kleinerer Teil davon ist. In England zirkuliert z.B. fünfzehnmal mehr Geld in Wechseln und Banknoten als in Metall. Und selbst was das Metallgeld betrifft, so wird es rein durch die Produktionskosten, d.h. die Arbeit bestimmt. Stirners weit-[383] läuftiger Zeugungsprozeß war also hier überflüssig. – Die feierlichen Reflexionen, die Szeliga über ein auf der Arbeit beruhendes und doch vom jetzigen Gelde unterschiedenes Tauschmittel anstellt, das er bei einigen Kommunisten entdeckt haben will, beweisen nur wieder die Einfalt, mit der unser edles Paar Alles unbesehen glaubt, was es liest.

Beide führen, wenn sie nach dieser ritterlichen und »romantischen« Kampagne »des Werbens« nach Hause reiten, kein »Glück« heim, noch weniger »die Braut«, am allerwenigsten »Geld«, sondern höchstens ein »Lump« den andern.


4. Staat

Wir haben gesehen, wie Sancho in seinem »Verein« die bestehende Form des Grundbesitzes, die Teilung der Arbeit und das Geld in der Weise, wie diese Verhältnisse in der Vorstellung eines Kleinbürgers leben, beibehält. Daß nach diesen Prämissen Sancho den Staat nicht entbehren kann, leuchtet auf den ersten Blick ein.

Zunächst wird sein neuerworbenes Eigentum die Form des garantierten, rechtlichen Eigentums anzunehmen haben. Wir haben schon gehört:

»Dasjenige, woran Alle Anteil haben wollen, wird demjenigen Einzelnen entzogen werden, der es für sich allein haben will.« (p. 330.)

Hier wird also der Wille der Gesamtheit geltend gemacht gegenüber dem Willen des vereinzelten Einzelnen. Da jeder der mit sich einigen Egoisten mit den Andern uneinig werden und damit in diesen Widerspruch treten kann, muß der Gesamtwille auch einen Ausdruck haben gegenüber den vereinzelten Einzelnen –

»und man nennt diesen Willen den Staatswillen« (p. 257).

Seine Bestimmungen sind dann die rechtlichen Bestimmungen. Die Exekution dieses Gesamtwillens wird wieder Repressivmaßregeln und eine öffentliche Gewalt nötig machen.

»Vereine werden dann auch in dieser Sache« (dem Eigentum) »die Mittel des Einzelnen multiplizieren und sein angefochtenes Eigentum sicherstellen« (garantieren also garantiertes Eigentum, also rechtliches Eigentum, also Eigentum, das Sancho nicht »unbedingt« besitzt, sondern vom »Verein« »zu Lehen trägt«), p. 342.

Mit den Eigentumsverhältnissen versteht sich dann, daß das ganze Zivilrecht wiederhergestellt wird, und Sancho selbst trägt z.B. die Lehre vom Vertrag ganz im Sinne der Juristen vor, wie folgt:

»Auch hat es Nichts zu sagen, wenn Ich selbst Mich um diese und jene Freiheit bringe, z.B. durch jeden Kontrakt.« p. 409.[384]

Und um die »angefochtenen« Kontrakte »sicherzustellen«, wird es ebenfalls »Nichts zu sagen haben«, wenn er sich wieder einem Gerichte und allen jetzigen Folgen eines Zivilprozesses zu unterwerfen hat.

So rücken wir »allgemach aus Dämmerung und Nacht« den bestehenden Verhältnissen wieder näher, nur den bestehenden Verhältnissen in der zwerghaften Vorstellung des deutschen Kleinbürgers.

Sancho gesteht:

»In bezug auf die Freiheit unterliegen Staat und Verein keiner wesentlichen Verschiedenheit. Der letztere kann ebensowenig entstehen und bestehen, ohne daß die Freiheit auf allerlei Art beschränkt werde, als der Staat mit ungemessener Freiheit sich verträgt. Beschränkung der Freiheit ist überall unabwendbar, denn man kann nicht Alles loswerden; man kann nicht gleich einem Vogel fliegen, bloß weil man so fliegen möchte etc.... Der Unfreiheit und Unfreiwilligkeit wird der Verein noch genug enthalten, denn sein Zweck ist eben nicht die Freiheit, die er im Gegenteil der Eigenheit opfert, aber auch nur der Eigenheit.« p. 410, 411.

Abgesehen einstweilen von der komischen Distinktion zwischen Freiheit und Eigenheit, so hat Sancho seine »Eigenheit« in seinem Vereine durch die ökonomischen Einrichtungen schon geopfert, ohne es zu wollen. Als echter »Staatsgläubiger« sieht er erst da eine Beschränkung, wo die politischen Einrichtungen anfangen. Er läßt die alte Gesellschaft fortbestehen und mit ihr die Subsumtion der Individuen unter die Teilung der Arbeit; wobei er dann dem Schicksal nicht entgehen kann, von der Teilung der Arbeit und der ihm dadurch zugefallenen Beschäftigung und Lebenslage eine aparte »Eigenheit« sich vorschreiben zu lassen. Wird ihm z.B. das Los angewiesen, in Willenhall als Schlossergesell zu arbeiten, so wird seine aufgedrungene »Eigenheit« in einer Verdrehung der Hüftknochen bestehen, die ihm ein »Hinterbein« verschafft; wird »das Titelgespenst seines Buchs« als Throstlespinnerin existieren müssen, so wird ihre »Eigenheit« in steifen Knien bestehen. Selbst wenn unser Sancho bei seinem alten Beruf des Fronbauers bleibt, den ihm schon Cervantes angewiesen hat und den er jetzt für seinen eignen Beruf erklärt, zu dem er sich beruft, so fällt ihm kraft der Teilung der Arbeit und der Trennung von Stadt und Land die »Eigenheit« zu, von allem Weltverkehr und folglich von aller Bildung ausgeschlossen ein bloßes Lokaltier zu werden.

So verliert Sancho im Verein seine Eigenheit malgré lui durch die gesellschaftliche Organisation, wenn wir einmal ausnahmsweise die Eigenheit im Sinne von Individualität nehmen wollen. Daß er nun auch durch die politische[385] Organisation seine Freiheit aufgibt, ist ganz konsequent und beweist nur noch deutlicher, wie sehr er den jetzigen Zustand im Verein sich anzueignen strebt.

Die wesentliche Verschiedenheit von Freiheit und Eigenheit bildet also den Unterschied zwischen dem jetzigen Zustande und dem »Verein«. Wie wesentlich dieser Unterschied ist, haben wir bereits gesehen. Die Majorität seines Vereins wird sich ebenfalls an dieser Distinktion möglicherweise nicht stören, sondern das »Lossein« von ihr dekretieren, und wenn er sich dabei nicht beruhigt, wird sie ihm aus seinem eignen »Buche« beweisen, daß es erstens keine Wesen gibt, sondern Wesen und wesentliche Unterschiede »das Heilige« sind; zweitens, daß der Verein nach »der Natur der Sache« und »dem Begriff des Verhältnisses« gar nichts zu fragen hat, und drittens, daß sie keineswegs seine Eigenheit antastet, sondern nur seine Freiheit, sie zu äußern. Sie wird ihm vielleicht beweisen, wenn er »sich bestrebt, verfassungslos zu werden«, daß sie nur seine Freiheit beschränkt, wenn sie ihn einsperrt, ihm Hiebe diktiert, ihm ein Bein ausreißt, daß er partout et toujours »eigen« ist, solange er noch die Lebensäußerungen eines Polypen, einer Auster, ja eines galvanisierten Froschleichnams von sich zu geben vermag. Sie wird ihm für seine Arbeit eine »Preisbestimmung setzen«, wie wir schon hörten, »eine wirkliche freie« (!) »Verwertung seines Eigentums nicht zulassen«, da sie ihm hiermit die Freiheit, nicht die Eigenheit beschränkt; Dinge, die Sancho p. 338 dem Staate vorwirft. »Was soll also« der Fronbauer Sancho »anfangen ? Auf sich halten und nach dem« Verein »nichts fragen«. (ibid.) Sie wird ihm schließlich insinuieren, sooft er gegen die ihm gesetzte Schranke poltert, daß, solange er die Eigenheit hat, Freiheiten für Eigenheiten zu erklären, sie sich die Freiheit nimmt, seine Eigenheiten für Freiheiten anzusehen.

Wie oben der Unterschied zwischen menschlicher und einziger Arbeit nur eine kümmerliche Aneignung des Gesetzes von Nachfrage und Zufuhr war, so ist jetzt der Unterschied zwischen Freiheit und Eigenheit eine kümmerliche Aneignung des Verhältnisses von Staat und bürgerlicher Gesellschaft, oder, wie Herr Guizot sagt, der liberté individuelle und des pouvoir public. Dies ist so sehr der Fall, daß er im Folgenden den Rousseau fast wörtlich abschreiben kann:

»Die Übereinkunft, der Jeder einen Teil seiner Freiheit opfern muß«, geschieht »ganz und gar nicht um eines Allgemeinen oder auch nur um eines andern Menschen willen«, sondern »Ich ging vielmehr nur auf sie ein aus Eigennutz. Was aber das Opfern betrifft, so opfere Ich doch wohl nur Dasjenige, was nicht in Meiner Gewalt steht, d.h. opfere gar Nichts.« p. 418.[386]

Diese Qualität teilt der mit sich einige Fronbauer mit jedem andern Fronbauer und überhaupt mit jedem Individuum, das je auf der Welt gelebt hat. Vergleiche auch Godwin, »Political Justice«. – Sancho scheint, nebenbei bemerkt, die Eigenheit zu besitzen, zu glauben, bei Rousseau schlössen die Individuen den Vertrag dem Allgemeinen zuliebe, was Rousseau nie eingefallen ist. Indessen Ein Trost ist ihm geblieben.

»Der Staat ist heilig... der Verein aber ist... nicht heilig.« Und darin besteht »der große Unterschied zwischen Staat und Verein«. p. 411.

Dieser ganze Unterschied läuft also darauf hinaus, daß der »Verein« der wirkliche moderne Staat und der »Staat« die Stirnersche Illusion vom preußischen Staat ist, den er für den Staat überhaupt versieht.


5. Empörung

Sancho traut seinen feinen Distinktionen zwischen Staat und Verein, heilig und nicht heilig, menschlich und einzig, Eigenheit und Freiheit usw. schließlich mit Recht so wenig, daß er zur ultima ratio des mit sich einigen Egoisten seine Zuflucht nimmt – zur Empörung. Diesmal indes empört er sich nicht gegen sich selbst, wie er früher vorgab, sondern gegen den Verein. Wie er sich über alle Punkte erst im Verein klarzuwerden suchte, so auch hier mit der Empörung.

»Macht Mir's die Gemeinde nicht recht, so empöre Ich Mich gegen sie und verteidige Mein Eigentum.« p. 343.

»Gedeiht« die Empörung nicht, so wird der Verein »ihn ausschließen (einsperren, verbannen usw.)«. p. 256, 257.

Sancho sucht sich hier die droits de l'homme von 1793, unter denen auch das Recht der Insurrektion aufgezählt wird, anzueignen, ein Menschenrecht, das natürlich bittere Früchte für den trägt, der davon nach seinem »eignen« Sinn Gebrauch macht.


Der ganze Verein Sanchos läuft also auf Folgendes hinaus. Während er früher in der Kritik die bestehenden Verhältnisse nur nach der Seite der Illusion betrachtete, sucht er im Verein diese Verhältnisse ihrem wirklichen Inhalt nach kennenzulernen und diesen Inhalt gegen die früheren Illusionen[387] geltend zu machen. Bei diesem Versuch mußte unser ignoranter Schulmeister natürlich mit Eklat scheitern. Er hat sich ausnahmsweise einmal bestrebt, sich »die Natur der Sache« und »den Begriff des Verhältnisses« anzueignen, aber es ist ihm nicht gelungen, irgendeiner Sache oder einem Verhältnis »den Geist der Fremdheit abzustreifen«.

Nachdem wir jetzt den Verein in seiner wirklichen Gestalt kennenlernten, bleibt uns nur noch übrig, die schwärmerischen Vorstellungen, die Sancho sich von ihm macht, die Religion und Philosophie des Vereins, zu betrachten.


6. Religion und Philosophie des Vereins

Wir fangen hier wieder mit dem Punkte an, mit dem wir oben die Darstellung des Vereins eröffneten. Sancho gebraucht zwei Kategorien, Eigentum und Vermögen; die Illusionen über das Eigentum entsprechen hauptsächlich den gegebenen positiven Daten über das Grundeigentum, die über das Vermögen den Daten über die Organisation der Arbeit und das Geldwesen im »Verein«.


A. Eigentum

p. 331. »Mir gehört die Welt.«

Interpretation seiner Erbpacht an der Parzelle.

p. 343. »Ich bin Eigentümer von Allem, dessen Ich brauche«,

eine beschönigende Umschreibung davon, daß seine Bedürfnisse seine Habe sind und daß das, was er als Fronbauer braucht, durch seine Verhältnisse bedingt ist. In derselben Weise behaupten die Ökonomen, daß der Arbeiter Eigentümer von Allem ist, was er als Arbeiter braucht. Siehe die Entwicklung über das Minimum des Salärs bei Ricardo.

p. 343. »Jetzt aber gehört Alles Mir.«

Musikalischer Tusch zu seiner Lohntaxe, seiner Parzelle, seiner permanenten Geldklemme und seinem Ausgeschlossensein von Allem, wovon die »Sozietät« nicht will, daß er es allein besitze. Derselbe Satz findet sich p. 327 auch so ausgedrückt:

»Seine« (sc. des Andern) »Güter sind Mein, und Ich schalte damit als Eigentümer nach dem Maße Meiner Gewalt.«

Dies hochtönende Allegro marciale geht folgendermaßen in eine sanfte[388] Kadenz über, in welcher es allmählich ganz auf den Hintern fällt – gewöhnliches Schicksal Sanchos:

p. 331: »Mir gehört die Welt. Sagt Ihr« (Kommunisten) »etwas Anderes mit dem umgekehrten Satze: Allen gehört die Welt? Alle sind Ich und wieder Ich usw.« (z.B. »Robespierre z.B., Saint-Just usw.«)

p.415: »Ich bin Ich und Du bist Ich, aber... dieses Ich, worin Wir alle gleich sind, ist nur Mein Gedanke – – eine Allgemeinheit« (des Heilige).

Die praktische Variation dieses Themas findet sich

p. 330, wo die »Einzelnen als eine Gesamtmasse« (d.h. Alle) dem »vereinzelten Einzelnen« (d.h. Ich im Unterschied von Alle) als regulierende Macht gegenübergestellt werden.

Diese Dissonanzen lösen sich also schließlich in den beruhigenden Schlußakkord auf, daß, was Ich nicht besitze, jedenfalls das Eigentum eines andern »Ich« ist. Das »Eigentum an Allem« ist hiermit nur die Interpretation davon, daß Jeder ein ausschließliches Eigentum besitzt.

p. 336. »Eigentum ist aber nur Mein Eigentum, wenn Ich dasselbe unbedingt innehabe. Als unbedingtes Ich habe Ich Eigentum, treibe freien Handel.«

Wir wissen schon, daß, wenn die Handelsfreiheit und Unbedingtheit im Verein nicht respektiert wird, damit nur die Freiheit und nicht die Eigenheit angetastet wird. Das »unbedingte Eigentum« ist ein passendes Supplement zu dem »sichergestellten«, garantierten Eigentum im Verein.

p. 342. »Nach der Meinung der Kommunisten soll die Gemeinde Eigentümerin sein. Umgekehrt, Ich bin Eigentümer und verständige Mich nur mit Anderen über Mein Eigentum.«

Nach p. 329 sahen wir, wie »sich die société zur Eigentümerin macht«, und nach p.330, wie sie »die Einzelnen von ihrem Eigentum ausschließt«. Überhaupt sahen wir das Stammlehnswesen, den rohesten Anfang des Lehnswesens, eingeführt. Nach p. 416 ist »Feudalwesen = Eigentumslosigkeit«, weswegen nach ebenderselben Pagina »im Vereine und nur im Vereine das Eigentum anerkannt wird«, und zwar aus dem zureichenden Grunde, »weil man das Seine von keinem Wesen mehr zum Lehen trägt«. (ibid.) D.h., in dem bisherigen Lehnswesen war »das Wesen« der Lehnsherr, im Verein ist es die société. Woraus wenigstens soviel hervorgeht, daß Sancho ein »ausschließliches«, aber keineswegs »sichergestelltes« Eigentum am »Wesen« der bisherigen Geschichte hat.

Im Zusammenhang mit p. 330, wonach jeder Einzelne von dem ausge-[389] schlossen wird, wovon es der Sozietät nicht recht ist, daß er es allein besitzt, und mit dem Staats- und Rechtswesen des Vereins steht

p. 369: »Rechtliches und rechtmäßiges Eigentum eines Andern wird nur dasjenige sein, wovon Dir's recht ist, daß es sein Eigentum sei. Hört es auf, Dir recht zu sein, so hat es für Dich seine Rechtmäßigkeit eingebüßt, und das absolute Recht daran wirst Du verlachen.«

Er dokumentiert hiermit das erstaunliche Faktum, daß das, was Rechtens im Verein ist, ihm nicht recht zu sein braucht – ein unbestreitbares Menschenrecht. Findet sich im Verein die Institution der altfranzösischen Parlamente, die Sancho ja so sehr liebt, so wird er sogar seinen zu Protokoll gegebenen Widerwillen auf dem Greffe deponieren können und dabei den Trost behalten, daß »man nicht von Allem los sein kann«.

Die bisherigen Sätze scheinen mit sich, untereinander und mit der Wirklichkeit des Vereins im Widerspruch zu stehen. Der Schlüssel zum Rätsel liegt indes in der schon angeführten juristischen Fiktion, daß da, wo er vom Eigentum Anderer ausgeschlossen wird, er sich bloß mit diesen Andern verständigt. Diese Fiktion wird in folgenden Sätzen näher ausgeführt:

p. 369. »Das nimmt ein Ende« (sc. der Respekt vor dem fremden Eigentum), »wenn Ich jenen Baum zwar einem Andern überlassen kann, wie Ich meinen Stock usw. einem Andern überlasse, aber nicht von vornherein ihn Mir als fremd, d.h. heilig betrachte. Vielmehr... er bleibt mein Eigentum, auf solange Ich ihn auch an Andre abtrete, er ist und bleibt Mein. In dem Vermögen des Bankiers sehe Ich Nichts Fremdes.«

p. 328. »Vor Deinem und Eurem Eigentum trete Ich nicht scheu zurück, sondern sehe es stets als Mein Eigentum an, woran Ich Nichts zu respektieren brauche. Tut doch desgleichen mit dem, was Ihr Mein Eigentum nennt! Bei dieser Ansicht werden Wir uns am leichtesten miteinander verständigen.«

Wenn Sancho nach den Statuten des Vereins »mit Kolben gelaust« wird, sobald er nach fremdem Eigentum zugreift, so wird er zwar behaupten, es sei seine »Eigenheit«, lange Finger zu machen, aber der Verein wird dekretieren, Sancho habe sich nur eine »Freiheit« herausgenommen. Und wenn Sancho so »frei« ist, zuzugreifen, so hat der Verein die »Eigenheit«, ihm dafür Hiebe zu diktieren.

Die Sache selbst ist die. Das bürgerliche, und zwar speziell das kleinbürgerliche und kleinbäuerliche Eigentum bleibt im Verein bestehen, wie wir sahen. Nur die Interpretation, die »Ansicht«, ist eine verschiedene, weshalb auch Sancho den Akzent stets auf das »Ansehen« legt. Die »Verständigung« wird damit vollzogen, daß diese neue Philosophie des Ansehens beim ganzen[390] Verein zu Ansehen kommt. Diese Philosophie besteht darin, daß erstens jedes Verhältnis, sei es durch ökonomische Bedingungen oder durch direkten Zwang herbeigeführt, für ein Verhältnis der »Verständigung« angesehen wird; zweitens, daß man sich einbildet, alles Eigentum Andrer sei ihnen von uns überlassen und bleibe ihnen nur solange, bis wir die Gewalt haben, es ihnen zu nehmen, und bekommen wir diese Gewalt nie, tant mieux; drittens, daß Sancho und sein Verein sich in der Theorie die gegenseitige Respektslosigkeit garantieren, während in der Praxis der Verein vermittelst des Stockes sich mit Sancho »verständigt«, und endlich, daß diese »Verständigung« eine bloße Phrase ist, da Jeder weiß, daß die Andern sie nur mit dem geheimen Vorbehalt eingegangen sind, sie bei der nächsten Gelegenheit wieder umzustoßen. Ich sehe in Deinem Eigentum nicht das Deine, sondern das Meine; da jedes Ich dies tut, so sehen sie das Allgemeine darin, wobei wir denn bei der modern-deutschphilosophischen Interpretation des gewöhnlichen, besondern und ausschließlichen Privateigentums angelangt sind.

Zu der Philosophie des Vereins über das Eigentum gehören u. a. auch noch folgende, aus dem System Sanchos hervorgehende Marotten:

p. 342. daß man durch die Respektslosigkeit im Verein Eigentum erwerben kann, p. 351, daß »Wir Alle im Vollen sitzen« und Ich »nur zuzulangen habe, so gut Ich kann« – während doch der ganze Verein zu den sieben magern Kühen Pharaonis gehört, und endlich, daß Sancho »Gedanken hegt«, die »in seinem Buche stehen«, was p. 374 in der unvergleichlichen an sich gerichteten, den drei Heineschen Oden an Schlegel nachgemachten Ode besungen wird: »Du, der Du solche Gedanken, wie sie in Deinem Buche stehen, hegst – Unsinn!« Dies ist die Hymne, die Sancho vorläufig sich selbst dekretiert und worüber sich später der Verein mit ihm »verständigen« wird.

Schließlich versteht es sich auch ohne »Verständigung«, daß das Eigentum im außergewöhnlichen Verstande, von dem wir schon in der Phänomenologie sprachen, im Verein als »gangbares« und »kursierendes Eigentum« an Zahlungs Statt angenommen wird. Über die einfachen Tatsachen, z.B., daß Ich Mitgefühl hege, daß Ich mit Andern spreche, daß Mir ein Bein amputiert (resp. ausgerissen) wird, wird der Verein sich dahin verständlichen, daß »das Gefühl der Fühlenden auch das Meinige, ein Eigentum ist«, p. 387; daß auch fremde Ohren und Zungen Mein Eigentum sind; daß auch mechanische Verhältnisse Mein Eigentum sind. So wird das Akkaparement im Verein hauptsächlich darin bestehen, daß alle Verhältnisse vermöge einer leichten Paraphrase in Eigentumsverhältnisse verwandelt werden. Diese neue Ausdrucks-[391] weise schon jetzt grassierender »Übelstände« ist ein »wesentliches Mittel oder Vermögen« im Verein und wird das bei dem »sozialen Talente« Sanchos unvermeidliche Defizit an Lebensmitteln glücklich decken.


B. Vermögen

p. 216: »Werde Jeder von Euch ein allmächtiges Ich!«

p. 353: »Denke auf die Vergrößerung Deines Vermögens!«

p.420: »Haltet auf den Wert Eurer Gaben«,

»Haltet sie im Preise«,

»Laßt Euch nicht zwingen, unter dem Preise loszuschlagen«,

»Laßt Euch nicht einreden, Eure Ware sei nicht preiswürdig«,

»Macht Euch nicht zum Gespötte durch einen Spottpreis«,

»Ahmt den Tapfern nach« etc.!

p.420: »Verwertet Euer Eigentum!«

»Verwerte Dich!«

Diese Sittensprüchlein, die Sancho von einem andalusischen Schacherjuden gelernt hat, der seinem Sohne Lebens- und Handelsregeln gab, und die er jetzt aus seinem Schnappsack hervorlangt, bilden das Hauptvermögen des Vereins. Die Grundlage aller dieser Sätze ist der große Satz p.351:

»Alles, was Du vermagst, ist Dein Vermögen.«

Dieser Satz hat entweder keinen, d.h. einen bloß tautologischen Sinn oder einen Unsinn. Tautologie ist er, wenn er heißt: Was Du vermagst, vermagst Du. Unsinn ist er, wenn das Vermögen Nr. 2 Vermögen »im gewöhnlichen Verstand«, Handelsvermögen, ausdrücken soll, und wenn also auf diese Etymologie basiert wird. Die Kollision besteht eben darin, daß meinem Vermögen etwas Anderes, als dies Vermögen leisten kann, zugemutet wird, z.B. von meinem Vermögen, Verse zu machen, verlangt wird, Geld aus diesen Versen zu machen. Man verlangt eben von meinem Vermögen etwas ganz Anderes als das eigentümliche Produkt dieses besondern Vermögens, nämlich ein von fremden, meinem Vermögen nicht unterworfenen Verhältnissen abhängiges Produkt. Diese Schwierigkeit soll im Verein durch etymologische Synonymik gelöst werden. Man sieht, wie unser egoistischer Schulmeister auf einen ansehnlichen Posten im Verein spekuliert. Übrigens ist diese Schwierigkeit nur scheinbar. Das gewöhnliche Kern- und Sittensprüchlein der Bourgeois: Anything is good to make money of, wird hier in Sanchos feierlicher Manier breitgetreten.


C. Moral, Verkehr, Exploitationstheorie

[392] p. 352. »Egoistisch verfahrt Ihr, wenn Ihr einander weder als Inhaber noch als Lumpe oder Arbeiter achtet, sondern als einen Teil Eures Vermögens, als brauchbare Subjekte. Dann werdet Ihr weder dem Inhaber, Eigentümer für seine Habe etwas geben, noch Dem, der arbeitet, sondern allein Dem, den Ihr braucht. Brauchen Wir einen König? fragen sich die Nordamerikaner und antworten: Nicht einen Heller ist er und seine Arbeit Uns wert.«

Dagegen wirft er p.229 der »Bürgerperiode« vor:

»Statt Mich zu nehmen, wie Ich bin, sieht man lediglich auf Mein Eigentum, Meine Eigenschaften, und schließt mit Mir einen ehelichen Bund, nur um Meines Besitztums willen. Man heiratet gleichsam, was Ich habe, nicht was Ich bin.«

D.h. also, man nimmt bloß Rücksicht auf das, was Ich für den Andern bin, auf Meine Brauchbarkeit, man behandelt Mich als brauchbares Subjekt. Sancho spuckt der »Bürgerperiode« in die Suppe, um sie im Verein ganz allein auszufressen.

Wenn die Individuen der heutigen Gesellschaft einander als Inhaber, als Arbeiter, und, wenn Sancho will, als Lumpe achten, so heißt das ja weiter Nichts, als daß sie sich als brauchbare Subjekte behandeln, ein Faktum, das nur ein so unbrauchbares Individuum wie Sancho in Zweifel zu ziehen vermag. Der Kapitalist, der den Arbeiter »als Arbeiter achtet«, nimmt nur deshalb Rücksicht auf ihn. weil er Arbeiter braucht; der Arbeiter macht es ebenso mit dem Kapitalisten; wie denn auch die Amerikaner nach Sanchos Meinung (er möge uns anzeigen, welcher Quelle er dies historische Faktum entnommen) deswegen keinen König brauchen, weil sie ihn nicht als Arbeiter brauchen. Sancho hat sein Beispiel wieder mit seinem gewöhnlichen Ungeschick gewählt, indem es gerade das Gegenteil von dem beweisen soll, was es wirklich beweist.

p. 395. »Du bist für Mich Nichts als eine Speise, gleichwie auch Ich von Dir verspeiset und verbraucht werde. Wir haben zueinander nur Eine Beziehung: die der Brauchbarkeit, der Nutzbarkeit, des Nutzens.«

p. 416. »Es ist Keiner für Mich eine Respektsperson, auch der Mitmensch nicht, sondern lediglich wie andre Wesen« (!) »ein Gegenstand, für den Ich Teilnahme habe oder auch nicht, ein interessanter oder uninteressanter Gegenstand, ein brauchbares oder unbrauchbares Subjekt.«

Das Verhältnis der »Brauchbarkeit«, welches im Verein die einzige Beziehung der Individuen aufeinander sein soll, wird sogleich wieder paraphrasiert in das gegenseitige »Verspeisen«. Die »vollendeten Christen« des Ver-[393] eins verzehren natürlich auch ein Abendmahl, nur nicht miteinander, sondern aneinander.

Wie sehr diese Theorie der wechselseitigen Exploitation, die Bentham bis zum Überdruß ausführte, schon im Anfange dieses Jahrhunderts als eine Phase des vorigen aufgefaßt werden konnte, beweist Hegel in der »Phänomenologie«. Siehe daselbst das Kapitel »Der Kampf der Aufklärung mit dem Aberglauben«, wo die Brauchbarkeitstheorie als das letzte Resultat der Aufklärung dargestellt wird. Die scheinbare Albernheit, welche alle die mannigfaltigen Verhältnisse der Menschen zueinander in das Eine Verhältnis der Brauchbarkeit auflöst, diese scheinbar metaphysische Abstraktion geht daraus hervor, daß innerhalb der modernen bürgerlichen Gesellschaft alle Verhältnisse unter das Eine abstrakte Geld- und Schacherverhältnis praktisch subsumiert sind. Diese Theorie kam auf mit Hobbes und Locke, gleichzeitig mit der ersten und zweiten englischen Revolution, den ersten Schlägen, wodurch die Bourgeoisie sich politische Macht eroberte. Bei ökonomischen Schriftstellern ist sie natürlich schon früher stillschweigende Voraussetzung. Die eigentliche Wissenschaft dieser Nützlichkeitstheorie ist die Ökonomie; in den Physiokraten erhält sie ihren wahren Inhalt, da diese zuerst die Ökonomie systematisch zusammenfassen. Schon bei Helvétius und Holbach findet sich eine Idealisierung dieser Lehre, die ganz der oppositionellen Stellung der französischen Bourgeoisie vor der Revolution entspricht. Bei Holbach wird alle Betätigung der Individuen durch ihren gegenseitigen Verkehr als Nützlichkeits- und Benutzungsverhältnis dargestellt, z.B. Sprechen, Lieben etc. Die wirklichen Verhältnisse, die hier vorausgesetzt werden, sind also Sprechen, Lieben, bestimmte Betätigungen bestimmter Eigenschaften der Individuen. Diese Verhältnisse sollen nun nicht die ihnen eigentümliche Bedeutung haben, sondern der Ausdruck und die Darstellung eines dritten, ihnen untergeschobenen Verhältnisses sein, des Nützlichkeits- oder Benutzungsverhältnisses. Diese Umschreibung hört erst dann auf, sinnlos und willkürlich zu sein, sobald jene Verhältnisse den Individuen nicht ihrer selbst wegen gelten, nicht als Selbstbetätigung, sondern vielmehr als Verkleidungen keineswegs der Kategorie Benutzung, sondern eines wirklichen dritten Zwecks und Verhältnisses, welches Nützlichkeitsverhältnis heißt.

Die Maskerade in der Sprache hat nur dann einen Sinn, wenn sie der unbewußte oder bewußte Ausdruck einer wirklichen Maskerade ist. In diesem Falle hat das Nützlichkeitsverhältnis einen ganz bestimmten Sinn, nämlich den, daß Ich mir dadurch nütze, daß Ich einem Andern Abbruch tue (exploitation de l'homme par l'homme); in diesem Falle ist ferner der Nutzen, den Ich[394] aus einem Verhältnisse ziehe, diesem Verhältnisse überhaupt fremd, wie wir oben beim Vermögen sahen, daß von jedem Vermögen ein ihm fremdes Produkt verlangt wird, eine Beziehung, die durch die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt ist – und diese ist eben die Nützlichkeitsbeziehung. Dies Alles ist wirklich bei dem Bourgeois der Fall. Ihm gilt nur ein Verhältnis um seiner selbst willen, das Exploitationsverhältnis; alle andern Verhältnisse gelten ihm nur so weit, als er sie unter dies eine Verhältnis subsumieren kann, und selbst wo ihm Verhältnisse vorkommen, die sich dem Exploitationsverhältnis nicht direkt unterordnen lassen, subordiniert er sie ihm wenigstens in der Illusion. Der materielle Ausdruck dieses Nutzens ist das Geld, der Repräsentant der Werte aller Dinge, Menschen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Im Übrigen sieht man auf den ersten Blick, daß aus den wirklichen Verkehrsbeziehungen, in denen ich zu andern Menschen stehe, keineswegs aber aus Reflexion und bloßem Willen, erst die Kategorie »Benutzen« abstrahiert wird und dann umgekehrt jene Verhältnisse für die Wirklichkeit dieser aus ihnen selbst abstrahierten Kategorie ausgegeben werden, eine ganz spekulative Methode zu verfahren. Ganz in derselben Weise und mit demselben Rechte hat Hegel alle Verhältnisse als Verhältnisse des objektiven Geistes dargestellt. Holbachs Theorie ist also die historisch berechtigte, philosophische Illusion über die eben in Frankreich aufkommende Bourgeoisie, deren Exploitationslust noch ausgelegt werden konnte als Lust an der vollen Entwicklung der Individuen in einem von den alten feudalen Banden befreiten Verkehr. Die Befreiung auf dem Standpunkte der Bourgeoisie, die Konkurrenz, war allerdings für das achtzehnte Jahrhundert die einzig mögliche Weise, den Individuen eine neue Laufbahn freierer Entwicklung zu eröffnen. Die theoretische Proklamation des dieser Bourgeoispraxis entsprechenden Bewußtseins, des Bewußtseins der wechselseitigen Exploitation als des allgemeinen Verhältnisses aller Individuen zueinander, war ebenfalls ein kühner und offner Fortschritt, eine profanierende Aufklärung über die politische, patriarchalische, religiöse und gemütliche Verbrämung der Exploitation unter der Feudalität; eine Verbrämung, die der damaligen Form der Exploitation entsprach und namentlich von den Schriftstellern der absoluten Monarchie systematisiert worden war.

Selbst wenn Sancho in seinem »Buche« dasselbe getan hätte, was Helvetius und Holbach im vorigen Jahrhundert taten, so wäre der Anachronismus immer noch lächerlich. Aber wir sahen, wie er [a]n die Stelle des tätigen Bourgeoisegoismus einen rodomontierenden, mit sich ei[ni]gen Egoismus setzte. Sein einziges Ver[die]nst hat er wider seinen Willen und ohne es zu wissen: das Verdienst, der Ausdruck der deutschen Kleinbürger von heute zu[395] sein, die danach trachten, Bourgeois zu werden. Es war ganz in der Ordnung, daß, so kleinlich, zaghaft und befangen diese Bürger praktisch auftreten, ebenso marktschreierisch, bramarbasierend und vorwitzig »der Einzige« unter ihren philosophischen Repräsentanten in die Welt hinaus renommierte; es paßt ganz zu den Verhältnissen dieser Bürger, daß sie von ihrem theoretischen Maulhelden Nichts wissen wollen und er Nichts von ihnen weiß, daß sie miteinander uneinig sind und er den mit sich einigen Egoismus predigen muß; Sancho sieht jetzt vielleicht, durch welche Nabelschnur sein »Verein« mit dem Zollverein zusammenhängt.

Die Fortschritte der Nützlichkeits- und Exploitationstheorie, ihre verschiedenen Phasen hängen genau zusammen mit den verschiedenen Entwicklungsepochen der Bourgeoisie. Bei Helvétius und Holbach war sie dem wirklichen Inhalt nach nie weit darüber hinausgekommen, die Ausdrucksweise der Schriftsteller aus der Zeit der absoluten Monarchie zu umschreiben. Es war eine andere Ausdrucksweise, mehr der Wunsch, alle Verhältnisse auf das Exploitationsverhältnis zurückzuführen, den Verkehr aus den materiellen Bedürfnissen und den Weisen ihrer Befriedigung zu erklären, als die Tat selbst. Die Aufgabe war gestellt. Hobbes und Locke hatten sowohl die frühere Entwicklung der holländischen Bourgeoisie (sie lebten Beide eine Zeitlang in Holland) wie die ersten politischen Aktionen, durch welche die Bourgeoisie in England aus der lokalen und provinziellen Beschränkung heraustrat, und eine schon relativ entwickelte Stufe der Manufaktur, des Seehandels und der Kolonisation vor Augen: besonders Locke, der gleichzeitig mit der ersten Periode der englischen Ökonomie, mit dem Entstehen der Aktiengesellschaften, der englischen Bank und der Seeherrschaft Englands schrieb. Bei ihnen, und namentlich bei Locke, ist die Exploitationstheorie noch unmittelbar mit ökonomischem Inhalt verbunden.

Helvétius und Holbach hatten außer der englischen Theorie und der bisherigen Entwicklung der holländischen und englischen Bourgeoisie die um ihre freie Entfaltung noch kämpfende französische Bourgeoisie vor sich. Der allgemeine kommerzielle Geist des achtzehnten Jahrhunderts hatte namentlich in Frankreich in der Form der Spekulation alle Klassen ergriffen. Die Finanzverlegenheiten der Regierung und die daraus entspringenden Debatten über die Besteuerung beschäftigten schon damals ganz Frankreich. Dazu kam, daß Paris im achtzehnten Jahrhundert die einzige Weltstadt war, die einzige Stadt, in welcher ein persönlicher Verkehr von Individuen aller Nationen stattfand. Diese Prämissen, zusammen mit dem universelleren Charakter der Franzosen überhaupt, gaben der Theorie von Helvétius und Holbach die eigentümliche allgemeine Färbung, nahmen[396] ihr aber zugleich den noch bei den Engländern vorfindlichen positiven ökomischen Inhalt. Die Theorie, die bei den Engländern noch einfache Konstatierung einer Tatsache war, wird bei den Franzosen zu einem philosophischen System. Diese des positiven Inhalts beraubte Allgemeinheit, wie sie in Helvétius und Holbach hervortritt. Ist wesentlich verschieden von der Inhaltsvollen Totalität, die erst bei Bentham und Mill sich findet. Die erstere entspricht der kämpfenden, noch unentwickelten Bourgeoisie, die zweite der herrschenden, entwickelten.

Der von Helvétius und Holbach vernachlässigte Inhalt der Exploitationstheorie wurde gleichzeitig mit Letzterem von den Physiokraten entwickelt und systematisiert; da ihnen aber die unentwickelten ökonomischen Verhältnisse Frankreichs zugrunde lagen, wo der den Grundbesitz zur Hauptsache machende Feudalismus noch ungebrochen war, so blieben sie insofern in der feudalistischen Anschauungsweise befangen, daß sie den Grundbesitz und die Agrikulturarbeit für diejenige [Produktivkraft] erklärten, welche die ganze Gestaltung der Gesellschaft bedingt.

Die weitere Entwicklung der Exploitationstheorie ging in England durch Godwin, besonders aber durch Bentham vor sich, der den von den Franzosen vernachlässigten ökonomischen Inhalt nach und nach wieder hereinnahm, je weiter sich die Bourgeoisie, sowohl in England wie in Frankreich, durchsetzte. Godwins »Political Justice« wurde während der Schreckensperiode, die Hauptwerke Benthams während und seit der französischen Revolution und der Entwicklung der großen Industrie in England geschrieben. Die vollständige Vereinigung der Nützlichkeitstheorie mit der Ökonomie finden wir endlich bei Mill.

Die Ökonomie, die früher entweder von Finanzmännern, Bankiers und Kaufleuten, also überhaupt von Leuten, die unmittelbar mit ökonomischen Verhältnissen zu tun hatten, oder von allgemein gebildeten Männern wie Hobbes, Locke, Hume behandelt wurde, für die sie als ein Zweig des enzyklopädischen Wissens Bedeutung hatte – die Ökonomie wurde erst durch die Physiokraten zu einer besondern Wissenschaft erhoben und seit ihnen als eine solche behandelt. Als besondere Fachwissenschaft nahm sie die übrigen, politischen, juristischen etc. Verhältnisse so weit in sich auf, daß sie diese Verhältnisse auf ökonomische reduzierte. Sie hielt aber diese Subsumtion aller Verhältnisse unter sich nur für eine Seite dieser Verhältnisse und ließ ihnen damit im Übrigen auch eine selbständige Bedeutung außer der Ökonomie. Die vollständige Subsumtion aller existierenden Verhältnisse unter das Nütz-[397] lichkeitsverhältnis, die unbedingte Erhebung dieses Nützlichkeitsverhältnisses zum einzigen Inhalt aller übrigen, finden wir erst bei Bentham, wo nach der französischen Revolution und der Entwicklung der großen Industrie die Bourgeoisie nicht mehr als eine besondre Klasse, sondern als die Klasse auftritt, deren Bedingungen die Bedingungen der ganzen Gesellschaft sind.

Nachdem die sentimentalen und moralischen Paraphrasen, die bei den Franzosen den ganzen Inhalt der Nützlichkeitstheorie bildeten, erschöpft waren, blieb für eine fernere Ausbildung dieser Theorie nur noch die Frage übrig, wie die Individuen und Verhältnisse zu benutzen, zu exploitieren seien. Die Antwort auf diese Frage war Inzwischen in der Ökonomie schon gegeben worden; der einzig mögliche Fortschritt lag in dem Hereinnehmen des ökonomischen Inhalts. Bentham vollzog diesen Fortschritt. In der Ökonomie aber war es schon ausgesprochen, daß die hauptsächlichen Verhältnisse der Exploitation unabhängig von dem Willen der Einzelnen durch die Produktion im ganzen und großen bestimmt und von den einzelnen Individuen fertig vorgefunden werden. Es blieb also für die Nützlichkeitstheorie kein anderes Feld der Spekulation als die Stellung der Einzelnen zu diesen großen Verhältnissen, die Privat-Exploitation einer vorgefundenen Welt durch die einzelnen Individuen. Hierüber hat Bentham und seine Schule lange moralische Reflexionen angestellt. Die ganze Kritik der bestehenden Welt durch die Nützlichkeitstheorie erhielt hierdurch ebenfalls einen beschränkten Gesichtskreis. In den Bedingungen der Bourgeoisie befangen, blieben ihr zur Kritik nur diejenigen Verhältnisse, die aus einer früheren Epoche überkommen waren und der Entwicklung der Bourgeoisie im Wege standen. Die Nützlichkeitstheorie entwickelt daher allerdings den Zusammenhang sämtlicher bestehenden Verhältnisse mit ökonomischen, aber nur auf eine beschränkte Weise.

Die Nützlichkeitstheorie hatte von vornherein den Charakter der Gemeinnützlichkeitstheorie; dieser Charakter wurde jedoch erst inhaltsvoll mit dem Her einnehmender ökonomischen Verhältnisse, speziell der Teilung der Arbeit und des Austausches. In der Teilung der Arbeit wird die Privattätigkeit des Einzelnen gemeinnützlich; die Gemeinnützlichkeit Benthams reduziert sich auf dieselbe Gemeinnützlichkeit, die überhaupt in der Konkurrenz geltend gemacht wird. Durch das Hereinziehen der ökonomischen Verhältnisse von Grundrente, Profit und Arbeitslohn kamen die bestimmten Exploitationsverhältnisse der einzelnen Klassen herein, da die Art der Exploitation von der Lebensstellung des Exploitierenden abhängt. Bis hieher konnte die[398] Nützlichkeitstheorie sich an bestimmte gesellschaftliche Tatsachen anschließen; Ihr weiteres Eingehen auf die Art der Exploitation verläuft sich in Katechismusphrasen.

Der ökonomische Inhalt verwandelte die Nützlichkeitstheorie allmählich in eine bloße Apologie des Bestehenden, in den Nachweis, daß unter den existierenden Bedingungen die jetzigen Verhältnisse der Menschen zueinander die vorteilhaftesten und gemeinnützlichsten seien. Diesen Charakter trägt sie bei allen neueren Ökonomen.

Während so die Nützlichkeitstheorie wenigstens den Vorzug hatte, den Zusammenhang aller bestehenden Verhältnisse mit den ökonomischen Grundlagen der Gesellschaft anzudeuten, hat sie bei Sancho allen positiven Inhalt verloren, abstrahiert von allen wirklichen Verhältnissen und beschränkt sich auf die bloße Illusion des einzelnen Bürgers über seine »Gescheitheit«, mit der er die Welt zu exploitieren glaubt. Übrigens läßt sich Sancho nur an sehr wenigen Stellen auf die Nützlichkeitstheorie selbst in dieser verdünnten Gestalt ein; der mit sich einige Egoismus, d.h. die Illusion über diese Illusion des Kleinbürgers, erfüllt fast das ganze »Buch«, wie wir gesehen haben. Und selbst diese wenigen Stellen löst Sancho schließlich, wie sich zeigen wird, in blauen Dunst auf.


D. Religion

»In dieser Gemeinsamkeit« (sc. mit andern Leuten) »sehe Ich durchaus nichts Anderes als eine Multiplikation Meiner Macht, und nur solange sie Meine vervielfachte Kraft ist, behalte Ich sie bei.« p. 416.

»Ich demütige Mich vor keiner Macht mehr und erkenne, daß alle Mächte nur Meine Macht sind, die Ich sogleich zu unterwerfen habe, wenn sie eine Macht gegen oder über Mich zu werden drohen: jede derselben darf nur eins Meiner Mittel sein. Mich durchzusetzen.«

Ich »sehe an«, ich »erkenne«, ich »habe zu unterwerfen«, die Macht »darf nur eins Meiner Mittel sein«. Was diese moralischen Forderungen zu bedeuten haben und wie sehr sie der Wirklichkeit entsprechen, hat sich uns beim »Verein« selbst gezeigt. Mit dieser Illusion von seiner Macht hängt denn auch genau die andre zusammen, daß im Verein »die Substanz« (siehe »Humaner Liberalismus«) vernichtet wird und die Verhältnisse der Vereinsglieder nie eine feste Gestalt gegenüber den einzelnen Individuen gewinnen.

»Der Verein, die Vereinigung, diese stets flüssige Vereinigung Alles Bestandes... Allerdings entsteht auch durch Verein eine Gesellschaft, aber nur, wie durch einen Gedanken eine fixe Idee entsteht... Hat sich ein Verein zur Gesellschaft kristallisiert, so hat er aufgehört, eine Vereinigung zu sein; denn Vereinigung ist ein unaufhörliches[399] Sich-Vereinigen; er ist zu einem Vereinigtsein geworden, der Leichnam des Vereins oder der Vereinigung – Gesellschaft... Den Verein hält weder ein natürliches noch ein geistiges Band zusammen.« p.294, 408, 416.

Was das »natürliche Band« anbetrifft, so existiert das trotz Sanchos »Widerwillen« in der Fronbauerwirtschaft und Organisation der Arbeit etc. Im Verein, ebenso das »geistige Band« in der Sanchoschen Philosophie. Im Übrigen brauchen wir nur auf das zu verweisen, was wir mehrmals und noch beim Verein über die auf der Teilung der Arbeit beruhende Verselbständigung der Verhältnisse gegenüber den Individuen gesagt haben.

»Kurz, die Gesellschaft ist heilig, der Verein ist Dein eigen: die Gesellschaft verbraucht Dich, den Verein verbrauchst Du« usw. p.418.


E. Nachträgliches zum Verein

Während wir bisher keine andre Möglichkeit sahen, in den »Verein« zu kommen, als durch die Empörung, erfahren wir jetzt aus dem Kommentar, daß der »Verein von Egoisten« bereits »zu Hunderttausenden« von Exemplaren existiert als eine Seite der bestehenden bürgerlichen Gesellschaft und uns auch ohne alle Empörung und jeden »Stirner« zugänglich ist. Sancho zeigt uns dann

»solche Vereine im Leben. Faust befindet sich mitten in solchen Vereinen, als er ausruft: Hier bin ich Mensch« (!), »hier darf Ich's sein – Goethe gibt's hier sogar schwarz auf weiß« (»aber Humanus heißt der Heilige«, s. Goethe, vgl. »das Buch«)... »Sähe Heß das wirkliche Leben aufmerksam an, so würde er Hunderttausende von solchen teils schnell vorübergehenden, teils dauernden egoistischen Vereinen vor Augen haben.«

Sancho läßt dann vor Heß' Fenster »Kinder« zum Spiele zusammenlaufen, »ein paar gute Bekannte« ihn ins Wirtshaus abnehmen und ihn mit seiner »Geliebten« sich vereinigen.

»Freilich wird Heß es diesen trivialen Beispielen nicht ansehen, wie Inhaltsschwer und wie himmelweit verschieden sie von den heiligen Gesellschaften, ja von der brüderlichen, menschlichen Gesellschaft der heiligen Sozialisten sind.« (Sancho contra Heß, Wigand, p. 193, 194.)

Ebenso ist schon p. 305 »des Buchs« »die Vereinigung zu materiellen Zwecken und Interessen« als freiwilliger Verein von Egoisten zu Gnaden angenommen worden.

Der Verein reduziert sich hier also einerseits auf die Bourgeoisassoziationen und Aktiengesellschaften, andererseits auf die Bürgerressourcen,[400] Picknicks usw. Daß die ersteren ganz der gegenwärtigen Epoche angehören, ist bekannt, und daß die letzteren nicht minder, ist ebenfalls bekannt. Sancho möge sich die »Vereine« einer früheren Epoche, etwa der Feudalzeit, oder die anderer Nationen, etwa die der Italiener, Engländer etc. bis auf die Kinder herab, ansehen, um den Unterschied kennenzulernen. Er bestätigt durch diese neue Interpretation des Vereins nur seinen eingerosteten Konservatismus. Sancho, der die ganze bürgerliche Gesellschaft in sein vorgebliches neues Institut aufnahm, soweit sie ihm angenehm war, Sancho beteuert hier nachträglich nur, daß man in seinem Verein sich auch amüsieren, und zwar ganz in hergebrachter Weise amüsieren wird. Welche unabhängig von ihm existierenden Verhältnisse ihn in den Stand oder außer Stand setzen, »ein paar gute Bekannte in ein Weinhaus zu begleiten«, daran denkt unser Bonhomme natürlich nicht.

Die hier nach Berliner Hörensagen verstirnerte Idee, die ganze Gesellschaft in freiwillige Gruppen aufzulösen, gehört Fourier an. Aber bei Fourier hat diese Anschauung eine totale Umgestaltung der Gesellschaft zur Voraussetzung und basiert auf der Kritik der bestehenden, von Sancho so bewunderten »Vereine« und ihrer ganzen Langweiligkeit. Fourier schildert diese Erheiterungsversuche von heute im Zusammenhange mit den bestehenden Produktions- und Verkehrsverhältnissen und polemisiert gegen sie; Sancho, weit entfernt, sie zu kritisieren, will sie mit Haut' und Haaren in sein neues Beglückungsinstitut der »Verständigung« verpflanzen und beweist dadurch nur noch einmal, wie sehr er in der bestehenden bürgerlichen Gesellschaft befangen ist.

Schließlich hält Sancho noch folgende oratio pro domo, d.h. für den »Verein«:

»Ist ein Verein, in welchem sich die Meisten um ihre natürlichsten und offenbarsten Interessen prellen lassen, ein Verein von Egoisten? Haben sich da Egoisten vereint, wo Einer des Andern Sklav oder Leibeigner ist ?... Gesellschaften, in welchen die Bedürfnisse der Einen auf Kosten der Andern befriedigt werden, in denen z.B. die Einen das Bedürfnis der Ruhe dadurch befriedigen können, daß die Andern bis zur Erschlaffung arbeiten müssen... Heß... identifiziert... diese seine ›egoistischen Vereine‹ mit dem Stirnerschen Verein von Egoisten.« [Wigand,] p. 192, 193.

Sancho spricht also den frommen Wunsch aus, daß in seinem auf der gegenseitigen Exploitation beruhenden Verein alle Mitglieder gleich mächtig, pfiffig etc. etc. sein möchten, damit Jeder die Andern gerade soweit exploitiert, als er von ihnen exploitiert wird, und damit Keiner um seine »natürlichsten[401] und offenbarsten Interessen« »geprellt« wird oder seine »Bedürfnisse auf Kosten der Andern befriedigen« kann. Wir bemerken hier, daß Sancho »natürliche und offenbare Interessen« und »Bedürfnisse« Aller – also gleiche Interessen und Bedürfnisse anerkennt. Wir erinnern uns ferner zugleich der p. 456 des Buchs, wonach »die Übervorteilung« ein »vom Zunftgeist eingepredigter moralischer Gedanke« ist, und einem Menschen, der eine »weise Erziehung« genossen hat, bleibt sie »fixe Idee, gegen die keine Gedankenfreiheit schützt«. Sancho »hat seine Gedanken von oben und bleibt dabei«. (ibid.) Diese gleiche Macht Aller ist nach seiner Forderung, daß Jeder »allmächtig«, d.h. daß Alle gegeneinander ohnmächtig werden sollen, ein ganz konsequentes Postulat und fällt zusammen mit dem gemütlichen Verlangen des Kleinbürgers nach einer Welt des Schachers, in der Jeder seinen Vorteil findet. Oder aber unser Heiliger setzt urplötzlich eine Gesellschaft voraus, in der Jeder seine Bedürfnisse ungehindert befriedigen kann, ohne dies »auf Kosten Andrer« zu tun, und in diesem Falle wird die Exploitationstheorie wieder zu einer sinnlosen Paraphrase für die wirklichen Verhältnisse der Individuen zueinander.

Nachdem Sancho in seinem »Verein« die Andern »verzehrt« und verspeist und damit den Verkehr mit der Welt in den Verkehr mit sich verwandelt hat, geht er von diesem Indirekten zum direkten Selbstgenuß über, indem er sich selber verspeist.

73

[Im Manuskript gestrichen:] Hätte Sancho mit seinen Phrasen Ernst machen wollen, so hätte er auf die Teilung der Arbeit eingehen müssen. Dies unterließ er weislich und akzeptierte die bestehende Teilung der Arbeit ohne Bedenken, um sie für seinen »Verein« zu exploitieren. Er würde bei näherem Eingehen auf diesen Gegenstand freilich gefunden haben, daß die Teilung der Arbeit damit nicht aufgehoben ist, wenn man sie »sich aus dem Kopfe schlägt«. Der Kampf der Philosophen gegen die »Substanz« und ihre gänzliche Vernachlässigung der Teilung der Arbeit, der materiellen Grundlage, aus der das Phantom der Substanz hervorgegangen ist, beweist eben nur, daß es diesen Helden nur um die Vernichtung der Phrasen zu tun ist und keineswegs um die Veränderung der Verhältnisse, aus denen diese Phrasen entstehen mußten.

74

Vgl. »Die heilige Familie«, p. 266.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 373-402.
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