[B) Mein Verkehr]

[329] [Lücke im Manuskript][...] zeigt er nur wieder seine Leichtgläubigkeit. Schon die Reaktionäre wußten, daß die Bourgeois in der Konstitution den naturwüchsigen Staat aufheben und einen eignen Staat errichten und machen; daß »le pouvoir constituant, qui était dans le temps (naturwüchsig), passa dans la volonté humaine«, daß »dieser gemachte Staat wie ein gemachter, gemalter Baum ist« usw. Siehe[329] Fiévée, »Correspondance politique et administrative«, Paris 1815 – »Appel à la France contre la division des opinions« – »Le drapeau blanc« von Sarrans aîné und »Gazette de France« aus der Restaurationszeit und die früheren Schriften von Bonald, de Maistre pp. Die liberalen Bourgeois werfen wiederum den alten Republikanern vor, von denen sie natürlich ebensowenig wußten als Sankt Max vom Bourgeoisstaat, daß ihr Patriotismus nichts sei als »une passion, factice envers und être abstrait, une idée générale« (Benj. Constant, »De l'esprit des conquêtes«, Paris 1814, p. 93), während die Reaktionäre den Bourgeois vorwarfen, daß ihre politische Ideologie nichts sei als »une mystification que la classe aisée fait subir à celles qui ne le sont pas« (»Gazette de France«, 1831, Février). – p.295 erklärt Sankt Sancho den Staat für »eine Anstalt, das Volk zu christianisieren«, und weiß von der Grundlage des Staats soviel zu sagen, daß dieser durch »den Kitt« der »Achtung vor dem Gesetz« oder das Heilige durch die Achtung (das Heilige als Kopula) vor dem Heiligen »zusammengehalten wird« (p. 314).

Note 4.

»Ist der Staat heilig, so muß Zensur sein«, p. 316. – »Die französische Regierung bestreitet die Preßfreiheit nicht als Menschenrecht, sie fordert aber vom Einzelnen eine Kaution dafür, daß er wirklich Mensch sei.« (Quel bonhomme! Jacques le bonhomme wird zum Studium der Septembergesetze »berufen«.) p. 380.

Note 5, in der wir die tiefsten Aufschlüsse erhalten über die verschiedenen Staatsformen, die Jacques le bonhomme verselbständigt und in denen er nur verschiedene Versuche sieht, den wahren Staat zu realisieren.

»Die Republik ist gar nichts anderes als die absolute Monarchie: denn es verschlägt nichts, ob der Monarch Fürst oder Volk heiße, da Beide eine Majestät« (das Heilige) »sind... Der Konstitutionalismus ist weiter als die Republik, weil er der in der Auflösung begriffene Staat ist.« Diese Auflösung wird dahin erklärt: »Im konstitutionellen Staate... will die Regierung absolut sein, und das Volk will absolut sein. Diese beiden Absoluten« (sc. Heiligen) »werden sich aneinander aufreiben.« p. 302. – ›Ich bin nicht der Staat, Ich bin das schöpferische Nichts des Staats‹; »damit versinken alle Fragen« (über Konstitution pp.) »In ihr wahres Nichts.« p. 310.-

Er hätte hinzufügen sollen, daß auch die obigen Sätze über die Staatsformen nur eine Umschreibung dieses »Nichts« sind, dessen einzige Schöpfung der obige Satz ist: Ich bin nicht der Staat. Sankt Sancho spricht[330] hier ganz in deutscher Schulmeistermanier von »der« Republik, die natürlich viel alter ist als die konstitutionelle Monarchie, z.B. die griechischen Republiken.

Daß in einem demokratischen Repräsentativstaat wie Nordamerika die Klassenkollisionen bereits eine Form erreicht haben, zu der die konstitutionellen Monarchien erst hingedrängt werden, davon weiß er natürlich Nichts. Seine Phrasen über die konstitutionelle Monarchie beweisen, daß er seit dem 1842 des Berliner Kalenders Nichts gelernt und Nichts vergessen hat.

Note 6.

»Der Staat verdankt nur der Mißachtung, welche Ich vor Mir habe, seine Existenz« und wird »mit dem Verschwinden dieser Geringschätzung ganz erlöschen« (wonach es nur von Sancho abhängt, wie bald alle Staaten der Welt »erlöschen« sollen. Wiederholung von Note 3 in umgekehrter Gleichung – siehe Logik): »Er ist nur, wenn er über Mir ist, nur als Macht und Mächtiger. Oder« (merkwürdiges Oder, das das Gegenteil von dem beweist, was es beweisen soll) »könnt Ihr Euch einen Staat denken, dessen Einwohner sich allesamt« (Sprung aus dem »Ich« in das »Wir«) »nichts aus ihm machen?« p. 377.

Auf die Synonymik von »Macht«, »Mächtig« und »machen« brauchen wir nicht mehr einzugehen.

Daraus, daß es Leute in jedem Staat gibt, die sich aus ihm etwas machen, d.h. die im Staat und durch den Staat aus sich etwas machen, schließt Sancho, daß der Staat eine Macht über diesen Leuten ist. Es handelt sich hier wieder nur darum, daß man sich die fixe Idee des Staats aus dem Kopfe zu schlagen hat. Jacques le bonhomme träumt noch Immer, daß der Staat eine bloße Idee sei, und glaubt an die selbständige Macht dieser Staatsidee. Er ist der wahre »Staatsgläubige, Staatsbesessene, Politiker« (p. 309). Hegel idealisierte die Vorstellung der politischen Ideologen vom Staat, die noch von den einzelnen Individuen, wenn auch bloß vom Willen dieser Individuen ausgingen; Hegel verwandelt den gemeinsamen Willen dieser Einzelnen in den absoluten Willen, und diese Idealisierung der Ideologie nimmt Jacques le bonhomme bona fide für die richtige Ansicht vom Staate an und kritisiert sie in diesem Glauben dadurch, daß er das Absolute für das Absolute erklärt.


5. Die Gesellschaft als bürgerliche Gesellschaft

Wir werden uns bei diesem Kapitel etwas länger aufhalten, weil es, nicht ohne Absicht, das konfuseste aller »im Buche« enthaltenen konfusen Kapitel[331] ist, und weil es zugleich am glänzendsten beweist, wie wenig es unsrem Heiligen gelingt, die Dinge in ihrer profanen Gestalt kennenzulernen. Statt sie zu profanieren, heiligt er sie, indem er nur seine eigne heilige Vorstellung dem Leser »zugute kommen läßt«. Ehe wir auf die eigentliche bürgerliche Gesellschaft kommen, werden wir noch über das Eigentum überhaupt und in seinem Verhältnis zum Staat einige neue Aufschlüsse vernehmen. Diese Aufschlüsse erscheinen um so neuer, als sie Sankt Sancho Gelegenheit geben, seine beliebtesten Gleichungen über Recht und Staat wieder anzubringen und dadurch seiner »Abhandlung« »mannigfaltigere Wandlungen« und »Brechungen« zu geben. Wir brauchen natürlich bloß die letzten Glieder dieser schon dagewesenen Gleichungen zu zitieren, da der Leser sich aus dem Kapitel »Meine Macht« Ihres Zusammenhanges noch erinnern wird.


Privateigentum oder bürgerliches Eigentum

= Nicht Mein Eigentum,

= Heiliges Eigentum

= Fremdes Eigentum

= Respektiertes Eigentum oder Respekt vor dem fremden Eigentum

= Eigentum des Menschen (p. 327, 369).


Aus diesen Gleichungen ergeben sich zugleich folgende Antithesen:


Eigentum im

Eigentum im

bürgerlichen Sinne

egoistischen Sinne

»Eigentum des Menschen«

»Eigentum Meiner«.

(»Menschliche Habe«

Meine Habe)


Gleichungen:

Der Mensch = Recht

= Staatsgewalt.


Privateigentum oder bürgerliches Eigentum

= Rechtliches Eigentum (.p. 324).

= Mein durch das Recht (p. 332),

= garantiertes Eigentum,

= Eigentum von Fremden,

= dem Fremden angehöriges Eigentum,

= dem Rechte angehöriges Eigentum,

= Rechtseigentum (p. 367, 332),

= ein Rechtsbegriff,

= Etwas Geistiges,

= Allgemeines,[332]

= Fiktion,

= reiner Gedanke,

= fixe Idee,

= Gespenst,

= Eigentum des Gespenstes (p. 368, 324, 332, 367, 369).

Privateigentum

= Eigentum des Rechts.

Recht

= Gewalt des Staats.

Privateigentum

= Eigentum in der Gewalt des Staats

= Staatseigentum, oder auch

Eigentum

= Staatseigentum.

Staatseigentum

= Nichteigentum Meiner.

Staat

= der alleinige Eigentümer (p. 339, 334).


Wir kommen jetzt zu den Antithesen.


Privateigentum

Egoistisches Eigentum


Vom Recht (Staat, dem Menschen)

Von Mir

zum Eigentum berechtigt

zum Eigentum ermächtigt.


Mein durch das Recht

= Mein durch Meine Macht oder Gewalt (p. 332).


Vom Fremden

Von Mir genommenes

gegebenes Eigentum

Eigentum (p. 339).


Rechtliches Eigentum

Rechtliches Eigentum

Anderer

des Andern ist, was Mir Recht ist,


was in hundert andern Formeln, wenn man z.B. Vollmacht statt Macht setzt oder schon dagewesene Formeln anwendet, wiederholt werden kann.


Privateigentum =

Mein Eigentum =

Fremdheit am

Eigentum am

Eigentum aller Andern

Eigentum aller Andern


oder auch:


Eigentum an Einigem = Eigentum an Allem (p. 343).


Die Entfremdung als Beziehung oder Kopula in den obigen Gleichungen kann auch in folgenden Antithesen ausgedrückt werden:[333]


Privateigentum

egoistisches Eigentum


»Sich auf das Eigentum als Heiliges,

Gespenst, beziehen«, »es respektieren«,

»Respekt vor dem Eigentum haben« (p. 324).


»Die heilige Beziehung zum Eigentum aufgeben«,

es nicht mehr als fremd betrachten,

vor dem Gespenst sich nicht mehr fürchten,

keinen Respekt vor dem Eigentum haben,

Das Eigentum der Respektslosigkeit haben (p. 368, 340, 343).


Die in obigen Gleichungen und Antithesen enthaltenen Modi der Aneignung werden erst beim »Verein« ihre Erledigung finden; da wir uns einstweilen noch in der »heiligen Gesellschaft« befinden, so geht uns hier nur die Kanonisation an.

Note. Warum die Ideologen das Eigentumsverhältnis als ein Verhältnis »des Menschen« fassen können, dessen verschiedene Form in verschiedenen Epochen sich danach bestimmt, wie die Individuen sich »den Menschen« vorstellen, das ist schon bei der »Hierarchie« behandelt worden. Wir brauchen hier nur darauf zurückzuverweisen.

Abhandlung 1: Über Parzellierung des Grundbesitzes, Ablösung der Servituten und Verschlingung des kleinen Grundeigentums durch das große.

Diese Sachen werden Alle aus dem heiligen Eigentum und der Gleichung bürgerliches Eigentum = Respekt vor dem Heiligen entwickelt.

1. »Eigentum im bürgerlichen Sinn bedeutet heiliges Eigentum, derart, daß Ich Dein Eigentum respektieren muß. ›Respekt vor dem Eigentum!‹ Daher möchten die Politiker, daß Jeder sein Stückchen Eigentum besäße, und haben durch dies Bestreben zum Teil eine unglaubliche Parzellierung herbeigeführt.« p. 327, 328. – 2. »Die politischen Liberalen tragen Sorge, daß womöglich alle Servituten abgelöst werden und Jeder freier Herr auf seinem Grunde sei, wenn dieser Grund auch nur soviel Bodengehalt hat« (der Grund hat Bodengehalt !), »als von dem Dünger Eines Menschen sich hinlänglich düngen läßt... Sei es auch noch so klein, wenn man nur Eigenes, nämlich ein respektiertes Eigentum hat. Je mehr solcher Eigner, desto mehr freie Leute und gute Patrioten hat der Staat.« p. 328. – 3. »Es rechnet der politische Liberalismus, wie alles Religiöse, auf den Respekt, die Humanität, die Liebestugenden. Darum lebt er auch in unaufhörlichem Ärger. Denn in der Praxis respektieren die Leute Nichts, und alle Tage werden die kleinen Besitzungen wieder von größeren Eigentümern aufgekauft, und aus den ›freien Leuten‹ werden Tagelöhner. Hätten dagegen die ›kleinen Eigentümer‹ [334] bedacht, daß auch das große Eigentum das Ihrige sei, so hätten sie sich nicht selber respektvoll davon ausgeschlossen und würden nicht ausgeschlossen worden sein.« p. 328.

1. Zuerst wird hier also die ganze Bewegung der Parzellierung, von der Sankt Sancho nur weiß, daß sie das Heilige ist, aus einer bloßen Einbildung erklärt, die »die Politiker« »sich in den Kopf gesetzt haben«. Weil »die Politiker« »Respekt vor dem Eigentum« verlangen, daher »möchten« sie die Parzellierung, die noch dazu überall durch das Nichtrespektieren des fremden Eigentums durchgesetzt worden ist! »Die Politiker« haben »zum Teil eine unglaubliche Parzellierung« wirklich »herbeigeführt«. Es war also die Tat der »Politiker«, daß in Frankreich schon vor der Revolution, wie noch heutzutage in Irland und teilweise in Wales, die Parzellierung in Beziehung auf die Kultur des Bodens längst bestand und zur Einführung der großen Kultur die. Kapitalien und alle übrigen Bedingungen mangelten. Wie sehr übrigens »die Politiker« die Parzellierung heutzutage durchführen »möchten«, kann Sankt Sancho daraus ersehen, daß sämtliche französische Bourgeois mit der Parzellierung, sowohl weil sie die Konkurrenz der Arbeiter unter sich verringert, wie aus politischen Gründen, unzufrieden sind; ferner daraus, daß sämtliche Reaktionäre (was Sancho schon aus des alten Arndt »Erinnerungen« ersehen konnte) in der Parzellierung weiter nichts sahen als die Verwandlung des Grundeigentums in modernes, industrielles, verschacherbares, entheiligtes Eigentum. Aus welchen ökonomischen Gründen die Bourgeois diese Verwandlung durchführen müssen, sobald sie zur Herrschaft kommen – eine Verwandlung, die ebensogut durch die Aufhebung der über den Profit überschießenden Grundrente wie durch die Parzellierung geschehen kann –, das ist unsrem Heiligen hier nicht weiter auseinanderzusetzen. Ebensowenig ist ihm auseinanderzusetzen, wie die Form, in der diese Verwandlung geschieht, von der Stufe abhängt, worauf die Industrie, der Handel, die Schiffahrt pp. eines Landes stehen. Die obigen Sätze über Parzellierung sind weiter nichts als eine bombastische Umschreibung des einfachen Faktums, daß an verschiedenen Orten, »hie und da«, eine große Parzellierung existiert – ausgedrückt in der kanonisierenden Redeweise unsres Sancho, die auf Alles und Nichts paßt. Im übrigen enthalten Sanchos obige Sätze nur die Phantasien des deutschen Kleinbürgers über die Parzellierung, die für ihn allerdings das Fremde, »das Heilige« ist. Vgl. polit[ischen] Liberalismus.

2. Die Ablösung der Servituten, eine Misère, die nur in Deutschland vorkommt, wo die Regierungen nur durch den fortgeschrittenen Zustand der Nachbarländer und durch Finanzverlegenheiten dazu gezwungen wurden, gilt hier unserm Heiligen für Etwas, das »die politischen Liberalen« wollen,[335] um »freie Leute und gute Bürger« zu erzeugen. Sanchos Horizont reicht wieder nicht über den pommerschen Landtag und die sächsische Abgeordnetenkammer hinaus. Diese deutsche Servituten-Ablösung hat nie zu irgendeinem politischen oder ökonomischen Resultat geführt und blieb als halbe Maßregel überhaupt ohne alle Wirkung. Von der historisch wichtigen Ablösung der Servituten im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, die aus der beginnenden Entwicklung des Handels, der Industrie und dem Geldbedürfnis der Grundbesitzer hervorging, weiß Sancho natürlich wieder Nichts. – Dieselben Leute, die in Deutschland die Servituten ablösen wollten, um, wie Sancho glaubt, gute Bürger und freie Leute zu machen, wie z.B. Stein und Vincke, fanden nachher, daß, um »gute Bürger und freie Leute« zu erzeugen, die Servitute wieder hergestellt werden müßten, wie dies eben jetzt in Westfalen versucht wird. Woraus folgt, daß der »Respekt« wie die Furcht Gottes zu allen Dingen nütze ist.

3. Das »Aufkaufen« des kleinen Grundbesitzes durch die »großen Eigentümer« findet nach Sancho statt, weil der »Respekt vor dem Eigentum« in der Praxis nicht stattfindet. Zwei der alltäglichsten Folgen der Konkurrenz, Konzentration und Akkaparement, überhaupt die Konkurrenz, die ohne Konzentration nicht existiert, erscheinen hier unsrem Sancho als Verletzungen des bürgerlichen, in der Konkurrenz sich bewegenden Eigentums. Das bürgerliche Eigentum wird dadurch schon verletzt, daß es existiert. Man darf nach Sancho Nichts kaufen, ohne das Eigentum anzugreifen.66 Wie tief Sankt Sancho die Konzentration des Grundbesitzes durchschaut hat, geht schon daraus hervor, daß er nur den augenscheinlichsten Akt der Konzentration, das bloße »Aufkaufen« darin sieht. Inwiefern übrigens die kleinen Eigentümer dadurch aufhören, Eigentümer zu sein, daß sie Taglöhner werden. Ist nach Sancho nicht abzusehen. Sancho entwickelt ja selbst auf der nächsten Seite (p. 329) höchst feierlich gegen Proudhon, daß sie »Eigentümer des ihnen verbleibenden Anteils am Nutzen des Ackers«, nämlich des Arbeitslohns, bleiben. »Es will mitunter etwa in der Geschichte gefunden werden«, daß abwechselnd der große Grundbesitz den kleinen und der kleine den großen verschlingt, zwei Erscheinungen, die sich für Sankt Sancho friedfertig in den zureichenden Grund auflösen, daß »in der Praxis die Leute Nichts respektieren«. Dasselbe gilt von den übrigen vielfachen Gestalten des Grundeigentums. Und dann[336] das weise »hätten die kleinen Eigentümer« usw.! Im »Alten Testament« sahen wir, wie Sankt Sancho nach spekulativer Manier die Früheren die Erfahrungen der Späteren bedenken ließ; jetzt sehen wir, wie er sich nach Kannegießer-Manier darüber beklagt, daß die Früheren nicht nur die Gedanken der Späteren über sie, sondern auch seinen eignen Unsinn nicht bedachten. Welche Schulmeister – »Jescheitheit«! Hätten die Terroristen bedacht, daß sie Napoleon auf den Thron bringen würden – hätten die englischen Barone von Runnymede und der Magna Charta bedacht, daß 1849 die Korngesetze abgeschafft werden würden – hätte Krösus bedacht, daß Rothschild ihn an Reichtum übertreffen würde – hätte Alexander der Große bedacht, daß Rotteck ihn beurteilen und sein Reich den Türken in die Hände fallen würde – hätte Themistokles bedacht, daß er die Perser im Interesse Ottos des Kindes schlagen würde – hätte Hegel bedacht, daß er auf eine so »kommune« Weise von Sankt Sancho exploitiert werden würde – hätte, hätte, hätte! Von welchen »kleinen Eigentümern« bildet sich Sankt Sancho denn ein zu sprechen? Von den eigentumslosen Bauern, welche durch Zerschlagen des großen Grundbesitzes erst zu »kleinen Eigentümern« wurden, oder von denen, die heutzutage von der Konzentration ruiniert werden? In beiden Fällen sieht Sankt Sancho sich so ähnlich wie ein Ei dem andern. Im ersten Falle schlossen sie sich ganz und gar nicht vom »großen Eigentum« aus, sondern nahmen es Jeder so weit in Besitz, als er von den Andern nicht ausgeschlossen wurde und Vermögen hatte. Dies Vermögen war aber nicht das Stirnersche renommistische Vermögen, sondern ein durch ganz empirische Verhältnisse bedingtes, z.B. durch ihre und die ganze bisherige Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft, die Lokalität und ihren größeren oder geringeren Zusammenhang mit der Nachbarschaft, die Größe des in Besitz genommenen Grundstücks und die Zahl derer, die es sich aneigneten, die Verhältnisse der Industrie, des Verkehrs, die Kommunikationsmittel und Produktionsinstrumente ppp. Wie wenig sie sich ausschließend gegen das große Grundeigentum verhielten, geht schon daraus hervor, daß viele unter ihnen selbst große Grundbesitzer wurden. Sancho macht sich selbst vor Deutschland lächerlich mit seiner Zumutung, diese Bauern hätten damals die Parzellierung, die noch gar nicht existierte und die damals die einzig revolutionäre Form für sie war, überspringen und mit einem Satze in seinen mit sich einigen Egoismus sich lancieren sollen. Von seinem Unsinn gar nicht zu sprechen, war es ihnen nicht möglich, sich kommunistisch zu organisieren, da ihnen alle Mittel abgingen, die erste Bedingung einer kommunistischen Assoziation, die gemeinsame Bewirtschaftung, durchzuführen, und da die Parzellierung vielmehr nur Eine der Bedingungen war, welche das Bedürfnis für eine solche[337] Assoziation später hervorriefen. Überhaupt kann eine kommunistische Bewegung nie vom Lande, sondern immer nur von den Städten ausgehen.

Im zweiten Falle, wenn Sankt Sancho von den ruinierten kleinen Eigentümern spricht – haben diese immer noch ein gemeinsames Interesse mit den großen Grundeigentümern gegenüber der ganz besitzlosen Klasse und gegenüber der industriellen Bourgeoisie. Und falls dies gemeinsame Interesse nicht stattfindet, fehlt ihnen die Macht, sich das große Grundeigentum anzueignen, weil sie zerstreut wohnen und ihre ganze Tätigkeit und Lebenslage ihnen eine Vereinigung, die erste Bedingung einer solchen Aneignung, unmöglich macht und eine solche Bewegung wieder eine viel allgemeinere voraussetzt, die gar nicht von ihnen abhängt. – Schließlich kommt Sanchos ganze Tirade darauf hinaus, daß sie sich bloß den Respekt vor dem Eigentum Andrer aus dem Kopf schlagen sollen. Hiervon werden wir weiter unten noch ein geringes Wörtlein vernehmen.

Nehmen wir schließlich noch den Einen Satz ad acta: »In der Praxis respektieren die Leute eben Nichts«; so daß es doch am »Respekt« »eben« nicht zu liegen scheint.

Abhandlung Nr. 2: Privateigentum, Staat und Recht.

»Hätte, hätte, hätte!«

»Hätte« Sankt Sancho für einen Augenblick die kursierenden Gedanken der Juristen und Politiker über das Privateigentum, wie die Polemik dagegen, beiseite liegenlassen, hätte er dies Privateigentum einmal in seiner empirischen Existenz, in seinem Zusammenhange mit den Produktivkräften der Individuen gefaßt, so würde seine ganze Weisheit Salomonis, mit der er uns jetzt unterhalten wird, sich in Nichts aufgelöst haben. Es »hätte« ihm dann schwerlich entgehen können (obwohl er, wie Habakuk, capable de tout ist), daß das Privateigentum eine für gewisse Entwicklungsstufen der Produktivkräfte notwendige Verkehrsform ist, eine Verkehrsform, die nicht eher abgeschüttelt, nicht eher zur Produktion des unmittelbaren materiellen Lebens entbehrt werden kann, bis Produktivkräfte geschaffen sind, für die das Privateigentum eine hemmende Fessel wird. Es »hätte« dann auch dem Leser nicht entgehen können, daß Sancho sich auf materielle Verhältnisse einlassen mußte, statt die ganze Welt in ein System der theologischen Moral aufzulösen, um diesem ein neues System egoistisch sein sollender Moral entgegenzustellen. Es »hätte« ihm nicht entgehen können, daß es sich um ganz andre Dinge als den »Respekt« und Despekt handelte. »Hätte, hätte, hätte!«

Dies »hätte« ist übrigens nur ein Nachklang des obigen Sanchoschen[338] Satzes; denn »hätte« Sancho dies Alles getan, so hätte er allerdings sein Buch nicht schreiben können.

Indem Sankt Sancho die Illusion der Politiker, Juristen und sonstigen Ideologen, die alle empirischen Verhältnisse auf den Kopf stellt, auf Treu und Glauben akzeptiert und noch in deutscher Weise von dem Seinigen hinzutut, verwandelt sich ihm das Privateigentum in Staatseigentum, resp. Rechtseigentum, an dem er nun ein Experiment zur Rechtfertigung seiner obigen Gleichungen machen kann. Sehen wir uns zuerst die Verwandlung des Privateigentums in Staatseigentum an.

»Über das Eigentum entscheidet nur die Gewalt« (über die Gewalt entscheidet einstweilen vielmehr das Eigentum), »und da der Staat, gleichviel ob Staat der Bürger, Staat der Lumpe« (Stirnerscher »Verein«) »oder Staat der Menschen schlechthin der allein Gewaltige ist, so ist er allein Eigentümer.« p. 333.

Neben der Tatsache des deutschen »Staats der Bürger« figurieren hier wieder Sanchosche und Bauersche Hirngespinste in gleicher Ordnung, während die historisch bedeutenden Staatsbildungen nirgends zu finden sind. Er verwandelt den Staat zunächst in eine Person, »den Gewaltigen«. Das Faktum, daß die herrschende Klasse ihre gemeinschaftliche Herrschaft zur öffentlichen Gewalt, zum Staat konstituiert, versteht und verdreht er in deutsch-kleinbürgerlicher Weise dahin, daß »der Staat« sich als eine dritte Macht gegen diese herrschende Klasse konstituiert und alle Gewalt ihr gegenüber in sich absorbiert. Er wird jetzt seinen Glauben an einer Reihe von Exempeln bewähren.

Wenn das Eigentum unter der Herrschaft der Bourgeoisie wie zu allen Zeiten an gewisse, zunächst ökonomische, von der Entwicklungsstufe der Produktivkräfte und des Verkehrs abhängige Bedingungen geknüpft ist, Bedingungen, die notwendig einen juristischen und politischen Ausdruck erhalten – so glaubt Sankt Sancho in seiner Einfalt,

»der Staat knüpfe den Besitz des Eigentums« (car tel est son bon plaisir) »an Bedingungen, wie er Alles daran knüpft, z.B. die Ehe«, p. 335.

Weil die Bourgeois dem Staat nicht erlauben, sich in ihre Privatinteressen einzumischen, und ihm nur soviel Macht geben, als zu ihrer eignen Sicherheit und der Aufrechthaltung der Konkurrenz nötig ist, weil die Bourgeois überhaupt nur insofern als Staatsbürger auftreten, als ihre Privatverhältnisse dies gebieten, glaubt Jacques le bonhomme, daß sie vor dem Staate »Nichts sind«.

[339] »Der Staat hat nur ein Interesse daran, selbst reich zu sein; ob Michel reich und Peter arm ist, gilt ihm gleich – – sie sind Beide vor ihm Nichts.« p. 334.

Dieselbe Weisheit schöpft er p. 345 aus der Duldung der Konkurrenz im Staat.

Wenn eine Eisenbahndirektion sich bloß um die Aktionäre zu kümmern hat, insofern sie ihre Einzahlungen leisten und ihre Dividenden empfangen, so schließt der Berliner Schulmeister in seiner Unschuld, daß die Aktionäre »vor ihr Nichts sind, wie wir vor Gott allzumal Sünder sind«. Aus der Ohnmacht des Staats dem Treiben der Privateigentümer gegenüber beweist Sancho die Ohnmacht der Privateigentümer gegenüber dem Staat und seine eigne Ohnmacht gegenüber Beiden.

Ferner. Weil die Bourgeois die Verteidigung ihres Eigentums im Staat organisiert haben und »Ich« daher »jenem Fabrikanten« seine Fabrik nicht abnehmen kann, außer innerhalb der Bedingungen der Bourgeoisie, d.h. der Konkurrenz – glaubt Jacques le bonhomme:

»Der Staat hat die Fabrik als Eigentum, der Fabrikant nur als Lehen, als Besitztum.« p. 347.

Ebenso »hat« der Hund, der mein Haus bewacht, das Haus »als Eigentum«, und Ich habe es nur »als Lehen, als Besitztum« vom Hunde.

Weil die verdeckten materiellen Bedingungen des Privateigentums häufig in Widerspruch treten müssen mit der juristischen Illusion über das Privateigentum, wie sich z.B. bei Expropriationen zeigt, so schließt Jacques le bonhomme daraus, daß

»hier das sonst verdeckte Prinzip, daß nur der Staat Eigentümer sei, der Einzelne hingegen Lehnsträger, deutlich in die Augen springt«. p. 335.

Es »springt hier nur in die Augen«, daß unserm wackern Bürger die profanen Eigentumsverhältnisse hinter der Decke »des Heiligen« aus den Augen gesprungen sind und daß er sich noch immer aus China eine »Himmelsleiter« borgen muß, um eine »Sprosse der Kultur« zu »erklimmen«, auf der in zivilisierten Ländern sogar die Schulmeister stehen. Wie hier Sancho die zur Existenz des Privateigentums gehörigen Widersprüche zur Negation des Privateigentums macht, so verfuhr er, wie wir oben sahen, mit den Widersprüchen innerhalb der bürgerlichen Familie.

Wenn die Bourgeois, überhaupt alle Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft, genötigt sind, sich als Wir, als moralische Person, als Staat zu konstituieren, um ihre gemeinschaftlichen Interessen zu sichern, und ihre dadurch hervorgebrachte Kollektivgewalt schon um der Teilung der Arbeit willen an Wenige delegieren, so bildet sich Jacques le bonhomme ein, daß

[340] »Jeder nur so lange den Nießbrauch des Eigentums hat, als er das Ich des Staats in sich trägt oder ein loyales Glied der Gesellschaft ist... Wer ein Staats-Ich, d.h. ein guter Bürger oder Untertan ist, der trägt als solches Ich, nicht als eignes, das Lehen ungestört.« p. 334, 335.

Auf diese Weise hat Jeder nur so lange den Besitz einer Eisenbahnaktie, als er »das Ich« der Direktion »in sich trägt«, wonach man also nur als Heiliger eine Eisenbahnaktie besitzen kann.

Nachdem Sankt Sancho auf diese Weise die Identität des Privat- und Staatseigentums sich weisgemacht hat, kann er fortfahren:

»Daß der Staat nicht willkürlich dem Einzelnen entzieht, was er vom Staate hat, ist nur dasselbe wie dies, daß der Staat sich selbst nicht beraubt.« p. 334, 335.

Daß Sankt Sancho nicht willkürlich Anderen ihr Eigentum raubt, ist nur dasselbe wie dies, daß Sankt Sancho sich selbst nicht beraubt, da er ja alles Eigentum als das seinige »ansieht«.

Auf Sankt Sanchos übrige Phantasien über Staat und Eigentum, z.B. daß der Staat die Einzelnen durch Eigentum »kirrt« und »belohnt«, daß er aus besonderer Malice die hohe Sporteltaxe erfunden habe, um die Bürger zu ruinieren, wenn sie nicht loyal seien etc. etc., überhaupt auf die kleinbürgerlich-deutsche Vorstellung von der Allmacht des Staats, eine Vorstellung, die bereits bei den alten deutschen Juristen durchläuft und hier in hochtrabenden Beteuerungen sich aufspreizt, kann man uns nicht zumuten, weiter einzugehn.

Seine hinreichend nachgewiesene Identität von Staats- und Privateigentum sucht er schließlich noch durch etymologische Synonymik darzutun, wobei er seiner Gelehrsamkeit indes en ambas posaderas schlägt.

»Mein Privateigentum ist nur Dasjenige, was der Staat Mir von dem Seinigen überläßt, indem er andere Staatsglieder darum verkürzt (priviert): es ist Staatseigentum.« p. 339.

Zufällig verhält sich die Sache gerade umgekehrt. Das Privateigentum in Rom, worauf sich der etymologische Witz allein beziehen kann, stand im direktesten Gegensatz zum Staatseigentum. Der Staat gab allerdings den Plebejern Privateigentum, verkürzte dagegen nicht »Andre« um ihr Privateigentum, sondern diese Plebejer selbst um ihr Staatseigentum (ager publicus) und ihre politischen Rechte, und deshalb hießen sie selbst privati, Beraubte, nicht aber jene phantastischen »andern Staatsglieder«, von denen Sankt Sancho träumt. Jacques le bonhomme blamiert sich in allen Ländern,[341] allen Sprachen und allen Epochen, sobald er auf positive Fakta zu sprechen kommt, von denen »das Heilige« keine aprioristische Kenntnis haben kann.

Die Verzweiflung darüber, daß der Staat alles Eigentum absorbiert, treibt ihn in sein innerstes »empörtes« Selbstbewußtsein zurück, wo er durch die Entdeckung überrascht wird, daß er Literat ist. Er drückt diese Verwunderung in folgenden merkwürdigen Worten aus:

»Im Gegensatz zum Staat fühle Ich immer deutlicher, daß Mir noch eine große Gewalt übrig bleibt, die Gewalt über Mich selbst«;

was weiter dahin ausgeführt wird:

»An Meinen Gedanken habe Ich ein wirkliches Eigentum, womit Ich Handel treiben kann.« p. 339.

Der »Lump« Stirner, der »Mensch von nur ideellem Reichtum«, kommt also auf den verzweifelten Entschluß, mit der geronnenen, sauer gewordenen Milch seiner Gedanken Handel zu treiben. Und wie schlau fängt er es an, wenn der Staat seine Gedanken für Contrebande erklärt? Horcht:

»Ich gebe sie auf« (allerdings sehr weise) »und tausche Andere für sie ein« (d.h. falls Jemand ein so schlechter Geschäftsmann sein sollte, seine Gedankenwechsel anzunehmen), »die dann Mein neues, erkauftes Eigentum sind.« p. 339.

Der ehrliche Bürger beruhigt sich nicht eher, als bis er es schwarz auf weiß besitzt, daß er sein Eigentum redlich erkauft hat. Siehe da den Trost des Berliner Bürgers in allen seinen Staatsnöten und Polizeitrübsalen: »Gedanken sind zollfrei!«

Die Verwandlung des Privateigentums in Staatseigentum reduziert sich schließlich auf die Vorstellung, daß der Bourgeois nur besitzt als Exemplar der Bourgeoisgattung, die in ihrer Zusammenfassung Staat heißt und den Einzelnen mit Eigentum belehnt. Hier steht die Sache wieder auf dem Kopf. In der Bourgeoisklasse, wie in jeder anderen Klasse, sind nur die persönlichen Bedingungen zu gemeinschaftlichen und allgemeinen entwickelt, unter denen die einzelnen Mitglieder der Klasse besitzen und leben. Wenn auch früher dergleichen philosophische Illusionen in Deutschland kursieren konnten, so sind sie doch jetzt vollständig lächerlich geworden, seitdem der Welthandel hinlänglich bewiesen hat, daß der bürgerliche Erwerb ganz unabhängig von der Politik, die Politik dagegen gänzlich abhängig vom bürgerlichen Erwerb ist. Schon im achtzehnten Jahrhundert war die Politik so sehr vom Handel abhängig, daß z.B., als der französische Staat eine Anleihe machen wollte, ein Privatmann für den Staat den Holländern gutsagen mußte.[342]

Daß die »Wertlosigkeit Meiner« oder »der Pauperismus« die »Verwertung« oder das »Bestehen« des »Staats« ist (p. 336), ist eine der 1001 Stirnerschen Gleichungen, die wir hier bloß deshalb erwähnen, weil wir bei dieser Gelegenheit einige Neuigkeiten über den Pauperismus hören.

»Der Pauperismus ist die Wertlosigkeit Meiner, die Erscheinung, daß Ich Mich nicht verwerten kann. Deshalb ist Staat und Pauperismus Ein und Dasselbe... Der Staat geht allezeit darauf aus, von Mir Nutzen zu ziehen, d.h. Mich zu exploitieren, auszubeuten, zu verbrauchen, bestände dieser Verbrauch auch nur darin, daß Ich für eine Proles sorge (Proletariat). Er will, Ich soll seine Kreatur sein.« p. 336.

Abgesehen davon, daß sich hier zeigt, wie wenig es von ihm abhängt, sich zu verwerten, obgleich er seine Eigenheit überall und immer durchsetzen kann, daß hier abermals Wesen und Erscheinung im Gegensatz zu den früheren Behauptungen ganz voneinander getrennt werden, kommt die obige kleinbürgerliche Ansicht unsres Bonhomme wieder zutage, daß »der Staat« ihn exploitieren will. Uns interessiert nur noch die altrömische etymologische Abstammung des Proletariats, die hier naiverweise in den modernen Staat eingeschmuggelt wird. Sollte Sankt Sancho wirklich nicht wissen, daß überall, wo der moderne Staat sich entwickelt hat, das »Sorgen für eine Proles« dem Staat, d.h. den offiziellen Bourgeois, gerade die unangenehmste Tätigkeit des Proletariats ist? Sollte er nicht etwa zu seinem eignen Besten auch Malthus und den Minister Duchâtel ins Deutsche übersetzen? Sankt Sancho »fühlte« vorhin »immer deutlicher«, als deutscher Kleinbürger, daß ihm »im Gegensatz zum Staat noch eine große Macht blieb«, nämlich dem Staat zum Trotz sich Gedanken zu machen. Wäre er ein englischer Proletarier, so würde er gefühlt haben, daß ihm »die Macht blieb«, dem Staat zum Trotz Kinder zu machen.

Weitere Jeremiade gegen den Staat! Weitere Theorie des Pauperismus! Er »schafft« zunächst als »Ich« »Mehl, Leinwand oder Eisen und Kohlen«, womit er die Teilung der Arbeit von vornherein aufhebt. Dann fängt er an, »lange« zu »klagen«, daß seine Arbeit nicht nach ihrem Wert bezahlt wird, und gerät zunächst in Konflikt mit den Bezahlenden. Der Staat tritt dann »beschwichtigend« dazwischen.

»Lasse Ich Mir nicht genügen an dem Preise, den er« (nämlich der Staat) »für meine Ware und Arbeit festsetzt, trachte Ich vielmehr, den Preis Meiner Ware selbst zu bestimmen, d.h. Mich bezahlt zu machen, so gerate Ich zunächst« (großes »Zunächst« – nicht mit dem Staat, sondern) »mit den Abnehmern der Ware in Konflikt.« p. 337.[343]

Will er nun in ein »direktes Verhältnis« mit diesen Abnehmern treten, d.h. »sie bei den Köpfen fassen«, so »interveniert« der Staat, »reißt den Menschen vom Menschen« (obgleich es sich nicht vom »Menschen«, sondern vom Arbeiter und Arbeitgeber oder, was er durcheinanderwirft, vom Verkäufer und Käufer der Ware handelte), und zwar tut der Staat dies in der böswilligen Absicht, »um sich als Geist« (jedenfalls heiliger Geist)

»in die Mitte zu stellen. Die Arbeiter, welche höheren Lohn verlangen, werden als Verbrecher behandelt, sobald sie ihn erzwingen wollen.« p. 337.

Hier haben wir wieder einmal eine Blütenlese des Unsinns. Herr Senior hätte seine Briefe über den Arbeitslohn sparen können, wenn er sich vorher in ein »direktes Verhältnis« zu Stirner gesetzt hätte; besonders da in diesem Falle der Staat wohl nicht »den Menschen vom Menschen gerissen« haben würde. Sancho läßt hier den Staat dreimal auftreten. Zuerst »beschwichtigend«, dann preisbestimmend, zuletzt als »Geist«, als das Heilige. Daß Sankt Sancho nach der glorreichen Identifikation des Privat- und Staatseigentums den Staat auch den Arbeitslohn bestimmen läßt, zeugt von gleich großer Konsequenz und Unbekanntschaft mit den Dingen dieser Welt. Daß »die Arbeiter, welche höheren Lohn erzwingen wollen«, in England, Amerika und Belgien keineswegs sogleich als »Verbrecher« behandelt werden, sondern im Gegenteil oft genug diesen Lohn wirklich erzwingen, ist ebenfalls ein unsrem Heiligen unbekanntes Faktum und zieht durch seine Legende vom Arbeitslohn einen großen Strich. Daß die Arbeiter, selbst wenn der Staat nicht »in die Mitte träte«, wenn sie ihre Arbeitgeber »bei den Köpfen fassen«, damit noch gar nichts gewinnen, noch viel weniger als durch Assoziationen und Arbeitseinstellungen, solange sie nämlich Arbeiter und ihre Gegner Kapitalisten bleiben – das ist ebenfalls ein Faktum, das selbst in Berlin einzusehen wäre. Daß die bürgerliche Gesellschaft, die auf der Konkurrenz beruht, und ihr Bourgeoisstaat ihrer ganzen materiellen Grundlage nach keinen andern als einen Konkurrenzkampf unter den Bürgern zulassen können und nicht als »Geist«, sondern mit Bajonetten dazwischentreten müssen, wenn die Leute sich »an den Köpfen fassen«, braucht ebenfalls nicht auseinandergesetzt zu werden.

Übrigens stellt Stirners Einfall, daß nur der Staat reicher werde, wenn die Individuen auf der Basis des bürgerlichen Eigentums reicher werden, oder daß bisher alles Privateigentum Staatseigentum gewesen sei, das historische Verhältnis wieder auf den Kopf. Mit der Entwicklung und Akkumulation des bürgerlichen Eigentums, d.h. mit der Entwicklung des Handels und der Industrie wurden die Individuen immer reicher, während der Staat immer verschuldeter ward. Dies Faktum trat schon hervor in den ersten italie-[344] nischen Handelsrepubliken, zeigte sich später in seiner Spitze in Holland seit dem vorigen Jahrhundert, wo der Fondsspekulant Pinto schon 1750 darauf aufmerksam machte, und findet jetzt wieder statt in England. Es zeigt sich daher auch, daß, sobald die Bourgeoisie Geld gesammelt hat, der Staat bei ihr betteln gehen muß und endlich von ihr geradezu an sich gekauft wird. Dies findet in einer Periode statt, in welcher die Bourgeoisie noch eine andre Klasse sich gegenüberstehen hat, wo also der Staat zwischen Beiden den Schein einer gewissen Selbständigkeit behalten kann. Der Staat bleibt selbst nach diesem Ankauf immer noch geldbedürftig und dadurch von den Bourgeois abhängig, kann aber dennoch, wenn es das Interesse der Bourgeois erfordert, immer über mehr Mittel verfügen als andre, weniger entwickelte und daher weniger verschuldete Staaten. Aber selbst die unentwickeltsten Staaten Europas, die der Heiligen Allianz, gehen diesem Schicksal unaufhaltsam entgegen und werden von den Bourgeois angesteigert werden; wo sie sich dann von Stirner mit der Identität von Privateigentum und Staatseigentum vertrösten lassen können, namentlich sein eigner Souverän, der vergebens die Stunde des Verschacherns der Staatsmacht an die »böse« gewordnen »Bürger« hinzuhalten strebt.

Wir kommen jetzt zu dem Verhältnis von Privateigentum und Recht, wo wir dieselben Siebensachen in anderer Form wieder hören. Die Identität von Staats- und Privateigentum erhält eine scheinbar neue Wendung. Die politische Anerkennung des Privateigentums im Recht wird als Basis des Privateigentums ausgesprochen.

»Das Privateigentum lebt von der Gnade des Rechts. Nur im Rechte hat es seine Gewähr – Besitz ist ja noch nicht Eigentum, es wird erst das Meinige durch Zustimmung des Rechts –; es ist keine Tatsache, sondern eine Fiktion, ein Gedanke. Das ist das Rechtseigentum, rechtliches Eigentum, garantiertes Eigentum; nicht durch Mich ist es Mein, sondern durchs – Recht.« p. 332.

Dieser Satz treibt nur den schon dagewesenen Unsinn vom Staatseigentum auf eine noch komischere Höhe. Wir gehen daher gleich auf Sanchos Exploitation des fiktiven jus utendi et abutendi über.

p. 332 erfahren wir außer der obigen schönen Sentenz, daß das Eigentum

»die unumschränkte Gewalt über etwas ist, womit Ich schalten und walten kann nach Gutdünken«. »Die Gewalt« ist aber »nicht ein für sich Existierendes, sondern lediglich im gewaltigen Ich, in Mir, dem Gewaltigen«, p. 366. Das Eigentum ist daher kein »Ding«, »nicht dieser Baum, sondern Meine Gewalt, Verfügung über ihn ist die[345] Meinige«. p. 366. Er kennt bloß »Dinge« oder »Iche«. Die »vom Ich getrennte«, gegen es verselbständigte, in ein »Gespenst« verwandelte »Gewalt ist das Recht«. »Diese verewigte Gewalt« (Abhandlung über das Erbrecht) »erlischt selbst mit Meinem Tode nicht, sondern wird übertragen oder vererbt. Die Dinge gehören nun wirklich nicht Mir, sondern dem Rechte. Andererseits ist dies weiter Nichts als eine Verblendung, denn die Gewalt des Einzelnen wird allein dadurch permanent und ein Recht, daß Andre ihre Gewalt mit der seinigen verbinden. Der Wahn besteht darin, daß sie ihre Gewalt nicht wieder zurückziehen zu können glauben.« p. 366, 367. »Ein Hund sieht den Knochen in eines andern Gewalt und steht nur ab, wenn er sich zu schwach fühlt. Der Mensch aber respektiert das Recht des Andern an seinen Knochen... Und wie hier, so heißt überhaupt dies ›menschlich‹ wenn man in Allem etwas Geistiges sieht, hier das Recht, d.h. Alles zu einem Gespenste macht und sich dazu als zu einem Gespenste verhält... Menschlich ist es, das Einzelne nicht als Einzelnes, sondern als ein Allgemeines anzuschauen.« p. 368, 369.

Das ganze Unheil entspringt also wieder aus dem Glauben der Individuen an den Rechtsbegriff, den sie sich aus dem Kopfe schlagen sollen. Sankt Sancho kennt nur »Dinge« und »Iche«, und von Allem, was nicht unter diese Rubriken paßt, von allen Verhältnissen kennt er nur die abstrakten Begriffe, die sich ihm daher auch in »Gespenster« verwandeln. »Andererseits« dämmert ihm freilich zuweilen, daß dies Alles »weiter Nichts ist als eine Verblendung« und daß »die Gewalt des Einzelnen« sehr davon abhängig ist, ob Andre ihre Gewalt mit der seinigen verbinden. Aber in letzter Instanz läuft Alles doch auf »den Wahn« heraus, daß die Einzelnen »ihre Gewalt nicht wieder zurückziehen zu können glauben«. Die Eisenbahn gehört wieder »wirklich« nicht den Aktionären, sondern den Statuten. Sancho gibt gleich ein schlagendes Exempel am Erbrecht. Er erklärt es nicht aus der Notwendigkeit der Akkumulation und der vor dem Recht existierenden Familie, sondern aus der juristischen Fiktion von der Verlängerung der Gewalt über den Tod hinaus. Diese juristische Fiktion selbst wird von allen Gesetzgebungen immer mehr aufgegeben, je mehr die feudale Gesellschaft in die bürgerliche übergeht. (Vergleiche z.B. den Code Napoléon.) Daß die absolute väterliche Gewalt und das Majorat, sowohl das naturwüchsige Lehnsmajorat wie das spätere, auf sehr bestimmten materiellen Verhältnissen beruhten, braucht hier nicht auseinandergesetzt zu werden. Dasselbe findet bei den antiken Völkern statt in der Epoche der Auflösung des Gemeinwesens durch das Privatleben. (Bester Beweis die Geschichte des römischen Erbrechts.) Sancho konnte überhaupt kein unglücklicheres Beispiel wählen als das Erbrecht, das am allerdeutlichsten die Abhängigkeit des Rechts von den Produktionsverhältnissen zeigt. Vergleich zum Beispiel römisches und germanisches Erbrecht. Ein Hund hat freilich noch nie aus einem Knochen Phosphor, Kno-[346] chenmehl oder Kalk gemacht, ebensowenig wie er sich je über sein »Recht« an einen Knochen »etwas in den Kopf gesetzt hat«; Sankt Sancho hat sich ebenfalls nie »in den Kopf gesetzt«, darüber nachzudenken, ob nicht das Recht, das die Menschen auf einen Knochen sich vindizieren und die Hunde nicht, mit der Art zusammenhängt, wie die Menschen diesen Knochen produktiv behandeln und die Hunde nicht. Überhaupt haben wir hier an einem Beispiel die ganze Manier der Sanchoschen Kritik und seinen unerschütterlichen Glauben an kurante Illusionen vor uns. Die bisherigen Produktionsverhältnisse der Individuen müssen sich ebenfalls als politische und rechtliche Verhältnisse ausdrücken. (Sieh oben.) Innerhalb der Teilung der Arbeit müssen diese Verhältnisse gegenüber den Individuen sich verselbständigen. Alle Verhältnisse können in der Sprache nur als Begriffe ausgedrückt werden. Daß diese Allgemeinheiten und Begriffe als mysteriöse Mächte gelten, ist eine notwendige Folge der Verselbständigung der realen Verhältnisse, deren Ausdruck sie sind. Außer dieser Geltung im gewöhnlichen Bewußtsein erhalten diese Allgemeinheiten noch eine besondere Geltung und Ausbildung von den Politikern und Juristen, die durch die Teilung der Arbeit auf den Kultus dieser Begriffe angewiesen sind und in ihnen, nicht in den Produktionsverhältnissen, die wahre Grundlage aller realen Eigentumsverhältnisse sehen. Diese Illusion adoptiert Sankt Sancho unbesehens, hat es damit fertiggebracht, das rechtliche Eigentum für die Basis des Privateigentums und den Rechtsbegriff für die Basis des rechtlichen Eigentums zu erklären, und kann nun seine ganze Kritik darauf beschränken, den Rechtsbegriff für einen Begriff, ein Gespenst zu erklären. Womit Sankt Sancho fertig ist. Zu seiner Beruhigung kann ihm noch gesagt werden, daß das Verfahren der Hunde, wenn ihrer zwei einen Knochen finden, in allen ursprünglichen Gesetzbüchern als Recht anerkannt wird: vim vi repellere licere, sagen die Pandekten; idque jus natura comparatur, worunter verstanden wird jus quod natura omnia animalia – Menschen und Hunden – docuit; daß aber später die organisierte Repulsion der Gewalt durch die Gewalt »eben« das Recht ist.

Sankt Sancho, der nun im Zuge ist, dokumentiert seine rechtsgeschichtliche Gelehrsamkeit dadurch, daß er Proudhon seinen »Knochen« streitig macht. Proudhon, sagt er,

»schwindelt uns vor, die Sozietät sei die ursprüngliche Besitzerin und die einzige Eigentümerin von unverjährbarem Rechte; an ihr sei der sogenannte Eigentümer zum Diebe geworden; wenn sie nun dem dermaligen Eigentümer sein Eigentum entziehe,[347] so raube sie ihm Nichts, da sie nur ihr unverjährbares Recht geltend mache. So weit kommt man mit dem Spuk der Sozietät als einer moralischen Person.« p. 330, 331.

Dagegen will Stirner uns »vorschwindeln«, p. 340, 367, 420 und anderwärts, wir, nämlich die Besitzlosen, hätten den Eigentümern ihr Eigentum geschenkt, aus Unkunde, Feigheit oder auch Gutmütigkeit usw., und fordert uns auf, unser Geschenk zurückzunehmen. Zwischen den beiden »Schwindeleien« ist der Unterschied, daß Proudhon sich auf ein historisches Faktum stützt, während Sankt Sancho sich nur etwas »in den Kopf gesetzt« hat, um der Sache eine »neue Wendung« zu geben. Die neueren rechtsgeschichtlichen Forschungen haben nämlich herausgestellt, daß sowohl in Rom wie bei den germanischen, keltischen und slawischen Völkern die Eigentumsentwicklung vom Gemeindeeigentum oder Stammeigentum ausging und das eigentliche Privateigentum überall durch Usurpation entstand, was Sankt Sancho freilich nicht aus der tiefen Einsicht herausklauben konnte, daß der Rechtsbegriff ein Begriff ist. Den juristischen Dogmatikern gegenüber war Proudhon vollständig berechtigt, dies Faktum geltend zu machen und überhaupt sie mit ihren eignen Voraussetzungen zu bekämpfen. »So weit kommt man mit dem Spuk« des Rechtsbegriffs als eines Begriffs. Proudhon könnte nur dann wegen seines obigen Satzes angegriffen werden, wenn er dem über dies ursprüngliche Gemeinwesen hinausgegangenen Privateigentum gegenüber die frühere und rohere Form verteidigt hätte. Sancho resümiert seine Kritik Proudhons in der stolzen Frage:

»Warum so sentimental, als ein armer Beraubter, das Mitleid anrufen?« p. 420.

Die Sentimentalität, die übrigens bei Proudhon nirgends zu finden ist, ist nur der Maritornes gegenüber erlaubt. Sancho bildet sich wirklich ein, ein »ganzer Kerl« zu sein gegenüber einem Gespenstergläubigen wie Proudhon. Er hält seinen aufgedunsenen Kanzleistil, dessen sich Friedrich Wilhelm IV. zu schämen hätte, für revolutionär. »Der Glaube macht selig!«

p. 340 erfahren wir:

»Alle Versuche, über das Eigentum vernünftige Gesetze zu geben, liefen vom Busen der Liebe in ein wüstes Meer von Bestimmungen aus.«

Hierzu paßt der gleich abenteuerliche Satz:

»Der bisherige Verkehr beruhte auf der Liebe, dem rücksichtsvollen Benehmen, dem Füreinander-Tun.« p. 385.

Sankt Sancho überrascht sich hier selbst mit einem frappanten Paradoxon über das Recht und den Verkehr. Wenn wir uns indes erinnern, daß er unter »der Liebe« die Liebe zu »dem Menschen«, überhaupt einem An-und-für-[348] sich-Seienden, Allgemeinen, das Verhältnis zu einem Individuum oder Ding als zum Wesen, zu dem Heiligen versteht, so fällt dieser glänzende Schein zusammen. Die obigen Orakelsprüche lösen sich dann in die alten, durch das ganze »Buch« uns ennuyierenden Trivialitäten auf, daß zwei Dinge, von denen Sancho Nichts weiß, nämlich hier das bisherige Recht und der bisherige Verkehr – »das Heilige« sind, und daß überhaupt bisher nur »Begriffe die Welt beherrscht« haben. Das Verhältnis zum Heiligen, sonst »Respekt« genannt, kann auch gelegentlich »Liebe« tituliert werden. (Siehe »Logik«.)

Nur ein Beispiel, wie Sankt Sancho die Gesetzgebung in ein Liebesverhältnis und den Handel in einen Liebeshandel verwandelt:

»In einer Registrationsbill für Irland stellte die Regierung den Antrag, Wähler diejenigen sein zu lassen, welche fünf Pfund Sterling Armensteuer entrichten. Also wer Almosen gibt, der erwirbt politische Rechte oder wird anderwärts Schwanenritter.« p. 344.

Zuerst ist hier zu bemerken, daß diese »Registrationsbill«, die »politische Rechte« verleiht, eine Munizipal- oder Korporationsbill war, oder, um für Sancho verständlich zu sprechen, eine »Städteordnung«, die keine »politischen Rechte«, sondern städtische Rechte, Wahlrecht für Lokalbeamte, verleihen sollte. Zweitens sollte Sancho, der den MacCulloch übersetzt, doch wohl wissen, was das heißt, »to be assessed to the poor-rates at five pounds«. Es heißt nicht »fünf Pfund Armensteuer zahlen«, sondern in den Armensteuerrollen als Bewohner eines Hauses eingetragen sein, dessen jährliche Miete fünf Pfund beträgt. Der Berliner Bonhomme weiß nicht, daß die Armensteuer in England und Irland eine lokale Steuer ist, die in jeder Stadt und in jedem Jahre verschieden ist, so daß es eine reine Unmöglichkeit wäre, irgendein Recht an einen bestimmten Steuerbetrag knüpfen zu wollen. Endlich glaubt Sancho, daß die englische und irische Armensteuer ein »Almosen« sei, während sie nur die Geldmittel zu einem offenen und direkten Angriffskrieg der herrschenden Bourgeoisie gegen das Proletariat aufbringt. Sie deckt die Kosten der Arbeitshäuser, die bekanntlich ein Malthusianisches Abschreckungsmittel gegen den Pauperismus sind. Man sieht, wie Sancho »vom Busen der Liebe in ein wüstes Meer von Bestimmungen ausläuft«.

Beiläufig bemerkt, mußte die deutsche Philosophie, weil sie nur vom Bewußtsein ausging, in Moralphilosophie verenden, wo dann die verschiedenen Heroen einen Hader um die wahre Moral führen. Feuerbach liebt den Menschen um des Menschen willen. Sankt Bruno liebt ihn, weil er es »verdient« (Wig[and], p. 137), und Sankt Sancho liebt »Jeden«, weil es ihm gefällt, mit dem Bewußtsein des Egoismus (»das Buch«, p. 387).[349]

Wir haben schon oben, in der ersten Abhandlung, gehört, wie die kleinen Grundeigentümer sich respektvoll vom großen Grundeigentum ausschlossen. Dies Sich-Ausschließen vom fremden Eigentum aus Respekt wird überhaupt als Charakter des bürgerlichen Eigentums dargestellt. Aus diesem Charakter weiß Stirner sich zu erklären, warum

»innerhalb des Bürgertums trotz seines Sinnes, daß Jeder Eigentümer sei, die Meisten soviel wie Nichts haben«, p. 348. Dies »kommt daher, weil die Meisten sich schon darüber freuen, nur überhaupt Inhaber, sei es auch von einigen Lappen, zu sein«. p. 349.

Daß »die Meisten« nur »einige Lappen« besitzen, erklärt sich Szeliga ganz natürlich aus ihrer Freude an den Lappen.

p. 343: »Ich wäre bloß Besitzer? Nein, bisher war man nur Besitzer, gesichert im Besitze einer Parzelle, dadurch, daß man Andere auch im Besitze einer Parzelle ließ; jetzt aber gehört Alles Mir. Ich bin Eigentümer von Allem, dessen Ich brauche und habhaft werden kann.«

Wie Sancho vorhin die kleinen Grundbesitzer sich respektvoll vom großen Grundeigentum ausschließen ließ, jetzt die kleinen Grundbesitzer sich voneinander, so konnte er weiter ins Detail gehen, die Ausschließung des kommerziellen Eigentums vom Grundeigentum, des Fabrikeigentums vom eigentlich kommerziellen usw. durch den Respekt bewerkstelligen lassen und es so zu einer ganz neuen Ökonomie auf der Basis des Heiligen bringen. Er hat sich dann nur den Respekt aus dem Kopf zu schlagen, um die Teilung der Arbeit und die daraus hervorgehende Gestaltung des Eigentums mit Einem Schlage aufzuheben. Zu dieser neuen Ökonomie gibt Sancho p. 128 »des Buchs« einen Beleg, wo er die Nadel nicht vom shopkeeper sondern vom Respekt kauft, und nicht mit Geld von dem shopkeeper, sondern mit Respekt von der Nadel. Übrigens ist die von Sancho angefeindete dogmatische Selbstausschließung eines Jeden vom fremden Eigentum eine rein juristische Illusion. In der heutigen Produktions- und Verkehrsweise schlägt Jeder ihr ins Gesicht und trachtet gerade danach, alle Andern von Ihrem einstweiligen Eigentum auszuschließen. Wie es mit Sanchos »Eigentum an Allem« aussieht, geht schon aus dem ergänzenden Nachsatz hervor: »dessen Ich brauche und habhaft werden kann«. Er erörtert dies selbst näher p. 353: »Sage Ich: Mir gehört die Welt, so ist das eigentlich auch leeres Gerede, das nur insofern Sinn hat, als Ich kein fremdes Eigentum respektiere.« Also insofern der Nichtrespekt vor dem fremden Eigentum sein Eigentum ist.

Was Sancho an seinem geliebten Privateigentum kränkt, ist eben die Aus-[350] schließlichkeit, ohne die es Unsinn wäre, das Faktum, daß es außer ihm noch andre Privateigentümer gibt. Fremdes Privateigentum ist nämlich heiliges. Wir werden sehen, wie er in seinem »Vereine« diesem Übelstand abhilft. Wir werden nämlich finden, daß sein egoistisches Eigentum, das Eigentum im außergewöhnlichen Verstande, weiter nichts ist als das durch seine heiligende Phantasie verklärte, gewöhnliche oder bürgerliche Eigentum.

Schließen wir mit dem Spruch Salomonis:

»Gelangen die Menschen dahin, daß sie den Respekt vor dem Eigentum verlieren, so wird Jeder Eigentum haben... dann [werden Vereine auch in dieser Sache die Mittel des Einzelnen multiplizieren und sein angefochtenes Eigentum sicherstellen.« p. 342]

[Abhandlung 3: Über die Konkurrenz im gewöhnlichen und außergewöhnlichen Verstande.]

Schreiber dieses begab sich eines Morgens im gebührlichen Kostüm zum Herrn Minister Eichhorn:

»Weil es mit dem Fabrikanten nicht geht« (der Herr Finanzminister hatte ihm nämlich weder Raum noch Geld zur Errichtung einer eigenen Fabrik gegeben, noch der Herr Justizminister ihm erlaubt, dem Fabrikanten die Fabrik zu nehmen – siehe oben bürgerliches Eigentum), »so will Ich mit jenem Professor der Rechte konkurrieren; der Mann ist ein Gimpel, und Ich, der Ich hundertmal mehr weiß als er, werde sein Auditorium leer machen.« – »Hast Du studiert und promoviert, Freund?« – »Nein, aber was tut das? Ich verstehe, was zu dem Lehrfache nötig ist, reichlich.« – »Tut mir leid, aber die Konkurrenz ist hier nicht frei. Gegen Deine Person ist nichts zu sagen, aber die Sache fehlt, das Doktordiplom. Und dies verlange Ich, der Staat.« – »Dies also ist die Freiheit der Konkurrenz«, seufzte Schreiber dieses, »der Staat, Mein Herr, befähigt mich erst zum Konkurrieren.« Worauf er niedergeschlagen in seine Behausung zurückkehrte. p. 347.

In entwickelten Ländern wäre es ihm nicht vorgekommen, den Staat um die Erlaubnis fragen zu müssen, ob er mit einem Professor der Rechte konkurrieren dürfe. Wenn er sich aber an den Staat als einen Arbeitgeber wendet und Besoldung, d.h. Arbeitslohn verlangt, also sich selbst in das Konkurrenzverhältnis stellt, so ist allerdings nach seinen schon dagewesenen Abhandlungen über Privateigentum und private, Gemeinde-Eigentum, Proletariat, lettres patentes, Staat und Status usw. nicht zu vermuten, daß er »glücklich werben« wird. Der Staat kann ihn nach seinen bisherigen Leistungen höchstens als Küster (custos) »des Heiligen« auf einer hinterpommerschen Domäne anstellen.[351]

Zur Erheiterung können wir hier »episodisch« die große Entdeckung Sanchos »einlegen«, daß zwischen »Armen« und »Reichen« kein »anderer Unterschied« existiert – »als der der Vermögenden und Unvermögenden«. p. 354.

Stürzen wir uns jetzt wieder in das »wüste Meer« der Stirnerschen »Bestimmungen« über die Konkurrenz:

»Mit der Konkurrenz ist weniger« (o »Weniger«!) »die Absicht verbunden, die Sache am besten zu machen, als die andre, sie möglichst einträglich, ergiebig zu machen. Man studiert daher auf ein Amt los (Brotstudium), studiert Katzenbuckel und Schmeicheleien, Routine und Geschäftskenntnis, man arbeitet auf den Schein. Während es daher scheinbar um eine gute Leistung zu tun ist, wird in Wahrheit nur auf ein gutes Geschäft und Geldverdienst gesehen. Man möchte zwar nicht gerne Zensor sein, aber man will befördert sein... man fürchtet Versetzung oder gar Absetzung.« p. 354, 355.

Unser Bonhomme möge ein ökonomisches Handbuch aufspüren, worin selbst die Theoretiker behaupten, es sei in der Konkurrenz um »eine gute Leistung« oder darum zu tun, »die Sache am besten zu machen«, und nicht, »sie möglichst einträglich zu machen«. Er kann übrigens in jedem derartigen Buche finden, daß innerhalb des Privateigentums die ausgebildetste Konkurrenz, wie z.B. in England, die »Sache« allerdings »am besten macht«. Der kleine kommerzielle und industrielle Betrug wuchert nur unter bornierten Konkurrenzverhältnissen, unter den Chinesen, Deutschen und Juden, überhaupt unter den Hausierern und Kleinkrämern. Aber selbst den Hausierhandel erwähnt unser Heiliger nicht; er kennt nur die Konkurrenz der Supernumerarien und Referendarien, er beweist sich hier als vollständigen k[öniglich] preuß[ischen] Subalternbeamten. Er hätte ebensogut die Bewerbung der Hofleute aller Zeiten um die Gunst ihres Fürsten als Beispiel der Konkurrenz anführen können, aber das lag seinem kleinbürgerlichen Gesichtskreis viel zu fern.

Nach diesen gewaltigen Abenteuern mit den Supernumerarien, Salarien-Kassen-Rendanten und Registratoren besteht Sankt Sancho das große Abenteuer mit dem famosen Roß Clavileno, davon der Prophet Cervantes zuvor geredet hat im Neuen Testament am Einundvierzigsten. Sancho setzt sich nämlich aufs hohe ökonomische Pferd und bestimmt das Minimum des Arbeitslohnes vermittelst »des Helligen«. Allerdings zeigt er hier wieder einmal seine angeborne Furchtsamkeit und weigert sich anfangs, das fliegende Roß zu besteigen, das ihn in die Region trägt, »wo der Hagel, der Schnee, der Donner, Blitz und Wetterstrahl erzeugt werden«, weit über die Wolken hinaus. Aber »der Herzog«, das ist »der Staat«, ermuntert ihn, und nachdem der kühnere und erfahrnere Szeliga-Don Quijote sich einmal in den Sattel[352] geschwungen hat, klettert unser wackerer Sancho ihm nach auf die Kruppe. Und als die Hand Szeligas die Schraube am Kopfe des Pferdes gedreht hatte, erhob es sich hoch in die Lüfte, und alle Damen, vornehmlich Maritornes, riefen ihnen nach: »Der mit sich einige Egoismus geleite Dich, tapferer Ritter, und noch tapfrerer Schildknapp, und möge es Euch gelingen, uns von dem Spuk des Malambruno, ›des Heiligen‹, zu befreien. Halte Dich nur in der Balance, tapferer Sancho, damit Du nicht fallest und es Dir nicht ergehe wie Phaeton, da er den Sonnenwagen lenken wollte!«

»Nehmen wir an« (er schwankt schon hypothetisch), »daß, wie die Ordnung zum Wesen des Staats gehört, so auch die Unterordnung in seiner Natur« (angenehme Modulation zwischen »Wesen« und »Natur« – den »Ziegen«, die Sancho auf seinem Fluge beobachtet) »gegründet ist, so sehen wir, daß von den Untergeordneten« (soll wohl heißen Übergeordneten) »oder Bevorzugten die Zurückgesetzten unverhältnismäßig überteuert und übervorteilt werden.« p. 357.

»Nehmen wir an... so sehen wir.« Soll heißen: so nehmen wir an. Nehmen wir an, daß »Übergeordnete« und »Untergeordnete« im Staat existieren, so »nehmen wir« ebenfalls »an«, daß erstere vor den letzteren »bevorzugt« werden. Doch die stilistische Schönheit dieses Satzes sowie die plötzliche Anerkennung des »Wesens« und der »Natur« eines Dings schieben wir auf die Furchtsamkeit und Verwirrung unsres ängstlich balancierenden Sancho während seiner Luftfahrt sowie auf die unter seiner Nase abgebrannten Raketen. Wir bewundern selbst nicht, daß Sankt Sancho sich die Folgen der Konkurrenz nicht aus der Konkurrenz, sondern aus der Bürokratie erklärt und den Staat hier wiederum den Arbeitslohn bestimmen läßt.67

Er bedenkt nicht, daß die fortwährenden Schwankungen des Arbeitslohns seiner ganzen schönen Theorie ins Gesicht schlagen und ein näheres Eingehen auf industrielle Verhältnisse ihm allerdings Exempel zeigen würde, wo ein Fabrikant von seinen Arbeitern nach allgemeinen Konkurrenzgesetzen »übervorteilt« und »überteuert« würde, wenn nicht diese juristischen und moralischen Ausdrücke innerhalb der Konkurrenz allen Sinn verloren hätten.[353]

Wie einfältiglich und kleinbürgerlich sich in dem einzigen Schädel Sanchos die weltumfassendsten Verhältnisse abspiegeln, wie sehr er als Schulmeister daran gebunden ist, aus allen diesen Verhältnissen sich moralische Nutzanwendungen zu abstrahieren und sie mit moralischen Postulaten zu widerlegen, das zeigt wieder deutlich die Zwerggestalt, zu der für ihn die Konkurrenz zusammenschrumpft. Wir müssen diese kostbare Stelle in extenso mitteilen, »auf daß Nichts verlorengehe«.

»Was noch einmal die Konkurrenz betrifft, so hat sie gerade dadurch Bestand, daß nicht Alle sich ihrer Sache annehmen und sich über sie miteinander verständigen. Brot ist z.B. das Bedürfnis aller Einwohner einer Stadt, deshalb könnten sie leicht übereinkommen, eine öffentliche Bäckerei einzurichten. Statt dessen überlassen sie die Lieferung des Bedarfs den konkurrierenden Bäckern, Ebenso Fleisch den Fleischern, Wein den Weinhändlern usw.... Wenn Ich Mich nicht um Meine Sache bekümmere, so muß Ich mit dem vorliebnehmen, was anderen Mir zu gewähren beliebt. Brot zu haben ist Meine Sache, Mein Wunsch und Begehren, und doch überläßt man es den Bäckern und hofft höchstens, durch ihren Hader, ihr Rangablaufen, ihren Wetteifer, kurz, ihre Konkurrenz, einen Vorteil zu erlangen, auf welchen man bei den Zünftigen, die gänzlich und allein im Eigentum der Backgerechtigkeit saßen, nicht rechnen konnte.« p. 365.

Charakteristisch für unsern Kleinbürger ist es, daß er hier eine Anstalt wie die öffentliche Bäckerei, die unter dem Zunftwesen vielfach existierte und durch die wohlfeilere Produktionsweise der Konkurrenz gestürzt wurde, eine lokale Anstalt, die sich nur unter beschränkten Verhältnissen halten konnte und mit dem Eintreten der Konkurrenz, welche die lokale Borniertheit aufhob, notwendig untergehen mußte – daß Sankt Sancho eine solche Anstalt der Konkurrenz gegenüber seinen Mitspießbürgern empfiehlt. Er hat nicht einmal das aus der Konkurrenz gelernt, daß »der Bedarf«, z.B. an Brot, jeden Tag ein anderer ist, daß es keineswegs von ihm abhängt, ob morgen noch das Brot »seine Sache« ist oder ob sein Bedürfnis den Andern noch für eine Sache gilt, und daß innerhalb der Konkurrenz der Brotpreis durch die Produktionskosten und nicht durch das Belieben der Bäcker bestimmt wird. Er ignoriert sämtliche von der Konkurrenz erst geschaffenen Verhältnisse, Aufhebung der Lokalbeschränkung, Herstellung von Kommunikationen, ausgebildete Teilung der Arbeit, Weltverkehr, Proletariat, Maschinerie pp., um einen wehmütigen Blick auf die mittelalterliche Spießbürgerei zurückzuwerfen. Von der Konkurrenz weiß er soviel, daß sie »Hader, Rangablaufen und Wetteifer« ist; um ihren sonstigen Zusammenhang mit der Teilung der Arbeit, dem Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr etc. kümmert[354] er sich nicht.68 Daß die Bourgeois sich allerdings überall, wo es ihr Interesse erheischte (und darüber wissen sie besser zu urteilen als Sankt Sancho), jedesmal »verständigten«, soweit sie innerhalb der Konkurrenz und des Privateigentums dies konnten, zeigen die Aktiengesellschaften, die mit dem Aufkommen des Seehandels und der Manufaktur begannen und alle ihnen zugänglichen Zweige der Industrie und des Handels an sich rissen. Solche »Verständigungen«, die u. a. zur Eroberung eines Reiches in Ostindien führten, sind freilich kleinlich gegenüber der wohlmeinenden Phantasie einer öffentlichen Bäckerei, die in der »Vossischen Zeitung« besprochen zu werden verdiente. – Was die Proletarier betrifft, so sind diese, wenigstens in ihrer modernen Gestalt, erst aus der Konkurrenz entstanden und haben bereits vielfach gemeinschaftliche Anstalten errichtet, die aber jedesmal untergingen, weil sie nicht mit den »hadernden« Privatbäckern, Fleischern pp. konkurrieren konnten und weil für die Proletarier wegen ihrer durch die Teilung der Arbeit selbst vielfach entgegengesetzten Interessen eine andere als politische, gegen den ganzen jetzigen Zustand gerichtete »Verständigung« unmöglich ist. Wo die Entwicklung der Konkurrenz die Proletarier befähigt, sich zu »verständigen«, da »verständigen« sie sich über ganz andre Dinge als über öffentliche Bäckereien.69 Der Mangel an »Verständigung«, den Sancho hier unter den konkurrierenden Individuen bemerkt, entspricht und widerspricht vollständig seiner weiteren Ausführung über die Konkurrenz, die Wir im Kommentar, Wigand, p. 173, genießen.

»Man führte die Konkurrenz ein, weil man ein Heil für Alle darin sah, man einigte sich über sie, man versuchte es gemeinschaftlich mit ihr... man stimmte in ihr etwa so [355] überein, wie sämtliche Jäger bei einer Jagd für... ihre Zwecke es zuträglich finden können, sich im Walde zu zerstreuen und ›vereinzelt‹ zu jagen... Jetzt freilich stellt es sich heraus... daß bei der Konkurrenz nicht Jeder seinen Gewinn... findet.«

»Es stellt sich hier heraus«, daß Sancho von der Jagd geradesoviel weiß wie von der Konkurrenz. Er spricht nicht von einer Treibjagd, auch nicht von einer Hetzjagd, sondern von der Jagd im außergewöhnlichen Verstande. Es bleibt ihm nur noch übrig, nach den obigen Prinzipien eine neue Geschichte der Industrie und des Handels zu schreiben und einen »Verein« zu einer derartigen außergewöhnlichen Jagd zustande zu bringen.

Ganz in demselben stillen, gemütlichen und dorfzeitungsmäßigen Geleise spricht er sich über die Stellung der Konkurrenz zu den sittlichen Verhältnissen aus.

»Was der Mensch als solcher«(!) »an körperlichen Gütern nicht behaupten kann, dürfen wir ihm nehmen: dies der Sinn der Konkurrenz, der Gewerbefreiheit. Was er an geistigen Gütern nicht behaupten kann, verfällt uns gleichfalls. Aber unantastbar sind die geheiligten Güter. Geheiligt und garantiert durch wen?... Durch den Menschen oder den Begriff, den Begriff der Sache.« Als solche geheiligte Güter führt er an »das Leben«, »Freiheit der Person«, »Religion«, »Ehre«, »Anstands-, Schamgefühl« usw. p. 325.

Alle diese »geheiligten Güter« »darf« Stirner in entwickelten Ländern zwar nicht »dem Menschen als solchen«, aber doch den wirklichen Menschen nehmen, natürlich auf dem Wege und innerhalb der Bedingungen der Konkurrenz. Die große Umwälzung der Gesellschaft durch die Konkurrenz, die die Verhältnisse der Bourgeois untereinander und zu den Proletariern in reine Geldverhältnisse auflöste, sämtliche obengenannte »geheiligte Güter« in Handelsartikel verwandelte und für die Proletarier alle naturwüchsigen und überkommenen, z.B. Familien- und politische Verhältnisse nebst ihrem ganzen ideologischen Überbau zerstörte – diese gewaltige Revolution ging allerdings nicht von Deutschland aus; Deutschland spielte in ihr nur eine passive Rolle, es ließ sich seine geheiligten Güter nehmen und bekam nicht einmal den kuranten Preis dafür. Unser deutscher Kleinbürger kennt daher nur die heuchlerischen Beteuerungen der Bourgeois über die moralischen Grenzen der Konkurrenz der Bourgeois, die die »geheiligten Güter« der Proletarier, ihre »Ehre«, »Schamgefühl«, »Freiheit der Person« täglich mit Füßen treten und ihnen selbst den Religionsunterricht entziehen. Diese vorgeschützten »moralischen Grenzen« gelten ihm für den wahren »Sinn« der Konkurrenz, und ihre Wirklichkeit existiert nicht für ihren Sinn.

Sancho resümiert die Resultate seiner Forschungen über die Konkurrenz in folgendem Satze:

[356] »Ist eine Konkurrenz frei, die der Staat, dieser Herrscher im bürgerlichen Prinzip, in tausend Schranken einengt?« p. 347.

Das »bürgerliche Prinzip« Sanchos, »den Staat« überall zum »Herrscher« zu machen und die aus der Produktions- und Verkehrsweise hervorgehenden Schranken der Konkurrenz für Schranken zu halten, in die »der Staat« die Konkurrenz »einengt«, spricht sich hier noch einmal mit gebührender »Empörung« aus.

Sankt Sancho hat »in jüngster Zeit« »aus Frankreich« herüber (vgl. Wigand, p. 190) allerlei Neuigkeiten läuten gehört, und unter Andern über die Versachlichung der Personen in der Konkurrenz und über den Unterschied zwischen Konkurrenz und Wetteifer. Aber der »arme Berliner« hat »aus Dummheit die schönen Sachen verdorben«. (Wig[and] ibidem, wo sein böses Gewissen aus ihm redet.) »So sagt er z.B.« p. 346 »des Buchs«:

»Ist die freie Konkurrenz denn wirklich frei? Ja, ist sie wirklich eine Konkurrenz, nämlich der Personen, wofür sie sich ausgibt weil sie auf diesen Titel ihr Recht gründet?«

Die Dame Konkurrenz gibt sich für etwas aus, weil sie (d.h. einige Juristen, Politiker und schwärmerische Kleinbürger, die letzten Nachzügler in ihrem Gefolge) auf diesen Titel ihr Recht gründet. Mit dieser Allegorie beginnt Sancho die »schönen Sachen« »aus Frankreich« für den Meridian von Berlin zurechtzustutzen. Wir übergehen die schon oben abgemachte absurde Vorstellung, daß »der Staat gegen Meine Person nichts einzuwenden hat« und mir so zu konkurrieren erlaubt, mir aber »die Sache« nicht gibt (p. 347), und gehen gleich auf seinen Beweis über, daß die Konkurrenz keine Konkurrenz der Personen ist.

»Konkurrieren aber wirklich die Personen? Nein, wiederum nur die Sachen! Die Gelder in erster Reihe, usw.; in dem Wetteifer wird immer Einer hinter dem Andern zurückbleiben. Allein es macht einen Unterschied, ob die fehlenden Mittel durch persönliche Kraft gewonnen werden können oder nur durch Gnade zu erhalten sind, nur als Geschenk, und zwar indem z.B. der Ärmere dem Reicheren seinen Reichtum lassen, d.h. schenken muß.« p. 348.

Die Schenkungstheorie »schenken wir ihm« (Wig[and,] p. 190). Er möge sich im ersten besten juristischen Handbuch, Kapitel »Vertrag«, unterrichten, ob ein »Geschenk«, das er »schenken muß«, noch ein Geschenk ist. In dieser Weise »schenkt« uns Stirner unsre Kritik seines Buchs, weil er sie uns »lassen, d.h. schenken muß«.

Die Tatsache, daß von zwei Konkurrenten, deren »Sachen« gleich sind, der eine den andern ruiniert, besteht für Sancho nicht. Daß die Arbeiter untereinander kokurrieren, obgleich sie keine »Sachen« (im Stirnerschen[357] Verstande) besitzen, existiert desgleichen nicht für ihn. Indem er die Konkurrenz der Arbeiter untereinander aufhebt, erfüllt er einen der frommsten Wünsche unsrer »wahren Sozialisten«, deren wärmster Dank ihm nicht entgehen wird. »Nur die Sachen«, nicht »die Personen« konkurrieren. Nur die Waffen kämpfen, nicht die Leute, die sie führen und zu führen gelernt haben. Diese sind bloß zum Totgeschossenwerden da. So spiegelt sich der Konkurrenzkampf in den Köpfen kleinbürgerlicher Schulmeister ab, die sich den modernen Börsenbaronen und Cotton-Lords gegenüber mit dem Bewußtsein trösten, daß ihnen nur »die Sache« fehle, um ihre »persönliche Kraft« gegen sie geltend zu machen. Noch komischer wird diese bornierte Vorstellung, wenn man auf die »Sachen« etwas näher eingeht, statt sich auf das Allergemeinste und Populärste, z.B. »das Geld« (das indes nicht so populär ist, wie es scheint), zu beschränken. Unter diese »Sachen« gehört u. a., daß der Konkurrent in einem Lande und in einer Stadt lebt, wo er dieselben Vorteile hat wie seine von ihm vorgefundenen Konkurrenten; daß das Verhältnis von Stadt und Land eine fortgeschrittene Entwicklungsstufe erlangt hat; daß er in einer günstigen geographischen, geologischen und hydrographischen Lage konkurriert; daß er als Seidenfabrikant in Lyon, als Baumwollfabrikant in Manchester fabriziert oder in einer früheren Epoche als Reeder in Holland sein Geschäft betrieb; daß die Teilung der Arbeit in seinem wie in andern, von ihm keineswegs abhängigen Produktionszweigen eine hohe Ausbildung erlangt hat, daß die Kommunikationen ihm denselben wohlfeilen Transport sichern wie seinen Konkurrenten, daß er geschickte Arbeiter und ausgebildete Aufseher vorfindet. Alle diese »Sachen«, die zum Konkurrieren nötig sind, überhaupt die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkte (den er nicht kennt und nicht kennen darf, um seiner Staatstheorie und öffentlichen Bäckerei willen, der aber leider die Konkurrenz und Konkurrenzfähigkeit bestimmt), kann er sich weder durch »persönliche Kraft« gewinnen noch durch »die Gnade« »des Staats« »schenken« »lassen« (vgl. p. 348). Der preußische Staat, der es versuchte, der Seehandlung alles dies zu »schenken«, kann ihm darüber am besten Belehrung geben. Sancho erweist sich hier als k[öniglich] preuß[ischer] Seehandlungsphilosoph, indem er die Illusion des preußischen Staats über seine Allmacht und die Illusion der Seehandlung über ihre Konkurrenzfähigkeit eines Breiteren glossiert. Übrigens hat die Konkurrenz allerdings als eine »Konkurrenz der Personen« mit »persönlichen Mitteln« angefangen. Die Befreiung der Leibeigenen, die erste Bedingung der Konkurrenz, die erste Akkumulation von »Sachen«, waren rein »persönliche« Akte. Wenn Sancho also die Konkurrenz der Personen an die[358] Stelle der Konkurrenz der Sachen setzen will, so heißt das: er will in den Anfang der Konkurrenz zurückgehen, und zwar mit der Einbildung, durch seinen guten Willen und sein außergewöhnlich-egoistisches Bewußtsein der Entwicklung der Konkurrenz eine andre Richtung geben zu können.

Dieser große Mann, dem Nichts heilig ist und der nach der »Natur der Sache« und dem »Begriff des Verhältnisses« Nichts fragt, muß dennoch zuletzt die »Natur« des Unterschiedes zwischen persönlich und sachlich und den »Begriff des Verhältnisses« dieser beiden Qualitäten für heilig erklären und damit darauf verzichten, sich als »Schöpfer« dazu zu verhalten. Man kann diesen ihm heiligen Unterschied, wie er ihn im zitierten Passus macht, indes aufheben, ohne darum »die maßloseste Entheiligung« zu begehen. Zunächst hebt er ihn selbst auf, indem er durch persönliche Kraft sachliche Mittel erwerben läßt und so die persönliche Kraft in eine sachliche Macht verwandelt. Er kann dann ruhig an die Andern das moralische Postulat stellen, sich persönlich zu ihm zu verhalten. Geradeso hätten die Mexikaner von den Spaniern verlangen können, sie nicht mit Flinten zu erschießen, sondern mit: den Fäusten auf sie dreinzuschlagen oder mit Sankt Sancho »sie bei den Köpfen zu fassen«, um sich »persönlich« bei ihnen zu verhalten. – Wenn der Eine durch gute Nahrung, sorgfältige Erziehung und körperliche Übung eine ausgebildete Körperkraft und Gewandtheit erlangt hat, während der Andre durch schmale und ungesunde Kost und davon geschwächte Verdauung, durch Vernachlässigung in der Kindheit und durch übermäßige Anstrengung nie »Sachen« gewinnen konnte, um Muskel anzusetzen, geschweige eine Herrschaft über sie zu erhalten, so ist die »persönliche Kraft« des Einen dem Andern gegenüber eine rein sachliche. Er hat sich nicht »die fehlenden Mittel durch persönliche Kraft« gewonnen, sondern im Gegenteil, er verdankt seine »persönliche Kraft« den vorhandenen sachlichen Mitteln. Übrigens ist die Verwandlung der persönlichen Mittel in sachliche und der sachlichen in persönliche nur eine Seite der Konkurrenz, die von ihr gar nicht zu trennen ist. Die Forderung, daß man nicht mit sachlichen, sondern mit persönlichen Mitteln konkurrieren soll, kommt auf das moralische Postulat heraus, daß die Konkurrenz und die Verhältnisse, von denen sie bedingt ist, andre als ihre unvermeidlichen Wirkungen haben sollen.

Abermalige und diesmal schließliche Zusammenfassung der Philosophie der Konkurrenz.

»Die Konkurrenz leidet an dem Übelstande, daß nicht Jedem die Mittel zum Konkurrieren zu Gebote stehen, weil sie nicht aus der Persönlichkeit entnommen sind, sondern aus der Zufälligkeit. Die Meisten sind unbemittelt und deshalb« (o Deshalb!) »unbegütert«. p. 349.[359]

Es ist ihm schon oben bemerkt worden, daß in der Konkurrenz die Persönlichkeit selbst eine Zufälligkeit und die Zufälligkeit eine Persönlichkeit ist. Die von der Persönlichkeit unabhängigen »Mittel« zur Konkurrenz sind die Produktions- und Verkehrsbedingungen der Personen selbst, die innerhalb der Konkurrenz den Personen gegenüber als eine unabhängige Macht erscheinen, als den Personen zufällige Mittel. Die Befreiung der Menschen von diesen Mächten wird nach Sancho dadurch bewerkstelligt, daß man sich die Vorstellungen von diesen Mächten oder vielmehr die philosophischen und religiösen Verdrehungen dieser Vorstellungen aus dem Kopfe schlägt, sei es durch etymologische Synonymik (»Vermögen« und »vermögen«), moralische Postulate (z.B. Jeder sei ein allmächtiges Ich) oder durch affenartige Grimassen und gemütlich-burleske Renommagen gegen »das Heilige«.

Schon früher hörten wir die Klage, daß in der jetzigen bürgerlichen Gesellschaft, namentlich des Staats wegen, das »Ich« sich nicht verwerten, id est seine »Vermögen« nicht wirken lassen könne. Jetzt erfahren wir noch, daß die »Eigenheit« ihm nicht die Mittel zum Konkurrieren gibt, daß »seine Macht« keine Macht ist und daß er »unbegütert« bleibt, wenn auch jeder Gegenstand, »weil sein Gegenstand, auch sein Eigentum ist«.70 Das Dementi des mit sich einigen Egoismus ist vollständig. Aber alle diese »Übelstände« der Konkurrenz werden schwinden, sobald »das Buch« in das allgemeine Bewußtsein übergegangen ist. Bis dahin beharrt Sancho bei seinem Gedankenhandel, ohne es indes zu einer »guten Leistung« zu bringen oder »die Sache am besten zu machen.«

66

[Im Manuskript gestrichen:] Zu diesem Unsinn kommt Sankt Sancho, weil er den juristischen, ideologischen Ausdruck des bürgerlichen Eigentums für das wirkliche bürgerliche Eigentum hält und sich nun nicht erklären kann, weshalb dieser seiner Illusion die Wirklichkeit nicht entsprechen will.

67

[Im Manuskript gestrichen:] Er bedenkt hier wieder nicht, daß die »Übervorteilung« und »Überteuerung« der Arbeiter in der modernen Welt auf ihrer Besitzlosigkeit beruht und daß diese Besitzlosigkeit im direkten Widerspruch steht mit der von Sancho den liberalen Bourgeois untergeschobenen Versicherung [....] den liberalen Bourgeois, die durch die Parzellierung des Grundbesitzes einem Jeden Eigentum zu geben behaupten.

68

[Im Manuskript gestrichen:] Sie hätten sich von vornherein »verständigen« können. Daß erst die Konkurrenz eine »Verständigung« (um dies moralische Wort zu gebrauchen) überhaupt möglich macht, daß von einer Sanchoschen »Verständigung« Aller wegen der entgegengesetzten Klasseninteressen keine Rede sein kann, das kümmert unsren Weisen wenig. Überhaupt sehen diese deutschen Philosophen ihre eigne kleine Lokalmisere für welthistorisch an, während sie sich einbilden, bei den umfassendsten geschichtlichen Verhältnissen habe es nur an ihrer Weisheit gefehlt, um die Sache durch »Verständigung« abzumachen und Alles ins reine zu bringen. Wie weit man mit solchen Phantasien kommt, sehen wir an unsrem Sancho.

69

[Im Manuskript gestrichen:] »Sie« sollen sich über eine öffentliche Bäckerei »verständigen«. Daß diese »Sie«, diese »Alle« in jeder Epoche und unter verschiedenen Verhältnissen selbst verschiedene Individuen mit verschiedenen Interessen sind, das geht unsern Sancho natürlich gar nichts an. Überhaupt haben die Individuen der ganzen bisherigen Geschichte jedesmal den Fehler begangen, nicht gleich von vornherein diese superkluge »Gescheitheit« sich anzueignen, mit welcher unsre deutschen Philosophen nachträglich über sie kannegießern.

70

[Im Manuskript gestrichen:] Der Unterschied zwischen Wesen und Erscheinung setzt sich hier trotz Sancho durch.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 329-360.
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