III. Das Verbrechen

[319] Note 1.

»Läßt Du Dir von einem Andern Recht geben, so mußt Du nicht minder Dir von ihm Unrecht geben lassen. Kommt Dir von ihm die Rechtfertigung und Belohnung, so erwarte auch seine Anklage und Strafe. Dem Rechte geht das Unrecht, der Gesetzlichkeit das Verbrechen zur Seite. Was-bist-Du?-Du-bist-ein-Verbrecher!!« p.262.

Dem code civil geht der code pénal, dem code pénal der code de commerce zur Seite. Was bist Du? Du bist ein – Commerçant!

Sankt Sancho konnte uns diese nervenerschütternde Überraschung sparen. Bei ihm hat das »Läßt Du Dir von einem Andern Recht geben, so mußt Du Dir auch Unrecht von ihm geben lassen« allen Sinn verloren, insofern dadurch eine neue Bestimmung hinzukommen soll; denn bei ihm heißt es schon nach einer früheren Gleichung: Läßt Du Dir von einem Andern Recht geben, so läßt Du Dir fremdes Recht, also Dein Unrecht geben.


A) Einfache Kanonisation von Verbrechen und Strafe

a) Verbrechen


Was das Verbrechen anbetrifft, so ist es, wie wir schon sahen, der Name für eine allgemeine Kategorie des mit sich einigen Egoisten, Negation des Heiligen, Sünde. In den angeführten Antithesen und Gleichungen über die Beispiele des Heiligen: Staat, Recht, Gesetz konnte die negative Beziehung des Ich auf diese Helligen oder die Kopula auch Verbrechen genannt werden, wie bei der Hegelschen Logik, die ebenfalls ein Beispiel des Heiligen ist, Sankt Sancho auch sagen kann: Ich bin nicht die Hegelsche Logik, ich bin ein Sünder gegen die Hegelsche Logik. Er mußte nun, da er vom Recht, Staat pp. sprach, fortfahren: Ein andres Beispiel der Sünde oder des Ver-[319] brechens sind die sogenannten juristischen oder politischen Verbrechen. Statt dessen tut er uns wieder ausführlich dar, daß diese Verbrechen seien


die Sünde gegen das Heilige,

" " " die fixe Idee,

" " " das Gespenst,

" " " »den Menschen«.


»Nur gegen ein Heiliges gibt es Verbrecher.« p. 268.

»Der Kriminalkodex hat nur durch das Heilige Bestand.« p. 318.

»Aus der fixen Idee entstehen die Verbrechen.« p. 269.

»Man sieht hier, wie es wieder ›der Mensch‹ ist, der auch den Begriff des Verbrechens, der Sünde und damit den des Rechts zuwege bringt.« (Vorhin war es umgekehrt.) »Ein Mensch, in welchem Ich nicht den Menschen erkenne, ist ein Sünder.« p. 268.

Note 1.

»Kann Ich annehmen, daß Einer gegen Mich ein Verbrechen begehe« (wird im Gegensatz zum französischen Volk in der Revolution behauptet), »ohne anzunehmen, daß er so handeln müsse, wie Ich's für gut finde? Und dieses Handeln nenne Ich das Rechte, Gute pp., das Abweichende ein Verbrechen. Mithin denke Ich, die Andern müßten auf dasselbe Ziel mit Mir losgehen... als Wesen, die irgendeinem ›vernünftigen‹ Gesetze« (Beruf! Bestimmung! Aufgabe! Das Heilige!!!) »gehorchen sollen. Ich stelle auf, was der Mensch sei und was wahrhaft menschlich handeln heiße, und fordere von Jedem, daß ihm dies Gesetz Norm und Ideal werde, widrigenfalls er sich als Sünder und Verbrecher ausweise...« p. [267,] 268.

Dabei weint er eine ahnungsvolle Träne auf dem Grabe der »eigenen Menschen«, die zur Schreckenszeit vom souveränen Volk im Namen des Heiligen geschlachtet wurden. Er zeigt weiter an einem Beispiel, wie von diesem heiligen Standpunkt aus die Namen der wirklichen Verbrechen konstruiert werden können.

»Wird, wie in der Revolution, das, was das Gespenst, der Mensch sei, als ›guter Bürger‹ gefaßt, so gibt es von diesem Begriffe des Menschen die bekannten ›politischen Vergehen und Verbrechen‹.« (Soll heißen: so gibt dieser Begriff pp. die bekannten Verbrechen von sich.) p. 268.

Wie sehr die Leichtgläubigkeit in dem Abschnitt über das Verbrechen die vorherrschende Qualität unsres Sancho ist, davon haben wir hier ein glänzendes Exempel, indem er die Sansculotten der Revolution vermittelst einer synonymischen Mißhandlung des Wortes citoyen in Berliner »gute Bürger« verwandelt. »Gute Bürger und treue Beamte« gehören nach Sankt Max unzertrennlich zusammen. »Robespierre z.B., Saint-Just usw.« wären also die[320] »treuen Beamten«, während Danton einen Kassendefekt sich zuschulden kommen ließ und die Gelder des Staats verschleuderte. Sankt Sancho hat einen guten Anfang zu einer Revolutionsgeschichte für den preußischen Bürger und Landmann gemacht.

Note 2.

Nachdem Sankt Sancho uns so das politische und juristische Verbrechen als ein Beispiel des Verbrechens überhaupt, nämlich seiner Kategorie des Verbrechens, der Sünde, der Negation, Feindschaft, Beleidigung, Verachtung des Heiligen, des unanständigen Betragens gegen das Heilige, vorgeführt hat, kann er nun getrost erklären:

»Im Verbrechen hat sich bisher der Egoist behauptet und das Heilige verspottet.« p. 319.

An dieser Stelle werden alle bisherigen Verbrechen dem mit sich einigen Egoisten ins Credit geschrieben, obwohl wir späterhin wieder Einiges davon ins Debet werden übertragen müssen. Sancho glaubt, man habe bisher nur Verbrechen begangen, um »das Heilige« zu verspotten und sich nicht gegen die Dinge, sondern gegen das Heilige an den Dingen zu behaupten. Weil der Diebstahl eines armen Teufels, der sich einen fremden Taler aneignet, unter die Kategorie des Verbrechens gegen das Gesetz subsumiert werden kann, darum beging dieser arme Teufel den Diebstahl aus reiner Lust, das Gesetz zu brechen. Gerade wie Jacques le bonhomme sich oben einbildete, nur um des Heiligen willen seien überhaupt Gesetze gegeben worden und nur um des Heiligen willen würden Diebe eingesteckt.


b) Strafe

Da wir gerade mit juristischen und politischen Verbrechen uns zu schaffen machen, so findet sich bei dieser Gelegenheit, daß dergleichen Verbrechen »im gewöhnlichen Verstande« eine Strafe nach sich zu ziehen pflegen, oder auch, wie geschrieben steht, »der Tod der Sünde Sold ist«. Es versteht sich nun, nach dem, was wir bereits über das Verbrechen vernommen haben, daß die Strafe die Selbstverteidigung und Abwehr des Heiligen gegen die Entheiliger ist.

Note 1.

»Die Strafe hat nur dann einen Sinn, wenn sie Sühne für Verletzung; eines Heiligen sein soll.« p. 316. In der Strafe »verfallen Wir in die Torheit, das Recht, den Spuk« (das Heilige) »befriedigen zu wollen. Das Heilige soll sich« hier »gegen den Menschen wehren.« (Sankt Sancho »verfällt hier in die Torheit«, »den Menschen« für »die Einzigen« »eignen Ichs« usw. zu versehen.) p. 318.[321]

Note 2.

»Der Kriminalkodex hat nur durch das Heilige Bestand und verkommt von selbst, wenn man die Strafe aufgibt.« p. 318.

Sankt Sancho will eigentlich sagen: die Strafe verkommt von selbst, wenn man den Kriminalkodex aufgibt, d.h., die Strafe besteht nur durch den Kriminalkodex. »Ist aber nicht ein« nur durch die Strafe existierender Kriminalkodex »ein Unsinn, und ist eine« nur durch den Kriminalkodex existierende Strafe »nicht auch ein Unsinn?« (Sancho contra Heß, Wig[and,] p. 186.) Sancho versieht hier den Kriminalkodex für ein Lehrbuch der theologischen Moral.

Note 3.

Als Beispiel, wie aus der fixen Idee das Verbrechen entsteht. Folgendes:

»Die Heiligkeit der Ehe ist eine fixe Idee. Aus der Heiligkeit folgt, daß die Untreue ein Verbrechen ist, und es setzt daher ein gewisses Ehegesetz« (zum großen Ärger der »d....... Kammern« und des »Kaisers aller R......«, nicht minder des »Kaisers von Japan« und des »Kaisers von China« und speziell des »Sultans«) »eine kürzere oder längere Strafe darauf.« p. 269.

Friedrich Wilhelm IV., der da glaubt, nach dem Maßstabe des Heiligen Gesetze geben zu können, und sich deswegen stets mit aller Welt brouilliert, kann sich damit trösten, daß er an unsrem Sancho wenigstens Einen Staatsgläubigen gefunden hat. Sankt Sancho vergleiche das preußische Ehegesetz, das bloß im Kopfe seines Autors existiert, einmal mit den praktisch geltenden Bestimmungen des Code civil, wo er den Unterschied zwischen heiligen und weltlichen Ehegesetzen finden kann. In der preußischen Phantasmagorie soll die Heiligkeit der Ehe von Staats wegen sowohl gegen den Mann wie gegen die Frau geltend gemacht werden; in der französischen Praxis, wo die Frau als Privateigentum des Mannes angesehen wird, kann nur die Frau, und auch sie nur auf Verlangen des Mannes, der sein Eigentumsrecht geltend macht, wegen Ehebruch bestraft werden.


B) Aneignung von Verbrechen und Strafe durch Antithese

Verbrechen im Sinne des Menschen =

Brechen des Gesetzes des Menschen (der Willenserklärung des Staats, der Staatsgewalt) p. 259 ff.[322]


Verbrechen im Sinne Meiner =

Brechen des Gesetzes Meiner (Meiner Willenserklärung, Meiner Gewalt) p. 256 und passim.


Diese beiden Gleichungen stehen einander antithetisch gegenüber und gehen bloß aus dem Gegensatz von »der Mensch« und »Ich« hervor. Sie sind nur Zusammenfassung des bereits Dagewesenen. Das Heilige straft den »Ich« – »Ich strafe den, ›Ich‹.«


Verbrechen = Feindschaft gegen

das Gesetz des Menschen

(das Heilige).

Feindschaft = Verbrechen gegen das das Gesetz Meiner.


Verbrecher = der Feind oder

Gegner gegen den Heiligen

(das Heilige als moralische Person)

Feind oder Gegner = der Verbrecher gegen »Ich«, den Leiblichen.


Strafen = Sich Wehren

des Heiligen gegen »Ich«.

Mich Wehren = Strafe Meiner gegen »Ich«.


Strafe = Genugtuung

(Rache) des Menschen gegen »Ich«.

Genugtuung (Rache) = Strafe Meiner gegen »Ich«.


In der letzten Antithese kann die Genugtuung auch Selbstgenugtuung genannt werden, da es die Genugtuung Meiner im Gegensatz zur Genugtuung des Men schen ist.

Hält man nun in den obigen antithetischen Gleichungen immer nur das erste Glied im Auge, so ergibt sich folgende Reihe einfacher Antithesen, wo in der These immer der heilige, allgemeine, fremde Namen, in der Antithese immer der profane, persönliche, angeeignete Namen steht.


Verbrechen

Feindschaft.

Verbrecher

Feind oder Gegner.

Strafen

Mich Wehren.

Strafe

Genugtuung, Rache, Selbstgenugtuung.


Wir werden sogleich ein geringes Wörtchen über diese Gleichungen und Antithesen zu sagen haben, die so einfach sind, daß selbst »ein geborner Dummerjan« (p. 434) sich diese »einzige« Methode des Denkens in fünf[323] Minuten aneignen kann. Vorher noch einige andre Belegstellen als die schon dagewesenen.

Note 1.

»Gegen Mich kannst du nie ein Verbrecher sein, sondern nur ein Gegner«, p. 268 – und »Feind« in demselben Sinne p. 256. – Verbrechen als Feindschaft des Menschen – hierfür werden p. 268 die »Feinde des Vaterlandes« als Beispiel angeführt. – »An die Stelle der Strafe soll« (moralisches Postulat) »die Genugtuung treten, die wiederum nicht darauf abzielen kann, dem Recht oder der Gerechtigkeit genungzutun, sondern Uns ein Genüge zu verschaffen.« p. 318.

Note 2.

Indem Sankt Sancho gegen den Heiligenschein (die Klappermühle) der Bestehenden Gewalt kämpft, lernt er nicht einmal diese Gewalt kennen und greift sie selbst noch viel weniger an; er stellt nur die moralische Forderung, daß man die Beziehung des Ich auf sie formell ändere. (Siehe Logik.)

»Ich muß Mir's gefallen lassen« (aufgespreizte Beteuerung), »daß er« (sc. Mein Feind, der ein paar Millionen hinter sich stehen hat) »Mich als seinen Feind behandelt; allein niemals, daß er mit Mir als seiner Kreatur umspringt und daß er seine Vernunft oder Unvernunft zu Meiner Richtschnur macht.« p. 256 (wo er dem P. P. Sancho eine sehr beschränkte Freiheit läßt, nämlich die Wahl, sich als seine Kreatur behandeln zu lassen oder die 3300 ihm von Merlin auf die posaderas gebundenen Prügel zu ertragen. Diese Freiheit läßt ihm jeder Kriminalkodex, der ihn freilich nicht erst fragt, in welcher Weise er dem P. P. Sancho seine Feindschaft zu erklären hat). – »Aber wenn Ihr dem Gegner auch als Macht imponiert« (ihm »eine imposante Macht« seid), »eine geheiligte Autorität seid Ihr darum doch nicht; er müßte denn ein Schächer sein. Respekt und Achtung ist er Euch nicht schuldig, wenn er sich auch vor Euch und Eurer Gewalt in Acht nimmt.« p. 258.

Sankt Sancho tritt hier selbst als »Schacher« auf, indem er um den Unterschied von »Imponieren« und »Respektiert werden«, »in Acht nehmen« und »Achtung haben«, einen Unterschied von höchstens einem Sechzehntel, mit vielem Ernste schachert. Wenn Sankt Sancho sich vor Jemand »in Acht nimmt«, so »lebt er in der Reflexion und hat er einen Gegenstand, auf den er reflektiert, den er respektiert und vor dem er Ehrfurcht und Furcht empfindet«. p. 115. – In den obigen Gleichungen ist die Strafe, Rache, Genugtuung pp. bloß als von Mir ausgehend dargestellt; insofern Sankt Sancho der Gegenstand der Genugtuung ist, können die Antithesen umgedreht werden: Hiermit verwandelt sich die Selbstgenugtuung in das Einem-Andern-an-Mir-genug-getan-Werden oder Meinem-Genüge-Abbruch-getan-Werden.[324]

Note 3.

Dieselben Ideologen, die sich einbilden konnten, daß das Recht, Gesetz, der Staat pp. aus einem allgemeinen Begriff, etwa in letzter Instanz dem Begriff des Menschen, hervorgegangen und um dieses Begriffes willen ausgeführt worden seien, dieselben Ideologen können sich natürlich auch einbilden, Verbrechen würden aus reinem Übermut gegen einen Begriff begangen, Verbrechen seien überhaupt weiter Nichts als Verspottung von Begriffen und würden nur bestraft, um den verletzten Begriffen Genüge zu leisten. Hierüber haben wir oben beim Recht und schon früher bei der Hierarchie bereits das Nötige gesagt, worauf wir hiermit zurückverweisen. – In den obigen Antithesen wird den kanonisierten Bestimmungen Verbrechen, Strafe pp. der Name einer andern Bestimmung gegenübergestellt, die Sankt Sancho sich aus diesen ersten Bestimmungen nach seiner beliebten Manier herausnimmt und aneignet. Diese neue Bestimmung, die, wie gesagt, als bloßer Namen hier auftritt, soll als profan die unmittelbar individuelle Beziehung enthalten und das tatsächliche Verhältnis ausdrücken. (Siehe Logik.) In der Rechtsgeschichte findet sich nun, daß in den frühesten und rohesten Epochen diese individuellen, tatsächlichen Verhältnisse in ihrer krassesten Gestalt ohne Weiteres das Recht konstituierten. Mit der Entwickelung der bürgerlichen Gesellschaft, also mit der Entwickelung der persönlichen Interessen zu Klasseninteressen veränderten sich die Rechtsverhältnisse und zivilisierten ihren Ausdruck. Sie wurden nicht mehr als individuelle, sondern als allgemeine aufgefaßt. Gleichzeitig übertrug die Teilung der Arbeit die Wahrung der kollidierenden Interessen der einzelnen Individuen an Wenige, womit auch die barbarische Geltendmachung des Rechts verschwand. Die ganze Kritik Sankt Sanchos über das Recht beschränkt sich in den obigen Antithesen darauf, den zivilisierten Ausdruck der Rechtsverhältnisse und die zivilisierte Teilung der Arbeit für eine Frucht der »fixen Idee«, des Heiligen, zu erklären und dagegen den barbarischen Ausdruck und die barbarische Art, sie zu schlichten, sich zu vindizieren. Es handelt sich für ihn nur um die Namen, die Sache selbst berührt er nicht, da er die wirklichen Verhältnisse nicht kennt, auf denen diese verschiedenen Formen des Rechts beruhen, und in dem juristischen Ausdruck der Klassenverhältnisse nur die idealisierten Namen jener barbarischen Verhältnisse erblickt. So finden wir in der Stirnerischen Willenserklärung das Befehden, in der Feindschaft, Sichwehren etc. den Abklatsch des Faustrechts und die Praxis des älteren Feudalwesens, in der Genugtuung, Rache pp. das jus talionis, die altgermanische Gewere, die compensatio, satisfactio, kurz die Hauptsachen aus den leges barbarorum und den consuetudines feudorum wieder – die Sancho nicht aus Bibliotheken,[325] sondern aus den Erzählungen seines ehmaligen Herrn von Amadis von Gallien sich angeeignet und liebgewonnen hat. Sankt Sancho kommt also in letzter Instanz wieder nur zu einem ohnmächtigen Moralgebot, daß Jeder sich selbst Genugtuung verschaffen und Strafen vollziehen soll. Er glaubt dem Don Quijote, er könne die aus der Teilung der Arbeit entstehenden sachlichen Mächte ohne weiteres durch ein bloßes Moralgebot in persönliche Mächte verwandeln. Wie sehr die juristischen Verhältnisse mit der aus der Teilung der Arbeit hervorgegangenen Entwickelung dieser sachlichen Mächte zusammenhängen, kann man schon ersehn aus der historischen Entwickelung der Macht der Gerichte und aus dem Jammer der Feudalen über die Rechtsentwicklung. (Siehe z.B. Monteil 1. c. XIVe, XVe siècle.) Grade in der Epoche zwischen der Herrschaft der Aristokratie und der der Bourgeoisie, als die Interessen zweier Klassen kollidierten, als der Handelsverkehr unter den europäischen Nationen bedeutend zu werden begann und das internationale Verhältnis daher selbst einen bürgerlichen Charakter annahm, fing die Macht der Gerichte an, bedeutend zu werden, und unter der Bourgeoisherrschaft, wo diese ausgebildete Teilung der Arbeit unumgänglich nötig ist, erreicht sie ihre höchste Spitze. Was sich die Knechte der Teilung der Arbeit, die Richter, und nun gar die professores juris dabei einbilden, ist höchst gleichgültig.


C) Das Verbrechen im gewöhnlichen und außergewöhnlichen Verstande

Vorhin wurde das Verbrechen im gewöhnlichen Verstande dem Egoisten im außergewöhnlichen Verstande kreditiert, indem es verfälscht wurde; jetzt kommt diese Verfälschung an den Tag. Der außergewöhnliche Egoist findet nun, daß er nur außergewöhnliche Verbrechen begeht, die gegen das gewöhnliche Verbrechen geltend gemacht werden müssen. Wir belasten also dem P. P. Egoisten die gewöhnlichen Verbrechen wieder, wie pr. contra.

Den Kampf der gewöhnlichen Verbrecher gegen das fremde Eigentum kann man auch so ausdrücken (obgleich das von jedem Konkurrenten gilt),


daß sie – »fremdes Gut suchen« (p. 265),

heiliges Gut suchen,

das Heilige suchen, womit der gewöhnliche Verbrecher in einen »Gläubigen« (p. 265) verwandelt ist.[326]


Dieser Vorwurf des Egoisten im außergewöhnlichen Verstande gegen den Verbrecher im gewöhnlichen Verstande ist indes nur scheinbar – er ist es ja selbst, der nach dem Heiligenschein der ganzen Welt trachtet. Was er dem Verbrecher eigentlich vorwirft, ist nicht, daß er »das Heilige«, sondern daß er das »Gut« sucht.

Nachdem Sankt Sancho sich eine »eigne Welt, einen Himmel«, nämlich diesmal eine Welt der Fehden und fahrenden Ritter für seinen eignen Kopf in der modernen Welt erbaut, nachdem er zugleich seinen Unterschied als ritterlicher Verbrecher von den gemeinen Verbrechern dokumentiert hat, unternimmt er abermals einen Kreuzzug gegen die »Drachen und Straußen, Feldteufel«, »Gespenster, Spuke und fixen Ideen«. Sein getreuer Knecht Szeliga reitet andächtig hinter ihm her. Da sie aber Ihres Weges ziehen, so begibt sich das erstaunliche Abenteuer von den Unglücklichen, so dahin geschleppt wurden, wohin sie nicht gehen wollten, wie geschrieben steht Cervantes am zweiundzwanzigsten. Derweil nämlich unser fahrender Ritter und sein Knecht Don Quijote fürbaß trabten, schlug Sancho die Augen auf und sah an die zwölf Männer ihnen entgegenkommen, geschlossen mit Handschellen und einer langen Kette und begleitet von einem Kommissär und vier Gensdarmen, so da angehörten der heiligen Hermandad, der Hermandad der Heiligen, dem Helligen. Da sie aber nahe herzugekommen waren, bat Sankt Sancho ihre Wächter gar höflich, sie möchten ihm doch, wenn's gefällig, sagen, warum diese Leute so zusammengeschlossen geführt würden. – Baugefangene Sr. Majestät, nach Spandau kommandiert, mehr braucht Ihr nicht zu wissen. – Wie, rief Sankt Sancho, gezwungene Leute? Ist's möglich, daß der König einem »eigenen Ich« Gewalt antun kann? So berufe Ich Mich zu dem Berufe, dieser Gewalt zu steuern. »Des Staats Betragen ist Gewalttätigkeit, und dies nennt er Recht. Die Gewalttätigkeit aber des Einzelnen nennt er Verbrechen.« Hierauf hub Sankt Sancho zuerst an, die Sträflinge zu vermahnen, und sagte, sie sollten sich nicht grämen, sie seien zwar »nicht frei«, aber doch »eigen«, und ihre »Knochen« würden vielleicht unter einigen Geißelhieben zu »ächzen« haben, auch werde man ihnen vielleicht ein »Bein ausreißen« – aber, sprach er, in dem Allen überwindet Ihr weit – denn »Euren Willen kann Niemand binden!« »Und Ich weiß gewiß, daß es keine Hexerei auf der Welt gibt, so den Willen bewegen und zwingen könne, wie einige Einfaltspinsel sich einbilden; denn er ist Unsre freie Willkür, und es gibt kein Kraut noch Zauberspruch, der ihn bezwinge.« Ja, »Euren Willen kann Niemand binden, und Euer Widerwille bleibt frei !«

Da sich aber die Baugefangenen bei diesem Sermon nicht beruhigen wollten, sondern nach der Reihe erzählten, wie ungerecht man sie verurteilt[327] habe, sprach Sancho: »Lieben Brüder, aus Allem, so Ihr Mir erzählt habt, habe Ich ins Klare gebracht, daß, obgleich man Euch für Eure Verbrechen gestraft hat, Euch die Strafe, die Ihr leiden sollt, wenig Vergnügen macht, also daß Ihr derselbigen widerwillig und gar ohne Lust entgegengehet. Und es kann sehr wohl sein, daß der Kleinmut des Einen auf der Prügelmaschine, die Armut des Andern, der Mangel an Gunst für den Dritten und endlich das parteiische Gericht des Richters die Ursache von Eurem Verderben sind und daß man Euch nicht das Recht zugute kommen ließ, das Euch gehörte, ›das Recht Eurer‹. Alles dies zwingt Mich, Euch zu zeigen, warum der Himmel Mich in die Welt gesetzt hat. Da es aber die Klugheit des mit sich einigen Egoisten erfordert. Nichts durch Gewalt zu tun, was man durch Verständigung erlangen kann, so bitt' ich hiermit den Herrn Commissarius und die Herren Gensdarmen, Euch loszuschließen und Eures Weges wandern zu lassen. Überdies, meine Herren Gensdarmen, haben Euch alle diese Armen nichts zuleide getan. Es geziemt mit sich einigen Egoisten nicht, Henker andrer Einzigen zu werden, die ihnen nichts getan haben. Bei Euch scheint ›die Kategorie des Bestohlenen in den Vordergrund zu treten‹. Warum ›eifert‹ Ihr ›gegen das Verbrechen?‹ ›Wahrlich, wahrlich, Ich sage Euch, Ihr seid für die Sittlichkeit begeistert, von der Idee der Sittlichkeit erfüllt‹, ›was ihr feindlich ist, das verfolgt Ihr‹ – Ihr ›bringt‹ diese armen Baugefangenen ›durch Amtseid ins Loch‹, Ihr seid das Heilige! Also laßt diese Leute gutwillig los. Wo nicht, so bekommt Ihrs mit Mir zu tun, der ›mit einem Hauche des lebendigen Ich Völker umbläst‹, ›die maßloseste Entweihung begeht‹ und ›sich selbst vor dem Monde nicht fürchtet‹.«

»Na seht mir doch die schöne Flegelei!« rief der Kommissär. »Rück Er sich lieber das Bartbecken gerade auf dem Kopf und scher Er sich seines Weges!«

Sankt Sancho aber legte erbost über diese preußische Grobheit seinen Spieß ein und rannte so hastig auf ihn los, als die Apposition nur laufen wollte, so daß er ihn alsbald zu Boden warf. Jetzt entspann sich ein allgemeiner Kampf, in welchem die Baugefangenen sich befreiten, Szeliga-Don Quijote von einem Gensdarmen in den Landwehr- oder Schafgraben geworfen wurde und Sankt Sancho die größten Heldentaten gegen das Heilige verrichtete. Nach wenig Minuten waren die Gensdarmen zerstreut, Szeliga aus dem Graben gekrochen und das Heilige vorläufig beseitigt.

Sankt Sancho versammelte nun die befreiten Baugefangenen um sich und hielt folgende Rede an sie (p. 265, 266 »des Buchs«):

»Was ist der gewöhnliche Verbrecher« (der Verbrecher im gewöhnlichen Verstände, »anders als Einer, der das verhängnisvolle Versehen begangen hat« (verhängnisvolle)[328] Belletrist für Bürger und Landmann!), »nach dem zu streben, was des Volkes ist, statt nach dem Seinen zu suchen? Er hat das verächtliche« (allgemeines Murren der Baugefangenen über dies moralische Urteil) »fremde Gut gesucht, hat getan, was die Gläubigen tun, die nach dem trachten, was Gottes ist« (der Verbrecher als schöne Seele). »Was tut der Priester, der den Verbrecher vermahnt? Er stellt ihm das große Unrecht vor, das vom Staat Geheiligte, das Eigentum desselben, wozu ja auch das Leben der Staatsangehörigen gerechnet werden muß, durch seine Tat entweiht zu haben. Dafür könnte er ihm lieber vorhalten, daß er sich besudelt habe« (Kichern der Baugefangenen über diese egoistische Aneignung der banalen Pfaffenredensarten). »Indem er das Fremde nicht verachtete, sondern des Raubes wert hielt« (Grunzen der Baugefangenen): »er könnte es, wenn er nicht ein Pfaffe« (ein Baugefangener: »Im gewöhnlichen Verstande!«) »wäre.« Ich aber »rede mit dem Verbrecher als mit einem Egoisten, und er wird sich schämen« (schamloses, lautes Hurrah der Verbrecher, die sich nicht zur Scham berufen lassen wollen), »nicht daß er gegen Eure Gesetze und Güter sich verging, sondern daß er Eure Gesetze des Umgehens« (hier ist nur vom »Umgehen« »im gewöhnlichen Verstande« die Rede, sonst aber »umgehe Ich einen Felsen, bis Ich ihn sprengen kann«, und »umgehe« z.B. selbst »die Zensur«), »Eure Güter des Verlangens wert hielt« (abermaliges Hurrah), »wird sich schämen –«

Gines von Passamonte, der Erzdieb, der überhaupt nicht viel ertragen konnte, schrie: »Sollen wir denn nichts tun als uns der Scham ergeben, Ergebung zeigen, sobald der Pfaff im außergewöhnlichen Verstande uns ›vermahnt‹?«

»Wird sich schämen«, fährt Sancho fort, »daß er Euch mitsamt den Eurigen nicht verachtete, daß er zu wenig Egoist war.« (Sancho legt hier einen fremden Maßstab an den Egoismus des Verbrechers. Daher entsteht ein allgemeines Gebrülle unter den Baugefangenen; etwas verwirrt lenkt Sancho ein, sich mit einer rhetorischen Bewegung gegen die abwesenden »guten Bürger« wendend:) »Aber Ihr könnt nicht egoistisch mit ihm reden, denn Ihr seid nicht so groß wie ein Verbrecher, Ihr – verbrecht Nichts.«

Gines fällt wieder ein: »Welche Leichtgläubigkeit, guter Mann! Unsre Zuchtmeister im Gefängnis verbrechen allerdings, machen Kassendefekte und Unterschleife und begehen Schändung [...]« [Hier fehlen im Manuskript zwölf Seiten.]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 319-329.
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