Der »bornierte Papa Cabet« und Herr Grün

[507] Herr Grün schließt seinen Exkurs über die fourieristische Schule und Herrn Reybaud mit folgenden Worten:

»Ich will den Arbeitsorganisierern das Bewußtsein ihres Wesens beibringen, ich will ihnen historisch zeigen, woher sie stammen... diesen Zwittern... die auch nicht den mindesten Gedanken aus sich selbst geschöpft haben. Und später werde ich vielleicht Raum finden, an dem Herrn Reybaud ein Exempel zu statuieren, nicht nur an Herrn Reybaud, sondern auch an Herrn Say. Im Grunde genommen ist der erstere so schlimm nicht, er ist bloß dumm; der Zweite aber ist mehr als dumm, er ist gelehrt.

Also.« p. 260.

Die gladiatorische Stellung, m die sich Herr Grün wirft, seine Drohungen gegen Reybaud, die Verachtung gegen die Gelehrsamkeit, seine schmetternden Versprechungen, alles das sind sichre Zeichen, daß er hier mit großen Dingen schwanger geht. Im vollen »Bewußtsein seines Wesens« ahnten wir aus diesen Symptomen, daß Herr Grün im Begriffe stehe, einen der ungeheuerlichsten plagiarischen Coups auszuführen. Wenn man seiner Taktik einmal auf die Spur gekommen Ist, verliert seine Marktschreierei ihre Unschuld und löst sich überall in eine pfiffige Berechnung auf.

»Also«:

Folgt ein Kapitel mit der Überschrift:

»Die Organisation der Arbeit!«

»Wo wurde dieser Gedanke geboren? – In Frankreich. – Aber wie?«

Auch unter der Etikette:

»Rückblick auf das achtzehnte Jahrhundert.«[507]

»Wo wurde dies« Kapitel des Herrn Grün »geboren? In Frankreich. Aber wie?« Das wird der Leser sogleich erfahren.

Noch einmal erinnre sich der Leser, daß Herr Grün hier den französischen Arbeitsorganisierern das Bewußtsein ihres Wesens durch eine historische Demonstration auf gründliche deutsche Weise beibringen will.

Also.

Als Herr Grün gemerkt hatte, daß Cabet »borniert« und seine »Mission eine längst in sich abgeschlossene« sei, was er freilich längst gemerkt hatte, hörte nicht »natürlich alles auf«. Im Gegenteil, er gab dem Cabet die neue Mission, in einigen willkürlich zusammengewürfelten Zitaten den französischen »Hintergrund« zu Herrn Grüns deutscher Geschichte der sozialistischen Entwicklung des 18. Jahrhunderts zu bilden.

Wie beginnt er dies? Er liest »produktiv«.

Cabet in seiner »Voyage en Icarie« würfelt im zwölften und dreizehnten Kapitel die Meinungen alter und neuer Autoritäten für den Kommunismus zusammen. Er macht durchaus nicht die Prätension, eine historische Bewegung zu schildern. Der Kommunismus gilt den französischen Bourgeois für eine anrüchige Person. Gut, sagt Cabet, ich werde Euch Zeugenbeweise der respektabelsten Männer aller Zeiten beibringen, die für den Charakter meines Klienten einstehen; und Cabet verfährt wie ein Advokat. Selbst die seinem Klienten ungünstigen Zeugenaussagen verwandelt er in günstige. Historische Treue ist in einem Plaidoyer nicht zu verlangen. Wenn ein berühmter Mann gelegentlich einmal gegen das Geld, gegen die Ungleichheit, gegen den Reichtum, gegen soziale Mißstände ein Wort hat fallen lassen, Cabet hebt es auf, bittet es zu wiederholen, macht es zum Glaubensbekenntnis des Mannes, läßt es drucken, klatscht in die Hände und ruft mit ironischer Bonhomie seinem geärgerten Bourgeois zu: Écoutez, écoutez, n'etait-il pas communiste? Da entgeht ihm keiner, nicht Montesquieu, nicht Sieyès , nicht Lamartine, nicht einmal Guizot – alles Kommunisten malgré eux. Voilà mon communiste tout trouvé!

Herr Grün in seiner produktiven Laune liest die von Cabet für das achtzehnte Jahrhundert gesammelten Zitate; er zweifelt keinen Augenblick, daß das alles seine Richtigkeit habe, er phantasiert dem Leser einen mystischen Zusammenhang vor zwischen den Schriftstellern, die bei Cabet sich zufällig auf einer Seite begegnen, er übergießt das Ganze mit seiner jungdeutsch-belletristischen Jauche und tauft es dann wie oben.

Also.[508]


Herr Grün:

Herr Grün eröffnet seinen Rückblick mit folgenden Worten:

»Die soziale Idee ist nicht vom Himmel gefallen, sie ist organisch, d.h. im Wege der allmählichen Entwicklung entstanden. Ich kann hier ihre vollständige Geschichte nicht schreiben, kann nicht bei Indern und Chinesen beginnen, nach Persien, Ägypten und Judäa übergehen, die Griechen und Römer um ihr gesellschaftliches Bewußtsein fragen, das Christentum, den Neuplatonismus und die Patristik verhören, das Mittelalter und die Araber reden lassen, die Reformation und die erwachende Philosophie untersuchen und so bis aufs achtzehnte Jahrhundert kommen.« p. 261.


Cabet:

Cabet eröffnet seine Zitate mit folgenden Worten:

»Vous prétendez, adversaires de la communauté, qu'elle n'a pour elle que quelques opinions sans crédit et sans poids; eh bien, je vais interroger devant vous l'historie et tous les philosophes: écoutez! Je ne m'arrête pas à vous parler de plusieurs peuples anciens, qui pratiquaient ou avaient pratiqué la communauté des biens! Je ne m'arrête non plus aux Hébreux... ni aux prêtres Égyptiens, ni à Minos... Lycurgue et Pythagore... je ne vous parle non plus de Confucius et de Zoroastre, qui l'un en Chine et l'autre en Perse... proclamèrent ce principe.« »Voyage en Icarie«, deuxième edition, p. 470.


Nach den angeführten Stellen geht Cabet auf die griechische und römische Geschichte ein, verhört das Christentum, den Neuplatonismus, die Patristik, das Mittelalter, die Reformation, die erwachende Philosophie. Vgl. Cabet, p. 471-482. Herr Grün überläßt das Abschreiben dieser elf Seiten andern »geduldigeren Leuten, dafern der Bücherstaub den« (zum Abschreiben nämlich) »nötigen Humanismus in Ihrem Herzen hat bestehen lassen«. Gr[ün,] p. 261. Nur das soziale Bewußtsein der Araber gehört Herrn Grün. Wir harren mit Sehnsucht der Aufschlüsse, die er hierüber der Welt mitzuteilen hat. »Ich muß mich aufs achtzehnte Jahrhundert beschränken.« Folgen wir Herrn Grün ins achtzehnte Jahrhundert und bemerken wir nur vorher, daß fast ganz dieselben Worte bei Grün wie bei Cabet unterstrichen sind.[509]


Herr Grün:

»Locke, der Begründer des Sensualismus sagt: Derjenige, welcher über seine Bedürfnisse hinaus besitzt, überspringt die Grenzen der Vernunft und der ursprünglichen Gerechtigkeit und raubt, was andern gehört. Jeder Überfluß ist eine Usurpation, und der Anblick des Durftigen muß die Gewissensbisse in der Seele des Reichen erwecken. Verderbte Menschen, die ihr im Überflusse und der Wollust schwimmt, zittert, daß eines Tages der Unglückliche, der des Notwendigen ermangelt, wahrhaft die Rechte des Menschen kennenlernte. Der Betrug, die Treulosigkeit, die Habsucht haben die Ungleichheit des Besitzes hervorgebracht, welche das Unglück des menschlichen Geschlechts ausmacht, indem sie auf der einen Seite neben den Reichtümern, auf der andern neben dem Elende alle Leiden aufhäuft. Der Philosoph muß also den Gebrauch der Münze als eine der verderblichsten Erfindungen der menschlichen Industrie betrachten.« p. [265,] 266.


Cabet:

»Mais voici Locke, écoutez-le s'écrier dans son admirable Gouvernement civil: ›Celui qui possède au delà de ses besoins, passe les bornes de la raison et de la justice primitive et enlève ce qui appartient aux autres. Toute superfluité est une usurpation, et la vue de l'indigent devrait éveiller le remords dans l'âme du riche. Homes pervers, qui nagez dans l'opulence et les voluptés, tremblez qu'un jour l'infortuné qui manque du nécessaire n'aprenne à connaître vraiment les droits de l'homme.‹ Écoutez-le s'écrier encore: ›La fraude, la mauvaise foi, l'avarice ont produit cette inégalité dans les fortunes, qui fait le malheur de l'espèce humaine, en amoncelant d'un côte tous les vices avec la richesse et de l'autre tous les maux avec la misère‹« (woraus Herr Grün Unsinn macht). »Le philosophe doit donc considérer l'usage de la monnaie comme une de plus funestes inventions de l'industrie humaine.« p. 485.


Herr Grün schließt aus diesen Zitaten Cabets, daß Locke »ein Gegner des Geldsystems« (p. 264), »der erklärteste Gegner des Geldes und jedes Besitzes, der über das Bedürfnis hinausgeht« (p. 266) gewesen sei. Leider Ist dieser Locke einer der ersten wissenschaftlichen Verfechter des Geldsystems,[510] ein ganz spezieller Patron des Durchpeitschens der Vagabunden und Paupers, einer der Doyens der modernen Nationalökonomie.


Herr Grün:

»Schon Bossuet, der Bischof von Meaux, sagt in seiner ›Politik, aus der Heiligen Schrift gezogen‹: ›Ohne die Regierungen‹ (›ohne die Politik‹ – lächerlicher Zusatz des Herrn Grün) ›würde die Erde nebst allen ihren Gütern ebenso gemeinschaftlich den Menschen gehören als Luft und Licht; nach dem Unrechte der Natur hat Niemand das besondre Recht auf irgend etwas. Alles gehört Allen, aus der bürgerlichen Regierung entspringt das Eigentum.‹ Ein Pfaff aus dem siebzehnten Jahrhundert besitzt die Ehrlichkeit, solche Dinge zu sagen, solche Anschauugen! Auch der germanische Puffendorf, den man« (i.e. Herr Grün) »nur aus einem Schillerschen Epigramm kennt, meinte: ›Die gegenwärtige Ungleichheit des Vermögens ist eine Ungerechtigkeit, welche die übrigen Ungleichheiten nach sich ziehen kann durch die Unverschämtheit der Reichen und durch die Feigheit der Armen.‹« p. 270. Herr Grün fügt noch hinzu: »Wir wollen nicht abschweifen, sondern in Frankreich bleiben.«


Cabet:

»Écoutez le baron de Puffendorff, professeur de droit naturel en Allemagne et conseiller d'état à Stockholm et à Berlin, qui dans son droit de la nature et des gens réfute la doctrine d'Hobbes et de Grotius sur la monarchie absolue, qui proclame l'égalité naturelle, la fraternité, la communauté des biens primitive, et qui reconnaît que la propriété est une institution humaine, qu'elle résulte d'un partage consenti pour assurer à chacun et surtout au travailleur une possession perpétuelle, indivise ou divise, et que par conséquent l'inégalité actuelle de fortune est une injustice qui n'entraîne les autres inégalités« (unsinnig von Herrn Grün übersetzt) »que par l'insolence des riches et la lâcheté des puvres.

Et Bossuet, l'évêque de Meaux, le précepteur du dauphin de France, le célèbre Bossuet, dans sa ›Politique tiré de l'Ecriture sainte‹, redigée pour l'instruction du Dauphin, ne reconnaît-il pas aussi que sans les gouvernements la terre et tous les biens seraient aussi communs entre les hommes que l'air et la lumière: Selon le droit primitif de la nature nul n'a le droit particulier sur quoi que ce soit: tout est à tous, et c'est du gouvernement civil que naît la propriété.« p. 486.[511]


Herrn Grüns »Abschweifung« von Frankreich besteht darin, daß Cabet einen Deutschen zitiert. Er orthographiert sogar den deutschen Namen nach der unrichtigen Orthographie des Franzosen. Abgesehen davon, daß er gelegentlich falsch übersetzt und ausläßt, überrascht er durch seine Verbesserungen. Cabet spricht zuerst von Pufendorff und dann von Bossuet, Herr Grün spricht zuerst von Bossuet und dann von Pufendorff. Cabet spricht von Bossuet als einem berühmten Mann; Herr Grün nennt ihn »einen Pfaffen«. Cabet zitiert den Pufendorff mit seinen Titeln; Herr Grün macht die aufrichtige Bemerkung, daß man ihn nur aus einem Schillerschen Epigramm kenne. Jetzt kennt er ihn auch aus einem Cabetschen Zitat, und es zeigt sich, daß der bornierte Franzose Cabet nicht nur seine eignen Landsleute, sondern auch die Deutschen besser studiert hat als Herr Grün.

Cabet sagt: »Ich beeile mich, auf die großen Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts zu kommen, und Ich beginne mit Montesquieu«, p. 487; Herr Grün, um auf Montesquieu zu kommen, beginnt mit einer Schilderung »des legislativen Genies des achtzehnten Jahrhunderts«, p. 282. Man vergleiche ihre wechselseitigen Zitate aus Montesquieu, Mably, Rousseau, Turgot. Uns genügt es hier, Cabet und Herrn Grün über Rousseau und Turgot zu vergleichen. Cabet kommt von Montesquieu zu Rousseau; Herr Grün konstruiert diesen Übergang: »Rousseau war der radikale Politiker, wie Montesquieu der konstitutionelle.«


Herr Grün zitiert aus Rousseau:

»Das größte Übel ist schon geschehen, wenn man Arme zu verteidigen und Reiche im Zaum zu halten hat etc.« . . . . . . . . . . . . (endet mit den Worten) »woraus folgt, daß der soziale Zustand den Menschen nur dann vorteilhaft ist, wenn sie Alle von ihnen etwas und keiner von ihnen zuviel hat.« Rousseau wird nach Herrn Grün »konfus und völlig schwankend, wenn er sich über die Frage erklären soll: Welche Umwandlung geht mit dem früheren Besitz vor, wenn der naturwilde Mensch in die Gesellschaft tritt? Was antwortet er? Er antwortet: Die Natur hat alle Güter gemeinschaftlich gemacht«... (endet mit den Worten:) »im Fall einer Teilung wird der Anteil eines Jeden sein Eigentum.« p. 284, 285.


Cabet:

»Écoutez maintenant Rousseau, l'auteur de cet immortel ›Contrat social‹... écoutez: ›Les hommes sont égaux en droit. La nature a rendu tous les biens communs... dans le cas de partage le part de chacun devient sa propriété. Dans tous les cas la société est toujours seule propriétaire de tous les biens.‹« (Pointe, die Herr Grün wegläßt.) »Écoutez encore:...« (endet:) »d'où il suit que l'état social n'est avantageux aux hommes qu'autant qu'il ont tous quelque chose et qu'aucun d'eux n'a rien ›de trop.‹

Écoutez, écoutez encore Rousseau dans son ›Economie politique‹: ›Le plus grand mal est déjà fait quand on a des pauvres à défendre, et des riches à contenir‹ « etc. etc. p. 489, 490.[512]


Herrn Grüns geniale Neuerungen bestehen hier darin, erstens, daß er die Zitate aus dem »Contrat social« und der »Économie politique« durcheinanderwirft, und zweitens, daß er damit anfängt, womit Cabet schließt. Cabet nennt die Titel der Rousseauschen Schriften, woraus er zitiert, Herr Grün verschweigt sie. Diese Taktik erklären wir daraus, daß Cabet von einer »Économie politique« des Rousseau spricht, die Herr Grün nicht einmal aus einem Schillerschen Epigramme kennen kann. Herrn Grün, der alle Geheimnisse der »Encyclopédie« durchschaut hat (vgl. p. 263), war es ein Geheimnis, daß Rousseaus »Économie politique« nichts andres ist als der Artikel der »Encyclopédie« über die économie politique.

Gehen wir zu Turgot über. Bei diesem begnügt sich Herr Grün nicht mehr mit dem bloßen Kopieren der Zitate, er schreibt die Schilderung ab, die Cabet von Turgot gibt.


Herr Grün:

»Einer der edelsten und vergeblichsten Versuche, auf dem Boden des Alten, das den Zusammensturz allerwärts drohte, das Neue aufzupflanzen, wurde von Turgot gemacht. Umsonst. Die Aristokratie bringt eine künstliche Hungersnot, bringt Revolten zuwege, kabaliert und verleumdet so lange, bis der debonnäre Ludwig seinen Minister entläßt. – Die Aristokratie wollte nicht hören, sie mußte also fühlen. Die Entwicklung der Menschheit rächt immer die guten Engel, welche den letzten dringenden Mahnruf vor einer Katastrophe ergehen lassen, auf das Furchtbarste. Das französische Volk segnete Turgot, Voltaire wünschte ihm vor seinem Tode die Hand zu küssen, der König hatte ihn seinen Freund genannt...Turgot, der Baron, der Minister, einer der letzten Feudalherren, trug sich mit dem Gedanken, man müsse eine Hauspresse erfinden, um die Preßfreiheit völlig sicherzustellen.« p. 289, 290.


Cabet:

»Et cependant, tandis que le roi déclare que lui seul et son ministre (Turgot) sont dans la cour les amis du peuple, tandis que le peuple le comble de ses bénédictions, tandis que les philosophes le couvrent de leur admiration, tandis que Voltaire veut, avant de mourir, baiser la main qui a signé tant d'améliorations populaires, l'aristocratie conspire, organise même une vaste famine et des émeutes pour le perdre et fait tant par ses intrigues et calomnies qu'elle parvient à déchaîner les salons de Paris contre le réformateur et à perdre Louis XVI lui-même en le forçant à renvoyer le vertueux ministre qui le sauverait.« p. 497. »Revenons à Turgot, baron, ministre de Louis XVI pendant la première année de son règne, qui veut réformer les abus, qui fait une foule de réformes, qui veut faire établir une nouvelle langue et qui, pour assurer la liberté de la presse, travaille lui-même à l'invention d'une presse à domicile.« p. 495.[513]


Cabet nennt Turgot Baron und Minister, Herr Grün schreibt ihm dies ab. Um Cabet zu verschönern, verwandelt er den jüngsten Sohn des Prévôts der Kaufleute von Paris in »einen der ältesten Feudalherren«. Cabet irrt sich, wenn er die Hungersnot und die Revolte von 1775 als Machwerk der Aristokratie hinstellt. Bis auf die heutige Zeit ist man über die Urheber des Geschreis über die Hungersnot und der damit zusammenhängenden Bewegung nicht aufgeklärt. Jedenfalls hatten die Parlamente und populäre Vorurteile weit mehr Anteil daran als die Aristokratie. Daß Herr Grün diesen Irrtum des »bornierten Papa« Cabet abschreibt. Ist in der Ordnung. Er glaubt an ihn wie an ein Evangelium. Auf Cabets Autorität gestützt, zählt Herr Grün Turgot unter die Kommunisten, Turgot, einen der Chefs der physiokratischen Schule, den entschiedensten Vertreter der freien Konkurrenz, den Verteidiger des[514] Wuchers, den Lehrer Adam Smiths. Turgot war ein großer Mann, weil er seiner Zeit entsprach und nicht den Einbildungen des Herrn Grün. Wie diese entstanden sind, haben wir gezeigt.

Gehen wir nun zu den Männern der französischen Revolution über. Cabet setzt seinen Bourgeois, gegen den er plädiert, in die äußerste Verlegenheit, indem er Sieyès unter die Vorläufer des Kommunismus zählt, und zwar weil Sleyfes die Gleichheit der Rechte anerkenne und das Eigentum erst durch den Staat sanktionieren lasse. Cabet, p. 499-502. Herr Grün, der »jedesmal dazu verdammt ist, den französischen Geist, wenn er ihn in der Nähe hat, ungenügend und oberflächlich zu finden«, schreibt dies getrost ab und bildet sich ein, ein alter Parteichef wie Cabet sei dazu berufen, den »Humanismus« des Herrn Grün »vor dem Bücherstaub« zu konservieren. Cabet fährt fort: »Écoutez le fameux Mirabeau!« p. 504, Herr Grün sagt: »Hören wir Mirabeau!« p. 292, und zitiert einige der von Cabet hervorgehobenen Stellen, worin Mirabeau sich für gleiche Teilung der Erbschaft unter den Geschwistern ausspricht. Herr Grün ruft aus: »Kommunismus für die Familie!« p. 292. Nach dieser Methode kann Herr Grün sämtliche Bourgeois-Institutionen durchgehen und überall ein Stück Kommunismus finden, so daß sie alle zusammen der vollendete Kommunismus sind. Er kann den Code Napoléon einen Code de la communauté taufen und in den Hurenhäusern, Kasernen und Gefängnissen kommunistische Kolonien entdecken.

Schließen wir diese langweiligen Zitate mit Condorcet. Die Vergleichung der beiden Bücher wird dem Leser hier ganz speziell zeigen, wie Herr Grün ausläßt, durcheinanderwirft, bald Titel zitiert, bald nicht, die chronologischen Daten wegläßt, aber genau der Ordnung Cabets folgt, selbst wenn dieser nicht genau nach der Chronologie geht, und schließlich es doch nie weiter bringt als zu einem schlecht und ängstlich maskierten Auszuge aus Cabet.


Herr Grün:

»Der radikale Girondist ist Condorcet. Er erkennt die Ungerechtigkeit der Besitzverteilung an, er entschuldigt das arme Volk... wenn das Volk ein wenig diebisch aus Prinzip sei, so liege das an den Institutionen.

In seinem Journal ›Der soziale Unterricht‹... er gestattet sogar große Kapitalisten... Condorcet machte bei der Legislative den Antrag, die 100 Millionen der drei emigrierten Prinzen in 100000 Teile zu verteilen... organisiert den Unterricht und die Einrichtung öffentlicher Unterstützungen.« (Vgl. Urtext.)

»In seinem Bericht über die öffentliche Erziehung an die Legislative sagt Condorcet: ›Allen Individuen der menschlichen Gattung die Mittel darbieten, ihre Bedürfnisse zu befriedigen... das ist der Gegenstand des Unterrichts und die Pflicht einer Staatsgewalt etc.‹« (Hier verwandelt Herr Grün den Bericht des Komitees über Condorcets Plan in einen Bericht Condorcets.) Grün p. 293, 294.


Cabet:

»Entendez Condorcet soutenir dans sa réponse à l'académie de Berlin«...(kommt lange Stelle bei Cabet, schließt:) »›C'est donc uniquement parce que les institutions sont mauvaises que le peuple est si souvent un peu voleur par principe.‹

Ecoutez-le dans son journal ›L'instruction sociale‹... il tolère même de grands capitalistes.« pp.

»Écoutez l'un des chefs Girondins, le philosophe Condorcet, le 6 juillet 1792 à la tribune de l'assemblée législative: ›Décrétez que les biens des trois princes, français (Louis XVIII, Charles X. et le prince de Condé‹« – was Herr Grün wegläßt -) »›soient sur-le-champ mis en vente... ils montent à près de 100 millions, et vous remplacerez trois princes par cent mille citoyens... organisez l'instruction et les établissements de secours publics.‹

Mais écoutez le comité d'instruction publique présentant a l'assemblée législative son rapport sur le plan d'éducation rédigé par Condorcet, 20 avril 1792: ›L'éducation publique doit offrir à tous les individus les moyens de pourvoir a leurs besoins... tel doit être le premier but d'une instruction nationale et sous ce point de vue elle est pour la puissance politique un devoir de justice‹«, pp., p. 502, 503, 505, 509.[515]


Herr Grün, der durch diese unverschämte Abschreiberei aus Cabet den französischen Arbeitsorganisierern auf historischem Wege das Bewußtsein ihres Wesens beibringt, verfährt nebenbei noch nach dem Prinzip: Divide et impera. Er wirft zwischen die Zitate sogleich sein Endurteil über die Leute, die er soeben aus einer Stelle kennengelernt, ferner einige Phrasen über die[516] französische Revolution, und teilt das Ganze in zwei Hälften durch einige Zitate aus Morelly, der gerade zur rechten Zeit für Herrn Grün durch Villegardelle in Paris en vogue gebracht und von dem die Hauptstellen bereits lange vor Herrn Grün im Pariser »Vorwärts« übersetzt worden waren. Von der Liederlichkeit, mit der Herr Grün übersetzt, hier nur ein paar eklatante Beispiele:


Morelly:

»L'intérêt rend les cœurs dénaturés et répand l'amertume sur les plus doux liens, qu'il change en de pesantes chaînes que détestent chez nous les époux en se détestant eux-mêmes


Herr Grün:

»Das Interesse macht die Herzen unnatürlich und verbreitet Bitterkeit über die süßesten Bande, die es in schwere Ketten verwandelt, welche unsre Gatten verabscheuen und sich selbst dazu.« p. 274.


Reiner Unsinn.


Morelly:

»Notre âme... contracte une soif si furieuse qu'elle se suffoque pour l'étancher.«


Herr Grün:

»Unsere Seele... bekommt... einen so wütenden Durst, daß sie erstickt, um ihn zu löschen.« ibid.


Wieder reiner Unsinn.


Morelly:

»Ceux qui prétendent régler les mœurs et dicter des lois« pp.


Herr Grün:

»Die, welche sich dafür ausgeben, die Sitten zu regeln und Gesetze zu diktieren« pp., p. 275.


Alle drei Fehler aus einem einzigen Passus von Morelly, in 14 Zeilen bei Herrn Grün. Auch in seiner Darstellung Morellys sind große Plagiate aus Villegardelle.[517]

Herr Grün kann seine ganze Weisheit über das achtzehnte Jahrhundert und die Revolution in folgende Worte zusammenfassen:

»Gegen die alte Welt liefen der Sensualismus, der Deismus und der Theismus vereinigt Sturm. Die alte Welt stürzte. Als eine neue Welt erbaut werden sollte, siegte der Deismus in der Konstituante, der Theismus im Konvent, der reine Sensualismus wurde geköpft oder stumm gemacht.« p. 263.

Man sieht, wie die philosophische Manier, die Geschichte mit einigen kirchengeschichtlichen Kategorien abzufertigen, bei Herrn Grün auf der Stufe der tiefsten Erniedrigung, der bloßen belletristischen Phrase steht; wie sie nur dazu dient, die Arabeske seiner Plagiate zu bilden. Avis aux philosophes!

Wir übergehen, was Herr Grün über den Kommunismus sagt. Die historischen Notizen sind aus Cabets Broschüren abgeschrieben, die »Voyage en Icarie« in der vom wahren Sozialismus adoptierten Weise aufgefaßt (vgl. »Bürgerbuch« und »Rheinische Jahrb[ücher]«). Herr Grün beweist seine Kenntnis der französischen und zugleich der englischen Zustände dadurch, daß er Cabet den »kommunistischen O'Connell von Frankreich« nennt, p. 382, und sagt dann:

»Er wäre imstande, mich hängen zu lassen, wenn er die Gewalt dazu hätte und wüßte, was ich über ihn denke und schreibe. Diese Agitatoren sind für Unsereins gefährlich, weil sie borniert sind.« p. 382.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 507-518.
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