1. »Lettres d'un habitant de Genève à ses contemporains.«

[485] Herr[n] Grün wurde aus Stein nicht recht klar, in welchem Zusammenhange der in der eben zitierten Schrift gegebene Plan zur Unterstützung der Gelehrten mit dem phantastischen Anhange der Broschüre steht. Er spricht[485] von dieser Schrift, als wenn es sich in ihr hauptsächlich um eine neue Organisation der Gesellschaft handle, und schließt wie folgt:

»Die geistliche Macht in den Händen der Gelehrten, die weltliche Macht in den Händen der Eigentümer, die Wahl für Alle.« p. 85. Vgl. Stein, p. 151, Reybaud, p. 83.

Den Satz »le pouvoir de nommer les individus appelés à remplir les fonctions des chefs de l'humanité entre les mains de tout le monde«, den Reybaud aus Saint-Simon (p. 47) zitiert und Stein höchst unbeholfen übersetzt – diesen Satz reduziert Herr Grün auf »die Wahl für Alle«, wodurch er allen Sinn verliert. Bei Saint-Simon ist von der Wahl des Newtonschen Rats die Rede, bei Herrn Grün handelt es sich von der Wahl überhaupt.

Nachdem Herr Grün durch vier oder fünf von Stein und Reybaud abgeschriebne Sätze längst mit den »Lettres pp.« fertig geworden ist und schon vom »Nouveau christianisme« gesprochen hat, kehrt er plötzlich zu ihnen zurück.

»Aber die abstrakte Wissenschaft tut's freilich nicht,« (Noch viel weniger die konkrete Unwissenheit, wie wir sehen.) »Vom Standpunkt der abstrakten Wissenschaft waren ja die ›Eigentümer‹ und ›Jedermann‹ noch auseinandergefallen.« p, 87.

Herr Grün vergißt, daß er bisher nur von »der Wahl für alle«, nicht von »Jedermann« gesprochen hat. Aber bei Stein und Reybaud findet er »tout le monde« und setzt daher »Jedermann« in Anführungszeichen. Er vergißt ferner, daß er den folgenden Satz Steins, wodurch das »ja« in seinem eignen Satze motiviert wird, nicht mitgeteilt hat:

»Es treten ihm« (Saint-Simon) »neben den Weisen oder Wissenden die propriétaires und tout le monde auseinander. Zwar sind Beide noch ohne eigentliche Grenze im Verhältnis zueinander... dennoch liegt schon in jenem vagen Bilde der tout le monde der Keim der Klasse verborgen, die zu begreifen und zu heben die spätere Grundtendenz seiner Theorie ward, der classe la plus nombreuse et la plus pauvre, wie in der Wirklichkeit dieser Teil des Volkes damals nur potentiell da war,« p. 154.

Stein hebt hervor, daß Saint-Simon zwischen propriétaires und tout le monde schon einen Unterschied, aber noch einen sehr unbestimmten macht. Herr Grün verdreht dies dahin, daß Saint-Simon den Unterschied überhaupt noch macht. Dies ist natürlich ein großes Versehen von Saint-Simon und nur dadurch zu erklären, daß er in den »Lettres« auf dem Standpunkte der abstrakten Wissenschaft sich befindet. Leider aber spricht Saint-Simon an der fraglichen Stelle gar nicht, wie Herr Grün meint, von Unterschieden[486] in einer zukünftigen Gesellschaftsordnung. Er adressiert sich wegen einer Subskription an die ganze Menschheit, die ihm, wie er sie vorfindet, in drei Klassen geteilt erscheint: in drei Klassen, die nicht, wie Stein glaubt, savants, propriétaires und tout le monde sind, sondern 1. die savants und artistes und alle Leute mit liberalen Ideen, 2. die Gegner der Neuerung, d.h. die propriétaires, sofern sie sich nicht der ersten Klasse anschließen, 3. das surplus de l'humanité qui se rallie au mot: Égalité. Diese drei Klassen bilden tout le monde. Vgl. Saint-Simon, »Lettres«, p. 21, 22. Da Saint-Simon übrigens an einer späteren Stelle sagt, er halte seine Verteilung der Gewalt für vorteilhaft für alle Klassen, so entspricht in der Stelle, wo er von dieser Verteilung spricht, p. 47, tout le monde offenbar dem surplus, das sich bei der Parole Gleichheit ralliiert, ohne indes die andern Klassen auszuschließen. Stein hat also in der Hauptsache das Richtige getroffen, obwohl er die Stelle p. 21, 22 nicht berücksichtigt, und Herr Grün, der das Original gar nicht kennt, klammert sich an das unbedeutende Versehen Steins, um aus seinem Räsonnement sich baren Unsinn zu abstrahieren.

Wir erhalten sogleich ein noch frappanteres Beispiel, p. 94, wo Herr Grün gar nicht mehr von Saint-Simon, sondern von seiner Schule spricht, erfahren wir unerwartet:

»Saint-Simon sagt in einem seiner Bücher die mysteriösen Worte: ›Die Frauen werden zugelassen werden, sie werden selbst ernannt werden können.‹ Aus diesem fast tauben Saatkorn ist der ganze ungeheure Spektakel der Emanzipation der Frauen entsprossen.«

Allerdings, wenn Saint-Simon in einer beliebigen Schrift von einer Zulassung und Ernennung der Frauen, man weiß nicht wozu, gesprochen hat, so sind dies sehr »mysteriöse Worte«. Dies Mysterium existiert aber nur für Herrn Grün. Das »eine der Bücher« Saint-Simons ist kein andres als die »Lettres d'un habitant de Genève«. Nachdem Saint-Simon hier gesagt hat, daß jeder Mensch für den Newtonschen Rat oder dessen Abteilungen unterschreiben kann, fährt er fort: Les femmes seront admises à souscrire, elles pourront être nommées. Natürlich, zu einer Stelle in diesem Rat oder seinen Abteilungen. Stein hat diese Stelle, wie sich gebührt, bei dem Buche selbst zitiert und macht dabei folgende Bemerkung:

Hier pp. »finden sich alle Spuren seiner späteren Ansicht und selbst seiner Schule im Keime wieder, und selbst der erste Gedanke einer Emanzipation der Frauen«, p. 152.[487]

Stein hebt auch richtig in einer Note hervor, daß Olinde Rodrigues diese Stelle in seiner Ausgabe von 1832 als einzige Belegstelle für die Frauenemanzipation bei Saint-Simon selbst aus polemischen Gründen groß drucken ließ. Grün, um seine Abschreiberei zu verbergen, versetzt diese Stelle von dem Buch, wohin sie gehört, in die Schule, macht den obigen Unsinn daraus, verwandelt Steins »Keim« in ein »Saatkorn« und bildet sich kindischerweise ein, die Lehre von der Emanzipation der Frauen sei aus dieser Stelle hervorgegangen.

Herr Grün riskiert eine Ansicht über einen Gegensatz, worin die »Briefe eines Bewohners von Genf« zum »Katechismus der Industriellen« stehen sollen und der darin besteht, daß im »Katechismus« das Recht der travailleurs geltend gemacht wird. Herr Grün mußte diesen Unterschied allerdings zwischen den ihm von Stein und Reybaud überlieferten »Lettres« und dem ebenso überlieferten »Catéchisme« entdecken. Hätte er den Saint-Simon selbst gelesen, so konnte er statt dieses Gegensatzes in den »Lettres« schon sein »Saatkorn« zu der unter Andern im »Catéchisme« weiter entwickelten Anschauung finden. Z.B.:

»Tous les hommes travailleront«, »Lettres«, p.60. »Si sa cervelle« (des Reichen) »ne sera pas propre au travail, il sera bien obligé de faire travailler ses bras; car Newton ne laissera sûrement pas sur cette planète... des ouvriers volontairement inutiles dans l'atelier.« p. 64.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 485-488.
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