Charakterisierende Übersetzung Nr. I

[24] »Ich will« (nämlich der kritisch übersetzte Proudhon) »kein System des Neuen geben, ich will nichts als die Abschaffung des Privilegiums, die Vernichtung der Sklaverei... Gerechtigkeit, nichts als Gerechtigkeit, das ist's, was ich meine.«

Der charakterisierte Proudhon beschränkt sich auf Wollen und Meinen, weil der »gute Wille« und die unwissenschaftliche »Meinung« charakteristische Attribute der unkritischen Masse sind. Der charakterisierte Proudhon tritt so demutsvoll auf, wie es der Masse geziemt, und ordnet das, was er will, dem unter, was er nicht will. Er versteigt sich nicht dazu, ein System des Neuen geben zu wollen, er will weniger, er will sogar nichts als die Abschaffung des Privilegiums etc. Außer dieser kritischen Subordination des Willens, den er hat, unter den Willen, den er nicht hat, zeichnet sich sein erstes Wort sogleich durch einen charakteristischen Mangel an Logik aus. Der Schriftsteller, der sein Buch damit eröffnet, daß er kein System des Neuen geben will, wird nun sagen, was er geben will, sei es ein systematisches Altes oder ein unsystematisches Neues. Aber der charakterisierte Proudhon, der kein System des Neuen geben will, will er die Abschaffung der Privilegien geben? Nein. Er will sie.

Der wirkliche Proudhon sagt: »Je ne fais pas de système; je demande la fin du privilège« etc. Ich mache kein System, ich verlange etc. D.h., der wirkliche Proudhon erklärt, daß er keine abstrakt wissenschaftliche Zwecke verfolgt, sondern unmittelbar praktische Forderungen an die Gesellschaft stellt. Und die Forderung, die er stellt, ist nicht willkürlich. Sie ist motiviert und berechtigt durch die ganze Entwicklung, die er gibt, sie ist das Resumé dieser Entwicklung, denn: »Justice, rien que Justice; tel est le resumé de[24] mon discours.« Der charakterisierte Proudhon gerät mit seinem »Gerechtigkeit, nichts als Gerechtigkeit, das ist's, was ich meine« um so bedeutender in Verlegenheit, als er noch vieles andre meint und nach Herrn Edgars Bericht z.B. »meint«, die Philosophie sei nicht praktisch genug gewesen, »meint«, den Charles Comte zu widerlegen etc.

Der kritische Proudhon fragt sich: »Soll der Mensch denn immer unglücklich sein?«, d.h. er fragt, ob das Unglück die moralische Bestimmung des Menschen ist. Der wirkliche Proudhon ist ein leichtsinniger Franzose und fragt, ob das Unglück eine materielle Notwendigkeit, ein Müssen ist. (L'homme doit-il être éternellement malheureux?)

Der massenhafte Proudhon sagt:

»Et sans m'arrêter aux explications à toute fin des entrepreneurs de réformes, accusant de la détresse générale ceux-ci la lâcheté et l'impéritie du pouvoir, ceux-là les conspirateurs et les émeutes, d'autres l'ignorance et la corruption générale«, etc.

Weil der Ausdruck à toute fin ein schlechter massenhafter Ausdruck ist, der sich in den massenhaften deutschen Wörterbüchern nicht findet, so läßt der kritische Proudhon natürlich diese nähere Bestimmung der »Auseinandersetzungen« weg. Dieser Terminus ist der massenhaften französischen Jurisprudenz entlehnt, und explications à toute fin bedeuten Auseinandersetzungen, die alle Einreden abschneiden. Der kritische Proudhon beleidigt die »Reformisten«, eine sozialistische französische Partei, der massenhafte Proudhon die Reform-Fabrikanten. Bei dem massenhaften Proudhon gibt es verschiedene Klassen der entrepreneurs de reformes. Diese, ceux-ci, sagen das, jene, ceux-là, das, andre, d'autres, das. Der kritische Proudhon läßt dagegen dieselben Reformisten »bald – bald – bald anklagen«, was jedenfalls von ihrer Unbeständigkeit zeugt. Der wirkliche Proudhon, der sich nach der massenhaften französischen Praxis richtet, spricht von »les conspirateurs et les émeutes«, d.h. erst von den Verschwörern und dann von ihrer Handlung, den Erneuten. Der kritische Proudhon, der die verschiedenen Klassen der Reformisten zusammengeworfen hat, klassifiziert dagegen die Rebellen und sagt daher: die Verschwörer und Aufrührer. Der massenhafte Proudhon spricht von der Unwissenheit und »allgemeinen Verdorbenheit.«[25] Der kritische Proudhon verwandelt die Unwissenheit in Dummheit, die »Verdorbenheit« in die »Verworfenheit« und macht endlich als kritischer Kritiker die Dummheit allgemein. Er selbst gibt unmittelbar von ihr ein Beispiel, indem er générale statt in den Plural in den Singular setzt. Er schreibt: l'ignorance et la corruption geniale für: die allgemeine Dummheit und Verworfenheit. Der unkritischen französischen Grammatik gemäß müßte dies heißen: l'ignorance et la corruption générales.

Der charakterisierte Proudhon, der anders spricht und denkt wie der massenhafte, hat notwendig auch einen ganz anderen Bildungsgang durchgemacht. Er »befragte die Meister der Wissenschaft, las hundert Bände der Philosophie und Rechtswissenschaft etc., und zuletzt sah« er »ein, daß wir noch nie den Sinn der Worte Gerechtigkeit, Billigkeit, Freiheit erfaßt haben.« Der wirkliche Proudhon glaubte das von Anfang an zu erkennen (je crus d'abord reconnaître), was der kritische »zuletzt« einsah. Die kritische Verwandlung des d'abord in enfin ist notwendig, weil die Masse nichts [von] »vornherein« zu erkennen glauben darf. Der massenhafte Proudhon erzählt ausdrücklich, wie dieses befremdende Resultat seiner Studien ihn erschüttert, wie er ihm nicht getraut habe. Er beschloß daher, eine »Gegenprobe« zu machen, er fragte sich: »Ist. es möglich, daß die Menschheit über die Prinzipien der Anwendung der Moral sich so lange und so allgemein betrogen hat? Wie und warum hat sie sich betrogen?« etc. Von der Lösung dieser Fragen machte er die Richtigkeit seiner Beobachtungen abhängig. Er fand, daß in der Moral, wie in allen übrigen Zweigen des Wissens, die Irrtümer »Stufen der Wissenschaft sind.« Der kritische Proudhon dagegen vertraut sogleich dem ersten Eindruck, den seine nationalökonomischen, juristischen und ähnlichen Studien auf ihn gemacht haben. Versteht sich, die Masse darf auf keine gründliche Art verfahren, sie muß die ersten Ergebnisse ihrer Studien zu unbestreitbaren Wahrheiten erheben. Sie ist »von vornherein fertig, ehe sie sich mit ihrem Gegensatz gemessen hat« , daher »zeigt es sich« hinterher, »daß sie noch nicht bei dem Anfang angekommen ist, wenn sie am Ende zu stehen glaubt.«

Der kritische Proudhon fährt daher fort, in der haltlosesten und unzusammenhängendsten Weise zu räsonieren:

»Unsere Erkenntnis der moralischen Gesetze ist nicht von vornherein vollständig; so kann sie einige Zeit dem gesellschaftlichen Fortschritte genügen; auf die Länge aber wird sie uns einen falschen Weg führen.«[26]

Der kritische Proudhon motiviert nicht, warum eine unvollständige Erkenntnis der moralischen Gesetze dem gesellschaftlichen Fortschritt auch nur für einen Tag genügen kann. Der wirkliche Proudhon, nachdem er sich die Frage aufgeworfen, ob und warum die Menschheit sich so allgemein und so lange habe irren können, nachdem er die Lösung gefunden, daß alle Irrtümer Stufen der Wissenschaft sind, daß unsre unvollständigsten Urteile eine Summe von Wahrheiten einschließen, die für eine gewisse Zahl von Induktionen wie für einen bestimmten Kreis des praktischen Lebens ausreichen, über welche Zahl und über welchen Kreis hinaus sie theoretisch ins Absurde und praktisch zum Verfall führen, kann sagen, daß selbst eine unvollkommne Erkenntnis der moralischen Gesetze für einige Zeit dem gesellschaftlichen Fortschritt genügen könne.

Der kritische Proudhon:

»Ist nun aber eine neue Erkenntnis nötig geworden, so erhebt sich ein erbitterter Kampf zwischen den alten Vorurteilen und der neuen Idee.«

Wie kann sich ein Kampf erheben gegen einen Gegner, der noch nicht existiert? Und der kritische Proudhon hat uns zwar gesagt, daß eine neue Idee nötig geworden, nicht aber, daß sie schon geworden ist.

Der massenhafte Proudhon:

»Sobald die höhere Erkenntnis unentbehrlich geworden, fehlt sie nie«, so ist sie vorhanden. »Alsdann beginnt der Kampf.«

Der kritische Proudhon behauptet, »es sei die Bestimmung des Menschen, sich schrittweise zu unterrichten«, als wenn der Mensch nicht eine ganz andre Bestimmung hätte, nämlich die, Mensch zu sein, und als wenn der »schrittweise« Selbstunterricht notwendig einen Schritt weiter führte. Ich kann Schritt vor Schritt gehen und grade auf dem Punkt ankommen, von dem ich ausging. Der unkritische Proudhon spricht nicht von der »Bestimmung«, sondern von der Bedingung (condition) für den Menschen, nicht sich schrittweise (pas à pas), sondern stufenweise (par degrés) zu unterrichten. Der kritische Proudhon sagt zu sich selbst:

»Unter den Prinzipien, auf denen die Gesellschaft beruht, gibt es eins, welches sie nicht versteht, welches durch ihre Unwissenheit verderbt ist und alle Übel verursacht. Und doch ehrt man dies Prinzip«, und »doch will man es, denn sonst wäre es ohne Einfluß, Dieses Prinzip nun, welches wahr ist seinem Wesen nach, falsch aber in unserer Art, es aufzufassen... welches ist es?«

In dem ersten Satz sagt der kritische Proudhon, daß das Prinzip von der Gesellschaft verdorben, mißverstanden, also an sich selbst richtig ist. Zum[27] Überfluß gesteht er in dem zweiten Satz, daß es seinem Wesen nach wahr sei, und nichtsdestoweniger wirft er der Gesellschaft vor, daß sie »dieses Prinzip« wolle und verehre. Der massenhafte Proudhon dagegen tadelt nicht, daß dieses Prinzip, sondern daß dieses Prinzip, so wie unsre Unwissenheit es verfälscht hat, gewollt und geehrt werde. (»Ce principe... tel que notre ignorance l'a fait, est honoré.«) Der kritische Proudhon findet das Wesen des Prinzips in seiner unwahren Gestalt wahr. Der massenhafte Proudhon findet, daß das Wesen des verfälschten Prinzips unsre falsche Auffassung, daß es aber in seinem Gegenstand (objet) wahr ist, ganz in derselben Weise, wie das Wesen der Alchimie und Astrologie unsre Phantasie, ihr Gegenstand aber – die Himmelsbewegung und die chemischen Eigenschaften der Körper – wahr ist.

Der kritische Proudhon fährt fort in seinem Monologe:

»Der Gegenstand unsrer Untersuchung ist das Gesetz, die Bestimmung des sozialen Prinzips. Nun sind die Politiker, d.h. die Männer der sozialen Wissenschaft, in vollständiger Unklarheit [...] befangen: Wie aber jedem Irrtum eine Wirklichkeit zugrundliegt, so wird man in ihren Büchern die Wahrheit finden, die sie ohne ihr Wissen in die Welt gesetzt haben.«

Der kritische Proudhon räsoniert in der abenteuerlichsten Weise. Davon, daß die Politiker unwissend und unklar sind, geht er in ganz willkürlicher Weise dazu fort, daß jedem Irrtum eine Wirklichkeit zugrunde liegt, was um so weniger bezweifelt werden kann, da jedem Irrtum in der Person des irrenden eine Wirklichkeit zugrunde liegt. Davon, daß jedem Irrtum eine Wirklichkeit zugrunde liegt, schließt er weiter, daß in den Büchern der Politiker die Wahrheit zu finden ist. Und endlich läßt er diese Wahrheit von den Politikern sogar in die Welt gesetzt sein. Hätten sie dieselbe in die Welt gesetzt, so brauchte man sie nicht in ihren Büchern zu suchen.

Der massenhafte Proudhon:

»Die Politiker verstehn sich nicht untereinander (ne s'entendent pas); also ist ihr Irrtum ein subjektiver, in ihnen selbst begründeter« (donc c'est en eux qu'est l'erreur). Ihr wechselseitiges Mißverständnis beweist ihre Einseitigkeit. Sie verwechseln »Ihre Privatmeinung mit der gesunden Vernunft«, und »da« – nach der früheren Deduktion – »jeder Irrtum eine wahre Wirklichkeit zum Gegenstand hat, so muß sich in ihren Büchern die Wahrheit finden, welche sie hier«, nämlich in ihre Bücher, »bewußtlos niedergelegt, nicht aber in die Welt gesetzt haben. (Dans leurs livres doit se trouver la vérité, qu'à leur insu ils y auront mise.)«[28]

Der kritische Proudhon fragt sich: »Was ist die Gerechtigkeit, welches ist ihr Wesen, ihr Charakter, ihre Bedeutung?« als wenn sie noch eine vom Wesen und vom Charakter unterschiedene aparte Bedeutung haben sollte. Der unkritische Proudhon fragt: Welches ist ihr Prinzip, ihr Charakter und ihre Formel (formule)? Die Formel ist das Prinzip als Prinzip der wissenschaftlichen Entwicklung. In der massenhaften französischen Sprache sind formule und signification wesentlich unterschieden. In der kritischen französischen Sprache fallen sie zusammen.

Nach seinen allerdings höchst unsachlichen Erörterungen rafft sich der kritische Proudhon zusammen und ruft aus:

»Versuchen wir unserm Gegenstande etwas näherzukommen.«

Der unkritische Proudhon, der längst bei seinem Gegenstande angekommen ist, versucht dagegen zu schärferen und positiv[er]en Bestimmungen seines Gegenstandes zu kommen (d'arriver à quelque chose de plus précis et de plus positif).

»Das Gesetz« ist für den kritischen Proudhon eine »Bestimmung des Gerechten« , für den unkritischen eine »Erklärung« (déclaration) desselben. Der unkritische Proudhon bekämpft die Ansicht, daß das Recht vom Gesetz gemacht werde. Eine »Bestimmung des Gesetzes« kann aber ebensosehr bedeuten, daß das Gesetz bestimmt wird, als daß es bestimmt, wie weiter oben der kritische Proudhon selbst von der Bestimmung des sozialen Prinzips in letzterem Sinne sprach. Es ist allerdings eine Ungebührlichkeit des massenhaften Proudhon, so feine Unterscheidungen zu machen.

Nach diesen Differenzen zwischen dem kritisch charakterisierten und dem wirklichen Proudhon ist es gar nicht zu verwundern, daß Proudhon Nr. l ganz andere Dinge zu beweisen sucht als Proudhon Nr. II.

Der kritische Proudhon

»sucht durch die Erfahrungen der Geschichte zu beweisen«, daß, »wenn die Idee, welche wir uns vom Gerechten und vom Rechten machen, falsch ist, offenbar« (trotz dieser Offenbarkeit sucht er zu beweisen) »alle seine Anwendungen im Gesetz schlecht, alle unsre Einrichtungen fehlerhaft sein müssen.«

Der massenhafte Proudhon ist weit davon entfernt, beweisen zu wollen, was offenbar ist. Er sagt vielmehr:

»Wenn die Idee, die wir uns vom Gerechten und vom Rechte machen, schlecht bestimmt, wenn sie unvollständig oder selbst falsch wäre, so ist es evident, daß alle unsre legislativen Anwendungen schlecht sind« etc.[29]

Was will der unkritische Proudhon nun beweisen?

»Diese Hypothese«, fährt er fort, »von der Verkehrung der Gerechtigkeit in unsrer Auffassung und konsequenten Weise in unsren Handlungen wäre eine bewiesene Tatsache, wenn die Meinungen der Menschen in bezug auf den Begriff der Gerechtigkeit und in bezug auf seine Anwendung nicht beständig dieselben gewesen wären, wenn sie zu verschiedenen Zeiten Modifikationen erfahren hätten, mit einem Wort, wenn Fortschritt in den Ideen stattgefunden hätte.«

Und eben diese Unbeständigkeit, diese Veränderung, dieser Fortschritt »ist es, den die Geschichte durch die eklatantesten Zeugnisse beweist.« Der unkritische Proudhon zitiert nun diese eklatanten Zeugnisse der Geschichte. Sein kritischer Doppelgänger, wie er einen ganz andern Satz aus den Erfahrungen der Geschichte beweist, stellt auch diese Erfahrungen selbst anders dar.

Bei dem wirklichen Proudhon sahen »die Weisen« (les sages), bei dem kritischen Proudhon »die Philosophen« den Untergang des römischen Reichs voraus. Der kritische Proudhon darf natürlich nur die Philosophen für weise Männer halten. Nach dem wirklichen Proudhon waren die römischen »Rechte durch eine tausendjährige Rechtspraxis« oder »Justiz geheiligt« (ces droits consacrés par une justice dix fois séculaire), nach dem kritischen Proudhon gab es zu Rom »durch eine tausendjährige Gerechtigkeit geheiligte Rechte.«

Nach demselben Proudhon Nr. I ward in Rom räsoniert wie folgt:

»Rom... hat durch seine Politik und seine Götter gesiegt, jede Reform im Kultus und öffentlichen Geiste wäre Narrheit und Schändung« (bei dem kritischen Proudhon heißt sacrilège nicht, wie in der massenhaften französischen Sprache, Schändung des Heiligtums oder Heiligtumsentweihung, sondern schlechthin Schändung); »wollte es die Völker befreien, so würde es sein Recht aufgeben.« »So hatte Rom das Faktum und das Recht für sich«, fügt Proudhon Nr. 1. hinzu.

Bei dem unkritischen Proudhon räsoniert man gründlicher in Rom. Man detailliert das Faktum:

»Die Sklaven sind die fruchtbarste Quelle seines Reichtums; die Befreiung der Völker wäre also der Ruin seiner Finanzen

Und in bezug auf das Recht setzt der massenhafte Proudhon hinzu: »Roms Prätensionen waren gerechtfertigt durch das Völkerrecht (droit des gens).« Diese Art, das Recht der Unterjochung zu beweisen, entspricht durchaus der römischen Rechtsansicht. Siehe die massenhaften Pandekten: »jure gentium servitus invasit.« (Fr. 4. D. l. l.)[30]

Nach dem kritischen Proudhon bildeten »der Götzendienst, die Sklaverei, die Weichlichkeit die Grundlage der römischen Institutionen«, der Institutionen in Bausch und Bogen. Der wirkliche Proudhon sagt: »In der Religion bildete der Götzendienst, im Staat die Sklaverei, im Privatleben der Epikureismus« (épicurisme ist in der profanen französischen Sprache nicht gleichbedeutend mit mollesse, Weichlichkeit) »die Grundlage der Institutionen.« Innerhalb dieses römischen Zustandes »erschien« bei dem mystischen Proudhon »Wort Gottes«, bei dem wirklichen rationalistischen Proudhon ein »Mann, der sich Wort Gottes nannte.« Dieser Mann nennt bei dem wirklichen Proudhon die Priester »Nattern« (vipères), bei dem kritischen spricht er galanter mit ihnen und nennt sie »Schlangen.« Dort spricht er nach römischer Weise von »Advokaten«, hier in deutscher Weise von »Rechtsgelehrten.«

Der kritische Proudhon, nachdem er den Geist der französischen Revolution als einen Geist des Widerspruchs bezeichnet hat, fügt hinzu:

»Das reicht hin, um einzusehen, daß das Neue, welches an die Stelle des Alten trat, an sich selber nichts Methodisches und Überlegtes hatte.«

Er muß die Lieblingskategorien der kritischen Kritik, das »Alte« und das »Neue«, nachbeten. Er muß den Unsinn verlangen, daß das »Neue« an sich etwas Methodisches und Überlegtes haben soll, wie man etwa eine Verunreinigung an sich hat. Der wirkliche Proudhon sagt:

»Das reicht hin, um zu beweisen, daß die Ordnung der Dinge, welche an die Stelle der alten gesetzt wurde, in sich ohne Methode und Reflexion war.«

Der kritische Proudhon, von der Erinnerung an die französische Revolution fortgerissen, revolutioniert die französische Sprache so sehr, daß er un fait physique »eine Tatsache der Physik«, un fait intellectuel »eine Tatsache der Einsicht« übersetzt. Durch diese Revolution der französischen Sprache gelingt es dem kritischen Proudhon, die Physik in den Besitz aller Tatsachen zu setzen, die sich in der Natur vorfinden. Wenn er so die Naturwissenschaft von der einen Seite über Gebühr erhebt, so erniedrigt er sie ebensosehr von der andern Seite, indem er ihr die Einsicht abspricht und eine Tatsache der Einsicht von einer Tatsache der Physik unterscheidet. Ebensosehr macht er alle ferneren psychologischen und logischen Studien entbehrlich, indem er die intellektuelle Tatsache unmittelbar zur Tatsache der Einsicht erhebt.

Da der kritische Proudhon, der Proudhon Nr. I, nicht einmal ahnt, was der wirkliche Proudhon, der Proudhon Nr. II, mit seiner historischen[31] Deduktion beweisen will, so existiert für ihn natürlich auch nicht der eigentliche Inhalt dieser Deduktion, nämlich der Beweis von dem Wechsel der Rechtsansichten und von der fortlaufenden Verwirklickung der Gerechtigkeit durch die Negation des historischen positiven Rechts.

»La societé fut sauvée par la négation de ses principes... et la violation des droits les plus sacrés.«

So beweist der wirkliche Proudhon, wie durch die Negation des römischen Rechts die Erweiterung des Rechts in der christlichen Vorstellung, wie durch die Negation des Eroberungsrechts das Recht der Kommunen, wie durch die Negation des gesamten Feudalrechts, durch die französische Revolution, der umfassendere jetzige Rechtszustand herbeigeführt wurde.

Die kritische Kritik durfte dem Proudhon unmöglich den Ruhm lassen, das Gesetz von der Verwirklichung eines Prinzips durch seine Verneinung aufgefunden zu haben. In dieser bewußten Fassung war dieser Gedanke eine wirkliche Enthüllung für die Franzosen.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1957, Band 2, S. 24-32.
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