Charakterisierende Übersetzung Nr. III

[44] Der kritische Proudhon besitzt auch einen kritischen Eigentümer, nach dessen

»eigenem Geständnis die, welche für ihn arbeiten mußten, verloren, was er sich aneignete.«

Der massenhafte Proudhon spricht zum massenhaften Eigentümer:

»Du hast gearbeitet! Solltest du nie andre für dich haben arbeiten lassen? Wie haben sie also, während sie für dich arbeiteten, verloren, was du zu erwerben gewußt hast, während du nicht für sie arbeitetest?«

Der kritische Proudhon läßt den Say unter »richesse naturelle« »natürliche Besitztümer« verstehen, obgleich Say, um jeden Irrtum abzuschneiden, im Epitomé zu seinem »Traité d'économie politique« ausdrücklich erklärt, daß er unter richesse weder Eigentum noch Besitztum, sondern eine »Summe von Werten« versteht. Natürlich, wie der kritische Proudhon durch Herrn Edgar reformiert wird, so reformiert er seinerseits wieder den Say. So »folgert« nach ihm Say »sogleich auf ein Recht«, sich »ein Feld als Eigentum zu nehmen«, weil die Ländereien leichter anzueignen sind als Luft und Wasser. Say, weit entfernt, aus der größern Möglichkeit der Aneignung des Grund und Bodens auf ein Eigentumsrecht an demselben zu folgern, sagt vielmehr ausdrücklich: »Les droits des propriétaires de terres – remontent à une spoliation.« (»Traité d'économie politique«, edition III, t. I., p. 136, Nota.) Deswegen bedarf es nach Say des »concours de la législation « und des »droit positif« zur Gründung des Rechts am Grundeigentum. Der wirkliche Proudhon läßt den Say nicht »sogleich« aus der leichtern Aneignung des Grund und Bodens das Recht des Grundeigentums folgern, er wirft ihm vor, daß er die Möglichkeit statt des Rechts gelten lasse und die Frage nach der Möglichkeit mit der Frage nach dem Recht verwechsle:

»Say prend la possibilité pour le droit. On ne demande paspourquoi la terre a été plutôt appropriée que la mer et les airs; on veut savoir, en vertu de quel droit l'homme s'est approprié cette richesse.«[45]

Der kritische Proudhon fährt fort:

»Hierzu ist nur zu bemerken, daß mit Aneignung eines Stück Landes auch die übrigen Elemente, Luft, Wasser, Feuer, angeeignet werden: Terra, aqua, aere et igne interdicti sumus.«

Weit entfernt, daß der wirkliche Proudhon »nur« dies bemerkt hat, sagt er vielmehr, daß er nebenbei (en passant) auf die Appropriation von Luft und Wasser »aufmerksam« macht. Bei dem kritischen Proudhon findet sich die römische Bannformel auf eine unbegreifliche Weise ein. Er vergißt zu sagen, wer die »wir« sind, die interdiziert sind. Der wirkliche Proudhon redet die Nichteigentümer an:

»Proletarier... das Eigentum exkommuniziert uns, terra etc. interdicti sumus.«

Der kritische Proudhon polemisiert gegen Charles Comte wie folgt:

»Charles Comte meint, der Mensch bedürfe, um zu leben, der Luft, der Nahrung, der Kleidung. Einige dieser Dinge, wie Luft und Wasser, seien unerschöpflich, bleiben also immer Gemeineigentum, andere seien in geringerer Masse vorhanden und würden Privateigentum. Charles Comte beweist also von den Begriffen der Begrenztheit und Unbegrenztheit aus; er wäre vielleicht zu einem andern Resultat gekommen, wenn er die Begriffe der Entbehrlichkeit und Unentbehrlichkeit zu Hauptkategorien gemacht hätte.«

Welch kindische Polemik des kritischen Proudhon! Er mutet dem Charles Comte zu, die Kategorien, von denen aus er beweist, aufzugeben und zu andern Kategorien überzuspringen, um nicht zu seinen eignen Resultaten, sondern »vielleicht« zu den Resultaten des kritischen Proudhon zu kommen.

Der wirkliche Proudhon stellt keine ähnlichen Zumutungen an Charles Comte; er findet ihn nicht ab mit einem »Vielleicht«, er schlägt ihn mit seinen eignen Kategorien.

Charles Comte, sagt Proudhon, geht aus von der Unentbehrlichkeit der Luft, der Nahrung und für gewisse Klimate der Kleidung, nicht um zu leben, sondern um nicht aufzuhören zu leben. Um sich zu erhalten, bedarf der Mensch daher (nach Charles Comte) unaufhörlich der Aneignung von Sachen verschiedener Art. Diese Sachen existieren nicht alle in demselben Verhältnis.

»Das Licht der Himmelskörper, Luft, Wasser sind in so großer Quantität vorhanden, daß der Mensch sie nicht merklich vermehren oder vermindern kann; jeder kann sich daher so viel von ihnen aneignen, als seine Bedürfnisse erheischen, ohne in etwas dem Genüsse der andern zu schaden[46]

Proudhon geht nun von Comtes eignen Bestimmungen aus. Zunächst beweist er ihm, daß die Erde ebenfalls ein Gegenstand des ersten Bedürfnisses ist, dessen Nutznießung also jedem freistehen muß, innerhalb der Klausel des Comte nämlich: »ohne dem Genusse des andern zu schaden.« Warum ist die Erde also zum Privateigentum geworden? Charles Comte antwortet, weil sie nicht unbegrenzt ist. Er mußte aber im Gegenteil schließen: Weil sie begrenzt ist, kann sie nicht angeeignet werden. Aus der Aneignung von Luft und Wasser geht für keinen ein Schaden hervor, weil immer genug davon übrigbleibt, weil sie unbegrenzt sind. Die willkürliche Aneignung der Erde dagegen schadet dem Genuß des andern, eben weil die Erde begrenzt ist. Ihr Genuß muß also im allgemeinen Interesse geregelt werden. Die Beweisführung von Charles Comte beweist gegen seine These.

»Charles Comte, so deduziert Proudhon« (nämlich der kritische Proudhon), »geht von der Ansicht aus, daß eine Nation Eigentümerin eines Landes sein kann, während man doch, wenn das Eigentum das Recht zu brauchen und zu mißbrauchen mit sich führt – jus utendi et abutendi re sua – auch einer Nation nicht das Recht, ein Land zu brauchen und zu mißbrauchen, zusprechen kann.«

Der wirkliche Proudhon spricht nicht von dem jus utendi et abutendi, was das Eigentumsrecht »mit sich führe.« Er ist zu massenhaft, um von dem Eigentumsrecht zu sprechen, welches das Eigentumsrecht mit sich führt. Das jus utendi et abutendi re sua ist nämlich das Eigentumsrecht selbst. Proudhon spricht daher direkt einem Volk das Eigentumsrecht auf sein Territorium ab. Denen, welche dies übertrieben finden, erwidert er, daß von dem eingebildeten Recht des Nationaleigentums zu allen Epochen die Oberherrlichkeit, Tribute, Regalien, Fronden etc. hergeleitet wurden.

Der wirkliche Proudhon deduziert gegen Charles Comte wie folgt: Comte will entwickeln, wie das Eigentum entsteht, und beginnt damit, eine Nation als Eigentümerin vorauszusetzen, er fällt in die petitio principii. Er läßt den Staat Ländereien verkaufen, er läßt einen Industriellen diese Güter kaufen, d.h. er unterstellt die Eigentumsverhältnisse, die er beweisen will.

Der kritische Proudhon wirft das französische Dezimalsystem über den Haufen. Er behält den Franc bei, setzt aber an die Stelle des Centime den »Dreier

»Wenn ich, setzt Proudhon« (der kritische Proudhon) »hinzu, ein Stück Land abtrete, so beraube ich mich nicht bloß einer Ernte, sondern ich entziehe meinen Kindern und Kindeskindern ein bleibend Gut. Der Boden hat nicht bloß heute einen Wert, er hat auch einen Fähigkeits- und Zukunftswert.«[47]

Der wirkliche Proudhon spricht nicht davon, daß der Boden nicht bloß heute, sondern auch morgen einen Wert hat; er stellt den vollen, gegenwärtigen Wert dem Fähigkeits- und Zukunftswert entgegen, der von meiner Geschicklichkeit, den Boden zu verwerten, abhängt. Er sagt:

»Zerstört die Erde, oder was für euch dasselbe ist, verkauft sie: ihr entäußert euch nicht nur einer, zweier oder mehrerer Ernten, sondern ihr vernichtet alle Produkte, welche ihr davon ziehen konntet, ihr, eure Kinder und Kindeskinder.«

Es handelt sich für Proudhon nicht darum, den Gegensatz zwischen einer Ernte und dem bleibenden Gut hervorzuheben – auch das Geld, das ich für den Acker löse, kann als Kapital zu einem »bleibenden Gute« werden –, sondern von dem Gegensatz des gegenwärtigen Werts und des Werts, den der Boden durch eine fortdauernde Bebauung erhalten kann.

»Der neue Wert, sagt Charles Comte, den ich einer Sache durch meine Arbeit beilege, ist mein Eigentum. Proudhon« (der kritische Proudhon) »will ihn auf folgende Weise widerlegen: Da müßte also der Mensch aufhören, Eigentümer zu sein, sowie er zu arbeiten aufhört. Das Eigentum des Produkts kann nimmermehr das Eigentum des zugrunde liegenden Stoffes mit sich führen.«

Der wirkliche Proudhon:

»Der Arbeiter mag sich die Produkte seiner Arbeit aneignen, aber ich begreife nicht, daß das Eigentum der Produkte das der Materie nach sich zieht. Der Fischer, der an demselben Ufer mehr Fische als die übrigen Fischer zu fangen weiß, wird er durch diese Geschicklichkeit Eigentümer des Striches, worin er fischt? Wurde die Geschicklichkeit eines Jägers jemals als ein Eigentumstitel auf das Wild eines Kantons betrachtet? Ähnlich verhält es sich mit dem Ackerbauer. Um den Besitz in Eigentum zu verwandeln, ist noch eine andere Bedingung nötig als die bloße Arbeit, sonst würde der Mensch aufhören, Eigentümer zu sein, sobald er aufhören würde, Arbeiter zu sein.«

Cessante causa cessat effectus. Wenn der Eigentümer nur als Arbeiter Eigentümer ist, so hört er auf, Eigentümer zu sein, sobald er aufhört, Arbeiter zu sein.

»Nach dem Gesetz ist es daher die Verjährung, welche das Eigentum schafft; die Arbeit ist nur das sinnfällige Zeichen, der materielle Akt, wodurch die Okkupation sich kundtut

»Das System der Aneignung durch die Arbeit«, fährt Proudhon fort, »widerspricht also dem Gesetz; und wenn die Anhänger dieses Systems sich desselben zu bedienen vorschützen, um die Gesetze zu erklären, so widersprechen sie sich selbst

Wenn ferner nach dieser Meinung z.B. die Urbarmachung des Landes »das vollständige Eigentum desselben schafft«, so ist das eine petitio principii.[48] Faktisch ist es, daß eine neue produktive Fähigkeit der Materie geschaffen ist. Zu beweisen wäre eben, daß damit das Eigentum der Materie selbst geschaffen ist. Die Materie selbst hat der Mensch nicht geschaffen. Er schafft sogar jede produktive Fähigkeit der Materie nur unter der Voraussetzung der Materie.

Der kritische Proudhon macht den Gracchus Babeuf zum Parteigänger der Freiheit, bei dem massenhaften Proudhon ist es ein Parteigänger der Gleichheit (partisan de l'égalité).

Der kritische Proudhon, der das Honorar Homers für die Iliade taxieren soll, sagt:

»Das Honorar, welches ich dem Homer gebe, und das, was er mir leistet, soll gleich sein. Wie ist der Wert seiner Leistung zu bestimmen?«

Der kritische Proudhon ist zu sehr über die nationalökonomischen Kleinigkeiten erhaben, um zu wissen, daß der Wert einer Sache und das, was sie einem andern leistet sehr verschiedne Dinge sind. Der wirkliche Proudhon sagt:

»Das Honorar des Dichters soll gleich sein seinem Produkt, welches ist also der Wert dieses Produkts?«

Der wirkliche Proudhon unterstellt, daß die Iliade einen unendlichen Preis (oder Tauschwert, prix), der kritische, daß sie einen unendlichen Wert habe. Der wirkliche Proudhon stellt den Wert der Iliade, ihren Wert im nationalökonomischen Sinne (valeur intrinsèque), ihrem Tauschwert (valeur échangeable), der kritische Proudhon ihrem »innern Wert«, nämlich ihrem Wert als Gedicht, den »Wert für den Umtausch« entgegen.

Der wirkliche Proudhon:

»Zwischen einer materiellen Belohnung und dem Talent existiert kein gemeinschaftliches Maß. In dieser Beziehung ist die Lage aller Produzenten gleich. Folglich ist jede Vergleichung unter ihnen und jede Vermögensklassifikation unmöglich.« (»Entre une récompense matérielle et le talent il n'existe pas de commune mesure; sous ce rapport la condition de tous les producteurs est égale; conséquemment toute comparaison entre eux et toute distinction de fortunes est impossible.«)

Der kritische Proudhon:

»Relativerweise ist das Verhältnis der Produzenten gleich. Das Talent... kann nicht materiell aufgewogen werden... Jede Vergleichung der Produzenten untereinander, jede äußerliche Auszeichnung ist unmöglich.«

Bei dem kritischen Proudhon muß

»der Mann der Wissenschaft sich gleichfühlen in der Gesellschaft, weil sein Talent und seine Einsicht nur ein Produkt der gesellschaftlichen Einsicht sind.«[49]

Der wirkliche Proudhon spricht nirgends von den Gefühlen des Talents. Er sagt, das Talent müsse sich beugen unter das gesellschaftliche Niveau. Er behauptet ebensowenig, daß der Mann von Talent nur ein Produkt der Gesellschaft sei, er behauptet vielmehr:

»Der Mann von Talent hat dazu beigetragen, in sich selbst ein nützliches Werkzeug zu produzieren... es gibt in ihm einen freien Arbeiter und ein akkumuliertes gesellschaftliches Kapital.«

Der kritische Proudhon fährt fort:

»Er muß überdies der Gesellschaft dankbar sein dafür, daß sie ihn, damit er der Wissenschaft obliegen könne, von den übrigen Arbeiten entbindet.«

Der wirkliche Proudhon nimmt nirgends zu der Dankbarkeit des Mannes von Talent seine Zuflucht. Er sagt:

»Der Künstler, der Gelehrte, der Poet empfangen ihre gerechte Belohnung dadurch allein, daß die Gesellschaft ihnen erlaubt, sich ausschließlich der Wissenschaft und der Kunst hinzugeben.«

Schließlich bringt der kritische Proudhon das Wunder zuwege, daß eine Gesellschaft von 150 Arbeitern einen »Marshall«, also wohl auch eine Armee erhalten kann. Bei dem wirklichen Proudhon ist der Marschall ein »Hufschmied« (maréchal).

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1957, Band 2, S. 44-50.
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