Kritische Randglosse Nr. III

[40] »Worauf stützt nun Proudhon seinen Beweis für die Unmöglichkeit des Eigentums? Das übersteigt allen Glauben: auf dasselbe Prinzip der Gleichheit!«

Zur Erweckung des Glaubens des Herrn Edgar hätte eine kurze Reflexion ausgereicht. Es kann Herrn Edgar nicht unbekannt sein, daß Herr Bruno Bauer allen seinen Entwicklungen das »unendliche Selbstbewußtsein« zugrunde legte und dies Prinzip als das schöpferische Prinzip auch der dem unendlichen Selbstbewußtsein durch ihre unendliche Bewußtlosigkeit scheinbar gradezu widersprechenden Evangelien auffaßte. In derselben Weise faßt Proudhon die Gleichheit als das schöpferische Prinzip des ihr gradezu widersprechenden Privateigentums. Wenn Herr Edgar einen Augenblick die französische Gleichheit mit dem deutschen Selbstbewußtsein vergleicht, wird er finden, daß das letztere Prinzip deutsch, d.h. im abstrakten Denken, ausdrückt, was das erstere französisch, d.h. in der Sprache der Politik und der denkenden Anschauung, sagt. Das Selbstbewußtsein ist die Gleichheit des Menschen mit sich selbst im reinen Denken. Die Gleichheit ist das Bewußtsein des Menschen von sich selbst im Element der Praxis, d.h. also das Bewußtsein des Menschen vom andern Menschen als dem ihm Gleichen und[40] das Verhalten des Menschen zum andern Menschen als dem ihm Gleichen. Die Gleichheit ist der französische Ausdruck für die menschliche Wesenseinheit, für das Gattungsbewußtsein und Gattungsverhalten des Menschen, für die praktische Identität des Menschen mit dem Menschen, d.h. also für die gesellschaftliche oder menschliche Beziehung des Menschen zum Menschen. Wie daher die destruktive Kritik in Deutschland, ehe sie in Feuerbach zur Anschauung des wirklichen Menschen fortgegangen war, alles Bestimmte und Bestehende durch das Prinzip des Selbstbewußtseins aufzulösen suchte, so die destruktive Kritik in Frankreich durch das Prinzip der Gleichheit.

»Proudhon eifert gegen die Philosophie, was wir ihm an und für sich nicht verdenken können. Warum aber eifert er? Die Philosophie, meint er, sei bis jetzt noch nicht praktisch genug gewesen; sie habe sich auf das hohe Pferd der Spekulation gesetzt, und da seien ihr die Menschen gar zu klein vorgekommen. Ich meine, daß die Philosophie überpraktisch ist, d.h. sie war bisher nichts als der abstrakte Ausdruck der bestehenden Zustände, sie war stets in den Voraussetzungen derselben, die sie als absolute hinnahm, befangen.«

Die Meinung, daß die Philosophie der abstrakte Ausdruck der bestehenden Zustände sei, gehört ursprünglich nicht Herrn Edgar, sondern Feuerbach, der die Philosophie zuerst als spekulative und mystische Empirie bezeichnete und nachwies. Indessen weiß Herr Edgar dieser Meinung eine originelle, kritische Wendung zu geben. Schließt Feuerbach nämlich, daß die Philosophie aus dem Himmel der Spekulation in die Tiefe des menschlichen Elendes herabzusteigen habe, so belehrt uns Herr Edgar dagegen, daß die Philosophie überpraktisch ist. Es scheint aber vielmehr, daß die Philosophie, eben weil sie nur der transzendente, abstrakte Ausdruck der vorhandnen Zustände war, wegen ihrer Transzendenz und Abstraktion, wegen ihres imaginären Unterschieds von der Welt die vorhandenen Zustände und die wirklichen Menschen tief unter sich gelassen zu haben wähnen mußte; daß sie andrerseits, weil sie sich nicht wirklich von der Weltunterschied, kein wirkliches Urteil über sie fällen, keine reale Unterscheidungskraft gegen sie geltend machen, also nicht praktisch eingreifen konnte, sondern höchstens mit einer Praxis in abstracto sich begnügen mußte. Überpraktisch war die Philosophie nur in dem Sinne, daß sie über der Praxis schwebte. Von der unendlichen Kleinheit, in welcher die wirklichen Menschen der Spekulation erscheinen, legt die kritische Kritik, der die Menschheit in eine geistlose Masse zusammenfällt, das eklatanteste Zeugnis ab. Die alte Spekulation stimmt hierin mit ihr überein. Man lese z.B. folgenden Satz aus Hegels »Rechtsphilosophie«:

[41] »Auf dem Standpunkt der Bedürfnisse ist es das Konkretum der Vorstellung, das man Mensch nennt; es ist also hier und auch eigentlich nur hier vom Menschen in diesem Sinne die Rede.«

Wenn die Spekulation sonst von dem Menschen redet, so meint sie nicht das Konkretum, sondern das Abstraktum, die Idee, den Geist etc. Von der Weise, wie die Philosophie die vorhandnen Zustände ausdrückt, gab Herr Faucher in bezug auf die vorhandnen englischen Zustände und Herr Edgar in bezug auf die vorhandnen Zustände der französischen Sprache ergreifende Exempel.

»So ist auch Proudhon praktisch, indem er, den Begriff der Gleichheit den Beweisen für das Eigentum zugrunde liegen findend, aus demselben Begriff gegen das Eigentum doziert.«

Proudhon tut hier ganz dasselbe, was die deutschen Kritiker tun, welche aus der Vorstellung des Menschen, den sie den Beweisen für das Dasein Gottes zugrunde liegen finden, grade gegen das Dasein Gottes dozieren.

»Sind die Konsequenzen des Prinzips der Gleichheit stärker als sie selbst, wie will ihm Proudhon zu seiner plötzlichen Stärke verhelfen?«

Allen religiösen Vorstellungen liegt nach Herrn B[runo] Bauer das Selbstbewußtsein zugrunde. Es ist nach ihm das schöpferische Prinzip der Evangelien. Warum waren nun die Konsequenzen des Prinzips des Selbstbewußtseins stärker als es selbst? Weil, antwortet man zu deutsch, zwar das Selbstbewußtsein das schöpferische Prinzip der religiösen Vorstellungen ist, aber als außer sich gekommenes, sich selbst widersprechendes, entäußertes und entfremdetes Selbstbewußtsein. Das zu sich selbst gekommene, das sich selbst verstehende, das sein Wesen erfassende Selbstbewußtsein ist daher die Macht über die Geschöpfe seiner Selbstentäußerung. Ganz in demselben Fall befindet sich Proudhon, natürlich mit dem Unterschied, daß er französisch und daß wir deutsch sprechen, daß er daher auf eine französische Weise ausdrückt, was wir auf eine deutsche Weise ausdrücken.

Proudhon wirft sich selbst die Frage auf, warum die Gleichheit, obgleich sie als schöpferisches Vernunftprinzip der Stiftung des Eigentums und als letzter Vernunftgrund allen Beweisen für das Eigentum zugrunde liegt, dennoch nicht existiere, sondern vielmehr ihre Negation, das Privateigentum? Er betrachtet daher die Tatsache des Eigentums in sich selbst. Er beweist, »daß in Wahrheit das Eigentum als Institution und Prinzip unmöglich ist« (p. 34), d.h., daß es sich selbst widerspricht und in allen Punkten aufhebt, daß es, deutsch ausgedrückt, das Dasein der entäußerten, sich selbst widersprechenden,[42] der sich selbst entfremdeten Gleichheit ist. Die wirklichen französischen Zustände wie die Erkenntnis dieser Entfremdung deuten dem Proudhon mit Recht auf die wirkliche Aufhebung derselben hin.

Proudhon fühlt das Bedürfnis, in seiner Negation des Privateigentums die Existenz des Privateigentums zugleich historisch zu rechtfertigen. Wie alle ersten Entwicklungen dieser Art ist auch seine Entwicklung pragmatisch, d.h. er unterstellt, daß die vergangnen Geschlechter mit Bewußtsein und Reflexion in ihren Institutionen die Gleichheit, die ihm das menschliche Wesen repräsentiert, verwirklichen wollten.

»Wir kommen immer wieder darauf zurück ... Proudhon schreibt im Interesse der Proletarier.«

Er schreibt nicht aus dem Interesse der selbstgenügsamen Kritik, aus keinem abstrakten, selbstgemachten Interesse, sondern aus einem massenhaften, wirklichen, historischen Interesse, aus einem Interesse, das es weiter als zur Kritik, nämlich zur Krise bringen wird. Proudhon schreibt nicht nur im Interesse der Proletarier; er selbst ist Proletarier, Ouvrier. Sein Werk ist ein wissenschaftliches Manifest des französischen Proletariats und hat daher eine ganz andre historische Bedeutung als das literarische Machwerk irgendeines kritischen Kritikers.

»Proudhon schreibt im Interesse derer, die nichts haben; Haben und Nichtshaben sind ihm absolute Kategorien. Das Haben ist ihm das Höchste, weil ihm zugleich das Nichthaben als höchster Gegenstand des Nachdenkens dasteht. Jeder Mensch soll haben, aber gleich viel wie der andre, meint Proudhon. Man bedenke aber, daß mir an dem, was ich habe, nur das interessant ist, was ich ausschließlich, was ich mehr habe als der andre. Bei der Gleichheit wird mir das Haben und die Gleichheit selber etwas Gleichgültiges.«

Nach Herrn Edgar sind Haben und Nichthaben für Proudhon absolute Kategorien. Die kritische Kritik erblickt überall nur Kategorien. So sind nach Herrn Edgar Haben und Nichthaben, Arbeitslohn, Besoldung, Not und Bedürfnis, Arbeit für das Bedürfnis nichts anders als Kategorien.

Wenn die Gesellschaft sich nur von den Kategorien des Habens und Nichthabens zu befreien hätte, wie leicht würde ihr jeder selbst noch schwächere Dialektiker als Herr Edgar die »Überwindung« und »Aufhebung« dieser Kategorien machen! Herr Edgar unterstellt dies auch als eine solche Kleinigkeit, daß er es nicht einmal der Mühe wert achtet, dem Proudhon gegenüber sogar nur eine Erklärung der Kategorien des Habens und Nichthabens zu[43] geben. Da aber das Nichthaben nicht bloß eine Kategorie, sondern eine ganz trostlose Wirklichkeit ist, da der Mensch, der nichts hat, heutzutage nichts ist, da er, wie von der Existenz überhaupt, so noch mehr von einer menschlichen Existenz abgeschnitten ist, da der Zustand des Nichthabens der Zustand der völligen Trennung des Menschen von seiner Gegenständlichkeit ist, so scheint das Nichthaben durchaus berechtigt, als höchster Gegenstand des Nachdenkens für Proudhon dazustehn, um so mehr, je weniger man vor ihm und den sozialistischen Schriftstellern überhaupt über diesen Gegenstand nachgedacht hatte. Das Nichthaben ist der verzweifeltste Spiritualismus, eine völlige Unwirklichkeit des Menschen, eine völlige Wirklichkeit des Unmenschen, ein sehr positives Haben, ein Haben von Hunger, von Kälte, von Krankheiten, von Verbrechen, von Erniedrigung, von Hebetismus, von aller Unmenschlichkeit und Widernatürlichkeit. Jeder Gegenstand aber, der zum erstenmal mit dem vollen Bewußtsein seiner Wichtigkeit zum Gegenstand des Nachdenkens gemacht wird, steht als höchster Gegenstand des Nachdenkens da.

Daß Proudhon das Nichthaben und die alte Weise des Habens aufheben will, ist ganz identisch damit, daß er das praktisch entfremdete Verhältnis des Menschen zu seinem gegenständlichen Wesen, daß er den nationalökonomischen Ausdruck der menschlichen Selbstentfremdung aufheben will. Weil aber seine Kritik der Nationalökonomie noch in den Voraussetzungen der Nationalökonomie befangen ist, so wird die Wiederaneignung der gegenständlichen Welt selbst noch unter der nationalökonomischen Form des Besitzes gefaßt.

Proudhon stellt nämlich nicht, wie die kritische Kritik ihn tun läßt, dem Nichthaben das Haben, sondern der alten Weise des Habens, dem Privateigentum, den Besitz gegenüber. Den Besitz erklärt er für eine »gesellschaftliche Funktion.« In einer Funktion aber ist es nicht das »Interessante«, den andern »auszuschließen«, sondern meine eignen Wesenskräfte zu betätigen und zu verwirklichen.

Es ist Proudhon nicht gelungen, diesem Gedanken eine entsprechende Ausführung zu geben. Die Vorstellung des »gleichen Besitzes« ist der nationalökonomische, also selbst noch entfremdete Ausdruck dafür, daß der Gegenstand als Sein für den Menschen, als gegenständliches Sein des Menschen, zugleich das Dasein des Menschen für den andern Menschen, seine menschliche Beziehung zum andern Menschen, das gesellschaftliche Verhalten des Menschen zum Menschen ist. Proudhon hebt die nationalökonomische Entfremdung innerhalb der nationalökonomischen Entfremdung auf.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1957, Band 2, S. 40-44.
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