Kritische Randglosse Nr. V

[54] »Dem Beweise für die Unmöglichkeit des Eigentums, welchen Proudhon daraus führt, daß die Menschheit sich besonders durch das Zinsen- und Profitsystem und durch die Unverhältnismäßigkeit der Konsumtion zur Produktion aufzehre, fehlt das Gegenstück, die Aufweisung nämlich, daß das Privateigentum historisch möglich sei.«

Die kritische Kritik besitzt den glücklichen Instinkt, auf Proudhons Entwicklungen über das Zinsen- und Profitsystem usw., d.h. auf die bedeutendsten Entwickelungen Proudhons, nicht einzugehn. An diesem Punkte kann nämlich die Kritik Proudhons auch selbst zum Schein nicht mehr geliefert werden ohne ganz positive Kenntnisse über die Bewegung des Privateigentums. Die kritische Kritik sucht sich für ihre Ohnmacht durch die Bemerkung zu entschädigen, daß Proudhon nicht den Beweis für die historische Möglichkeit des Eigentums geliefert hat. Warum verlangt die nichts als Worte gebende Kritik, daß andere ihr alles geben?

»Proudhon beweist die Unmöglichkeit des Eigentums daraus, daß der Arbeiter sein Produkt aus dem Lohn seiner Arbeit nicht wiederkaufen könne. Proudhon gibt nicht den erschöpfenden Grund hiefür an, indem er das Wesen des Kapitals herbeiholt. Der Arbeiter kann sein Produkt nicht wiederkaufen, weil es stets ein gemeinschaftliches, er selbst aber nichts als ein einzelner bezahlter Mensch ist.«

Herr Edgar hätte im Gegensatz zur Proudhonschen Deduktion sich noch erschöpfender dahin äußern können, daß der Arbeiter sein Produkt nicht wiederkaufen kann, weil er es überhaupt wiederkaufen muß. In der Bestimmung des Kaufens ist es schon enthalten, daß er sich zu seinem Produkt als einem ihm abhanden gekommenen, entfremdeten Gegenstand verhält. Der erschöpfende Grund des Herrn Edgar erschöpft unter anderen nicht, warum der Kapitalist, der selbst nichts als ein einzelner Mensch und dazu ein durch den Profit und die Zinsen bezahlter Mensch ist, nicht nur das Produkt der Arbeit, sondern noch mehr als dieses Produkt wiederkaufen kann. Um dies zu erklären, wird Herr Edgar das Verhältnis von Arbeit und Kapital erklären, d.h. das Wesen des Kapitals herbeiholen müssen.

Die angeführte kritische Stelle zeigt in der sinnfälligsten Weise, wie die kritische Kritik das, was sie soeben aus einem Schriftsteller gelernt hat, sogleich benutzt, um es als selbsterfundene Weisheit gegen denselben Schriftsteller[54] mit einer kritischen Wendung geltend zu machen. Aus Proudhon selbst hat nämlich die kritische Kritik den von Proudhon nicht angegebenen und von Herrn Edgar angegebenen Grund geschöpft. Proudhon sagt:

»Divide et impera... trennt die Arbeiter voneinander, und es ist sehr möglich, daß der Taglohn, der jedem Einzelnen gezahlt wird, den Wert jeden individuellen Produkts übersteigt; aber das ist es nicht, worum es sich handelt... Wenn ihr alle individuellen Kräfte gezahlt habt, so habt ihr noch nicht die Kollektivkraft gezahlt.«

Proudhon machte zuerst darauf aufmerksam, daß die Summe der Saläre der einzelnen Arbeiter, selbst wenn jede individuelle Arbeit vollständig bezahlt würde, nicht die Kollektivkraft zahlt, welche sich in ihrem Produkt vergegenständigt, daß also der Arbeiter nicht als ein Teil der gemeinschaftlichen Arbeitskraft bezahlt wird, was Herr Edgar dahin travestiert, daß der Arbeiter nichts als ein einzelner, bezahlter Mensch ist. Die kritische Kritik macht also einen allgemeinen Gedanken Proudhons gegen die weitere konkrete Entwicklung geltend, die derselbe Proudhon demselben Gedanken gibt. Sie bemächtigt sich dieses Gedankens in kritischer Weise und spricht in folgendem Satze das Geheimnis des kritischen Sozialismus aus:

»Der heutige Arbeiter denkt nur an sich, d.h. er läßt sich für seine Person bezahlen. Er selber ist es, der die ungeheure und unermeßliche Kraft, welche aus seinem Zusammenwirken mit andern Kräften entsteht, nicht in Anschlag bringt.«

Der kritischen Kritik zufolge liegt das ganze Übel nur am »Denken« der Arbeiter. Nun haben zwar die englischen und französischen Arbeiter Assoziationen gebildet, in welchen nicht nur ihre unmittelbaren Bedürfnisse als Arbeiter, sondern ihre Bedürfnisse als Menschen den Gegenstand ihrer wechselseitigen Belehrung bilden, worin sie überdem ein sehr gründliches und umfassendes Bewußtsein über die »ungeheure« und »unermeßbare« Kraft äußern, welche aus ihrem Zusammenwirken entsteht. Aber diese massenhaften, kommunistischen Arbeiter, welche in den Ateliers von Manchester und Lyon z.B. tätig sind, glauben nicht durch »reines Denken« ihre Industrieherren und ihre eigne praktische Erniedrigung wegräsonieren zu können. Sie empfinden sehr schmerzlich den Unterschied zwischen Sein und Denken, zwischen Bewußtsein und Leben. Sie wissen, daß Eigentum, Kapital, Geld, Lohnarbeit u. dgl. durchaus keine ideellen Hirngespinste, sondern sehr praktische, sehr gegenständliche Erzeugnisse ihrer Selbstentfremdung sind, die also auch auf eine praktische, gegenständliche Weise aufgehoben werden[55] müssen, damit nicht nur im Denken, im Bewußtsein, sondern im massenhaften Sein, im Leben der Mensch zum Menschen werde. Die kritische Kritik belehrt sie dagegen, daß sie in der Wirklichkeit aufhören, Lohnarbeiter zu sein, wenn sie den Gedanken der Lohnarbeit im Gedanken aufheben, wenn sie im Gedanken aufhören, sich als Lohnarbeiter zu gelten, und dieser überschwenglichen Einbildung gemäß sich nicht mehr für ihre Person bezahlen lassen. Als absolute Idealisten, als ätherische Wesen können sie hinterher auch natürlich vom Äther des reinen Gedankens leben. Die kritische Kritik belehrt sie, daß sie das wirkliche Kapital aufheben, wenn sie die Kategorie des Kapitals im Denken überwältigen, daß sie sich wirklich verändern und zu wirklichen Menschen machen, wenn sie ihr »abstraktes Ich« im Bewußtsein verändern und jede wirkliche Veränderung ihres wirklichen Daseins, der wirklichen Bedingungen ihres Daseins, d.h. also ihres wirklichen Ichs, als eine unkritische Operation verschmähen. Der »Geist«, der in der Wirklichkeit nur Kategorien erblickt, reduziert natürlich auch alle menschliche Tätigkeit und Praxis auf den dialektischen Denkprozeß der kritischen Kritik. Eben das unterscheidet ihren Sozialismus von dem massenhaften Sozialismus und Kommunismus.

Nach seinen großen Entwicklungen muß Herr Edgar natürlich der Kritik Proudhons »das Bewußtsein absprechen.«

»Proudhon will aber auch praktisch sein.« »Er glaubt eben erkannt zu haben.« »Und doch«, ruft die Ruhe des Erkennens triumphierend aus, »wir müssen ihm auch jetzt noch die Ruhe des Erkennens absprechen.« »Wir nehmen einige Stellen, um zu zeigen, wie wenig er seine Stellung zur Gesellschaft durchdacht hat.«

Wir werden später noch einige Stellen aus den Werken der kritischen Kritik nehmen (siehe die Armenbank und die Musterwirtschaft), um zu zeigen, wie sie die allerersten nationalökonomischen Verhältnisse noch nicht kennengelernt, viel weniger durchdacht hat und also mit dem ihr eigentümlichen kritischen Takt sich dazu berufen fühlte, den Proudhon ihrer Beurteilung zu unterwerfen.

Nachdem nun der kritischen Kritik als der Ruhe des Erkennens alle massenhaften »Gegensätze anheimgefallen« sind, nachdem sie aller Wirklichkeit unter der Form von Kategorien sich bemächtigt und alle menschliche Tätigkeit in die spekulative Dialektik aufgelöst hat, werden wir sie aus der spekulativen Dialektik die Welt wiedererzeugen sehn. Es versteht sich, daß die Wunder der kritisch spekulativen Weltschöpfung, sollen sie anders nicht »entweiht« werden, der profanen Masse nur unter der Form von Mysterien mitgeteilt werden können. Die kritische Kritik tritt daher in der Inkarnation Wischnu-Szeliga als Geheimniskrämer auf.[56]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1957, Band 2, S. 54-57.
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