1. »Das Geheimnis der Verwilderung in der Zivilisation« und »das Geheimnis der Rechtslosigkeit im Staate«

[58] Feuerbach hat bekanntlich die christlichen Vorstellungen der Inkarnation, der Dreieinigkeit, der Unsterblichkeit etc. als das Geheimnis der Inkarnation, das Geheimnis der Dreieinigkeit, das Geheimnis der Unsterblichkeit gefaßt. Herr Szeliga faßt alle jetzigen Weltzustände als Geheimnisse. Wenn aber Feuerbach wirkliche Geheimnisse enthüllt hat, so verwandelt Herr Szeliga wirkliche Trivialitäten in Geheimnisse. Seine Kunst besteht nicht darin, das Verborgne zu enthüllen, sondern das Enthüllte zu verbergen.

So erklärt er die Verwilderung (die Verbrecher) innerhalb der Zivilisation wie die Rechtslosigkeit und Ungleichheit im Staat für Geheimnisse. Die sozialistische Literatur, welche diese Geheimnisse verraten hat, ist also für Herrn Szeliga entweder ein Geheimnis geblieben, oder er möchte die bekanntesten Resultate derselben in das Privatgeheimnis der »kritischen Kritik« verwandeln.

Wir brauchen daher nicht auf Herrn Szeligas Auseinandersetzung über diese Geheimnisse näher einzugehn. Wir heben nur einige Glanzpunkte hervor.

»Vor dem Gesetz und dem Richter ist alles gleich, hoch und niedrig, reich und arm. Dieser Satz steht ganz obenan im Glaubensbekenntnis des Staats

Des Staats? Das Glaubensbekenntnis der meisten Staaten beginnt im Gegenteil damit, hoch und niedrig, reich und arm vor dem Gesetz ungleich zu setzen.

»Der Steinschneider Morel spricht in seiner naiven Rechtschaffenheit das Geheimnis« (nämlich das Geheimnis des Gegensatzes von arm und reich) »sehr klar aus; er sagt: Wenn es die Reichen nur wüßten! Wenn es die Reichen nur wüßten! Das Unglück besteht darin, daß sie nicht wissen, was Armut ist.«

Herr Szeliga weiß nicht, daß Eugen Sue aus Höflichkeit gegen die französische Bourgeoisie einen Anachronismus begeht, wenn er das Motto der Bürger aus der Zeit Ludwigs XIV.: »Ah! si le roi le savait!« in der modifizierten Form: »Ah! si le riche le savait!« dem Arbeiter Morel aus der Zeit der Charte vérité in den Mund legt. In England und Frankreich wenigstens hat dies naive Verhältnis zwischen reich und arm aufgehört. Die wissenschaftlichen Repräsentanten des Reichtums, die Nationalökonomen, haben hier eine sehr detaillierte Einsicht in das physische und moralische[58] Elend der Armut verbreitet. Zum Ersatz haben sie bewiesen, daß es bei diesem Elend sein Bewenden haben müsse, weil es bei den heutigen Zuständen sein Bewenden haben müsse. Ja sie haben in ihrer Sorglichkeit sogar die Proportionen berechnet, worin die Armut zum Wohl des Reichtums und zu ihrem eignen Wohl sich durch Todesfälle dezimieren muß.

Wenn Eugen Sue Kneipen, Schlupfwinkel und Sprache der Verbrecher schildert, so entdeckt Herr Szeliga das »Geheimnis«, daß es dem »Verfasser« nicht um die Schilderung dieser Sprache und dieser Schlupfwinkel zu tun ist, sondern darum,

»das Geheimnis der Triebfedern zum Bösen etc. kennen zu lehren.« »An den Orten des lebendigsten Verkehrs... sind die Verbrecher ja gerade zu Hause

Was würde ein Naturforscher dazu sagen, wenn man ihm bewiese, die Zelle der Biene interessiere ihn nicht als Bienenzelle, sie sei kein Geheimnis für den, der sie nicht studiert hat, weil die Biene »ja grade« in der freien Luft und auf der Blume »erst recht zu Hause sei«? In den Schlupfwinkeln der Verbrecher und der Verbrechersprache spiegelt sich der Charakter des Verbrechers ab, sie sind ein Stück von seinem Dasein, ihre Schilderung gehört zu seiner Schilderung, wie die Schilderung der petite maison zur Schilderung der femme galante gehört.

Die Schlupfwinkel der Verbrecher sind ein solches »Geheimnis« nicht nur für die Pariser überhaupt, sondern sogar für die Pariser Polizei, daß noch in diesem Augenblicke helle und breite Straßen in der Cité gebrochen werden, um der Polizei diese Winkel zugänglich zu machen.

Endlich erklärt Eugen Sue selbst, daß er bei den obenerwähnten Schilderungen »sur la curiosité craintive« der Leser rechne. Herr Eugen Sue hat in allen seinen Romanen auf diese ängstliche Neugierde der Leser gerechnet. Man erinnere sich nur an Atar Gull, den Salamandre, Plick und Plock etc.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1957, Band 2, S. 58-59.
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