a) Die spekulative »Marien-Blume«

[176] Noch ein Wort über die spekulative »Marien-Blume« des Herrn Szeliga, ehe wir zu der Fleur de Marie des Eugen Sue übergehen.

Die spekulative »Marien-Blume« ist vor allem eine Berichtigung. Der Leser könnte nämlich aus der Konstruktion des Herrn Szeliga schließen, Eugen Sue habe

»die Darstellung der objektiven Grundlage« (des »Weltzustandes«) »von der Entwicklung der handelnden individuellen Kräfte, welche nur aus jenem Hintergrund begriffen werden können, getrennt.«

Außer der Aufgabe, diese irrtümliche, durch Herrn Szeligas Darstellung erzeugte Vermutung des Lesers zu berichtigen, hat Marien-Blume auch noch einen metaphysischen Beruf in unserm, nämlich Herrn Szeligas, »Epos.«

»Weltzustand und epische Begebenheit würden auch noch nicht zu einem wahrhaft einigen Ganzen künstlerisch verbunden sein, wenn sie nur in einem bunten Gemisch durcheinanderkreuzten, bald hier ein Stück Weltzustand, und wieder dort eine Szene Handlung miteinander abwechselten. Soll wirkliche Einheit entstehen, so müssen beide, die Geheimnisse dieser befangenen Welt und die Klarheit, Offenheit und Sicherheit, mit welcher Rudolph in sie eindringt und sie enthüllt. In einem Individuum zusammenstoßen... Marien-Blume hat diese Aufgabe.«

Herr Szeliga konstruiert Marien-Blume nach der Analogie der Bauerschen Konstruktion der Mutter Gottes.

Auf der einen Seite steht das »Göttliche« (Rudolph), »dem alle Macht und Freiheit« zugeschrieben wird, das allein tätige Prinzip. Auf der andern Seite steht der passive »Weltzustand« und die ihm angehörigen Menschen. Der Weltzustand ist der »Boden des Wirklichen.« Soll dieser nun nicht »ganz[176] verlassen« oder »der letzte Rest des Naturzustandes nicht aufgehoben« werden, soll die Welt selbst an dem »Prinzip der Entwicklung«, das Rudolph ihr gegenüber in sich konzentriert, noch einigen Anteil haben, soll »das Menschliche nicht als schlechthin unfrei und untätig dargestellt werden«, so muß Herr Szeliga dem »Widerspruch des religiösen Bewußtseins« anheimfallen. Obgleich er den Weltzustand und seine Tätigkeit als den Dualismus einer toten Masse und der Kritik (Rudolphs) auseinanderreißt, muß er dennoch dem Weltzustand und der Masse wieder einige Attribute der Göttlichkeit zugestehen und in der Marien-Blume die spekulative Einheit beider, Rudolphs und der Welt, konstruieren. (Siehe »Kritik der Synoptiker«, Band I, p. 39.)

Außer den wirklichen Beziehungen, in welchen der Hausbesitzer (die handelnde »individuelle Kraft«) zu seinem Hause (der »objektiven Grundlage«) steht, bedarf die mystische Spekulation, auch die spekulative Ästhetik, noch einer dritten konkreten, spekulativen Einheit, eines Subjekt-Objekts, welches das Haus und der Hausbesitzer in einer Person ist. Weil die Spekulation die natürlichen Vermittlungen in ihrer breiten Umständlichkeit nicht liebt, so sieht sie nicht ein, daß dasselbe »Stück Weltzustand«, das Haus z.B., welches für den einen, z.B. für den Hausbesitzer, eine »objektive Grundlage« ist, für den andern, den Baumeister des Hauses z.B., eine »epische Begebenheit« ist. Die kritische Kritik, welche der »romantischen Kunst« das »Dogma der Einheit« zum Vorwurf macht, setzt, um ein »wahrhaft einiges Ganze«, um eine »wirkliche Einheit« zu erhalten, an die Stelle des natürlichen und menschlichen Zusammenhangs zwischen Weltzustand und Weltbegebenheit einen phantastischen Zusammenhang, ein mystisches Subjekt-Objekt, wie Hegel an die Stelle des wirklichen Zusammenhangs von Mensch und Natur ein absolutes Subjekt-Objekt, das die ganze Natur und die ganze Menschheit auf einmal ist, den absoluten Geist, setzt.

In der kritischen Marien-Blume wird »die allgemeine Schuld der Zeit, die Schuld des Geheimnisses«, zum »Geheimnis der Schuld«, wie die allgemeine Schuld des Geheimnisses im verschuldeten Epicier zum Geheimnis der Schulden wird.

Marien-Blume müßte nach der Mutter-Gottes-Konstruktion eigentlich die Mutter Rudolphs, des Welterlösers, sein. Herr Szeliga erklärt dies ausdrücklich:

»Der logischen Folge nach müßte Rudolph der Sohn der Marien-Blume sein.«

Weil er aber nicht ihr Sohn, sondern ihr Vater ist, so findet Herr Szeliga hierin »das neue Geheimnis, daß die Gegenwart aus ihrem Schoße statt der[177] Zukunft oft die längst hingeschiedene Vergangenheit gebiert.« Ja, er entdeckt das andere, noch größere, der massenhaften Statistik direkt widersprechende Geheimnis, daß »ein Kind, wenn es nicht wiederum Vater oder Mutter wird, sondern jungfräulich und unschuldig in die Gruft niedersteigt... wesentlich... Tochter ist.«

Herr Szeliga folgt getreu der Hegelschen Spekulation, wenn ihm der »logischen Folge« nach die Tochter für die Mutter ihres Vaters gilt. In Hegels Geschichtsphilosophie, wie in seiner Naturphilosophie, gebiert der Sohn die Mutter, der Geist die Natur, die christliche Religion das Heidentum, das Resultat den Anfang.

Nachdem Herr Szeliga bewiesen hat, daß Marien-Blume der »logischen Folge« nach Rudolphs Mutter sein müßte, beweist er nun das Gegenteil, daß sie, »um ganz der Idee zu entsprechen, welche sie in unserm Epos verkörpert, niemals Mutter werden darf.« Dies beweist wenigstens, daß die Idee unseres Epos und die logische Folge des Herrn Szeliga sich wechselseitig widersprechen.

Die spekulative Marien-Blume ist nichts als die »Verkörperung einer Idee.« Und welcher Idee? »Sie hat doch die Aufgabe, gleichsam die letzte Wehmutsträne darzustellen, welche die Vergangenheit vor ihrem gänzlichen Scheiden weint.« Sie ist die Darstellung einer allegorischen Träne, und auch dies Wenige, was sie ist, ist sie doch nur »gleichsam.«

Wir folgen Herrn Szeliga nicht in seiner weitem Darstellung der Marien-Blume. Wir überlassen ihr selbst das Vergnügen, nach Herrn Szeligas Vorschrift »gegen jedermann den entschiedensten Gegensatz zu bilden«, ein geheimnisvoller Gegensatz, so geheimnisvoll wie die Eigenschaften Gottes.

Wir grübeln ebensowenig über »das wahre Geheimnis« nach, das »von Gott in den Busen des Menschen gesenkt ist« und worauf die spekulative Marien-Blume »doch gleichsam« hindeutet. Wir gehen von Herrn Szeligas Marien-Blume zu Eugen Sues Fleur de Marie und zu den kritischen Wunderkuren über, welche Rudolph an ihr vollbringt.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1957, Band 2, S. 176-178.
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